von 17.09.2013

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Innenansichten, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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taz-Chefredakteurin Ines PohlLiebe Leserinnen, liebe Leser,

 

von kritischen Anfragen bis hin zu wütenden Protesten reichen die Reaktionen auf unsere Berichterstattung zu den Vorwürfen gegen Jürgen Trittin. Der Grundtenor: Wie kann sich ausgerechnet die taz zum Steigbügelhalter von Kräften machen lassen, die mit der angeblichen Pädophilen-Affäre den Grünen nachhaltig schaden will?

 

Die taz ist allein ihren redaktionellen Grundsätzen verpflichtet. Entsprechend darf sie sich genau so wenig zum Steigbügelhalter machen lassen, wie Informationen zurückhalten, um PolitikerInnen oder Parteien zu schützen.

 

Franz Walter wurde von den Grünen mit der Aufarbeitung der Verstrickungen der Partei mit pädophilen Gruppen in ihren Gründungsjahren beauftragt. Teil der Vereinbarung ist, das haben beide Seiten der taz bestätigt: Der Wissenschaftler darf, wann immer es ihm geboten scheint, Zwischenergebnisse seiner Untersuchungen veröffentlichen. Die Grünen müssen darüber informiert werden, haben aber keinerlei Einflussmöglichkeit auf Ort und Zeit der Veröffentlichung.

 

Franz Walter hat nun am 15. September, also genau eine Woche vor der Bundestagswahl, der taz einen Gastbeitrag angeboten, der anführt, dass Jürgen Trittin sich im Jahr 1981 als Stadtratskandidat in Göttingen für das Kommunalwahlprogramm einer grün-alternativen Liste presserechtlich verantwortlich gezeichnet hat, die auch Forderungen nach Straffreiheit für sexuelle Handlungen mit Kindern enthielt.

 

Dass nun der von den Grünen beauftragte Wissenschaftler einen weiteren Zwischenbericht veröffentlicht, ist eine Information mit hohem Nachrichtenwert. Und die muss die taz entsprechend publizieren. Natürlich war uns bewusst, dass diese Nachricht in einer Zeit, in der von einigen konservativen Medien eine Kampagne gegen die Grünen gefahren wird, eine entsprechende Wirkmächtigkeit erzielen kann. Aber mögliche politische Konsequenzen dürfen nicht im Mittelpunkt einer redaktionellen Entscheidung stehen. Diese müssen mit Hilfe journalistischer Kriterien getroffen werden, die allein dem Pressekodex und unserem Redaktionsstatut verpflichtet sein sollen. Und sich nicht an der Frage orientieren, wem eine Nachricht schaden kann – oder wem sie hilft.

 

Mit freundlichen Grüßen
Ines Pohl

 

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https://blogs.taz.de/hausblog/paedophilie-debatte-eine-information-mit-hohem-nachrichtenwert/

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kommentare

  • Nachdem Walter heute via Tagesspiegel-Aufmacher mit Pro Familia heraus kommt, und in dem Artikel auch noch ausgerechnet der Kinderschutzbund erwähnt wird im Kontext pro-pädophiler Äußerungen, und nachdem wir zuletzt über die Verstrickungen einiger Leit-Medien in diesem Kontext lasen, muss ich meinen letzten Kommentar hier etwas relativieren:

    Ein bisschen ist die taz, wenn sie auch wohl keine andere Wahl hatte – besonders nicht vor dem Hintergrund der Füller-Debatte zuvor – dem Walter doch beim Veröffentlichungstermin auf den Leim gegangen. Es wäre möglich gewesen, bei Walter nachzufragen: haben Sie das erst jetzt gefunden? haben Sie auch Funde zu anderen Institutionen? können Sie uns die überlassen, denn wir als taz wollen Ihre Veröffentlichung mit einer eigenen Berichterstattung begleiten und einrahmen.

    • Wir hatten den Artikel von Walter am 16. September veröffentlicht. Walter sagte, dass er die Information, dass Jürgen Trittin in diesem Impressum auftaucht, erst wenige Tage zuvor gefunden hat. Wenn ich mich richtig erinnere, sogar erst am Freitag, den 13. September.

      Walter sagt, dass er solche Informationen immer dann veröffentlicht, wenn er sie bekommt.

      Die Tagesspiegel-Artikel verstehe ich so, dass der Tagesspiegel selbst auf diese Pro-Familia-Dokumente gestoßen ist, und nicht Walter. In dem einen Artikel steht: “Tagesspiegel-Recherchen ergaben, dass in den 80er und 90er Jahren auch im Verbandsmagazin von „Pro Familia“ pädophilenfreundliche Ansichten verbreitet wurden.” In einem weiteren Artikel steht: “Beiträge, die Sex von Erwachsenen mit Kindern gutheißen oder rechtfertigen, finden sich nach Recherchen des Tagesspiegels in mehreren Ausgaben des ‘Pro Familia Magazins’.” In beiden Artikeln wird erwähnt, dass parallel auch Walter zu dem Thema recherchiert. In einem Artikel wird zwar auch eine Einschätzung von Walter zitiert, wonach der Gedanke, dass es einvernehmlichen Sex zwischen Erwachsenen und Kindern geben könne, in den 70er Jahren Bestandteil einer „linksliberalen Intellektualität“ gewesen sei. Es bleibt aber in dem Artikel unklar, ob das ein Kommentar Walters zu den neuen Pro-Familia-Dokumenten ist oder ob der Tagesspiegel hier aus einem älteren Artikel von Walter zitiert. Jedenfalls steht dort nichts darüber, dass es Walter war, der diese Dokumente gefunden hat. Und erst recht nichts darüber, dass er sie schon vor ein paar Wochen hatte.

      • Ich bin nicht ganz sicher, ob Print-Tagesspiegel, wo ich darüber heute zuerst las, und Online-Tagesspiegel in ihren Artikeln dazu voll identisch sind, aber ziemlich sicher hatte ich von den beiden verlinkten nur diesen Artikel vor Augen: http://www.tagesspiegel.de/politik/beratungsstelle-fuer-familienplanung-paedophilie-problem-auch-beim-verein-pro-familia/8899344.html

        Hier steht explizit, dass die Forscher auch andere Institutionen unter die Lupe nehmen und hier auch fündig wurden, und es fehlt jeder Hinweis darauf, dass der Tagesspiegel allein auf “Pro Familia” in diesem Zusammenhang gestoßen sei. Zwar fehlt in der Tat der explizite Hinweis darauf, Walter habe nun auch Pro Familia-Belege gefunden. Aber das habe ich jedenfalls aus dem Kontext geschlossen, das wäre dann nicht sauber und klar aufgeschrieben. Der ganze Artikel macht auf mit der Arbeit Walters, es macht für mich keinen Sinn, seine Arbeit in dem Artikel so stark zu machen, wenn der Tagesspiegel aus eigenen Stücken tätig wurde. DIE ZEIT und der SPIEGEL, die ihre Archive jetzt anschauten, haben auch keinen derart engen Zusammenhang zu Walters Arbeit hergestellt wie die beiden Tagesspiegel-Redakteurinnen das hier tun. Es muss doch irgendeine Bewandtnis damit haben, dass sie es tun.

        Vor diesem Hintergrund liest sich der zitierte Hinweis im anderen Artikel, wonach der Tagesspiegel hier selbst tätig wurde, einfach so, dass der Tagesspiegel hier selbst noch mal nach recherchiert, will sagen, nach gelesen hat, worauf er durch Walter stieß. So sollte es saubererweise ja auch laufen, wenn kein Beitrag von Walter selbst gebracht wird.

        Noch zu der Reihenfolge der Funde und der zeitnahen Veröffentlichung: selbst wenn es so wäre, dass Walter immer schön zeitnah findet und veröffentlicht – dann würde sich die Frage stellen, warum er in dieser Reihenfolge recherchiert: vor der Wahl zu den Grünen (und zur FDP), nach der Wahl zumindest mal zum Kinderschutzbund, so viel ergibt sich sicher. Die fallen doch bei der Arbeit nicht in den Archiven überraschend über ungeahnte Institutionen und Quellen, sondern das kann ich durch die Quellen, die ich lese, beeinflussen, was ich wann finde, wenn ich was finde.

  • Liebe taz, aus meiner Sicht (mag ja eine langweilige Einstellung sein): alles richtig gemacht. So auch eure Artikel zum Thema inklusive der heutigen seit der Veröffentlichung am Montag, welche die Sache weiter einordnen – ebenso wie die beiden Wissenschaftler es auch in diversen Medien tun. Ich empfehle in dem Zusammenhang auch das Interview mit Klecha in der Berliner Zeitung von heute sowie den dortigen Meinungs-Leitartikel von Bommarius. Jetzt ist die Sache wenigstens heraus noch vor der Wahl, und diese doch etwas bleischwere Aufarbeitung der Grünen zum Thema bislang kriegt so unter Druck gesetzt noch mal einen Schub, was sich nicht zum schlechtesten auswirken muss, auch nicht für die Wahl. Schon kriegen die Rechten auch so allerhand Verfehlungen aus den letzten Jahrzehnten von der Presse aufgezählt, die Sache eignet sich für sie durchaus zum Bumerang (Prügelstrafe für Kinder, Vergewaltigung in der Ehe usw.), es gilt immer noch der Satz mit dem Glashaus, aus dem es sich vielleicht schnell, aber nicht sehr sicher wirft.

  • Ich finde es richtig und wichtig, dass und wie die taz über die Geschichte berichtet – und das sage ich als Grüner, der diese Woche noch am Wahlstand stehen wird. Denn bei der Wahl am Sonntag geht um das Programm der Jahre 2013-2017 und darüber hinaus, nicht um die aus der 80er-Jahren. Und Wählerinnen und Wählern, die das nicht auseinanderhalten können, kann ich auch nicht helfen.
    Wer dann noch nicht merkt, dass die Grünen jetzt (spät, aber immerhin) die Aufarbeitung aktiv betreiben lassen, der hat an einer ernsthaften Wahlauseinandersetzung sowieso kein Interesse.
    Nach der Wahl will ich aber eins sehen: Alles über das Thema auf den Tisch. Für mich als Mittdreißiger ist es vollkommen unverständlich, wie überhaupt jemand zu so kranken Positionen kommen konnte – null Verständnis! Also, alle Namen heraus von Leuten, die das Thema damals aktiv betrieben haben und von denen, die es damals aus “Toleranz” durchgewunken haben. Das Ganze sollte dann bis zur Europawahl erledigt sein. Ob ich in dem Wahlkampf dann Daniel C-B sehen möchte, bezweifle ich momentan sehr.

  • Komisch – die Geschichte der Grünen ist hinlänglich bekannt und man hätte Zeit gehabt das Pädophilie-Thema schon lange auf zu greifen! Warum ausgerechnet jetzt, kurz vor der Bundestagswahl? Weil die taz der Pressearm der Linken ist? Und die Grünen denen gerade mal die Themen geklaut haben? Nix gegen die Linke… aber diese Kampagne zu diesem Zeitpunkt scheint verdammt durchsichtig. Im Übrigen gefallen mir viele Textpassagen nicht, in denen Pädophilie mit Homosexualität in einem Atemzug genannt wird. Es gibt ebenso viele Hetero-Päderasten. Von denen ist nie die Rede.
    Wenn ich nicht schon wüsste, dass die taz zum Thema Gender, Homosexualität, Trans usw. wirklich gute Journalistenarbeit leistet – würde ich mein gerade erst erworbenes Abo wegen Diskriminierung wieder abbestellen.

    Also, bitte sachlich berichten und am besten nach der Wahl weiter machen. Macht nicht so ein Gschmäckle.

  • Liebe TAZ-Redaktion,

    unsere gemeinsame Zeit geht vorbei. Ihr hattet eure Schlagzeile. Ich habe einen Kater. Wer eine knappe Woche vor der Bundestagswahl der Springer-Presse beim Dreckwerfen Konkurenz macht und sich zum täglichen Dobrinth-Stichwortgeber aufschwingt, der hat aus meiner Sicht jeglichen Glaubwürdigkeit verloren. Ich bin allerdings nicht sicher, ob Ihr so viele Leser vom Bayernkurier abwerben könnt wie Ihr durch diesen rechten Kampagnenjournalismus verliert. Naja, Eure Sache. Grüße, Jan

    PS: Wenn Ihr so an Parteiengeschichte interessiert seid, dann wäre ein Blick auf das unaufgeklärte Schwarzgeld der CDU oder die Unterstützung von Pinnochet durch die CSU interessant. Aber da muss man ja selbst recherchieren und bekommt die Aufklärungsarbeit nicht frei Haus. Erbärmlich!

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