vonHelmut Höge 31.10.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Die heute zu Kroatien gehörende Losinjer Inselgruppe in der Kvarner Bucht der Adria wird schon lange von Touristen heimgesucht. Neuerdings kaufen sich dort gerne betuchte Österreicher und Italiener leerstehende Bauernhäuser. Zwei Kölner Altlinke erwarben unlängst auf der Insel Mali Losinj direkt am Hafen des ehemaligen Fischerdörfchens Nerezine den ehemaligen Sitz der Gemeindeverwaltung und bauten ihn zu einem Hotel namens “Televrin” um. Der Ort hat heute keine eigene Verwaltung mehr. Den neben dem Besitzer eines Schiffsreparaturbetriebs mächtigsten Mann im Ort, Ferdinand, machten sie zu ihrem Geschäftsführer und den im Nachbardorf lebenden Heidelberger Philosophen und Regionalforscher Deny zu ihrem zweiten Mann vor Ort.

Nun sitzen die Touristen da auf der Terrasse und lassen den lieben Gott einen guten Mann sein. Sie beobachten die vielen  Schmetterlinge auf den Lavendelbüschen hinter sich, lauschen den Zikaden in den Pinien über sich, halten nach Gänsegeiern am Himmel Ausschau (diese brüten auf der Nachbarinsel Cres) oder nach Delphinen auf der Wasseroberfläche (mit diesen Tieren werben alle Fremdenverkehrsämter der Region).

Während des Zweiten Weltkriegs hatten die Deutschen die Inselgruppe links liegen gelassen, weil der damals faschistische Ustaschastaat Kroatien ihr Verbündeter war, dafür hatten dort zuvor Römer, Venezianer, Ungarn, Italiener und Österreicher die Herrschaft beansprucht. Einst blühte hier der Schiffsbau, dessentwegen man nahezu sämtliche Bäume auf den Inseln fällte. Erst die Österreicher organisierten dann eine große Wiederaufforstungsaktion – vor allem mit Kiefern und immergrünen Eichen. Nachdem sich die Motorschiffe durchgesetzt hatten, kam der Schiffsbau auf der Losinjer Inselgruppe jedoch zum Erliegen und immer mehr Bewohner wanderten ab. Der Rest stockte seine Schafherden auf. Die Schafszucht ist bereits eine agrarische Degeneration auf runtergewirtschafteten Böden, sozusagen die letzte Landnutzung – vor dem Tourismus, nachdem sich auf den nahezu baumlosen Flächen Erosion  und Dornengestrüpp (Maccia) ausgebreitet haben.

Zwar besteht der Boden hier wie auch auf dem Festland aus fruchtbarer sogenannter Roterde, aber er steckt voller gebankter Karbonate – Dolomite und Kalksteine. Und so besteht die Arbeit der Inselbewohner (die ersten waren die illyrischen Liburner im 4.Jahrhundert vor Christi) seit tausenden von Jahren vor allem darin, die Steine auf ihren Äckern aufzusammeln – und zu etwa 1 Meter 30 hohen Mauern um ihre kleinen Grundstücke aufzuschichten. Jeder aufgelesene Stein macht Platz für eine Gemüsepflanze, eine Weinrebe, einen Oliven- oder Feigenbaum.

Heute sehen diese aus Zigmilliarden Steinen bestehenden Mauern von oben wie ein gigantisches Labyrinth aus, gegen das selbst die ägyptischen Pyramiden lächerlich wirken. Zudem wurden diese Steine quasi freiwillig und ohne Zeitdruck aufgelesen und ihre Aufschichtung zu Mauern ließ den unzähligen Erbauern großen Spielraum für ihre Phantasie. Und dann sind diese Mauern auch weitaus nützlicher und ziehen nicht Horden von Mystikern, Archäologen und Touristen mit Kameras an, im Gegenteil: kein Mensch beachtet sie (mehr), weil sie mit dem Tourismus weitgehend ihre Funktion verloren haben.

Und doch steckt das Steine aufsammeln und zu Mauern verarbeiten den Inselbewohnern bis heute quasi in den Knochen: Wann immer die Bagger einer Tiefbaufirma eine Straße erweitern oder eine Kurve begradigen und dabei einige hundert Meter Mauern einreißen müssen, wird diese von den Arbeitern anschließend sofort wieder liebevoll neu aufgeschichtet: Das gehört sich so und macht ihnen wahrscheinlich mehr Spaß als alleine in der Hitze auf den lärmenden Baggern zu sitzen.

Eine gute Mauer zu bauen, das kann nicht jeder! Ich habe einmal in der Toskana einige von Baumwurzeln zerstörte Terrassen wieder aufgeschichtet: Sie hielten kaum länger als bis zum nächsten Regenguß. Die kroatischen Feldmauern halten dagegen ewig und manche sind so absurd und kompliziert verwinkelt angelegt, dass man bei ihrem Anblick schwer ins Grübeln gerät.

Der Tourist soll aber nicht grübeln, sondern sich vergnügen und leichten Herzens konsumieren, deswegen halten die Inselbewohner heute alle möglichen Freizeitaktivitäten für ihn bereit: Yachten für Angeltouren, Pferde zum Ausreiten, FKK-Strände (die auch nur aus Steinen bestehen, hier und da hat man sie allerdings überbetoniert), ferner Tauchkurse, Wasserski, Drachenfliegen, Fahrradtouren, Öko-Stationen und -Wanderwege, Camping- und Spielplätze, Souvenirshops und Ausflugsbusse in die Hauptstadt Mali Losinj, wo es noch größere Yachten und dazu etliche Diskotheken gibt. Auch haben sich viele Wehrtürme, alte Kapellen und sonstige Baudenkmäler auf den Inseln erhalten. In manchen Dörfern gibt es davon heute mehr als Bewohner.

Das bringt wiederum die staatlichen Verwaltungen ins Grübeln, u.a. die Schulämter: Von einigen kleineren Inseln werden die Schüler heute täglich mit Flugzeugen zur nächsten Schule geflogen, von einigen anderen mit Schiffen transportiert. In einem Dorf auf Cres gibt es derzeit nur ein  einziges Kind im schulpflichtigen Alter: Weil es zu umständlich ist, diesen Schüler jeden Tag mit dem Bus abzuholen und wieder nach Hause zu bringen, hat man kurzerhand eine junge Lehrerin nur für ihn in sein Dorf einquartiert. Umgekehrt verhält es sich auf der Insel Cres mit den Gänsegeiern, die früher massenhaft abgeschossen wurden, weil man sie verdächtigte, Schafe zu reißen. Nun hat aber die Aufklärung und der Tourismus gegriffen: Geier fressen nur tote Tiere und für die Touristen sind sie eine Topsehenswürdigkeit – mit ihren 2 Meter 80 Flügelspannweiten. Bald werden sie jedoch dem Flugverkehr in die Quere kommen, denn mit den immer billiger werdenden Flügen entstehen auch auf der Losinjer Inselgruppe immer mehr Flughäfen. Und die Anfahrt mit Auto und Wohnwagen ist nicht ungefährlich: Auf jeder Insel gibt es nur eine durchgehende Straße, mit Serpentinen und steilen Abhängen, auf denen ununterbrochen der Versorgungs- bzw. Personenverkehr rollt – und sich an den Anlegestellen der Fähren staut. Aber mit jeder Verbesserung der Infrastruktur, des Komfort- und Freizeitangebots nähern wir uns dem Ende der letzten Fruchtfolge Bauerwartungsland bzw. Tourismus.

Das Ende sieht dann etwa so aus wie auf der anderen Adriaseite in Rimini: Alles steht dort für die Touristen bereit – aber es kommen keine mehr, sie sind weiter gezogen nach Hawaii oder Mallorca oder eben Losinj, um nun dort alles zu ihrer Bequemlichkeit zu verschandeln. Und natürlich wegen der hohen Preise: Die Touristen wollen alles billig haben, aber die für sie notwendige Infrastruktur kostet viel Geld, besonders auf Inseln, wo man so gut wie alles für sie mühsam heranschaffen muß. Schon jetzt stöhnen die Bewohner der Losinjer Inselgruppe über die hohen Lebenshaltungskosten – und die niedrigen Löhne im Dienstleistungsbereich, einen anderen gibt es jedoch nicht mehr.

Irgendwann stehen die ganzen Steinmauern alleine da. Dann werden auch hier die ersten Archäologen angewackelt kommen, um sie zu einem weiteren “Weltwunder” zu erklären oder zu einem gigantischen Zeichen von Außerirdischen, das man nur aus großer Höhe enträtseln kann. Und wenn man – die NASA – das dann tut, wird sie feststellen, dass das ganze riesige Labyrinth aus Steinmauern auf der Losinjer Inselgruppe ein einziges Wort ergibt – fast ein Schrei: Cevapcici.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2006/10/31/inseln-der-steine/

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kommentare

  • Lieber Helmut Höge!

    Im September habe ich einen improvisierten, für meine Verhältnisse exzessiv-alternativen Urlaub in einer Bucht bei Mali
    Losinj verbracht.

    Österreichische Feunde haben dort, in einer kleinen Bucht, vor mehreren Jahren ein Hektar Land gekauft und mich, die journalistische Denkmalschutz- und Architekturexpertin, gefragt, wo man am besten bauen sollte, zwischen den Mauern, illegal wie die anderen, im völlig überwucherten “Naturschutzgebiet”.

    Ich wohnte in einem gemieteten Bugalow des örtlichen kroatischen Feuerwehrmannes. Meine Freunde auf ihrem “Grund” – im Wohnwagen. Mit dem Auto hätte man über eine abenteuerliche Steine-Straße direkt auf das Grundstück des priviligierten Feuerwehrmannes, praktisch ans Ufer der Bucht fahren können. Ich bevorzugte Nordic Walking vom Parkplatz zu meinem kleinen Reich (ein betagter Golf hat auch ein Recht zu überleben) …

    Während dieser Wanderungen passierte es: Ich war fasziniert von diesen, mich allerorts begleitenden Mauern. Ich lernte den Fischer Roberto kennen, der mich aufmerksam machte, dass ich auf den zahllosen Wegen zwischen Mauern bequem in die Nachbarbuchten gelangen könnte etc.

    Fazit: Ich riet meinen Freunden, nirgendwo zu bauen. Diese einst hängenden Gärten gehören wiederaufgeforstet, war mein erster Impuls! Die Baubegehren der Kroaten, Italiener und Österreicher sind diesem Ziel unterzuordnen. Es müssen dafür gesellschaftspolitische und ökologische Rahmenbedingen geschaffen werden,

    Sie, Herr Helmut Höge, sind der einzige Mensch, den ich bisher (auch im Internet) gefunden habe, der sich in gleichem Ausmaß in diese Mauern verliebt hat wie ich…Allen Anrainern sind die Steine ja, auf gut Wienerisch, wurscht!

    Ihr , mich elektrisierende Artikel endet leider pessimistisch! Ich dagegen bin eine unverbesserliche Optimistin und glaube daran, dass ein “Weltkulturerbe” der UNESCO dieses “Weltwunder” retten könnte. Schließlich strebt Kroatien in die EU, es gibt im Land eine starke Grün-Bewegung, die man trickreich aufmunitionieren könnte, nicht nur auf die ökologische, sondern auch auf die kulturelle Karte zu setzen….

    Ich überlege derzeit eine vom ORF produzierte und von mir gestaltete
    FS-Doku und würde mich sehr freuen von Ihnen zu hören!

    lg ek

  • […] Das Hotel Manora Mali Lošinj liegt im malerischen Örtchen Nerezine auf der Insel Lošinj (eigentlich auf der Inselgruppe Cres – Lošinj) in der Kvarner-Bucht. Nerezine befindet sich in der nordöstlichen Adria zwischen der Halbinsel Istrien und dem kroatischen Festland. Diese Lage beschert den Hotelgästen nicht nur einen astreinen Meerblick, sondern auch den unwirklich erscheinenden Anblick der weit entfernten kroatischen Hochgebirge. Kurz: allein die Lage ist ein absoluter Traum! […]

  • Jedes Jahr begehen in Deutschland etwa 11.000 Menschen Selbstmord! Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Im Jahre 2005 sollen es sogar weit über 14.000 Suizide gegeben haben. Immer mehr Menschen kommen mit der gegenwärtigen Situation in Arbeitslosigkeit und Armut nicht mehr zurecht. Fehlende Perspektive ist oft Anlass zur Resignation. Nicht anders sind die ständig steigenden und erregenden Fälle von Familientragödien, bei denen der Täter Ehepartner und Kinder umbringt, bevor er sich selbst tötet.

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