vonMartin Kaul 05.04.2012

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Innenansichten, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Ein Gedicht, das sich nicht reimt, über das aber derzeit alle reden: Im Kurznachrichtendienst Twitter hat das Schlagwort #Grass es in kürzester Zeit unter die Top-Themen geschafft – und auf den Titelseiten der deutschen Tageszeitungen wird wild über Günter Grass, Israel und die Aufgabe der Lyrik sinniert. Denn Günter Grass hat, meint er, gesagt, “was gesagt werden muss”.

Doch es gibt ja nicht nur Dinge, die gesagt werden müssen. Gereon Asmuth hat für die taz notiert, was sonst noch so gemusst werden muss. In ihrer Ausgabe vom 5. April druckt die taz folgende Gedichte, die sich auch nicht reimen.

 

Im Ressort Ausland spricht der Dichter und regierende Ministerpräsident Israels Benjamin Netanjahu

 

Was legalisiert werden muss

 

Warum schweige ich, verschweige zu lange,

was offensichtlich ist und in Planspielen

geübt wurde, an deren Ende ein Westjordanland ohne Siedler

allenfalls eine Fußnote ist.

 

Warum sage ich erst jetzt:

Die Dichtermacht Günter Grass gefährdet

den ohnehin brüchigen Nahostfrieden

 

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr, weil ich der Heuchelei des Grass

überdrüssig bin, zudem ist zu hoffen,

es mögen sich viele vom Schweigen befreien und

gleichfalls darauf bestehen

daß mit Bruhin, Sansana und Rehalim

drei weitere illegale jüdische Siedlungen im Westjordanland,

von der Regierung, also von mir, legalisiert werden, die gesetzliche

Anerkennung bekommen

 

Nur so ist allen, zumindest den Israelis, die in dieser Region

dicht bei dicht leben

und letztlich auch mir zu helfen.

 

Im Inlandsressort der taz kommt der Dichter und Regierungssprecher Steffen Seibert zu Wort:

 

Was dementiert werden muss

 

Warum schweige ich, verschweige viel zu lange,

was in Planspielen

durchgerechnet wurde, an deren Ende

eine neue Steuer als Fußnote steht.

 

Es ist die behauptete Notwendigkeit einer Steuer,

die von den Maulhelden der Projektgruppe Demographie in der

CDU/CSU-Fraktion für alle ab 25

gefordert wird, um die Folgen der grassen

Überalterung unserer Dichtergesellschaft abzufedern.

Jetzt aber, weil mein Land,

das von ureigenen Dichtern, die ohne Vergleich sind, Mal um Mal zur Rede

gestellt wird,

dementiere ich, was dementiert werden muß.

 

Die Bundesregierung plant keine Demographiesteuer für junge Arbeitnehmer.

 

Nur so ist allen, Alten und Jungen, die in dieser von uns regierten

Region leben, ob dicht oder nicht ganz dicht,

der soziale Zusammenhalt und die Innovationsfähigkeit zu erhalten.

 

Im Ressort Wirtschaft & Umwelt spricht der Dichter und Eon-Sprecher Roland Schilhab

 

Was verteuert werden muss

 

Warum schweige ich, verschweige zu lange,

was offensichtlich ist und in den Planspielen

geübt wurde, an deren Ende für Verbraucher

eine höhere Stromrechnung steht.

 

Es ist das behauptete Recht auf den Billigstrom

das der von Ökomaulhelden unterjochte

und zum Jubel gelenkte Verbraucher

weil in unserem Machtbereich noch immer

eine Atomanlage vermutet wird.

 

Doch warum untersage ich mir,

beim Namen zu nennen,

dass wir ein schrumpfend nukleares Potenzial verfügbar haben.

 

Jetzt aber, weil in meinem Land,

ein weiteres AKW eingeholt wird

sage ich, was gesagt werden muss.

 

Für einen Drei-Personen-Haushalt mit einem jährlichen Verbrauch von

3.000 Kilowattstunden, steigt der Strompreis um 3,70 Euro pro Monat.

 

Nur so ist letztlich uns zu helfen.

 

All unseren LeserInnen sei die verdichtete taz vom 5. April daher doppelt ans Herz gelegt. Neben diesen Gedichten gibt es darin auch: Treffliche Analysen zum Text von Günter Grass. Es muss gelesen werden, was gelesen werden muss.

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https://blogs.taz.de/hausblog/nicht-ganz-gedichtet/

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kommentare

  • Über ein triviales „Gedicht“, das bestenfalls geeignet ist, von der eigentlichen Kriegsursache abzulenken, diskutiert die ganze Welt.

    Doch ein wissenschaftlich einwandfreier Artikel, der den Kern des Problems anspricht, wird von den Allermeisten gar nicht erst zur Kenntnis genommen:

    http://www.deweles.de/files/krieg.pdf

    Wer die tiefere Ursache – nicht nur – für dieses irrationale Verhalten verstehen will, muss tatsächlich bei Adam und Eva anfangen:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html

  • Was nicht unbedingt gesagt werden muß

    Die Howaldtwerftarbeiter bauen die U-Boote

    Der Grass gönnt’s ihnen nicht

    Ihre Kinder weinen im Werftpark

    (Vormals Horst-Wessel-Park)

    Günter, musstest du es sagen, weil es dich trieb

    Oder hast du den Ahmadinedschad so lieb

  • Herr Seibert antwortet nicht:

    Nein, ich antworte nicht,
    ich hätte zu dementierten gehabt
    oder dementiert zu werden gewusst
    oder dementieren zu müssen zu haben.

    Ich versteckse mich nicht,
    ich bins nichts
    zus Hausse,
    nicht ims Bürso,
    ichs bins nichts ims Nirswana ders alltäglichsen Gedichtse

    oder Schnurrz, schpardon: im Schutzschild des Schweigens.

    Ich bitte,

    meine Alliterationen nicht zu ignorieren,
    zu legitimieren,
    zu honorieren,
    zu defibrilieren,
    zu steinlausieren.
    (oder auch: nicht zu…)

    Mein poetologischer Blutdruck
    muss sich gerieren,
    zu minimieren,
    exalterieren

    Ich bittse
    zu bittsen.

    Ich bittse ums Tortsen
    Zums Schmeißens.
    Zurückse!

  • Natürlich nicht.

    “Doch es gibt ja nicht nur Dinge, die gesagt werden müssen. Gereon Asmuth hat für die taz notiert, was sonst noch so gemusst werden muss. In ihrer Ausgabe vom 5. April druckt die taz folgende Gedichte, die sich auch nicht reimen.”

    Also war wohl ein Herr Asmuth Verfasser der Gedichte.

    Sehr hübsche Form der Satire, finde ich.

  • kommt das Gedicht wirklich von Netanjahu?

    Auf ein Gedicht, das an den Frieden mahnt, wird mit billigen Provokationen (Siedlungen) reagiert…

    da muß ich an einen Reim von Grönemeyer denken: Kinder an die Macht! Sehr viel unreifer können die auch nicht sein…

    Solche Pre-Pubertären Leute sind die wahren Gefährder des Friedens!
    Im Gegensatz zu seinem Kollegen Achmadinejad hat B.N. sogar politische Einflußmöglichkeit…

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