vonfini 24.04.2021

Finis kleiner Lieferservice

Eine philosophische Werkzeugprüfung anhand gesellschaftlicher und politischer Phänomene.

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Seit ein paar Monaten gibt es unter dem Hashtag #punktoo eine breite Debatte über Sexismus in der (DIY-) Punkrockszene. Angestoßen durch einen Text über den „Boys Club“ von Sabrina, der Sängerin von Lügen und einem daraufhin folgenden Shitstorm auf der Facebook-Seite des Ox-Magazins im Juli 2020. Fortgeführt von Fini mit einem Artikel hier auf dem Blog im Dezember 2020, als sie durch das Ox-Magazin als „Freundin von…“ vorgestellt wurde und einem Text kurz vor Jahreswechsel von Diana Ringelsiep im Kaput Magazin. Es gibt eine Facebook-Gruppe, in der sich insbesondere betroffene von Sexismus im Punkrock organisieren und eine öffentliche Facebook-Seite, auf der öffentlich Inhalte geteilt und kommentiert werden können. Classy Facebook arten hier die Diskussionen häufig aus, Männer fühlen sich herausgefordert, FLINTA* halten dagegen, werden zur Zielscheibe und persönlich angegangen – mensch kennt das. Sich öffentlich zu äußern und dafür aufs Maul zu bekommen, war einkalkuliert und die Hässlichkeit dieser Szene zeigt sich selten so simpel wie da. Die Frage ist allerdings: Was ist das Ziel, wenn wir auf Social Media Plattformen mit Menschen diskutieren? Wohin soll ein Kampf für Geschlechtergerechtigkeit in der Punkszene führen? Und wie können wir uns Schilde besorgen, die uns auf dem Schlachtfeld schützen?

Weißer, männlicher Punk ist tot

Für mich (Fini) hatte sich die Punkszene schon seit ein paar Jahren erledigt. Obwohl ich in der Szene aufgewachsen bin, sie mich große Teile meiner Jugend an am Leben erhalten hat, bin ich ihr irgendwann so mit Anfang 20 „entwachsen“. Und zwar einfach, weil sie auf der Stelle getreten ist. Es wurden immer und immer und immer wieder dieselben Lieder und Hymnen gesungen („Wir hatten uns nicht vorgenommen, jemals auf die Welt zu kommen…“), dieselben Themen besprochen („Dann hat die mich einfach sitzenlassen und den Hund hat sie auch mitgenommen…“), dieselben Geschichten erzählt („Weißte noch, Force Attack damals??!“), über dieselben Dinge gejammert („Arbeiten ist scheiße!“). Alles wichtige und durchaus zutreffende Dinge, aber mensch entwickelt sich halt und die Welt um uns herum auch. Selbst ein „Nazis raus!“ wurde kaum noch angewandt, sodass ich immer weniger Punker*innen bei Demos, Abschiebungen oder sonstigen politischen Aktionen getroffen habe. Geschweige denn sie motivieren konnte, vielleicht am Vortag nicht bis morgens zu saufen, damit das Aufstehen für die Blockade doch klappt. Klar, Verweigerung ist in unserer neoliberal geordneten Welt grundsätzlich immer eine Option. Führt nur langfristig nirgendwohin.

FLINTA* to the front

Wir haben uns als weiße, aber nicht männliche Menschen also politischeren Szenen zugewandt und Punkrock nur noch gelegentlich auf Konzerten getroffen. Deswegen waren wir nahezu überrascht, als wir letztes Jahr feststellten, dass sich da doch was getan hat und es tatsächlich einen relevanten FLINTA*-Anteil im Punkrock gibt, der so langsam anfängt sich zu rühren. Menschen, die sich nicht von Szenegrenzen wie „Dat is Punk!“ beengen lassen, sondern einfach Dinge tun und der Normalität irgendwas entgegenhalten wollen. Fanden wir interessant. Inzwischen würden wir aber sagen, dass die eigentliche Kraft dieser Menschen gerade teilweise daran verpufft, dass sie sich immer noch auf die weißen, alten Männer konzentrieren, die diese Szene aufgebaut und geprägt haben. Ja, die sind cool und wichtig, weil sie das gemacht haben – aber ist halt auch lange her und hat aktuell wirklich extrem wenig Relevanz für irgendetwas von Bedeutung. Die meisten davon sitzen seit einem Jahr zu Hause und färben gelegentlich ihr Profilbild rot und schreiben „Ohne uns wird’s still.“ drauf. Und nein – ohne sie wird’s wirklich nicht still. Ohne sie hören wir all die anderen Menschen, die Punkrock weiterentwickeln, neu definieren, Räume gestalten und ein anderen Miteinander prägen. Eben: Einen neuen Fluchtpunkt vor der hässlichen Realität schaffen.

Die Gegner heißen Kapitalismus und Patriarchat – nicht Axel oder Michael

Was interessiert uns also ein ZAP-Herausgeber? Wofür brauchen wir Anerkennung von einem Ox-Redakteur? Warum sollen wir mit irgendeinem Typ über seine dämlichen Listen diskutieren? Überlassen wir sie einfach der Zeit, die sie in spätestens 10 Jahren anfängt dahinzuraffen (oder auch früher, je nach Alkoholikerlevel) und konzentrieren uns darauf, etwas zu gestalten, uns mit anderen FLINTA* zu solidarisieren, ihnen Mut und Kraft zu geben, in dieser hässlichen Welt zu existieren. Oder wie Ladys&Ladys das so schön gesagt haben: Wenn es ein Ziel gibt, dann Sony platt zu machen. Wir handhaben das mit Nazis schon immer so, warum sollten wir das bei Sexist*innen anders halten? Es bringt nichts, mit Nazis zu diskutieren. Und es bringt aus denselben Gründen nichts, mit Sexist*innen zu diskutieren.

Folgend drei Typen denen FLINTA* aktuell bei der Auseinandersetzung mit Sexismus im Punk auf Social Media Plattformen begegnet und wie ein konstruktiver Umgang mit diesen aussehen könnte:

Der lonesome Rider:

Er ist um die 50 Jahre alt und gibt ein ultra-exklusives Fanzine heraus, das vor 30 Jahren mal cool war. Die Inhalte haben sich jedoch seitdem nicht verändert und auch der lonesome Rider ist mehr in die physische als inhaltliche Breite gegangen. Aber das ist für ihn nicht der einzige Unterschied zu damals. Damals, als Punk noch männlich, Frauen willig und er bereits der Individuellste unter den Punx war. Wahrscheinlich hat er letzteres damals schon an seinem Bildungsabschluss oder seiner beruflichen Position festgemacht. Er wird dir, solltest du sein sexistisches Zine kritisieren oder auch nur wagen, es als nicht besonders feministisch zu diffamieren, lange Nachrichten schreiben (falls ihm nichts anderes übrigbleibt, da du so hinterhältig warst, ihm nicht deine Telefonnummer zu geben) und dich mit einem Schwall hochgestochener (frau könnte auch sagen: geschwollener) Worten volllabern bzw. –schreiben. Dabei teilt er dir zunächst zwei Absätze lang mit, was für ein toller Hecht er ist und was er damals alles für die Punk-Szene getan hat. Dann fordert er dich auf, dass du dich erstmal ihm gegenüber als seiner (ungebetenen) Worte würdig erweist: Erkläre gefälligst, mit Lebenslauf im Anhang, warum du überhaupt etwas zu Punk sagen darfst. Obwohl du erstens, nicht er bist, zweitens nicht männlich bist und drittens ein*e FLINTA*, die überhaupt nicht seinem Bild einer feministischen FLINTA* entspricht. Kommst du seinen Forderungen nicht nach, weil du denkst: Warum zum Teufel sollte ich mit dir reden?!? passiert wahrscheinlich folgendes: Er wird sich furchtbar aufblasen und seine geschwollenen Worte ins Internet oder als Kommentar unter deinen Instagram- (oh ne, kennt er nicht, Facebook-) Account schreiben und kurz darauf wieder löschen, wenn Andere ihm spiegeln, wie lächerlich, sexistisch und bescheuert er sich grad verhält.

Tipps zum Umgang: Anschweigen, Abwarten und seinen Forderungen nicht nachkommen. Er hat keine Relevanz mehr, versteht die aktuellen Diskurse und Zeichen nicht und hat den Anschluss lange schon verpasst. Lassen wir ihn und seine Leser*innenschaft doch zurück auf der einsamen Insel der letzten „echten“ Punks. Die Zeit wird sich ihrer annehmen.

Der Fauxami (franz.: Falscher Freund):

Meist um die 50 Jahre alt oder jünger und schon immer in der Szene (sagt er). Leider hat er nie die Aufmerksamkeit bekommen, die er verdient (sagt er), aber so ist das in einer so oberflächlichen Szene, die wahre Anmut und Bedeutsamkeit ewig verkennt (sagt er). Er springt auf den Zug aktueller Debatten auf, die er ja schon immer geführt hat (sagt er) und nutzt sogar Instagram, um seinen Becher voll Beachtung zu erhalten (sagt er nicht). Er wird dir seine wahnsinnig tolle Aufklärungsarbeit in Sachen Sexismus oder seine großzügigen Förderungen von FLINTA* (ungefragt und penetrant) mitteilen und, solltest du nicht sofort je nach Inhalt, heftig empört oder mit überschwänglichem Lob reagieren, anfangen dich zu hinterfragen. Er wird anzweifeln, ob du wirklich eine richtige Feminist*in bist. Und er wird dir ungefragt mitteilen, dass er findet, dass du echt ganz schön inkonsequent bist. Und viel mehr tun könntest. Er wird sich der feministischen Sache solange anschließen, bis er mit seinem mackerigen Verhalten so vielen FLINTA*, so heftig auf die Nerven gefallen ist, dass dies angemerkt oder kritisiert wird. Sollte das schlussendlich passieren, wird er sich windend auf den Boden werfen und „Hexenjagt“ schreien, sich zum Opfer der größtmöglichen Gewalterfahrung ever stilisieren und über den Zuspruch der Macker freuen, die er zuvor noch vorgab zu verachten.

Tipps zum Umgang: Ihn Anschweigen, aber sein Verhalten öffentlich machen, wenn er weiter Gewalt und Druck ausübt. Er hat sich nie wie ein feministischer Allie verhalten, sondern eigene Ziele verfolgt. Und noch den Link zur kritischen Männlichkeit-Reflexions-Gruppe des nächsten AZ’s zuschicken. Aber er wird denken, dass er das nicht nötig hat, denn er ist da schon längst drüber weg, genauso wie über diesen Feminismus, mit dem er es lange genug versucht hat und jetzt findet, dass da alle doof sind.

Der Big-Buisness-Punk:

Meist um die 50-Jähriger Mann, der vom „Punk-Business“ lebt und nicht nur Entmachtung, sondern auch finanzielle Einbüßen fürchtet, wenn sich etwas an den gegebenen Strukturen verändert. Jedoch steckt auch hier nur ein kleines narzisstisches Männerego dahinter, dass 50 Jahre Privilegierung im Patriarchat nicht ausblenden kann und will. Und auch sonst nichts gelernt hat. Er betont in Diskussionen schon mal gern seine Gewalt-, Behinderungs- oder Armutserfahrungen, wenn FLINTA* über Diskriminierung sprechen und würde die in diesem Beitrag durchaus forcierte Männer- und Altersdiskriminierung kritisch anmerken, was ihm zugestanden sei. Aber er und seine möglichen Diskriminierungserfahrungen sind grad einfach mal nicht der Mittelpunkt der Welt und aktueller Debatten. Und das ist auch das Problem. Sobald er nicht das Thema vorgibt, Themen ihm nicht zugänglich sind oder er hier Zurückhaltung üben soll, ist der Spaß endgültig vorbei! Er wird sich im Bemühen feministische Themen als schon längst zu Ende diskutiert, überflüssig oder überzogen darzustellen, fast selbst überschlagen und wirkt mitleiderregend hilflos, wie er versucht, den hohl und brüchig gewordenen Ast seiner Macht mit aller Kraft festzuhalten. „Tu dir nicht weh“, möchte frau ihm fast zurufen. Bis er sich dann die nächste Unverschämtheit erlaubt, die er, würde sie von FLINTA* kommen, als unwichtig, überzogen und unnötig bösartig beschreiben würde. Wahrscheinlich kommt er aber irgendwann auf dich zu und fragt dich mit weinerlichem Unterton, warum du so gemein zu ihm bist. Und dass du dir selbst und dem Feminismus echt keinen Gefallen damit tust!

Tipps zum Umgang: Wie einem alt gewordenen Hund mal sanft über das Köpfchen streicheln, würde den Bedürfnissen des Big-Business-Punk entsprechen, ist aber eine schlechte Idee. Denn er wird dich genau in dem Moment, in dem du dich mitleidig zu ihm nach unten beugst, in die Hand beißen. Hier ist Härte gefragt: Persönliche Anfragen ignorieren, keine privaten Gespräche zulassen und wo immer es geht, dagegenhalten. Argumente hat er nicht, aber in öffentlichen Diskussionen mit ihm und den Seinen, wird deine gute Position durch seine Reichweite für viele Menschen sichtbar und du akquirierst neue Feminist*innen aus den bislang unentschlossenen FLINTA* für den gemeinsamen Kampf.

Bitteschön. Keine Ursache.
Eure Fini von Black Square & Sabrina von Lügen

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