vonHelmut Höge 25.09.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Endlich geht es los, könnte man sagen. Aber in Burma gibt es schon seit 30 Jahren einen Freiheitskampf. Die Militärregierung wird seitdem von gleich mehreren Guerillabewegungen bekämpft, teilweise vom Ausland aus. In Berlin ist seit Jahrzehnten das “Burma Project” aktiv. Ihre Mitglieder reisten als Individualtouristen auch immer wieder ins Land. In der SZ sagte der Mönch Pingnya (27), den Maike Zwercher in Nordburma interviewte: “Individualtouristen sind gut für uns, von ihnen bekommen wir Informationen, ihnen können wir von unserer Situation erzählen. Aber organisierte Gruppenreisen sind nicht gut. Das Geld geht direkt an das Regime. Und die Reiseführer lügen, wenn sie den Reisegruppen von unserem Land erzählen.” Wenn es sich um ausländische Individualtouristen handelt, kommt noch hinzu, dass sich die burmesischen Gesprächspartner dabei einigermaßen sicher sein können, dass es keine Spitzel sind. Umgekehrt führt das dazu, dass die Ausländer überall in ernsthafte Gespräche verwickelt werden.

Hier das Ergebnis einer solchen Burmareise – lange vor der jetzt “Safran-Revolution” genannten Mönchsproteste, wobei wir uns auf das “Burma Öl” konzentriert haben:

Die kommerzielle Nutzung des Erdöls – und damit seine Geschichte – beginnt gemeinhin mit der ersten erfolgreichen Bohrung des »Colonel« Drake in Pennsylvania 1859. So viel wußte ich bereits, bevor wir in Rangoon landeten. Nach einigen Tagen begriff ich dort auch noch, daß es sich bei den überall am Straßenrand stehenden leeren Wasserflaschen auf einem Steinsockel um Werbung für Schwarzmarkt-Tankstellen handele, und ferner, daß Burma ein uraltes erdölexportierendes Land sei.

Das in Zentralburma gelegene Ölfeld Yenangyaung, das wir dann auch besuchten, wird bereits seit über 1000 Jahren ausgebeutet. Am Anfang wurden die Ölseen abgeschöpft, dann baute man Brunnen. Auch damit wurde das Öl noch mehr gesammelt als gefördert. Während der Regierungszeit des Usurpators Min Khwe (1064 – 1073) gelangte das gesamte Feld in den Besitz von vierundzwanzig Famillenoberhäuptern adliger Herkunft. Diese achtzehn Männer und sechs Frauen durften ihre damals insgesamt zweihundertvierzig Ölbrunnen nur patrilinear bzw. matrilinear vererben, d.h. sie konnten die Ölquellen nicht an Außenstehende verkaufen. Sie bildeten eine »Vereinigung« und hießen Twinyoes. Schon bald bemühten sie sich, neue Ölquellen aufzufinden, wobei sie Brunnenbauer mit ihren Familien engagierten. Diese brauchten mitunter zwei Jahre, um ein bis zu hundertzwanzig Meter tiefes Loch, ein Meter fünfzig im Quadrat, zu graben, das sie mit Holzplanken vor dem Einsturz sicherten. Ab einer bestimmten Tiefe hinderten die giftigen Gase den Brunnenbauer, länger als eine halbe Minute unten zu arbeiten, so daß er immer wieder mit einem Seil hochgezogen werden mußte, um sich zu erholen. Selbst ein Mann mit robuster Gesundheit konnte nicht mehr als zwanzig Mal am Tag runtergelassen werden – von Sonnenaufgang bis -untergang. Um unten besser sehen zu können, stellte man Spiegel am Rand des Brunnens auf, mit denen das Licht in den Schacht gelenkt  wurde. Zur Verständigung entwickelten die Brunnenbauer bestimmte Seil-Signale: drei mal Ziehen bedeutete z. B.: »Das soll für heute genug sein«. Waren die Brunnenbauer erfolgreich, bekamen sie neben ihrem Lohn auch noch »gaungbaungs« (Turbane) und »Pasoes« (Trachtentücher) von den zufriedenen Twinyoes geschenkt. Dann wurden sie abgelöst von einer Fördergruppe, die ebenfalls aus Männern und Frauen bestand und mit Seilen und Eimern arbeitete. Maximal vier Gallonen Öl (eine Britische Gallone entspricht viereinhalb Litern) förderten sie in einem Arbeitsgang ans Tageslicht, oder rund dreißig Barrel täglich pro Brunnen (ein Barrel enthält etwa 165 Liter). Wobei sie bis in die Nacht arbeiteten, dafür jedoch während der heißen Mittagszeit pausierten.

Wenn alle Fässer des Brunnenbesitzers gefüllt waren, kamen die Transporteure und brachten das Öl mit ihren Ochsenkarren zum nahen Irrawaddy-Fluß, wo ein Großhändler – »Hle-hetein« – es in Empfang nahm und für die Weiterverteilung sorgte.  Das Öl wurde zum Heizen und zur Beleuchtung benutzt, aber auch um Schiffe abzudichten, die Dächer der klösterlichen Bibliotheken wasserundurchlässig zu machen oder um Radlager zu schmieren, wobei man jedoch die Ochsen- und Pferdekarren oftmals extra ungeschmiert ließ: ihr Quietschen sollte mögliche Tiger am Wegesrand verscheuchen. Daneben diente das Rohöl auch medizinischen Zwecken, z. B. bei der Malaria-Mückenlarvenbekämpfung in Gewässern.

Im 19. Jahrhundert begannen einige ausländische Firmen, die Niederlassungen in Rangoon eröffnet hatten, das Burma Oil bis nach England und in die USA zu exportieren, wo man daraus Parrafinwachs, Schmierfette und Leuchtpetroleum machte. Ein besonders reines Waffenöl wurde bald unter dem Namen »Rangoon Oil« bekannt (später kam noch Kerosin in Dosen – unter dem Markennamen »Tiger« – dazu).  Etwa zur gleichen Zeit versuchten die Engländer von ihrer indischen Kolonie aus, Burma zu erobern. Damit einher gingen verschiedene geologische Expeditionen, die europäischen Interessenten Klarheit über die burmesischen Ölvorkommen verschaffen sollten, verbunden teilweise mit Reise- und Erlebnisberichten. Berühmt wurde das Gedicht von Rudyard Kipling “Is this the Road to Mandalay?”. Erwähnt sei insbesondere das Forschungsvorhaben von Dr. Fritz Noetling, das in zwei gründlichen Veröffentlichungen gipfelte: »The Petroleum Industry in Burma« und »The Occurrrence of Petroleum in Burma and its Mechanical Exploration« (Geol. Surv. India). Zwischen 1824 und 1885 kam es zu drei Kriegen zwischen England und Burma.

Wegen des Drucks ausländischer Ölhändler sah sich der damals regierende burmesische König Mindon 1856 zu einem preisstabilisierenden Eingriff in die Öl-Produktion und -Distribution gezwungen: Ein Kontrollrat von fünf Ministern mußte fortan jeden Verkauf von Rohöl zuvor genehmigen. Der Ölpreis wurde auf anderthalb Kyat für vierzig Gallonen festgesetzt. Dadurch stiegen die Einkünfte der Twinyoes. Sie mußten nun jedoch auch Nicht-Angehörigen der ursprünglich 24 Twinyoe-Familien erlauben, Brunnenbau-Konzessionen zu erwerben. Diese Brunnenbesitzer hießen fortan Twinzas.  Der König heiratete 1856 eine Ölbrunnen-Besitzerin aus Yenangyaung, Kye Hmyin Mibaya, wodurch er in den Besitz von 120 Quellen kam. Mittlerweile gab es etwa 4 000 Ölbrunnen in Zentralburma – mit einer Jahresfördermenge von zwei Millionen Gallonen. Hauptabnehmer war die »Finlay Fleming Company«, die als »Rangoon Oil Company« eine kleine Raffinerie am »Monkey Point« betrieb. Daneben noch eine weitere in Dunnedaw, Nord-Burma, die jedoch stillgelegt werden mußte, nachdem sie verbotenerweise Öl vom Schwarzmarkt verarbeitet hatte.

Die Anlage kaufte daraufhin ein David Sime Cargill – in Erwartung der baldigen Einnahme Nordburmas und der Königsresidenz Mandalay durch die britische Armee. Dies geschah 1886. Von da an wurde Cargills Raffinerie von den sogenannten »hand-dug wells« in Yenangyaung und Yenangyat beliefert, an denen die britische Regierung nun Konzessionen besaß – das betraf erst einmal die hundertzwanzig Brunnen des Königs und siebzehn weitere, die zur Hälfte seiner Frau gehört hatten. Ihre Nachkommen wurden dafür von der Kolonialregierung mit einer Rente von fünfhundert Rupien im Monat entschädigt. Der später geadelte Mr. Cargill gründete noch im gleichen Jahr die »Burma Oil Company Ltd.« mit Sitz in Schottland, im folgenden kurz »BOC« genannt.

Die BOC nahm bereits zwei Jahre später ihre erste maschinenbetriebene Ölbohrung in Betrieb. Zwar wurde die Raffinerie in Dunnedaw auch weiterhin mit Öl aus den handgegrabenen Brunnen beliefert, aber diese gelangten nach und nach über Leih-, Pacht- oder Verkaufsverträge ebenfalls in den Besitz der BOC. Bis 1908 konnte die Förderkapazität der insgesamt 4000 Brunnen von zweieinhalb auf nahezu acht Millionen Gallonen Rohöl jährlich gesteigert werden, dann hatte sich langsam die moderne Technik, und mit ihr das dazugehörige Industrieproletariat, das anfänglich aus Indien angeworben worden war, durchgesetzt. 1909 prägten die Fördertürme der BOC bereits das Landschaftsbild um Yenangyaung, wo sie in dem Jahr hundertachtzig Millionen Gallonen Rohöl ans Tageslicht pumpten.  Daneben hatte die Gesellschaft inzwischen noch weitere Ölfelder erschlossen: in Chauk und Lanywa zum Beispiel. Später kam noch ein Gasfeld in Fyaye hinzu, das vor allem zum Nutzen einer der BOC gehörenden Zementfabrik ausgebeutet wurde.

Anfänglich ließ man ein Großteil des Öls auf Tankern der »Irrawaddy Flotilla Company« flußabwärts bis nach Rangoon transportieren, wo dann auch, in Syriam, eine neue größere Raffinerie entstand. 1908 wurde dieses Werk über eine zweihundertfünfundsiebzig Meilen lange Pipe-Line mit den Ölfeldern von Yenangyaung direkt verbunden.  Auch bei den handgegrabenen Brunnen führte man noch eine Neuerung ein:  ab 1915 verwendeten die Brunnenbauer Taucheranzüge, wie sie bei den Perlfischern in Kuwait etwa in Gebrauch gekommen waren – auf diese Weise mußten sie nicht mehr alle halbe Minute wieder nach oben gezogen werden.

Es gibt ein weiteres Datum, das keiner der Verfasser burmesischer Öl-Geschichten ausläßt: die Elektrifizierung des gesamten Yenangyaung-Ölfeldes 1920.  Zu diesem Zeitpunkt hatte die BOC bereits Konkurrenz im burmesischen Ölgeschäft bekommen – u. a. durch die »Indo-Burma-« und die »British Burma-« Petroleum Companies. Und es begann eine systematische geologische Erforschung Zentralburmas. Für das Land, das zunächst von Indien mitregiert wurde,  erließ man spezielle »Mining Rules«, außerdem nahm eine »Oilfield Commission« ihre Arbeit auf, deren Aufsichtsrat sich aus Vertretern der verschiedenen Öl-Gesellschaften zusammensetzte.  Hintergrund des schon einige Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs gestiegenen Interesses der englischen Regierung an Burma-Öl war die Aufrüstung der deutschen Flotte zur Sicherung und Ausweitung deutscher Übersee-Besitzungen. Sie bewog den damaligen Innenminister Winston Churchill zu einem Meinungswechsel in bezug auf die Modernisierung der englischen Marine. Nachdem man ihn 1911 zum Ersten Lord der Admiralität emannt hatte, setzte der später geadelte Churchill eine Umrüstung der Flotte von Kohle auf Öl durch. Damit war England zwar von den unsicheren Öllieferungen – vor allem aus Persien – abhängig, aber laut Churchill gab es keine andere Wahl für das  Einpire. Mit der Erschließung und Modernisierung der Ölfelder in Burma und Indonesien versuchten die englischen Ölfirmen die Abhängigkeit von Persien zu mindern.  Ein anonym gebliebener englischer Öl-Manager schrieb über die »Burma Petroleum Industry«: »Steady development of the oilfields continued until 1939« – in jenem Jahr wurde Churchill emeut zum Ersten Lord der Admiralität ernannt. Mit dem Zweiten Weltkrieg kam jedoch langsam der Nachschub an englischer Öl-Technik und Ersatzteilen ins Stocken, bis die Invasion der Japaner in Burma sogar die komplette Zerstörung der Öl-Anlagen notwendig machte. Das geschah im März 1942.

Der anonyme Ölmanager gibt an, daß die in die Luft gesprengten Anlagen einen Wert von 40 Millionen Pfund Sterling hatten. Sein Bericht darüber erschien 1946 in Bombay, wohin sich etliche der in Burma arbeitenden englischen Ölleute zurückgezogen hatten. Obwohl die englische Luftwaffe anschließend noch einmal mehrere der zerstörten Öl-Anlagen und -Einrichtungen bombardierte, gelang es den Japanern während ihrer zweijährigen Besatzungszeit, wieder 80 000 Barrels in Burma zu fördern, dazu trugen vermehrt auch wieder die handgegrabenen Brunnen bei, die noch oder erneut im Besitz der Twinyoes und Twinzas waren. Um die Produktion zu forcieren, hatten die dafür abkommandierten japanischen Armeeoffiziere zusammen mit den wenigen noch vorhandenen burmesischen Fachkräften zunächst ein »Oilfield Rehabilitation Committee« gebildet, aus dem dann mit der englischen Rückeroberung des Territoriums die »Burma Oilfield Rehabilitation Unit« hervorging. Diese Zentralinstanz »Unit« war dann u.a. auch für die Einstellung von Ölarbeitern zuständig. Zunächst fanden jedoch nur sehr wenige beim Wiederaufbau Arbeit, außerdem erkannten die Engländer das zuvor von den Japanern ausgegebene Besatzungsgeld nicht an: Es kam zu Demonstrationen und anti-britischen Kampagnen.  Die Zahl der Ölarbeiter hatte zuletzt – 1940 – etwa 15 000 betragen: davon waren 9000 waren burmesischer und 6 000 indischer Herkunft. Sie bildeten die Avantgarde der Industriearbeiterschaftt im bis heute agrarisch geprägten Burma.

Der Historiker U Myo Htun Lynn, Wirtschaftsprofessor an der Universität Rangoon, schrieb in seiner Geschichte der Arbeiterbewegung Burmas (1961): »Das Fabriksystem wurde in Burma zuerst von der Burma 0il Company (BOC) eingeführt, und die erste Auseinandersetzung zwischen Arbeitern und Unternehmern  geschah in der Ölindustrie 1895.«  Dort brach auch der erste Streik des Landes aus: 1916 hatte die BOC einige amerikanische Ölbohr-Fachleute eingestellt, die mit den Bedingungen nicht zufrieden waren und die Arbeit niederlegten. Zwar brachte ihnen das keine Verbesserungen ein, aber die burmesischen Ölarbeiter waren von ihrer Einigkeit beeindruckt worden: 1919 legten auch sie in Yenangyaung die Arbeit nieder, um ihrer Forderung nach Lohnerhöhung und einem jährlichen bezahlten Feiertag Nachdruck zu verleihen. (Einen solchen bezahlten Feiertag im Jahr hatten schon die Twinyoes den alten Brunnenbauern und Fördergruppen zugestanden!) Zwar endete der Streik mit einer Niederlage – ihre Forderungen wurden nicht erfüllt und die Streikführer entlassen, aber ein Jahr später streikten die 8 000 Arbeiter der neuen bis heute existierenden Raffinerie in Syriam. Und 1921 formierte sich aus ihren Zusammenkünften die erste burmesische Gewerkschaft – die »Oilfield Labour Union«. 1923 streikten bereits 210 000 burmesische Arbeiter. Und 1926 kämpften amerikanische und einheimische Ölarbeiter zum ersten Mal gemeinsam, wobei sie auch Gewalt anwendeten. Vierundfünfzig Feuer brachen auf den Ölfeldern aus.  In der Folgezeit gelang es den englischen Unternehmern mehrmals, die indischen gegen die burmesischen Arbeiter auszuspielen, mit dem Resultat, daß es überall im Land zu rassistischen Pogromen kam, wobei mehrere hundert Inder umgebracht wurden. In dieser Situation bekam der gewerkschaftliche antibritische Widerstand Unterstützung von der später sogenannten 1300er-Bewegung. Gemeint sind damit die Bauernproteste – gegen die gefallenen Reispreise und gestiegenen Steuern, die 1931 (im buddhistischen Kalender »1300«) in einen bewaffheten Aufstand im Tharawaddy District gipfelten. Die Regierungstruppen erschossen 10000 »Rebellen«, hundertachtundzwanzig Rädelsführer wurden aufgehängt, unter ihnen der Bauer Saya San, dem später viele Denkmäler im Land errichtet wurden, in einigen Orten zusammen mit dem revolutionären Ölarbeiter Bo Hla Gyi, der 1938 an der Spitze eines Protestmarsches der Ölarbeiter von Yenangyaung nach Rangoon marschiert war – vierhundert Meilen. Bo Hla Gyis Konterfei auf den derzeit gültigen 45-Kaat-Noten soll an diesen Marsch erinnern.

Aus der Organisation dieses Protestes ging 1939 ein Generalstreik der Arbeiter und Studenten hervor, der sich zu einer breiten Unabhängigkeitsbewegung ausweitete.  Bis zur tatsächlichen Unabhängigkeit Burmas, 1948, sank die Erdölförderung im Land von 7,7 Millionen Barrel 1941 auf unter 200 000 Barrel 1947. Im gleichen Zeitraum steigerten die englischen Ölkonzerne ihre Fördermengen in British-Borneo und Indonesien wieder auf das Vorkriegsniveau. Die erste demokratisch gewählte Regierung Burmas, das U Nu Government, hatte sich schon bald mit den Ansprüchen der Twinyoes und Twinzas zu befassen, die von den Ölgesellschaften die Herausgabe ihrer Brunnen verlangten, eine Minderzahl, die bereits wieder über ihre Brunnen verfügte, erbat sich von der Regierung finanzielle Unterstützung bei den Reparaturen. Auch die “Petroleum Workers Association Yenangyaung” und die “Oilfields All Employees Association Chauk and up-river fields” wandten sich hilfesuchend an ihre Regierung in Rangoon. Gleichzeitig wurde versucht, den Absatz von Petroleum über lokale Märkte wieder in Gang zu bringen. In dieser situation ließ die BOC die Produktion in Yenangyaung stilllegen: “aus Sicherheitsgründen”. Als der Druck der dadurch arbeitslos gewordenen Ölarbeiter sich in der Forderung nach Verstaatlichung der Ölindustrie niederschlug, gründete die Regierung mit der BOC ein “Joint Oil Venture” (JOV), in dem sie später Mehrheitsgesellschafter wurde. Die Fördermengen fielen jedoch weiterhin. Hauptabnehmer für sämtliche Petroleumprodukte war eine Handelstochter der BOC, die nicht in den Joint-Venture-Vertrag eingebunden war, aber nun die Preise bestimmte: die “British Merger Co”. 1950 hatten sich die Ölgesellschaften und der inzwischen gegründete Interessensverband “Twinyoes and Twinzas Association” so weit geeinigt, daß eine Restitution ins Auge gefaßt wurde. Dazu mangelte es jedoch an Unterlagen: das Grundbuchamt in Yenangyaung war von britischen Bombern zerstört worden, deutsche V2-Raketen hatten die BOC-Unterlagen in London vernichtet, und viele Leute mit Rückübertragungsansprüchen hatten ihre Papiere während des Krieges verloren.

In Rangoon war u.a. auch der Ölexperte und Schriftsteller U Khin Maung Gyi mit diesen Restitutionen befaßt: zwei Jahre brauchte er “to deal with this Nest of Entanglement” – dann war das lange Kapitel über die Beziehungen zwischen den burmesischen Brunnen-Besitzern und den ausländischen Ölgesellschaften endlich beendet. 826 Brunnen konnten restituiert werden.

1962 wurde die Regierung U Nu durch einen Putsch des Militärs gestürzt, das Programm des Generals Ne Win hieß “Burmas Way to Socialism” Im darauffolgenden Jahr wurde die gesamte burmesische Ölindustrie verstaatlicht. Zu dem Zeitpunkt produzierte sie noch 5000 Barrel täglich (1 Barrel entspricht 43 Gallonen). Aber das Engagement der bei der “nationalen Rekonstruktion” der Ölproduktion tätigen Männer war groß: es mußte improvisiert, gebastelt und zusammengearbeitet werden und jeder verfügbare nur irgendwie fahrbare Untersatz wurde eingesetzt, um zumeist gebrauchte Ausrüstungs- und Ersatzteile heranzuschaffen. Sechs neue Ölfelder konnten bis 1978 erschlossen werden, mit Bohrungen bis zu 3000 Metern. Die Militärs übernahmen auch noch das “Yenangyaung Oilfields Rehabilitation Board” und enteigneten die letzten Twinyoes und Twinzas. Einer dieserTwinyoes, U Myint Oo bekam  1964 zur Entschädigung eine Anstellung im Informationsministerium. 1995 erzählte mir der inzwischen 78jährige:

“Seitdem die Regierung die Ölquellen 1964 beschlagnahmte, haben wir keinen Einfluß mehr darauf – bis heute. In Yenangyaung kannte jeder den Vater meiner Großmutter, U Tha Kan, er baute mehrere Pagoden. Wir waren immer sehr patriotisch. Als Adlige haben wir die Engländer nie ‘Lord’ genannt, für uns waren sie nur ‘Engländer’, andere haben sie mit ‘Lord’ angesprochen, wir nicht, das war unsere Besonderheit. Ich bin jetzt schon alt und weiß nicht, ob meine Kinder noch mal im Ölgeschäft arbeiten wollen, ohne Bohrmaterial können wir sowieso nichts tun, selbst wenn die Regierung uns die Ölquellen umsonst zurückgeben würde. Früher waren die Menschen hier von den Ölquellen abhängig. Damals haben alle, von arm bis reich, gut davon gelebt und genug zu essen gehabt. Heute gibt es wenig Leute, die Arbeit haben. Da man nicht mehr von den Ölquellen leben kann, muß man jede Gelegenheit nutzen, um Geld zu verdienen. Damals hat es mehrere Boykotts gegen die Regierung gegeben, aber heute demonstriert niemand mehr. In ganz Burma haben die Menschen keine Zeit mehr, um über Politik nachzudenken, der Überlebenskampf ist zu groß geworden.”

Neben dem Energieministerium gründete die Militärregierung, die sich seit der Niederschlagung eines Volksaufstands 1988 SLORC (State Law and Order Restauration Council) nennt, die »Myanmar Oil and Gas Enterprise«. Die MOGE sollte fortan die Öl- und Gasproduktion vorantreiben, seit einigen Jahren über “Joint-Ventures” mit ausländischen Ölkonzernen. Inzwischen ist in dem fünfundzwanzig Jahre lang nahezu vollständig abgeschotteten Land, in dessen Grenzregionen mehrere Guerillaarmeen ethnischer Minderheiten zusammen mit Studenteneinheiten gegen die Regierungstruppen kämpften, ein großer Benzin-Schwarzmarkt entstanden. An den wenigen offiziellen Tankstellen wird es nur noch rationiert abgegeben. Dort bezahlt man derzeit 25 Kyat pro Gallone, hat aber bei einem neuen Auto nur Anrecht auf zwei Gallonen pro Woche, bei einem alten auf vier Gallonen. Auf dem Schwarzmarkt kostet eine  Gallone zwischen 180 und 200 Kyat. In den Städten werben die vielen Schwarzmarkthändler wie bereits erwähnt mit leeren Plastikflaschen, die sie auf drei übereinandergestapelten Steinen an den Straßenrand stellen. An den Landstraßen sehen die Schwarzmarkt-Tankstellen-Hinweise meist weniger diskret aus: ein Öl-Blecheimer oder ein -Trichter auf einem Pfahl zum Beispiel.  Je mehr Schwarzmarkt-Tankstellen ein Polizist in seinem Revier hat, desto höher sind seine Nebeneinnahmen – und desto begehrter auch sein Posten. Beliefert werden diese Benzinhändler von Armeeangehörigen. Die burmesische Armee, Tatmawdaw, besitzt inzwischen eine ganze Armada an Tanklastwagen. Vor sechs Jahren wurde die nach der Unabhängigkeit rekonstruierte Pipeline zwischen Yenangyaung und Syriam wegen zu vieler Lecks stillgelegt, seitdem wird das Öl wieder auf Fluß-Tankern transportiert. Neben der veralteten Raffinerie in Syriam gibt es inzwischen eine neue in Soult, Südburma. Beide sind jedoch nur zu 40 bzw. 25 Prozent ausgelastet. Das Militär ist nach Meinung burmesischer Wirtschaftsexperten nicht an einer vollen Auslastung interessiert, weil zu viele Offiziere an der Benzin-Verknappung gut verdienen. Ihnen wird zudem von den staatlichen Banken ein Sonderzinssatz von 30 Prozent eingeräumt, allgemein üblich sind in Burma 12 Prozent (bei einer Inflationsrate von über 24 Prozent). Mit der Öffnung des Landes für ausländische Investoren haben seit 1990 auch einige ausländische Banken Filialen in Rangoon eröffet. Sie dienen jedoch oft nur dem Transfer von Schwarzgeldem der Militärs in harte Währungen. Die gleichbleibenden Einnahmen der Bauern und die Gehälter der Arbeiter und Regierungsangestellten verlieren dagegen ständig an Kaufkraft. Auf der Suche nach einem Ausweg zwischen Verarmung und Korruption hat man sich z. B. im Energieministerium, Abteilung »Gasdistribution«, für seine 400 Mitarbeiter allein im Raum Rangoon verschiedene Nebenerwerbsquellen einfallen lassen: Die Angestellten der Gaswerke betreiben inzwischen eine Ziegelei, eine Keramik-Werkstatt und bauen Reis an.

Die tägliche Fördermenge an Öl liegt heute in Burma bei 12 000 Barrel, daneben werden täglich fünf Millionen Kubikmeter Erdgas gefördert. Das Gas kommt vor allem aus den zwei neuen Off-Shore-Feldern Martaban und Yetagun. An der Ausbeutung und Weiterverarbeitung wurden von der MOGE bis jetzt folgende ausländische Ölkonzerne beteiligt: Total, Elf, Texaco, Unocal, Amoco, British Premier of UK, Nippon Oil und die Petroleum Authority of Thailand (PTT). In einem dritten Off-Shore-Gasfeld, Taninthavi, stießen die Texaco-Leute kürzlich unerwartet auf Öl. Und zur Zeit   baut der französische Konzern Total eine Pipeline für das Martaban-Gas vom Andamanischen Meer nach Thailand: Zwei Milliarden US-Dollar sind dafür veranschlagt. “Die Franzosen” sind damit laut der in Bangkok erscheinenden Exiloppositions-Zeitung “Irrawaddy” die derzeit  ‘ “größten lnvestoren in Burma”. Die 415 Kilometer lange Pipeline soll einmal acht Millionen Kubikmeter Gas täglich an ein 2100-Megawatt-Kraftwerk in Ratchaburi liefern. Um die Rohre vor Überfällen von Guerillatruppen zu sichern, wurden die Mon-Dörfer in dem Gebiet weiträumig zerstört und die Bevölkerung umgesiedelt. Bei der Aufschließung des Geländes schreckte die Regierung nicht vor dem Einsatz von Zwangsarbeitern in Fußfesseln zurück. Wie Shell in der Ogoni-Region Nigerias weigern sich die daran beteiligten Ölgesellschaften, mitverantwortlich zu sein. Auch sie stehen jedoch unter Druck, da mehrere ausländische Konzerne sich wegen der Menschenrechtsverletzungen der Militärregierung aus Burma inzwischen wieder zurückgezogen haben: so z.B. Levi-Strauss und Pepsi Cola.  Wegen der anhaltenden Unterdrückung der Demokratiebewegung haben sich auch IWF und Weltbank bisher geweigert, in Burma tätig zu werden. Dafür organisiert George Soros mit einer Burma-Initiativgruppe den Boykott gegen das Militär. Mit den Investitionen der oben genannten Ölkonzerne hat die “illegale Militärdiktatur”, wie das US-Centre for Constitutional Rights die SLORC-Regierung nennt, jedoch erst einmal einen Finanzierungsausweg gefunden.  Für Burmesen ist es trotz der forcierten Marktwirtschaft nach wie vor verboten, sich an den Öl- oder Gasgeschäften der Regierung zu beteiligen. Nicht einmal als Kunden: Die vielerorts entstandenen Flüssiggas-Tankstellen bedienen fast ausschließlich  die Dienstwagen von Regierungsbeamten.

Unter der fortdauemden Militärherrschaft hat sich die Wirtschaftspolitik Burmas mehr und mehr von ähnlichen Kräften leiten lassen wie die alten Twinyoes beim Aufspüren neuer Ölquellen: Sie engagierten dafür Hellseher und Zukunftsdeuter und versuchten vor allem, die Geister – Nats – versöhnlich zu stimmen. Der designierte Armeegeneral Ne Win operierte gerne mit seiner persönlichen Glückszahl 9: Nicht nur, daß er seinen Präsidialstuhl genau neun Inch höher als die Stühle der übrigen Minister bauen ließ, er gab 1987 zur Ankurbelung der Wirtschaft auch neue Geldscheine heraus, deren Nominalwerte alle durch neun teilbar waren: 45-Kyat- und 90-Kyatnoten z.B.. Die 45-Kyatnote ziert wie erwähnt ein Porträt des revolutionären Ölarbeiters Bo Hla Gyi, auf der Rückseite ist ein alter handgegrabener Ölbrunnen neben einigen modernen Fördertürmen abgebildet. Fast jeder Burmese verflucht mittlerweile diese Geldscheine, weil sich mit steigender Inflation (117 Kyat bekommt man derzeit auf dem Schwarzmarkt für einen Dollar) immer schwerer damit rechnen läßt.

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kommentare

  • […] Check it out! While looking through the blogosphere we stumbled on an interesting post today.Here’s a quick excerpt Endlich geht es los, könnte man sagen. Aber in Burma gibt es schon seit 30 Jahren einen Freiheitskampf. Die Militärregierung wird seitdem von gleich mehreren Guerillabewegungen bekämpft, teilweise vom Ausland aus. In Berlin ist seit Jahrzehnten das “Burma Project” aktiv. Ihre Mitglieder reisten als Individualtouristen auch immer wieder ins Land. In der SZ sagte der Mönch Pingnya (27), den Maike Zwercher in Nordburma interviewte: “Individualtouristen sind gut für uns, von ihnen bekommen wir Info […]

  • Vielen Dank für diesen Artikel – nur das mit dem “später geadelten Churchill” klingt zu sehr nach den verdienten Tories unserer Zeit. Adliger als Churchill konnte man in England kaum geboren werden.

  • Dieser Tage häufen sich die Nachrichten aus Burma. Die Militärregierung versucht nun immer massiver zu verhindern, dass Informationen über die Demonstrationen nach außen dringen. Anders als bei den anderen Malen werden dagegen jetzt die Neuen Medien ins Spiel gebracht. Die Spiegel online Redaktion kann sich bereits dafür erwärmen, dass diese das ganze Regime zu Fall bringen. Tatsächlich sind die Burmesen ziemlich computerbesessen, das kann man fast so allgemein sagen.

    Die taz berichtet aus Bangkok morgen vor allem über die Reaktionen des Militärs, angeblich gab es bereits die ersten Toten: “Augenzeugen in Birma haben berichtet, dass Sicherheitskräfte Mönche und andere Demonstrationsteilnehmer zusammengeschlagen oder auf Militärlastwagen abtransportiert hätten. Der in Thailand ansässige Zweig der oppositionellen Nationalen Liga für Demokratie, der Partei von Friedensnobelpreisträgerin Aung San, sagte, es seien bis zu 300 Mönche und prodemokratische Aktivisten verhaftet worden.”

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