vonHelmut Höge 29.10.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Man kennt die Windfall-Profite, das sind unerwartete Gewinne – die “ard-boerse” spricht von “unverhofften Glücksfällen”, also von einem Glück, dass man im Vorfeld noch nicht zer- bzw. verhofft hatte. Es gibt jedoch auch das Gegenteil davon: Windfall-Verluste, die man ebensowenig im Vorfeld erwartet hat.  Mit diesen bekam  ich es einmal zu tun, nachdem ich eine thailändische Bordellbesitzerin für das Zeit-Magazin porträtiert hatte. Sie verlor wenig später ihren Laden, weil ihr deutscher Ehemann die Steuern nicht bezahlt hatte, und fuhr zum Anschaffen nach Westdeutschland. Ihre beiden Kinder – Ey und Eg – quartierte sie bei mir ein.

Das war alles kein Problem, die beiden waren gerade aufs Gymnasium übergewechselt und mehr als gut erzogen. Aber dann zerbrach dem Mädchen die Zahnspange, die sie täglich trug.

Die Mutter war nicht mehr krankenversichert und der Vater verschwunden. Ich fragte alle mir bekannten Zahnärzte, ob sie bereit wären, die Zahnspangenerneuerung auf meinem Krankenschein vorzunehmen. Alle meinten, daß sie mit Zahnspangen nichts zu tun hätten. Dafür müßte ich einen Kieferorthopäden konsultieren. Einen solchen kannte ich jedoch nicht. Zu meiner Zeit, als ich noch selbst gegen eine Zahnspange und meine Mutter kämpfte, gab es diese Spezialisierung nicht.

In der Staatsbibliothek entdeckte ich dann einige kritische Aufsätze über Zahnspangen, in denen von den mangelhaften Erfolgen bei der Korrektur vorstehender Zähne mittels einer Zahnspange die Rede war. Auch davon, daß dieses Gerät im Munde junger Mädchen zumeist nur dazu gut ist, um ihnen die Kontaktaufnahme mit jungen Männern zu erschweren, wenn nicht gar auf Jahre unmöglich zu machen. In den USA hatten sogar etliche Spielfilme diese elterliche Behütungs-Methode bereits thematisiert, einer mit Cary Grant in der Hauptrolle.

Die Artikel kopierte ich mir und nahm sie mit in ein italienisches Restaurant, wo ich mich mit den beiden Kindern zum Essen verabredet hatte. Dort gab ich sie dem Mädchen. Ich wollte ihr damit diese blöde Zahnspange ausreden. Das sagte ich ihr auch, daß sie viel schöner ohne aussehe und daß das kaputte Quatsch-Ding in ihrem Mund zu nichts gut wäre. Sie lächelte höflich und blätterte in den Kopien. Es kam kein Gespräch darüber zustande. Ihr Bruder meinte schließlich, nachdem wir gegessen hatten: “Du mußt verstehen, sie kann ohne Zahnspange nicht leben.” Ich schaute verdutzt seine Schwester an und glaubte es ihm sofort.

Ihr versprach ich, gleich in der darauffolgenden Woche einen Termin bei der Kieferorthopädin abzumachen, die sie bisher behandelt hatte. Es war eine Engländerin im Wedding. Das Mädchen gab mir die Telefonnummer. “Vielleicht kann man mit der Ärztin eine Ratenzahlung vereinbaren? Jedenfalls so lange, bis Mama wieder krankenversichert ist?” meinte sie.

Beim Zahlen unseres Essens bat ich um eine Rechnung. Den Kindern erklärte ich, das Essen von der Steuer absetzen zu können, wenn ich hinten auf die Rechnung “Gespräch mit Informanten” schriebe. “Was soll ich schreiben, worüber wir uns unterhalten haben?” fragte ich die beiden. “Schreib: über Zahnspangen”, riet mir der Junge. Das tat ich dann auch. Die Zahnspangenrechnung, die ich später von der Engländerin bekam, konnte ich jedoch nicht absetzen. Solche und ähnliche Ausgaben nannte ich dann “Berliner Ökonomie” – ein Gegenbegriff zur von oben propagierten “Berliner Republik”. Unter dem Begriff der “Berliner Ökonomie”, der bald zu einer taz-Kolumne aufgebauscht wurde, sollte ein kalkulierter Verlust verstanden werden, wobei das “Glück” darin besteht, das er am Ende niedriger ausfällt als man zunächst befürchtet hatte (die englische Kiefernorthopädin hatte mit einen “Freundschaftspreis” gemacht).

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/10/29/windfall-verluste/

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