vonMaja Wiegemann 25.08.2024

Giftspritze

Dieser Blog serviert gut verdauliche Texte aus Ökologie, Forschung und Technik - informativ & kritisch.

Mehr über diesen Blog

Zugegeben, manchmal muss man/ frau ganz schön kämpfen, um eine Welle zu erwischen. Und wer will sich schon artig anstellen?

Einfacher ist es, sich Träumen hinzugeben: vom ewigen Sommerparadies mit perfekten Wellen, von Tahiti zum Beispiel. Ich will jetzt gar nicht daran erinnern, dass die Europäer gleich nach der verzückten Entdeckung von Utopia in gewohnter Manier anfingen herumzudaddeln, mit Feuerwaffen.

Nur eine Frage des Handlings

Nein, ich will optimistisch bleiben: Es gibt sie noch, die perfekten Wellen. – Nur eine Frage des Handlings. Wie die Crème de la Crème des Surfens auf Kuschelkurs mit den Naturgewalten der Südsee geht, durften wir im Olympia-Lifestream hautnah miterleben. Kameras zu Luft und zu Wasser zoomten Augenschmauß à la bonne heure heran. Doch genug des theatralischen Gedöns – wir befinden uns schließlich im Giftspritze-Blog…

Was, zum Zeus…?

Denn was richtig nervte – neben den ausgelutschten Stories von armen Elternhäusern der globalen Surfelite – waren die Plänkeleien der Surfer:innen (vor allem der weiblichen) bis – nein, nicht bis der Arzt kam. Bis die Wellen durchgezogen waren, eine nach der anderen. Bis der/ die empörte Zuschauer:in vom Sofa aufsprang, um selbst in die Tube zu droppen. Faule Surf-Bagage! Dabei hat es lange gedauert bis das Surfen überhaupt als ernstgemeinter, olympischer Sport auftauchte (Prämiere in Tokio 2021). Und nun, beim zweiten Feuer, will frau schon auf den Lorbeeren chillen? Das ist weder hot noch cool! Ausgerechnet die Surferinnen hatten jüngst erfolgreich das Gender-Pay-Gap nivelliert. Am Können lags also nicht. Was, zum Zeus, war da los? Angst vorm scharfen Riff wars auch nicht – Jungs, wie Mädels haben zugunsten von Extra-Punkten die Welle – so sie denn in Angriff genommen war – mitunter bis auf Wadentiefe abgesurft und dabei Schmisse in Kauf genommen. Nein, es war Taktik! Na klar! Frauen sollen ja ein ausgeprägtes Taktgefühl haben! (Ich kenn’ mich da aus.)

Herzchen vor der Show

Von wegen, einfach nur die beste Welle ergattern und dann elegant, kreativ und mit Risiko abreiten: Die Finessen liefen darauf hinaus, dem Kontrahenten/ der Kontrahentin die beste Welle zu versauen. Und es war noch eine Steigerungsstufe zu bestaunen: die Manipulation des Opfers zum Täter. Und Herzchen vor der Show. Wohl üblich im wahren Leben, sogar beim Schach und auch beim Segeln, alles taktischer Sport. Aber passt das zum Surfen? Fairness und Respekt gegenüber den Kollegen/ Kolleginnen (wenigstens auf dem Wasser) und selbstverständlich gegenüber dem Publikum, äh, der Natur! Das sind die Softskills, die das Surfen transportiert! Eigentlich; zumindest in seinen polynesischen Wurzeln; so ist es überliefert.

Höher, schneller und so weiter…

Nun steht ja, eigentlich, auch die Olympiade – seit der neuzeitlichen Wiederaufnahme  – für Fairness und Völkerverständigung (abgesehen von Doping, Korruption, von Ost/West- und Nord/ Süd-Blockaden und von denen aus anderen Himmelsrichtungen). Gedanklich spielt man daher auch mit der Ausrichtung in minderbemittelten Ländern. Aber bevor aus Spaß Ernst wird, schraubt sich das olympische Gepoker in die Stratosphäre. Höher, schneller und so weiter… Die Erkenntnis über diesen Unsinn ist inzwischen so altbacken wie das Wirtschafts-Mantra, das den Takt vorgibt. Skandal! – Das reißt keinen mehr vom Hocker, feixt die Spitzensport-Fratze. Die Eskalation must go on!

Wahrschau und Chapeau!

Doch, wahrschau! Schleichen sich nervöse Zuckungen in die Visage? Mit dem Austragungsort in der ehemaligen Kolonie  – fernab vom rausgeputzten Eifelturm – mitsamt der Aussteiger-Disziplin Surfen zeigt das rebellische Frankreich ein Fäustchen. Der verantwortliche Funktionär wurde dafür noch vor den Spielen aus dem olympischen Tempel verbannt. Tja, die Gunst der Götter fällt nicht jedem Sportsmann zu. Die Herrschaften sollten sich mal besinnen! Denn das Naturparadies Tahitis reicht den Feuerwerken von Paris locker das Wasser. Der Wettkampf um das ungetrübte Nass begann übrigens, bevor die Kameras in Stellung gingen. An der Seine fielen die Triathleten dennoch in die Suppe und dann ins Krankenbett. Der Punkt ging ans Fischerdorf: Die Lokals stemmten sich gegen die gigantolympische Expansion des Schiedsrichterturms auf dem kostbaren Teahupo’o-Riff. – Der Budenzauber hat also doch was mit Leistungssport zu tun! Sinn für perfekte Wellen kann man den Übersee-Franzosen nicht absprechen. Sie sollten künftig die Spielregeln beaufsichtigen – mindestens die des Surfens. Damit allzu taktisches Gedaddel nicht mehr nach Utopia schwappt.

Anstehen für die perfekte Welle - Tahiti-Surfing
Anstellen für die perfekte Welle – Tehaupo’o Surfing, Foto: TheTerraMarProject

Video-Empfehlung: CHILDREN OF TEAHUPO’O

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/giftspritze/vom-surfen-und-daddeln-auf-perfekten-wellen/

aktuell auf taz.de

kommentare