vonWolfgang Koch 29.10.2018

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Kochbücher für Freunde, in denen mehrfach erprobte Rezepte für gut gelaunte Feinschmecker verzeichnet stehen, sind wahre Raritäten; sie erblicken selten das Licht der Welt und noch seltener fallen sie Fremden in die Hände, und falls doch, dann werfen solche Küchenhilfen für Freunde zuerst einmal die Frage auf, was das wohl für Leute sind, die solchen exotischen Essgefühlen nachgehen.

Sind es Hausmütterchen? Oder gefrässige Feinschmecker, gastronomische Aufschneider? Sind es Lifestyler wie der erfolgreiche Austrovietnamese Martin Ho? Oder Tierpräperatoren, die den Papageiertaucher endlich einmal so zubereiten wollen, dass er nicht nach altem, gebrauchtem Fett schmeckt? Werden diesen Freunden, wie Simplizissimus, zwei Augen aus einem Kalbskopf zuteil? Oder soll sie das schmackhafte Gericht, wie ein Ausweis gelebter Jüdischkeit, an ihre Kindheit erinnern?

In unserem Fall ist das »Kochbuch von Freunden für Freunde« ein Sammelwerk des Jonny-Weissmüller-Bundes, einer kunst- und literatursinnigen Fraktion des Weltsteirertums, personifiziert im Herausgeber Dietmar Werner. Wie bei der Lord-Jim-Loge oder dem Hell-Fire-Dinning-Club oder der Raoul-Bumballa-Gesellschaft verbergen sich dahinter Avantgardisten und Muskelfrauen, Philosophen und Analytiker, in unserem Fall solche aus den frühen Nullerjahren.

Allegro ma non troppo, so der Titel dieser Freunde-Küche, erschien erstmals in spiralisierter Form im Oktober 2002. Damals waren im österreichischen Kultursumpf die mittlerweile wieder vergessenen Austroavantgardisten Kurt Palm und Heimo Zobernig aktuell. Elfriede Jelinek blamierte sich – zwei Jahre, bevor sie den Literaturnobelpreis von einem korrupten und frauenfeindlichen Nobelpreiskomitee entgegen nahm – mit dem herzlich einfallslosen Bürokratensatz: »Ich kann aber überhaupt nicht kochen und kenne deshalb auch keine Rezepte«.

Andere blamierten sich vor ihren Freunden nicht, oder jedenfalls weniger, so dass das Antikochbuch dieser Tage in einer zweiten, gebundenen Ausgabe erscheinen kann. Da Künstler und Intellektuelle naturgemäss ein gespaltenes Verhältnis zu praktischen Vorgängen wie dem Kochen besitzen, und österreichische Künstler und Intellektuelle von Backerbsensuppe, Kaiserkrainer und Erdäpfel-Blunz’n-Gröstl erstickend umkreist sind, wird jedes Rezept automatisch zum einem Widerstandsakt gegen das österreichische Gemüt in der Weltdemokratie.

Es gibt in dem wunderlichen Kochbuch drei konkurrierende Haltungen. Entweder verweigert die Teilgruppe der 43 Freunde ihren Freunden eine Rezeptur; der 2003 verstorbene Musikjournalist Marcel Prawy, jahrzehntelang das TV-Gesicht der Wiener Staatsoper, z.B. erklärt: »Da ich nur kaltes Brathuhn, Maroni und Gefrorenes gerne esse, halte ich das Kochen für die überflüssigste Beschäftigung der Welt«.

Eine zweite Gruppe der Freunde weicht auf essayistische Teller aus oder publiziert Menüpläne, darunter einen der französischen Fremdenlegion. Es gibt eine Abhandlung zum Guten Geschmack, ein Archiv nie gekochter Rezepte. Es wird die schwierigste aller küchenreligiösen Fragen verhandelt, nämlich, ob es eines »Rezepts für alle Rezepte« bedarf.

Im November 1951 stellte Franz Baermann Steiner, dieser golemhafte Schatten des Schriftstellers Elias Canetti, die sozialanthropologische These in den Raum, das Blütenessen sei »ein unbewusstes Tabu im Abendland«. Für Steiner hing dieses Tabu mit den verschiedenen Bedeutungen der Liebe in Ost und West zusammen.

Auf Seite 74 im Freunde-Kochbuch widerlegt Ewa Esterhazy ganz unverkrampft diese These. Sie schlägt in der neuen europäischen Liebesunordnung ein Sommermenü aus Salat mit Borretschblüten und Gänseblümchen, gefüllten Zucchiniblüten und gebackenen Holunderblüten vor.

Eine dritte Gruppe von Beiträgern zum Kochbuch der Freunde legt zwar widerwillig, aber dann doch ein originelles Rezept auf den Lesetisch. Nahrung und Esssitten der Intellektuellen in Österreich unterscheiden sich ja nicht fundamental von Nahrung und Esssitten der Intellektuellen in anderen europäischen Lädern. So finden sich nun als fresserische Grosstaten auf den 126 Seiten Kochanleitungen für Bohnen mit Ei, albanische Melanzani, Fisch-Curry mit Spagetti, Pfefferkarpfen (Gefillte Fish), geknickte Rauchwurst sowie Vongole veraci alla Salto di Fondi für den tunkenden Muschelfreund.

Das Angebot an Deserts fällt sogar landestypisch saftig und süss aus: Krumbirnen-Ragout, mit Bienenhonig glacierte Ameisen, Schlehen-Zwetschken-Kompott, Hubba Bubba Strawberry auf Metallraster, Fächertorte.

Besonders beindruckend finde ich »Gekochter Reis für 10 Personen« von Armin Dallapiccola, und »Rumsuppe mit Slivovicfrittaten« von Franz West, dieses in Kleinschrift im Stil der Wiener Gruppe vorgetragen:

»Sie bereiten diese Suppe so, wie sie in jedem Kochbuch empfohlen wird, zu, allerdings fügen sie der Suppe für 4 Personen ca. 1/8 Liter Inländerrum und dem Frittatenteig 0.16 cl Slivovic bei. Dazu empfehle ich ein Glas Dingac oder Rote Trockenbeerenauslese im Sommer. Im Winter vielleicht Glühwein oder Grog. Das ist das einzige Kochrezept, das mir gegenwärtig ist, ein Rezept aus der Jugend, für junge Leute«.

Gott hab ihn selig, den Franz!

© Wolfgang Koch 2018

Allegro ma non troppo. Ein Kochbuch von Freunden für Freunde. Hg. von Dietmar Werner, Edition s’regnet, ISBN 3-85420-506-6, Bestellungen: dietmarwernermsv2004@yahoo.de

Abbildung: Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald/ Today the kitchen‘s cold, we‘re going to the Vienna woods von Marlene Haring, Installation Wien 2004

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