vonmanuelschubert 16.02.2018

Filmanzeiger

Texte, Töne und Schnipsel aus dem kinematografischen Raum auf der Leinwand und davor. Kinoverliebt. Filmkritisch. Festivalaffin. | Alle wichtigen Links: linktr.ee/filmanzeiger

Mehr über diesen Blog

Dieser Text wird mit einer Grundbefangenheit geschrieben: Der Autor dieses Textes ist Hundehalter, der Autor dieses Textes liebt Hunde generell und hat, soweit man dies in Worte fassen kann, einen „Draht“ zu Hunden. Der Autor dieses Textes hat eine Katzenallergie.

Der alte „Konflikt“ zwischen Hund und Katze, zwischen Hunde- und Katzenhaltern ist auch in die Erzählung von ISLE OF DOGS eingebettet und wird bereits im Prolog des Films aufgefächert. Kurz gefasst lernen wir hier, dass es vor tausenden Jahren einen Krieg der Katzen gegen die damals freien und wilden Hunde gab. Das Schicksal der Hunde schien besiegelt, ihr Ende nah.

Doch im letzten Moment kam ein Retter und köpfte den Anführer der Katzen. Der Retter der Hunde konnte die finale Schlacht nur um den Preis schlagen, dass Hunde ihre Freiheit aufgaben und sich domestizieren ließen. Aus freien Tieren wurden Haustiere, wurde der viel beschworene beste Freund des Menschen. Die Schmach der Katzen über ihre Niederlage pflanzte sich über die Jahrhunderte fort bis zu einer Zeit 20 Jahre in der Zukunft in einer Großstadt irgendwo in Japan: Megasaki.

Vorsicht, Schnauzenfieber

In Megasaki ist der bullige Kobayashi seit Jahren Bürgermeister, genaugenommen stellt sein korrupter Clan seit Generationen die Bürgermeister. Die Metropole leidet vorgeblich unter eine Überpopulation von Hunden. Die Hunde sind krank, sie haben chronische Krankheiten wie „Hundegrippe”, oder „Schnauzenfieber”. Die Hundeseuchen drohen auf die Menschen überzugreifen, warnt die Regierung.

Kobayashi will Stärke zeigen, bald sind Neuwahlen. Er verbannt alle Hunde, egal ob Streuner oder Schoßhund per Dekret aus der Stadt und auf eine vorgelagerte Insel, „Trash Island“, die Müllhalde der Stadt. Dass ein Wissenschaftler ein Serum entwickelt hat, welches die Hunde heilen könnte – für den Autokraten Kobayashi nur eine „abweichende Meinung”, die zwar angehört wird aber natürlich unbeachtet bleibt. Die Hunde kommen weg, den Anfang macht der Hund des Bürgermeisters: Spots.

Spots ist kein gewöhnlicher Hund, er ist ein hoch trainierter Sicherheitshund, der Atari, den elfjährige Mündel des Bürgermeisters bewachen und beschützen soll. Atari muss bei seinem entfernten und unangenehmen Onkel leben, seit seine Eltern ihr Leben bei einem Zugunglück verloren. Gegen den Willen der Erwachsenen freunden sich Hund und Schützling an. Es entsteht eine Liebe, wie sie nur ein einsamer Elfjähriger für seinen besten, vierbeinigen Freund empfinden kann. Und umgekehrt? Ist Atari nur der Schützling, den zu bewachen und vor Unheil zu bewahren Spots als seine Pflicht versteht und sei es um den Preis des eigenen Lebens. Empfindet Spots Liebe für seinen Menschen?

Wie ist das überhaupt mit der „Liebe“ zwischen Mensch und Hund? Warum haben es die Menschen von Megasaki zugelassen, dass der machtsüchtige Bürgermeister ihre angeblich geliebten Begleiter auf eine Müllhalde abschiebt? Wo sie sich selbst überlassen sind, von ihren Krankheiten geplagt werden und sich ihr Futter im Müll suchen müssen der vom Festland rübergeschickt wird. Verflüchtigt sich die Verbindung des Menschen an seinen felligen Freund sobald ihm auch nur der Verdacht des Gefährlichen anhängt? Folgte man lediglich dem ersten Teil von ISLE OF DOGS, man käme nicht umhin festzustellen: Menschen sind ziemliche Arschlöcher. Doch da gibt es ja noch Atari und seine Verbindung zu Spots.

Ein trauriger, dreckiger Haufen

Diese Liebe lässt ihn, ein halbes Jahr nachdem die Hunde aus Megasaki entfernt wurden, mit einem geklauten Flugzeug auf „Trash Island“ abstürzen. Atari sucht Spots. Ein Rudel von Hunden nimmt den schwerverletzten Jungen auf, dessen Sprache (Japanisch) sie nicht und auch wir Zuschauer nicht verstehen. Was die Hunde sprechen verstehen wir hingegen blendend, denn jegliches Bellen ist ins Englische übersetzt. Rex, King, Duke, Boss – sie alle waren einstmals heißgeliebte Gefährten ihrer Menschen. Jetzt sind sie ein trauriger, dreckiger und ständig niesender Haufen. Wenn sie am Ufer von „Trash Island“ stehen, können sie in der Ferne Megasaki erkennen, ihre sehnsüchtig vermisste Heimat. Von dort drüben kommen Atari und mit ihm ganz neue Probleme, denn Bürgermeister Kobayashi duldet die Flucht seines Mündels nicht und er ist auch mit den Hunden noch nicht fertig. Er, der bei TV-Auftritten symbolisch eine Katze streichelt.

Das Rudel beschließt, dem jungen Menschen Atari zu helfen und Spots zu finden. Selbst gegen den Widerstand des Streuners Chief, der von Menschen nichts hält und seine Gefährten im Rudel für ihr Zutrauen zu diesem Menschen nur bemitleiden kann. Menschen haben Chief noch nie wirklich geholfen, allenfalls haben sie ihn eingesperrt. Für ihn zählt nur der Überlebenskampf und den kann er als Streuner auf der Müll-Insel besser meistern als all die Schoßhunde. Allerdings: Chiefs Abneigung gegenüber Menschen begründet sich nicht allein in Misshandlungen durch die Zweibeiner. Menschen wie Atari erinnern ihn auch an einen seiner größten Fehler. Und damit beginnt seine abweisende FassadeRisse zu bekommen. ISLE OF DOGS, dieses Road-Movie auf zwei Beinen und vier Pfoten, hat da gerade erst Fahrt aufgenommen.

Liebe, Freundschaft, Treue und Zusammenhalt, Sadismus, Niedertracht und Autokratie, Protest, Rückgrad und Wehrhaftigkeit – alles angesiedelt auf einer Insel die durch Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüche unbewohnbar geworden ist, aber als gigantische Müllhalde für den Abfall einer vorgeblich modernen Zivilisation geradeso ausreicht. Eines wird in ISLE OF DOG schnell klar: Zurückhaltung ist Wes Andersons Sache nicht. Die Liste der Motive, Themen und Aspekte menschlichen(!) Zusammenlebens, welche die Geschichte verhandelt, ist geradezu grotesk lang und wird auch noch mit rasender Geschwindigkeit durch dekliniert. Gleiches gilt für die Anleihen an die japanische Filmgeschichte.

Doch Andersons große Kunst besteht darin, diesen erzählerischen Wahnsinn mit atemberaubender Virtuosität zu beherrschen. Kamen in den vorhergehenden Spielfilmen MOONRISE KINGDOM und insbesondere HOTEL BUDAPEST allmählich Abnutzungserscheinungen bei Andersons Stil des Filmemachens auf, zeigt er sein Schaffen mit den Animationsfilm ISLE OF DOGS ungemein frisch, brilliant und ausdrücklich meisterhaft. Trotz der Fülle an Eindrücken und der Intensität des Stoffes entwickelt dieses Werk eine heitere Leichtfüßigkeit die uns, sein Publikum, in willige Gefährten für einen Trip in seine einzigartige Fantasiewelt verwandelt.

Aber wie ist das jetzt mit der Liebe zwischen Zwei- und Vierbeinern? Handelt es sich dabei nicht doch eher um eine Zweckbeziehung? Zuneigung gegen Futter, Belohnung für Gefolgschaft? Ist unser erster Platz im Hunderudel lediglich erkauft? Wer weiß das schon? Im Gegensatz zum Film, verstehen wir unsere Hunde in der Realität zugegebenermaßen kaum. Und umgekehrt? Verstehen die Hunde uns? ISLE OF DOGS liefert dazu auch keine Antworten. Aber eine Lesart bietet sich an: Unsere Hunde folgen uns – solange wir sie mit Respekt behandeln. Sie sind nicht auf uns angewiesen, wir aber können von ihrer Liebe nicht genug bekommen. Und wir Menschen sind klug beraten, diese Liebe zu pflegen. Katzen kommen in ISLE OF DOGS übrigens bis zum Schluß nicht gut weg.

ISLE OF DOGS | UK/DE 2018 | 101′ | Animationsfilm | Wes Anderson | Wettbewerb*aK

 

(c) Titelbild: IFB 2018/20th Century Fox

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/filmanzeiger/2018/02/16/berlinale-2018-isle-of-dogs/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert