vonmanuelschubert 25.05.2020

Bermudadreieck

Treibgut aus dem Leben eines schwulen Mannes.

Mehr über diesen Blog

Mit welchem Thema könnte mensch einen neuen schwulen Blog beginnen? Wird nicht längst alles in jeder nur erdenklichen Form geschrieben und gesagt? Politisches in epischer Länge beim „Nollendorfblog“, Peniles im Schuljungentonfall beim „Schwanz & Ehrlich“-Podcast, Boulevardeskes vom Frl. Queer im gewohnt humorbefreiten und mies geschminkten Kolumnen-Style bei „Männer*“ und Queeristisches in stets korrekter Buchstabenreihenfolge bei „Queerspiegel“.

Die Welt braucht keinen neuen schwulen Blog.

Und doch ist es angebracht, diesen Blog hier zum Leben online zu stellen und über das zu schreiben, was sonst nicht zur Sprache kommt: Die Luftqualität an Donnerstagabenden im „Möbel Olfe“, Margot Schlönzkes interessante Shwoeinlagen im „Incognito“, auf Grindr surfende Touristen im „lab.oratory“, die Einfältigkeit der „Siegessäule“ und die Getränkepreise in Schöneberger Darkroom-Stuben.

Nein, ernsthaft, was rechtfertigt es, einen neuen schwulen Blog zu eröffnen? Nichts. Und doch alles. Denn in letzter Zeit (pre-Corona), so zumindest meine subjektive und wahrscheinlich kaum je objektivierbare Wahrnehmung, wurde ein öffentlicher und explizit schwuler Blick auf die Dinge des Alltags, des Lebens und des Zusammenlebens irgendwie unerfreulich selten.

Allerlei schattige Momente

Schwule Männer und ihre Leben sind heimisch geworden und zuweilen komplett aufgegangen in der queeren Groß-Patchworkfamilie. Was prinzipiell eine gute Entwicklung ist, haben schwule Männer doch über Jahrzehnte die Szene(-n) und die Bewegung(-en) dominiert. Wie viele altgediente aktivistische Lesben nie müde werden zu beklagen.

Aber wie in jeder anderen Familie, bietet auch unsere große Patchworkfamilie neben viel Sonne allerlei schattige Momente. Zwicken und ziepen die Nahtstellen unserer bunten Flicken und Fetzen, die uns zusammenhalten. Macht sich mitunter ein Gefühl der erstickenden Enge breit und wächst der Wunsch nach Ausbruch und Befreiung, wenigstens für einen Moment.

Ok, mal wieder typisch, werden Sie jetzt sagen, die Tunten neigen zur totalen Selbstüberschätzung wollen die Bühne wie immer für sich allein. Ja, sorry, not sorry. Am Ende des Tages sind es schließlich auch wir Tunten, nach denen Steine geworfen werden oder denen die Nase zertrümmert wird. Oder Schlimmeres.

Schwuler Sex


Das explizit schwule Auge als Scanner der heteronormativen Matrix hat (leider) nichts von seiner Notwendigkeit eingebüßt. Wie sich beispielsweise erst jüngst im Fall des schwulen Berlinale-Hits GODS OWN COUNTRY wieder zeigte, dessen US-Verleih die Sexszenen rausschneiden ließ, um den Film besser als Stream vermarkten zu können. Wir schreiben das Jahr 2020 und schwuler Sex gilt als Kassengift.

(Disclaimer: Da der Autor dieses Blogs im Nebenerwerb als Filmkritiker unterwegs ist, könnten  Kinofilme, der Ort Kino und diesbezügliche Referenzen hier öfter vorkommen.) 


Man(n) könnte aber auch genauso gut über die Auswirkungen des Corona-Lockdowns auf die schwule Infrastruktur schreiben und deren Überleben mit jedem Tag unwahrscheinlicher wird, je länger die Corona-Präventionsmaßnahmen in Kraft sind. Oder über die toxische Mischung aus Serophobie und Slut-Shaming im schwulen Datingzoo, nicht erst seit die PreP Kassenleistung wurde.

Oder über das Elend der Berliner CSDs, deren marktkonforme Version, veranstaltet vom Berliner CSD e.V., ihr Stattfinden Corona-bedingt für 2020 bereits abgesagt hat und stattdessen vor allem irgendwas im Stream machen will. Das schreit nach einer gesonderten Betrachtung im nächsten Text. Die hat zwar Johannes Kram in seinem Nollendorfblog auch schon vorgenommen, doch scheint mir neben Krams Vorliebe für den persönlichen Nahkampf noch etwas Diskursraum frei.

Gebrauchsanweisung 


Kommen wir abschließend noch zur Gebrauchsanweisung für diesen Blog, die zu lesen manch Missverständnis von vornherein vermeiden helfen könnte:

  • Fortan sei das Wort „queer“ in diesem Blog ausnahmslos durch „nicht-heterosexuell“ ersetzt. In einem späteren Text werde ich auf die Problematiken unserer heutigen Sprache vielleicht noch mal ausführlicher eingehen.
  • Das Wort „Tunte“ kann in diesem Blog synonym für schwule Männer Verwendung finden. Es kann für jede Art von schwuler Persönlichkeit gebraucht werden. Falls Lesende dieses Wort negativ interpretieren, so ist dies ihrer eigenen Projektion geschuldet.
  • Das Wort „Queen“ kann in diesem Blog synonym für schwule Männer verwendet werden. Es kann für jede Art von schwuler Persönlichkeit gebraucht werden. Falls Lesende dieses Wort negativ interpretieren, so ist dies ihrer eigenen Projektion geschuldet.
  • Das Wort „Transe“ kann in diesem Blog synonym für Dragqueens verwendet werden, also Damenimitatorinnen. Es kann für jede Art von Dragqueen/Damenimitatorin gebraucht werden. Das Wort ist nicht zu verwechseln mit Trans*-Personen. Trans*-Personen werden in diesem Blog explizit nicht als Transen bezeichnet. Dies wäre eine Beleidigung. Sofern dieses Blog Ärger mit den Trans*-Communitys haben möchte, sollte es schon um etwas lohnenswerteres als das Wort „Transe“ gehen. Falls Lesende dieses Wort negativ interpretieren, so ist dies ihrer eigenen Projektion geschuldet.
  • Dieses Blog bemüht sich um die Markierung geschlechtlicher Vielfalt in der Sprache. Wo immer auch angebracht, wird geschlechtliche Vielfalt in diesem Blog durch den Doppelpunkt markiert, also Leser:innen, Hater:innen usw.. Der Einsatz des generischen Maskulinums wird jedoch explizit nicht ausgeschlossen, gleiches gilt für das generische Femininum.
  • Dieses Blog stört sich nicht an der Verwendung sexuell expliziter Sprache und wird davon wo immer es sich empfiehlt auch Gebrauch machen. Falls Sie sich davon gestört fühlen empfehle ich Ihnen dildoking.de.
  • Dieser Blog wird von einem tazzler geschrieben und hat doch mit der taz als Medium nichts zu tun, was übrigens für alle taz-Blogs gilt – vom taz Hausblog abgesehen. Die taz-Blogs sind eine von der Redaktion komplett unabhängige Sphäre. Die Inhalte dieses Blogs geben daher auch nur die persönlichen Ideen und Standpunkte seines Autors wieder und entsprechen nicht den Meinungen und Auffassungen der Redaktion. Jegliche Gleichsetzung ist unredlich.
  • Der Name dieses Blogs bezieht sich auf den Homokiez am Berliner Nollendorfplatz und dessen angeblich unrühmliche Fähigkeiten und Eigenschaften. Neben allerlei Ausgaben für kalte Getränke und manch schönem Penis in einem Darkroom ist mir dort jedoch noch nie etwas zugestoßen.
  • Dieses Blog bemüht sich um Kürze, ist daran aber bereits mit diesem Debüt-Text gescheitert. Ich werde mich trotzdem weiterhin darin versuchen, die 3999-Zeichen-Marke pro Text nicht zu überschreiten. Aber ich verspreche nichts.
  • Feedback ist willkommen, irrlichterndes Gemosere in den Kommentaren nicht. Daher ist die Kommentarfunktion dieses Blogs deaktiviert. Wer Feedback beisteuern möchte, wähle bitte zwischen den folgenden zwei Mail-Adressen:

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