Leser Marc Gerke hat mich freundlicherweise auf eine mir ansonsten eher fern liegende Publikation aufmerksam gemacht, den Kicker nämlich. Auf dessen Webseite hat er „eine sympathische Stilblüte gefunden, die mir schon öfter aufgefallen ist, die trotz ihrer momentanen Unkorrektheit ein dauerhaftes Duden-Asyl verdient hätte: Ein „richtig gutes Spiel“ habe er von seiner Mannschaft gesehen, mit zwei Wehmutstropfen.“
Vielen Dank für diesen Hinweis, den ich gerne nutze, um einige grundsätzliche Erwägungen zur wortistischen Demokratietheorie anzuschließen. Natürlich ist der Wehmutstropfen an sich falsch, da nur der Wermutstropfen im Duden steht, und der seinen Ursprung daher hat, dass ein einziger Tropfen Wermut ein ansonsten süßes Getränk hoffnungslos verbittern kann. Aber andererseits ist der Wehmutstropfen gar kein schlechtes Wort: Ein ansonsten erfreuliches Gesamtbild wird durch einen Hauch Wehmut getrübt, und da Wehmut ziemlich nah am Wasser gebaut hat, passt auch der Tropfen ganz gut.
Und kann der Wehmutstropfen wirklich so falsch sein, wenn er in der gesprochenen Sprache schon annähernd so häufig gebraucht wird wie der Wermutstropfen? Bei Google, das ja dem Volk ziemlich breit aufs Maul schaut, gibt es 725 Netto-Treffer für Wehmut-, und 756 für Wermutstropfen, also ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das Volk eignet sich also einen Hörfehler als neues Wort an, und über kurz oder lang landet der Wehmutstropfen also auch im Duden. Alles in Ordnung, oder?
Mein Lehrer Wolf Schneider würde wohl vehement widersprechen. Wo kämen wir da hin, wenn jede Verballhornung und Verschlimmbesserung in den Wortschatz einginge, wenn sie nur oft genug verwendet wird? Es ist die Aufgabe der professionellen Sprachverwender, die Sprache weiterzuentwickeln, also einer elitären Minderheit von Schriftstellern, Politikern, Journalisten und wenn’s sein muss auch Werbern. Der Mehrheit eine Mitsprache zuzuerkennen, wird auf Dauer die Sprache verhunzen. Ich hatte mich gefreut, dass durch e-Mail und Internet die Menschen wieder zum Schreiben gebracht werden. „Aber wie!“ blaffte Schneider zurück – und das, obwohl damals die SMS noch gar nicht erfunden war.
So gesehen, ist der Wehmutstropfen noch weit davon entfernt, echtes Deutsch zu sein. Das zeigt ein Blick in eine Pressedatenbank, in diesem Fall gbi.de. Dort ergab sich jeweils für den letzten Monat ein Verhältnis von Wehmuts- zu Wermutstropfen:
deutsche Presse: 12 : 542
österreichische Presse: 3 : 129
Schweizer Presse: 0 : 26
Auf 40 bis 50 Wermutstropfen kommt also eine tropfende Wehmut. Also ab in den Sprachmüll damit? Nein! Wenn ein Fehler, ob wortistisch oder grammatisch, so weit verbreitet ist, dass er fast so häufig auftaucht wie die korrekte Version, sollte es zwar keinen Automatismus geben, den Fehler zu legalisieren, aber jedem Fall eine Einzelfallprüfung: Ist das a) falsch, oder steht das b) nur nicht im Duden? Und wenn nur die Antwort auf b) Ja lautet, kommt noch die Zusatzfrage: Spräche etwas dagegen, das in den Duden aufzunehmen? Beim Wehmutstropfen spricht nichts dagegen. Das Bild ist passend und verständlich, und zudem sogar für Antialkoholiker geeignet.
[…] und mich in Regensburg richtig einzuleben. Darauf freu ich mich schon sehr. Einziger Wehmutstropfen Wermutstropfen ist der nahende kalte […]