vonWolfgang Koch 24.05.2018

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Wenn alle wieder von Karl Marx reden, reden wir von dem Mann, der dem sozialistische Klassiker aus Trier die besten Gedanken geliehen hat. Lektion 1: DAS CHRISTENTUM.

Ein berühmtes Diktum Blaise Pascals lautet, Krankheit sei der natürliche Zustand der Christen. Der 1804 in Landshut geborene Religions- und Idealismuskritiker Ludwig Andreas Feuerbach dreht die Mangel dieses Gedankens noch ein paar Windungen weiter, indem er den Christen taxfrei zum Hypochonder erklärt. Im Fall der globalen Leidensreligion, lehrt er, liege gar kein echter Schmerz vor, sondern die berühmte englische Grillenkrankheit; kein wirkliches Gebrechen, sondern der inbrünstige Wunsch nach dem schönem Leiden und nach dem Mitleiden am Pseudoleiden.

Das Christsein – nichts als eine bleischwere Affektion des Gemüts, formuliert in den abstrakten Worten »Gottvater, Gottsohn & Heiliger Geist«. Kein Wunder, dass dank dieser dreifaltigen Denkweise der offiziellen Kirchentheologie die babylonische Verwirrung immer noch anhält. Verschüttet und vergessen das harmlose Heidentum der Naturgeister mit seinem Tatgeist! Verschüttet der gesunde dionysische Rausch und die robuste Medizin feierlicher Feste! Aus dem religiösen Empfinden ist auf dem langen Bibelpfad ein rationaler Zustand verminderter Vernunft geworden.

Der Christ ist nämlich laut Feuerbach hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Ihm gefällt sein eigenes Befinden gar nicht; sein Pietismus: weich wie Butter; sein Mystizismus: eine Eisblume zwischen der Wärme des Herzens und der Kälte des Verstandes. Der ruhige Analytiker, der sich selbst als »kryptopolitischer Privatier« versteht und 1848 auf dem Demokratenkongress der Deutschen spricht, dieser Feuerbach sieht im römisch-katholischen Papismus ein Symbolbild für den Menschen, über dem noch ein König regiert. Im Lutherismus hingegen erblickt er schon die halbe, bürgerliche Revolution: »Der Protestant ist ein religiöser Republikaner«.

Wohlmeinend liesse sich mit Feuerbach sagen, dass der Glaube an Jesus grundsätzlich immer ein Glaube an den Menschensohn ist, also die beseelte Hoffnung des Menschen auf den Menschen. Auf die Frage, warum Christen zwar die »Mutter Gottes« verehren, ihnen der »Vater Gottes« aber gänzlich unbekannt bleibt, antwortet Feuerbach: »Weil dieser unbekannte Vater des Übervaters das verschüttete Heidentums ist«.

© Wolfgang Koch 2018

Themenfolge

Christentum, Religion, Gott, Natur, Leben, Tod, Leib, Sinne, Empfindung, Wahrheit, Erkenntnis, Denken, Philosophie, Wissen, Wissenschaft, Sein, Mensch

Feuerbach-Code

Anschauung = Registration, Sinneswahrnehmung, Weltaneignung

Denken = Seinsfolge

Empfindung = Rezeptivität

Enttäuschung = Aufklärung

Leib = Daseinseinheit der Subjektivität

Sinnlichkeit = Wirklichkeit

Wahrheit = erkannte Lebenstotalität

Foto: Pascal Maitre (Aussschnitt). Aus der Sonderausstellung »Baobab, der Zauberbaum« im Naturhistorischen Museum Wien. Von den acht Arten der Affenbrotbäume, die weltweit existieren, sind sieben auf Madagaskar heimisch; dorthin zog es den Fotografen bereits 27 Mal. Der Wasserspeicher des Baobabs, dessen Früchte »Affenbrot« heissen, ist gewaltig, lehrt ein afrikanisches Sprichwort, doch seine Mutter ist nur ein Samenkorn. Ausstellung noch bis 2. Juni.

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