vonHelmut Höge 30.07.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Unter dieser Überschrift veröffentlichte die Spanischdolmetscherin und taz-reporterin
Barbara Bollwahn heute einen langen Text auf Seite 3 über den Hausmeister des ehemaligen ORWO-Hauses in Berlin-Marzahn Peter Delorme.

Es dürfte erst einmal der letzte Text von Barbara Bollwahn sein, denn sie hat gekündigt, um sich als Autorin selbständig zu machen. In den nächsten Tagen findet ihre Abschiedsparty im Haus statt, wo noch immer alles durcheinander ist, weil mehrere Abteilungen umziehen und überall die Kisten des Archivs und des taz-shops herumstehen. Man könnte den Zeitpunkt eines innerlichen Weggehens bei der bekennenden Ostlerin Barbara Bollwahn relativ genau benennen, denn sie war sehr selbstbewußt und redefreudig, aber irgendwann schienen die tazler und das zeitungsprojekt sie zu langweilen, und sei es nur, weil sie mit ihrem ersten Buch, dem dann ein zweites folgte, großen Erfolg hatte. Ihre Titel lauten: “Der Klassenfeind + ich” sowie “Mond über Berlin”, letzteres gibt es auch als Hörbuch. Sie sind in der Reihe “Ich bin Ich” erschienen, als Fortführung der “Freche Mädchen – Freche Bücher”-Tradition, schreibt der Verlag Thienemann, “aber die Mädchen sind älter geworden”.

Nun zu ihrer Hausmeisterreportage:

Zum Glück gibt es Menschen wie Peter Delorme. Der 1,69 Meter große Mann mit dem nicht mehr ganz vollen Haupthaar und der silbernen Brille nennt die Dinge beim Namen. 1979 gehörte der gebürtige Ostberliner zu den ersten DDR-Bürgern, die in die Großbausiedlung Marzahn zogen, wo er heute noch mit seiner Frau lebt. Er sagt “dit” und “dat”, “allet” und “keene”. Wo andere von “arbeiten” oder “malochen” reden, sagt er: “Da haben wir Ballett jemacht.”

Peter Delorme ist Hausmeister in Marzahn-Hellersdorf am nordöstlichen Stadtrand von Berlin. “Dat is der Job meines Lebens”, sagt er, und seine Stimme klingt ernst und pflichtbewusst. Die Freude ist ihm leicht anzumerken. Delorme ist 56 Jahre alt und hat im vorigen Jahr noch einmal eine Festanstellung bekommen. Und das in einem Plattenbaubezirk, der meistens mit Abstieg und Hoffnungslosigkeit in Verbindung gebracht wird: jammernde Ostler, die keine Arbeit haben, die in der Vergangenheit leben und die ihre Stütze zum Getränkestützpunkt tragen und ihre Kinder zur kostenlosen Kinderspeisung. Die den Arm zum Hitlergruß erheben oder “Wir sind das Volk!” schreien, wenn ihnen gar nichts mehr gegen ihre Perspektivlosigkeit einfällt.

Dass Delorme noch einmal im ersten Arbeitsmarkt gelandet ist, hängt mit einem Gebäude in Marzahn zusammen, das nach der Wende eine ähnliche Geschichte durchgemacht hat wie viele Bewohner der DDR: dem Orwohaus. Vor der Wende war dies eine Fabrik des Filmherstellers Orwo, “Or” wie Original und “Wo” wie Wolfen. Der siebenstöckige Bau aus verwaschenem Beton wurde abgeschrieben und ging in die Hände der Treuhandliegenschaftsgesellschaft, kurz TLG, über. Jahrelang stand er leer, zwischendurch wurden Kühlschränke eingelagert. Dann entdeckten Ende der Neunzigerjahre Musiker das Haus in dem kleinen Industriegebiet an der sechsspurigen Landsberger Allee. Unter der namenslosen Anschrift “Straße 13 Nr. 19-20” konnten sie Punk, Rock und Metal spielen, so laut sie wollten. Es war warm und trocken, und die Miete war mit drei Mark pro Quadratmeter fast geschenkt.

Nach sechs Jahren sollte mit dem musikalischen Aufschwung in Marzahn Schluss sein. Im Frühjahr 2004 stellte das Bauamt gravierende Brandschutzmängel fest. Die TGL, die noch immer keinen Investor gefunden hatte, kündigte den damals 80 Bands die Verträge. Normalerweise wäre die Geschichte hier zu Ende gewesen. Aber die Musiker waren fest dazu entschlossen, dieses Haus, das niemand sonst wollte, zu verteidigen.

Es war kein leichter Kampf. Die TLG wechselte die Türschlösser aus, legte Fahrstühle lahm und errichtete einen Zaun um das Gelände. Einige Musiker zogen genervt von dannen. Andere blieben und gründeten den Verein Orwohaus e. V., machten mit etlichen Protestkonzerten auf sich aufmerksam, bis die TLG sie als Verhandlungspartner anerkannte. Zehn Monate nach der Kündigung unterzeichnete der Verein einen Kaufvertrag. Seitdem proben 160 Bands für 7 Euro warm den Quadratmeter in 80 Proberäumen. Wenn sie wollen, rund um die Uhr.

Wiederum zwei Jahre später könnte man meinen, dass den Musikern, die im Mai dieses Jahres von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie mit einer Million Euro bedacht wurden, ihre Hartnäckigkeit und ihr Erfolg zu Kopfe gestiegen seien. Am Samstag war wieder mal richtig was los in Marzahn, sodass selbst die S-Bahn-Fahrer an der nächsten Haltestelle auf ihre Kosten kamen. Mit Bier, Bratwurst und lauter Musik von Bands wie Geheimkapelle Selber, Rupert’s Kirchen Orchestra, Napoleon Murphy Brock und vielen mehr, haben sie es richtig krachen lassen. Auf der Wiese vor dem Haus standen und saßen auffällig viele Männer mit Frank-Zappa-Bärten. Diesmal spielten die Musiker aber nicht für den Erhalt ihres Hauses, sondern für die Adelung ihrer Straße. Zwei Politiker der PDS hatten einen Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht, die “Straße 13” in “Frank-Zappa-Straße” umzubenennen. Es gelte, diese “Kultfigur der Undergroundmusik” “angemessen zu würdigen”, zugleich bedeute dies eine “Bereicherung für den Bezirk Marzahn-Hellersdorf als Wirkstätte eigenständigen künstlerischen Schaffens”. Die Drucksache Nummer 2082/V ging einstimmig durch, am Samstag wurde die Straße offiziell umbenannt.

Schon zuvor war das Orwo-Musikhaus einzigartig in Europa. Jetzt residiert es in einer Straße, die einzigartig in Deutschland ist. “Frank-Zappa-Straße 19-20”.

Im Erdgeschoss hängt eine meterhohe Biografie des Musikers. Überall an den Wänden kleben Zitate von Frank Zappa. “Ohne Abweichung von der Norm ist Fortschritt nicht möglich” ist dort zu lesen. Oder: “Musik ist immer ein Kommentar zur Gesellschaft.”

Im Editorial zu ihrem Heft “Tonreich” machen Leute von der Musikfabrik Orwohaus klar, dass dies erst der Anfang sein soll: “Ab dem heutigen, so geschichtsschreibenden Tag wird ein jeder wissen, das Orwohaus liegt in der Frank-Zappa-Straße in Berlin. Bald schon wird es eine Frank-Zappa-Haltestelle geben, Plätze und Bezirke werden nach ihm benannt werden. Überall wird das Orwo-Logo zu sehen sein. Wir werden die Kontrolle über die Stadt an uns reißen und die Plattenindustrie revolutionieren.” Frank Zappa hätte diese Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstironie wohl gefallen.

Delorme ist inmitten der vielen hundert Besucher leicht auszumachen. Auf dem Rücken seiner blauen Trainingsjacke steht in weißen Buchstaben “Hausmeister”. Drei Stück hat er davon zu Hause, gesponsert von der Band Plan B, die natürlich auch im Orwohaus probt. Stolz führt er durch die langen Gänge, vorbei an Proberäumen unbekannter und bekannter Bands wie Die Ohrboten und Silbermond oder Sternchen wie Jeannette Biedermann. Für Delorme sind alle Musiker gleich. “Supertypen” und “tolle Leutchen”.

Er ist der einzige Festangestellte im Orwohaus. Unter sich hat er derzeit zehn Arbeitslose, die mit einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme aus der Statistik ins Orwohaus gefallen sind. Die Mitglieder des Vorstands arbeiten ehrenamtlich.

Der gelernte Maurer hat im Unterschied zu vielen anderen Marzahnern die Wende ohne den Verlust der Arbeit überstanden. Bis 1998 hat er als Kraftfahrer gearbeitet. Dann wurde er von einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in die nächste gesteckt, zwischendurch war er immer wieder arbeitslos. Bis der Arbeitsmarkt ihm im August 2005 eine MAE-Stelle im Orwohaus bescherte. Das ist ein sogenanntes arbeitsmarktpolitisches Instrument mit “Mehraufwandsentschädigung”. Seinen neue Arbeitsstelle konnte Delorme fortan vom Balkon seiner Wohnung im achten Stock aus sehen. “Det war damals so chaotisch” erzählt er, während er durch die sauber gefegten Flure des 7.500 Quadratmeter großen Hauses führt. Malern, mauern, Löcher und Durchbrüche schließen, Delorme hat die Ärmel hochgekrempelt und losgelegt, ohne zu wissen, wie lange er würde bleiben können. Am 1. August 2006, in dem Jahr, als das Orwohaus im Bundeswettbewerb “Land der Ideen” als einer von 365 “Orte der Ideen” ausgezeichnet wurde, bekam er einen festen Arbeitsvertrag. “Da hab ick Tränen in den Augen gehabt.” Es ist wirklich der Job seines Lebens.

In einer Hand hält er ein dickes Schlüsselbund, in der anderen sein Handy. Auf seiner Visitenkarte steht “Für Sie immer zu erreichen”. Selbst Sonntags geht er mit seiner Frau zu seinem Arbeitsplatz, um die Klos zu putzen und aufzuräumen. “Das ist meine Hütte”, sagt er, “da lass ich zu Hause alles stehen und liegen.”

Nur mit der Musik von Zappa, kann er nicht so viel anfangen. “Ich habe vorher mal den Namen gehört und weiß jetzt, wann er geboren ist”, sagt er, “mehr aber auch nicht.” Delorme steht mehr auf deutsche Schlager. Ihm gefällt Musik, die er versteht. Trotzdem ist er stolz wie Bolle auf die Frank-Zappa-Straße. “Jetzt sind wir wer”, sagt der Hausmeister. Er steht etwas abseits der lauten Bühne und schaut auf ein leeres Gebäude neben dem Orwohaus. Er würde sich freuen, wenn der Verein eines Tages auch diese Platte übernehmen könnte, vielleicht als Hotel für Musiker. Auch die könnten dann in der Frank-Zappa-Straße residieren.

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/07/30/hausmeister-des-rock-n-roll/

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