„Es steckt nur etwas Geo-Taktik dahinter“, kommentierte André Kühnlenz gerade die Entscheidung Angela Merkels, beim gestrigen G-20-Gipfel als einziges anwesendes Nato-Mitgliedsland nicht die Syrien-Erkärung der USA zu unterschreiben. Anders als die Geostrategie oder die Geopolitik gibt es das Wort Geotaktik bislang nicht im politischen Sprachgebrauch. Und ich habe auch nicht den Eindruck, dass es sich durchsetzen wird.
Das Verhalten Merkels vor, während und nach St. Petersburg werte ich wie Bernd Ulrich auf Zeit Online als absoluten Tiefpunkt ihrer Kanzlerschaft. Nicht, weil ich so dringend Raketen auf Damaskus abfeuern möchte: Ich bin strikt gegen eine Intervention in Syrien ohne UN-Mandat. Aber ich bin noch strikter gegen eine feige Regierung: Wer sich in dieser Angelegenheit gegen Obama stellen will, muss das VORHER klar und deutlich sagen – dann kann man streiten, die Konfliktlinien abstecken und hinterher so oder so entscheiden. Aber vorher die Schnauze halten und dann, wenn’s drauf ankommt, sich raushalten, das geht gar nicht.
Merkel hätte vorher nun wirklich mehr als genug Möglichkeiten gehabt, Worte wie „Völkerrecht“ oder „Humanität“ oder „Wichtigkeit eines EU-weit abgestimmten Verhaltens“ zu verwenden. Sie hat es nicht getan. Sie steht nicht mal jetzt in irgendeiner Form inhaltlich zu ihrem Stimmverhalten. Eine Kanzlerin mit einem solchen rückgratlosen Opportunismus ist, leider, ein Sicherheitsrisiko. Wenn’s ums Geld geht, dem ganzen Kontinent Daumenschrauben anlegen, aber wenn’s um Krieg geht, so tun, als sei man Liechtenstein – das ist doch keine Politik. Das kann man bei einem frischgewählten Staatschef vielleicht entschuldigen, aber nicht bei einer altgedienten Polit-Muräne wie Merkel.
„Glaubt sie eigentlich, dass Deutschland nie mehr Freunde brauchen wird?“, fragt Bernd Ulrich völlig entgeistert. Und mir kommt dazu jenes Wochenende im Jahr 1998 in den Sinn, genau 15 Jahre vor der jetzigen Bundestagswahl, als die Chefs der größten Banken der Welt versammelt waren, und Fed-Chef Alan Greenspan den Hut rumgehen ließ, um die paar Milliarden zusammenzukriegen, die benötigt wurden, um die Pleite des Hedge-Fonds LTCM und damit den Zusammenbruch des Welt-Finanzsystems abzuwenden. Eine Bank zog sich völlig aus der Verantwortung: Bear Stearns. Und eine zahlte weniger als alle anderen: Lehman Brothers. Beide sollten das Jahr 2008 nicht überleben.
[…] Ja, Deutschland verfolgt in internationalen Konflikten bislang keine Strategie, wie bereits im Syrien-Konflikt zu erkennen war. Kann es auch nicht, weil Deutschland trotz Nato-Mitgliedschaft zwischen den USA […]