vonHelmut Höge 25.10.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Fast täglich schickt nun das Ostbüro/telegraf eine Mail und informiert über den Stand der  Dinge. Hier die erste mail vom 22.10.:

ZeugInnenvorladungen durch die BAW (Bundesanwaltschaft) am 23., 24. und 25.10.2007 in Berlin

Am 31.07.2007 wurden Oliver, Florian und Axel festgenommen. Die Polizei wirft ihnen einen versuchten Brandanschlag auf Bundeswehr-LKWs vor. Zudem wurde Andrej in seiner Wohnung verhaftet. Ihm wird ein angeblich konspiratives Treffen mit einem der drei zuvor Festgenommenen vorgeworfen. Im Weiteren wurden Wohnungen und Arbeitsplätze im Umfeld der vier Verhafteten und dreier weiterer Personen durchsucht. Wie im Zuge der Durchsuchungen bekannt wurde, läuft das Ermittlungsverfahren gegen vier Beschuldigte bereits seit September 2006. Allen Sieben wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung mg (militante gruppe) nach § 129a StPO vorgeworfen.

Seit den Verhaftungen und Beschuldigungen wurden umfassende Ermittlungen auch auf das familiäre, private und politische Umfeld sowie auf die Arbeitsbereiche der vier Beschuldigten ausgeweitet. Der größte Teil der Ermittlungen läuft verdeckt, die Einschüchterungen und Ermittlungen gegen vermeintliche ZeugInnen aber durchaus direkt und offen. Es ist davon auszugehen, dass bei allen ZeugInnen Telefone, Emails und Internet-Traffic zuhause und auf Arbeit sowie Treffen mit FreundInnen überwacht wurden und werden. Von der Ausweitung von Observationen auf das weitere Umfeld ist auszugehen. Diese umfassenden Ausforschungen und der massive Eingriff werden mit abenteuerlichen Konstruktionen gerechtfertigt.

Nachdem in den letzten Wochen einige Leute vom BKA Vorladungen erhalten hatten und/oder auch durch eine direkte Ansprache aufgefordert wurden, etwas zu den Verhafteten zu sagen, sind am 10. Oktober 2007 schriftliche Ladungen von der BAW versandt worden. Bisher sind der ZeugInnengruppe und dem EA an die 20 Personen (4 Journalisten, FreundInnen, Bekannte, sowie Personen, die sich einen Zusammenhang zu den Beschuldigten nicht erklären können) bekannt.
Diese Entwicklung ist für den Alltag der Betroffenen in den letzten Wochen sehr bestimmend und setzt sie massiv unter Druck. Besonders schlimm ist die Situation für Leute mit Kindern. Wir gehen davon aus, dass die BAW diese besondere Lage systematisch als Druckmittel benutzt.

Allen zur BAW Vorgeladenen droht bei einer Aussageverweigerung die Verhängung von Ordnungsgeld (bis zu 1.000 €) und bei weiterer Verweigerung der Aussage kann Beugehaft (juristisch korrekt „Erzwingungshaft“) durch den Ermittlungsrichter von bis zu sechs Monaten angeordnet werden.
Mit dem Druckmittel von Ordnungsgeld und Beugehaft sollen die ZeugInnen gezwungen werden gegen ihre Freunde und Bekannte auszusagen. Dabei steht den Betroffenen ein Aussageverweigerungsrecht nur zu, wenn sie entweder mit den Beschuldigen verlobt, verwandt oder sonst in einem familiären Verhältnis stehen (§ 52 StPO) oder wenn sie sich durch ihre Aussagen selbst belasten (§ 55 StPO) könnten.
Ordnungsgeld oder Beugehaft kann auch nur wegen einer einzigen, nicht beantworteten Frage verhängt werden, wenn die BAW bzw. der Ermittlungsrichter der Auffassung sind, dass diese von besonderer Wichtigkeit für das Verfahren ist.
Es ist im Rahmen eines 129 a Verfahrens den ermittelnden Behörden nicht nur wichtig etwas über die vorgeworfene Tat zu erfahren, sondern sie stellen konkret Fragen über die persönlichen Zusammenhänge der Beschuldigten. In welchem Verhältnis steht oder stand die/der ZeugIn zu den Beschuldigten? Wie und wo haben die Beschuldigten sich früher engagiert? Mit wem standen und stehen sie in engem Kontakt? Und sogar welche Hobbys usw. haben die Beschuldigten? Eben auch Fragen die nicht unbedingt zu einer vermeintlichen Tataufklärung beitragen. Sie wollen Ansatzpunkte zu einer weiteren Durchleuchtung der beschuldigten Personen und Informationen, die ihnen in ihrem bisherigen Ermittlungsstand noch fehlen und zu denen sie sonst keinen Zugang bekommen. Hier sollen nun Freunde gezwungen werden, die persönlichen Verhältnisse der Beschuldigten preis zu geben. Dies geht aber niemanden – und besonders die BAW – etwas an!

Wer sich entscheidet, zu schweigen und keine Fragen der BAW zu beantworten, muss sich möglicherweise nicht nur mit der kommenden Haftsituation auseinandersetzen sondern auch damit, was mit dem Arbeitsplatz ist, wie das Kind versorgt werden soll und muss, wie die Miete zusammen kommt und, und, und…..
Aber auch auf denjenigen, die evtl. die Situation nicht aushalten, die wegen ihres Arbeitsplatzes oder anderen Gründen nicht mehrere Monate in den Knast gehen können, liegt ein immenser Druck. KeineR will den Beschuldigten schaden und niemand weiß, was die staatlichen Repressionsorgane eigentlich wollen. Die Gefahr durch Beantworten vermeintlich belangloser Fragen jemand anderen oder sich selbst zu belasten besteht bei jeder Frage. So ist es schon oft geschehen, dass aus einem Zeugen ein Beschuldigter geworden ist.
Wir können niemandem die Entscheidung wie er/sie sich verhält, abnehmen. Aber wenigstens den finanziellen Ruin werden wir gemeinsam verhindern. Neben Ordnungsgelde, Haftkosten und Anwaltshonoraren müssen laufende Kosten für Miete, Krankenversicherung etc. bezahlt werden. Dafür brauchen wir dringend finanzielle Unterstützung von Euch! Deshalb sammelt Geld, macht Party`s und/oder überlegt euch Patenschaften.
Spendenkonto:
Klaus Schmidt, Konto-Nr.: 20610-106, BLZ: 10010010 Stichwort „Keine ZeugInnen“

Solidarität statt Paranoia!
Wir lassen niemanden allein!
Aussageverweigerungsrecht für ALLE!!!
Schafft Öffentlichkeit, sammelt Spenden!
– Solidarität mit allen Verhafteten und Beschuldigten!
Kontakt zur ZeugInnengruppe:
keine-zeuginnen [at] so36.net

Zweite Mail:

Bündnis für die Einstellung des § 129a-Verfahrens
c/o Haus der Demokratie und Menschenrechte e.V.
Greifswalder Straße 4
D-10405 Berlin
Deutschland
einstellung [at] so36.net
http://einstellung.so36.net
Telefon 01577-4300652


An die Redaktionen


Berlin, 23. Oktober 2007


*Pressekonferenz zur Urteilsverkündung des Bundesgerichtshofes*


Sehr geehrte Damen und Herren,

angesichts der angekündigten Entscheidung des Bundesgerichtshofes über die
Haftbeschwerde von Andrej H. lädt das Bündnis zur Einstellung des
129a-Verfahrens Sie zu einer Pressekonferenz ein.

am Mittwoch, 24. Oktober
um 14 Uhr
im Haus der Demokratie, Robert-Havemann-Saal

Anwesend sein werden:

Cristina Clemm, Rechtsanwältin von Andrej H.
Wolfgang Kaleck, Vorsitzender des Republikanischen Anwaltsvereins und
Verteidiger im Verfahren
Alain Mundt, Rechtsanwalt bei den ZeugInnenvorladungen
Ulrich von Klingengräff, Verteidiger im Verfahren

Wir freuen uns, Sie dort begrüßen zu können.
Claudia Grothe
Bündnis zur Einstellung der 129a-Verfahren
 Dritte Mail:
Berlin, 23. Oktober 2007

Kundgebung gegen Aussageerpressung am Mittwoch in Berlin

Im §129a-Verfahren gegen vermeintliche Mitglieder der "militanten gruppe" legt die Bundesanwaltschaft (BAW) nach. Im Verfahren gegen die in U-Haft sitzenden Axel, Florian, Oliver und Andrej, der derzeit von der Haft verschont ist sowie drei weitere Beschuldigte sind mindestens 20 Personen von der BAW vorgeladen. Darunter sind FreundInnen und Bekannte, aber auch Personen, die sich einen Zusammenhang zu den Beschuldigten nicht erklären können.

Allen zur BAW Vorgeladenen droht bei einer Aussageverweigerung die Verhängung von Ordnungsgeld bis zu 1.000,00 €. Bei weiterer Verweigerung der Aussage kann Beugehaft (juristisch korrekt „Erzwingungshaft“) durch den Ermittlungsrichter von bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Mit dem Druckmittel von Ordnungsgeld und Beugehaft sollen die ZeugInnen gezwungen werden gegen ihre Freunde und Bekannte auszusagen. Dabei steht den Betroffenen ein Aussageverweigerungsrecht nur zu, wenn sie entweder mit den Beschuldigen verlobt oder verwandt sind oder sonst in einem familiären Verhältnis stehen (§ 52 StPO) oder wenn sie sich durch ihre Aussagen selbst belasten (§ 55 StPO) könnten.

Um die ZeugInnen zu unterstützen, laden wir zu einer Kundgebung ein:


am Mittwoch, 24.10.2007
ab 15:30 Uhr
am BKA Treptow (Berlin), Elsenstr./Ecke Am Treptower Park


Wir freuen uns über eine Ankündigung und die Berichterstattung in Ihren Medien.


Kontakt:
ZeugInnengruppe / Ermittlungsausschuss Berlin
Gneisenaustr. 2a
10961 Berlin
keine-zeuginnen [at] so36.net
Pressekontakt: 0157 / 72 13 67 63
Vierte Mail:

EA / ZeugInnengruppe

23.10.2007 15:53

Heute begannen die ersten ZeugInnenvorladungen durch die Bundesanwaltschaft (BAW) im
129a (mg) Prozess .

Um 9:00h heute morgen begannen die ersten Termine der als ZeugInnen geladenen Personen im 129a (mg) Prozess durch die BAW. Soweit uns bis jetzt bekannt ist ging die Befragung (zumindest der ersten 3 Personen) sehr schnell über die Bühne, da gleich die erste Frage mit:” Ich mache hier keine Aussagen” beantwortet wurde. Darauf hin verhängte die BAW ein Strafgeld in noch nicht bekannter Höhe (möglich sind bis zu 1000 Euro) und die Person konnte wieder gehen. Allerdings ist es der BAW möglich Personen mehrfach zu laden und dann auch Erzwingungshaft/Beugehaft von bis zu 6 Monaten zu verhängen.
Da wir aber davon ausgehen das auch bei weiteren als ZeugInnen vorgeladenen Personen Strafgelder und darauffolgend eventuell auch noch Erzwingungshaft/Beugehaft verhängt werden, sind wir auf eure Solidarität angewiesen.

Also kommt alle Morgen am 24.10. um 15:30h Elsenstr./Am Treptower Park (gegenüber des BKA Gebäudes in dem die ZeugInnenbefragungen stattfinden) zur Kundgebung gegen die Aussageerpressung!!!

oder spendet z.B. auf das EA-Konto:
Klaus Schmidt
Konto Nr.: 20610-106
BLZ: 10010010
Stichwort: “Keine ZeugInnen”

weiter Informationen findet ihr unter:

http://de.indymedia.org/img/extlink.gif http://einstellung.so36.net

Fünfte Mail:

Haftbefehl gegen Berliner Soziologen aufgehoben

Die Bundesrichter haben gerade den skandalösen Haftbefehl gegen Dr. Andrej Holm aufgehoben, wollen aber nicht sagen was eine terroristische Vereinigung ist.

http://juris.bundesgerichtshof.de

Mitteilung der Pressestelle

Nr. 154/2007

Haftbefehl gegen Berliner Soziologen aufgehoben

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten – einen promovierten Soziologen, der u. a. an der Berliner Humboldt-Universität beschäftigt ist – ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Auf seinen Antrag hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 1. August 2007 Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen. Dieser ist auf den Vorwurf gestützt, der Beschuldigte habe sich mitgliedschaftlich an der linksextremistischen gewaltbereiten Organisation “militante Gruppe (mg)” beteiligt, der die Strafverfolgungsbehörden, insbesondere aufgrund entsprechender Selbstbezichtigungsschreiben, eine Serie von Brandanschlägen zurechnen, die seit mehreren Jahren überwiegend in dem Gebiet Berlin/Brandenburg begangen worden sind. Mit Beschluss vom 22. August 2007 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt, worauf der Beschuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist. Gegen diesen Beschluss hat der Generalbundesanwalt Beschwerde eingelegt.

Sechste Mail:

Taz, 25.10.2007

Der Soziologe Andrej Holm, der als Andrej H. unfreiwillig berühmt wurde,
verlangt seine volle Rehabilitierung.

INTERVIEW: UWE RADA


taz: Herr Holm, sind Sie erleichtert?

Andrej Holm: Ja.

Haben Sie damit gerechnet, dass der Bundesgerichtshof den Haftbefehl
nicht nur ausgesetzt lässt, sondern sogar aufhebt?

Die Anwälte waren optimistisch, weil sie die Aktenlage kennen. Der BGH
hat nun bestätigt, dass die Vorwürfe Konstrukte sind, wilde Thesen.

Für den Ermittlungsrichter am BGH, der den Haftbefehl gegen Sie am 1.
August ausgestellt hat, reichten diese "Konstrukte und Thesen"
allerdings aus.

Deshalb war nicht unbedingt damit zu rechnen, dass der 3. Strafsenat den
Haftbefehl nun komplett aufheben würde. Aber wir gingen davon aus, dass
die Haftverschonung bestätigt wird. Dagegen hatte ja die
Bundesanwaltschaft Beschwerde eingelegt. So, wie es nun gekommen ist,
ist es eine schallende Ohrfeige für die Bundesanwaltschaft. Der BGH hat
klargemacht, dass man alleine mit Spekulationen keinen dringenden
Tatverdacht und damit einen Haftbefehl begründen kann.

Welche Rolle spielte der öffentliche Druck? Es gab ja selten bei einem
129a-Verfahren so große internationale Proteste.

Wie mir meine Anwälte versichern, ist mein Fall der erste, bei dem ein
Beschuldigter, der wegen 129a in Untersuchungshaft kommt, noch vor
Prozessbeginn wieder rauskommt. Zumindest für die Haftverschonung vom
21. August ist der Protest hier in Deutschland, aber auch international
von großer Bedeutung gewesen. Es haben sich ja nicht nur Wissenschaftler
zu Wort gemeldet. Auch bei der Generalbundesanwältin kamen tausende
Briefe an.

Der internationale Protest richtete sich gegen die Festnahme des
Soziologen Andrej Holm. In seiner gestrigen Entscheidung bescheinigt
Ihnen der BGH aber auch eine "Einbindung in die linksextremistische Szene".

Die Unterstützer haben sicher meine Arbeit als Stadtsoziologe in den
Vordergrund gestellt. Auf der anderen Seite war immer klar, dass es auch
darum geht, dass ich als Linker in sozialen Basisbewegungen aktiv bin.
Das ist Teil meiner Überzeugung, die auch meinen Kollegen aus der
Wissenschaft bekannt ist. In den Stellungnahmen ist aber auch explizit
darauf hingewiesen worden, dass es kein Verbrechen ist, wenn die
Wissenschaft sich mit sozialen Bewegungen verbündet; wenn wir also den
Elfenbeinturm der Theorien verlassen und uns in die Protestbewegungen
einmischen. Die Unterstützungsbewegung war damit auch eine Unterstützung
für die kritische Wissenschaft.

An Ihrem Namen bleibt trotz allem der Vorwurf des Terrorismusverdachts.
Was heißt das für Ihren weiteren Werdegang als Soziologen, der ja auch
von öffentlichen Aufträgen abhängig ist?

Wenn man meinen Namen jetzt im Internet eingibt, tauchen vor meiner
fachlichen Expertise zwei Seiten Fallbeschreibung Andrej H. auf. Das ist
natürlich für jeden künftigen Auftraggeber eine Hürde, die es zu
überwinden gilt. Wir werden nun mit der Forderung Druck machen, das
Verfahren einzustellen. Wir werden darüber hinaus dazu beitragen, den
Verlauf des Verfahrens in dem notwendigen Maße, auch für die
Öffentlichkeit, zu dokumentieren, um zur endgültigen Rehabilitierung zu
gelangen.

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Taz, 25.10.2007, Kommentar
VON UWE RADA

Am Mittwoch wurde in Berlin der Opfer der RAF gedacht. Dabei warb
Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erneut für seine neuen
Antiterrorgesetze. Zur gleichen Zeit kam in Karlsruhe der 3. Strafsenat des
Bundesgerichtshofs zusammen. Seine Aufgabe war keine historische: Es ging um
die Bewertung der aktuellen Ermittlungsmethoden im Kampf gegen den
Terrorismus.
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Im konkreten Fall hatte das Gericht zu entscheiden, ob der unter
Terrorverdacht stehende Berliner Soziologe Andrej Holm wieder in
Untersuchungshaft muss. Den Haftbefehl gegen Holm hatte es drei Wochen nach
seiner Verhaftung am 1. August ausgesetzt. Daraufhin hatte
Generalbundesanwältin Monika Harms Beschwerde eingelegt. Zur Überraschung
vieler haben die Bundesrichter gestern nicht nur die Beschwerde abgelehnt,
sie haben den Haftbefehl sogar in toto aufgehoben.

Kann man den Terror, die Entführungen und Morde der RAF mit Brandanschlägen
auf Bundeswehrfahrzeuge gleichsetzen?
Generalbundesanwältin Monika Harms, die am Mittwoch bei der offiziellen
Trauerfeier für die RAF-Opfer dabei war, hat dies getan. Ihre Behörde rückt
linken Brandstiftern mit dem gleichen Paragrafen 129 a zu Leibe wie einst
den Mitgliedern der RAF. Und sie scheut auch nicht davor zurück, auf
abenteuerliche Konstrukte zurückzugreifen, um gegen Verdächtige das ganze
Antiterrorprogramm aufzufahren, das Schäuble noch verschärfen will.

Das Gericht hat dem nun einen Riegel vorgeschoben. Ein bloßer Verdacht
rechtfertige zwar Ermittlungen, aber noch lange keinen Haftbefehl, so ihr
Urteil. Da müsse die Bundesanwaltschaft schon mehr bringen als vage
Vermutungen. Deutlicher kann eine Ohrfeige für die Ermittlungsbehörden nicht
ausfallen.

Bleibt die Frage, ob es sich bei den weiteren Beschuldigten, die zur
gleichen Zeit wie Holm festgenommen wurden, um Mitglieder einer
terroristischen Vereinigung handelt. Darüber hat das Gericht am Mittwoch
nicht entschieden. Es wird das aber bald müssen.

Darf man Sachbeschädigungen als "Terrorismus" werten? Die Antwort kann vor
dem Hintergrund des Deutschen Herbstes nur lauten: nein. Denn solcher
Übereifer untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat.

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Stern
http://www.stern.de/politik/deutschland/:Militante-Gruppe-Ab/600888.html

Der Bundesgerichtshof hat den Haftbefehl gegen einen Berliner Soziologen
aufgehoben, der Mitglied der "Militanten Gruppe" sein soll. Die
entscheidende Frage aber hat das Gericht nicht beantwortet: Handelt es sich
bei der "MG" um Terroristen?

Eine Spurensuche von Susanne Balthasar.

Es war wohl ein Grillanzünder, der in jener Juli-Nacht in Brandenburg zum
Einsatz kam. Das ist das übliche Hilfsmittel, mit dem die Autos flambiert
werden: Ein kokelnder Grillanzünder wird auf den Reifen gelegt. Am nächsten
Tag steht dann in der Zeitung: Wieder Brandanschlag auf Auto - über 80 waren
es allein in diesem Jahr in Berlin. Meistens werden die teureren Sorten
abgefackelt, inzwischen brennen auch kleinere Autos, Firmenwagen oder
Polizeiautos. In Brandenburg ging es um drei Lkw der Bundeswehr. Zu einigen
Brandanschlägen hat sich die "Militante Gruppe" (MG) bekannt. Sind deren
Mitglieder Terroristen?

Der Generalbundesanwalt ermittelt unter dieser Annahme und beantragte im
August Haftbefehl gegen Andrej H. einen promovierten Soziologen, der
Mitglied der "MG" sein soll. Der Bundesgerichtshof (BGH) setzte den
Haftbefehl aus, der Generalbundesanwalt legte Beschwerde ein, der BGH lehnte
die Beschwerde diesen Mittwoch ab. Damit bleibt Andrej H. auf freiem Fuß.
Aber die entscheidende Frage ist immer noch nicht geklärt.
Das BGH wird in den kommenden Wochen in einer zweiten Entscheidung klären
müssen, wie die "MG" einzustufen ist.

"MG" strebt kommunistische Weltherrschaft an Nimmt man ihre eigenen
Verlautbarungen ernst, ist die "Militante Gruppe"
eine linksterroristische Vereinigung. Sie strebt eine kommunistische
Weltordnung an und will dafür die Strukturen der Gesellschaft zerschlagen.
Zu insgesamt 25 Anschlägen gegen öffentliche Gebäude oder Fahrzeuge hat sich
die "MG" bekannt, Personenschaden hat es nie gegeben.
Nach sechs Jahren Fahndung wurden nach der Brandenburger Feuernacht mit den
drei mutmaßlichen Tätern und Andrej H. erstmals vermeintliche Mitglieder
verhaftet. Außerdem werden drei weitere Berliner Wissenschaftler und
Publizisten verdächtigt, der "MG" anzugehören.

Andrej H. gilt als Kopf der Berliner Gruppe. Er hatte sich schon Monate vor
dem Anschlag mit einem der mutmaßlichen Brandstifter von Brandenburg
getroffen. Gemeinsam mit seinen akademischen Freunden geriet der Soziologe
schon Mitte 2006 ins Visier der Fahnder. Der Verdacht nach Paragraf 129a:
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die im Haftbefehl
dargestellte Beweislage ist allerdings dünn. Einer der Wissenschaftler macht
sich durch seinen Beruf verdächtig: "Als promovierter Politologe ist er zum
einen intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der 'Militante(n)
Gruppe' zu verfassen, zum anderen stehen ihm als Mitarbeiter eines
Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen
kann, um die erforderlichen Recherchen durchzuführen." Ein anderer verwendet
soziologische Begriffe wie "Gentrifikation", die auch in den "MG"-Texten
vorkommen. Reicht das aus? Namhafte Wissenschaftler haben gegen die
anfängliche Inhaftierung von Andrej H. protestiert; die englische Zeitung
"The Guardian" ätzte über das "Guantanamo in Germany".

"Rechne mit einer Einstellung des Verfahrens"
Würde der Terrorismusparagrafen 129a tatsächlich zur Anwendung kommen,
drohen Andrej H. und seinen Freunden einige Jahre Haft. Doch davon will
Matthias Weise, einer der Verdächtigen, der in Wirklichkeit anders heißt,
nichts wissen. "Ich rechne mit einer Einstellung des Verfahrens", sagt er
stern.de bei einem Gespräch in einem Berliner Café. Er hatte im Juli 2007
auf der Arbeit davon erfahren, dass die Bundesanwaltschaft gegen ihn
ermittelt. Seine Freundin rief auf dem Handy an: "Die Polizei ist da, deine
Wohnung wird durchsucht."

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Arnulf Baring: Lafontaine ein "nationaler Sozialist"
Bundesdatenschutzbeauftragter Peter Schaar: "Jeder hat etwas zu verbergen"
Das Terrorjahr 77: Die Geschichte der RAF Auch Anwalt Sven Lindemann, der
einen der mutmaßlichen Attentäter von Brandenburg vertritt, gibt sich
gelassen: "Ich halte den Terrorismusverdacht für unhaltbar." Lindemann
zitiert den Paragrafen 129a. Darin heißt es, die Straftat müsse bestimmt
sein, "durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen eine
internationale Organisation erheblich zu schädigen." Wie sollen drei
angezündete Lkw einen Staat erheblich gefährden, fragt Lindemann. Wenn bei
den - nun schon traditionellen - Ausschreitungen am ersten Mai in Kreuzberg
die Autos brennen ist nur von Randale und Chaoten die Rede.

Generalbundesanwältin Monika Harms sieht das im Fall der "MG" naturgemäß
anders. Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte sie Ende August:
"Der Staat soll vorgeführt werden als einer, der solchem Treiben hilflos
ausgeliefert ist. Das darf man nicht verharmlosen. Es sind keine dummen
Bubenstreiche, wenn Autos angezündet werden." Dass die Tat bei den
Mai-Krawallen als weniger schwer wiegendes Delikt gilt, erklärt ein Sprecher
der Bundesanwaltschaft, spiele dabei keine Rolle. Wichtig sei, dass die
Mitglieder der "MG" mehrfach ihre revolutionäre Absicht erklärt haben.

Paragraf 129 weitet Befugnisse mächtig aus Die Folgen für die Beschuldigten
sind enorm. Bei einem Paragraf-129a-Verfahren weiten sich die Befugnisse der
Ermittler mächtig aus. Zunächst einmal verschieben sich die Zuständigkeiten
von der
Landes- auf die Bundesebene. "Die Ich-hab-nichts-zu-verbergen-Fraktion
würde staunen, wenn die wüsste, was da möglich ist", sagt Matthias Weise.
Dann zählt er auf: Sein Handy und das seiner Freundin wurden abgehört und
geortet. Seine Internet-Logins wurden beim Provider überprüft, ein GPS in
sein Auto montiert, eine Kamera vor der Haustür.
Anhaltspunkte für einen Verdacht sind schnell gefunden: Wenn man bei einer
Verabredung am Telefon nicht Grund und Ort nennt, kann das für das BKA ein
Indiz für ein konspiratives Treffen sein. Weise nennt das Vorgehen der
Ermittler "gruselig".

Unter Strafrechtsexperten ist der Paragraf 129a umstritten. "Lex RAF"
nennen ihn seine Kritiker oder auch "Ermittlungsparagraf". Sie befürchten,
dass der Staat seine erweiterten Befugnisse missbraucht, um Einblick in die
politische Subkultur zu bekommen. Schätzungen zufolge verlaufen über 90
Prozent der Verfahren im Sande. Nur selten kommt es zu einer Anklage, die
Verurteilungen der letzten Jahre lassen sich an einer Hand abzählen.
Gleichwohl kritisiert Lindemann den Paragrafen scharf:
"Das ist ein politischer Kampfbegriff um Leute zu kategorisieren."

Einzelhaft, Glasscheibe, Zensur
Im Falle seines Mandanten heißt das: Einzelhaft, Besucher dürfen ihn nur
durch eine Glasscheibe sehen, und die Post des Verteidigers wird mitgelesen.
Würde das gleiche Verfahren etwa wegen Brandstiftung laufen, da ist sich
Lindemann sicher, wären alle drei Männer auf freien Fuß gesetzt worden.
Schließlich ist keiner von ihnen strafrechtlich aufgefallen, alle haben
Arbeit und einen festen Wohnsitz.

Andrej H. ist vorerst draußen. Aber das bedeutet nichts. In den kommenden
Wochen wird der BGH noch mal entscheiden. Dann wird es darum gehen, ob die
"MG" als terroristische Vereinigung einzustufen ist. Die Deutschen werden
dann aufhorchen. Möglicherweise werden sie erfahren, dass das Gericht zu
wissen glaubt, dass die RAF nicht ohne Nachahmer geblieben ist.

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junge Welt, 25.10.2007 / Inland / Seite 5

»Ziel bleibt Einstellung des Verfahrens«
Internationale Solidarität hat zur Aufhebung des Haftbefehls beigetragen.
Ein Gespräch mit Andrej Holm
Interview: Sebastian Wessels
Der Berliner Soziologe Andrej H. wurde am 31. Juli 2007 wegen »Verdachts auf
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« nach Paragraph 129a des
Strafgesetzbuchs in Untersuchungshaft genommen und ist seit 22. August gegen
Kaution auf freiem Fuß. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft H. vor, als
Verfasser von Bekennerschreiben an einer als terroristisch eingestuften
Organisation namens »militante gruppe« (mg) beteiligt zu sein


Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat den Haftbefehl gegen Sie
aufgehoben. Die Karlsruher Richter sehen anders als die Bundesanwaltschaft
(BAW) keinen dringenden Tatverdacht. Sind Sie erleichtert?
Ja, auf jeden Fall. Der Druck eines Haftbefehls ist nicht so einfach
auszuhalten, zumal die BAW ja gefordert hatte, mich wieder in
Untersuchungshaft zu nehmen. Überrascht hat mich die Entscheidung aber nicht
sehr, denn aus den Akten läßt sich mit halbwegs gesundem Menschenverstand
kein Haftbefehl konstruieren. Auf der anderen Seite sind wir ein bißchen
enttäuscht darüber, daß sich der BGH noch nicht durchringen konnte, die
Grundsatzentscheidung zu treffen, ob der Paragraph 129a in diesem Fall
überhaupt angewendet werden kann.

Diese Entscheidung steht noch an?
Für die anderen drei Beschuldigten, die noch in Untersuchungshaft sitzen,
haben die Anwälte Haftbeschwerden eingereicht. In den kommenden Wochen ist
daher mit einer Grundsatzentscheidung des BGH zu rechnen.

Die BAW hatte gegen Ihre Haftverschonung sofort Widerspruch eingelegt;
begründet hat sie dies mit angeblich dringendem Tatverdacht und
Fluchtgefahr. Wie erklären Sie sich, daß derart schwere Geschütze gegen Sie
aufgefahren werden?
Ich erkläre mir das so, daß die BAW nicht hinter das von ihr aufgestellte
Konstrukt zurückweichen wollte. Der Ermittlungsrichter hat ja auf ihren
Antrag hin ein Jahr lang immer wieder diese stetig zunehmenden
Überwachungsmaßnahmen gegen mich und die anderen Beschuldigten beschlossen,
immer auf Grundlage des angeblichen Tatverdachts. Man hätte also im Prinzip
ein Jahr intensive Ermittlungs- und Ausschnüffelungsarbeit in den Wind
schreiben müssen. Doch wie die Bundesrichter nun deutlich gemacht haben,
waren die Maßnahmen rechtswidrig. Nur mit einem Anfangsverdacht nach 129a
läßt sich dieser tiefe Eingriff in die Persönlichkeitsrechte nicht
begründen, den wir erleben mußten. Ein Haftbefehl erst recht nicht.

Sie haben viel öffentliche Solidarität erfahren – seitens des Bündnisses für
die Einstellung der 129a-Verfahren, aber auch von Wissenschaftlern aus dem
In- und Ausland. Hatte das einen Einfluß auf das Vorgehen der Behörden?
Die Unterstützung auch aus dem internationalen Raum hat sicher dazu
beigetragen, daß der Ermittlungsrichter die Haftverschonung angeordnet hat.
Soweit wir informiert sind, bin ich auch seit Jahren der erste, der aufgrund
eines Vorwurfs nach 129a in Haft genommen und vor Verfahrensbeginn wieder
herausgelassen wurde.

Was sind die nächsten Schritte?
Zunächst warten wir ab, wie der BGH auf die drei Haftbeschwerden reagieren
wird. In jedem Fall wird auch weiterhin breite Unterstützung notwendig sein.
Ziel bleibt die Einstellung des Verfahrens für alle sieben Betroffenen.

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bdt0576 3 pl 548  dpa 4519
KORR-Inland/Terrorismus/
BGH steht vor der Frage: Was ist eigentlich «Terrorismus»?
Von Wolfgang Janisch, dpa =
Karlsruhe (dpa) - Im Jahr 2007 dürfte «Terrorismus» zu den meistgebrauchten
Wörtern gehören. Die allgegenwärtige Bedrohung durch islamistische
Glaubenskrieger ebenso wie das Gedenken an die Terrortaten der Roten Armee
Fraktion (RAF) haben dem Begriff Konjunktur verschafft. Da mutet die Frage
fast ein wenig überraschend an, der sich der Bundesgerichtshof
(BGH) demnächst wohl widmen wird: Was genau ist eigentlich Terrorismus?
Auslöser ist ein Fall, der - ohne ihn zu verharmlosen - eher zur Kategorie
«Terrorismus light» gezählt werden darf. Die «militante gruppe» (mg) fackelt
seit rund sechs Jahren im Raum Berlin Polizeiautos ab oder wirft
Molotow-Cocktails auf Behördengebäude und schickt seitenlange
Bekennerschreiben hinterher, in denen wahlweise gegen den «neuen deutschen
Imperialismus», die «G8-Schweine» oder die «kapitalistische Barbarei»
polemisiert wird. Es bleiben beträchtliche Schäden zurück - doch Risiken
für Menschen haben die nachtaktiven Militanten bisher sorgsam vermieden.
Am Mittwoch kassierte der BGH den ohnehin schon außer Vollzug gesetzten
Haftbefehl gegen einen Berliner Soziologen, der - so glauben die Ermittler -
die Bekennerschreiben für die Truppe formuliert haben soll. Die Indizien
waren zu dünn, befand der BGH. Gerichtsroutine also. Wäre da nicht die vom
BGH selbst aufgeworfene Frage, «ob es sich bei der "militanten gruppe" nach
den Maßstäben der einschlägigen Strafvorschrift tatsächlich um eine
terroristische Vereinigung handelt».    Noch lässt der BGH die Frage
unbeantwortet, doch in etwa drei Wochen könnte er sich dazu äußern. Dann
will er über die Haftbeschwerden von drei mutmaßlichen «mg»-Mitgliedern
entscheiden, die Ende Juli beim Versuch geschnappt wurden,
Bundeswehrlastwagen in Brandenburg anzuzünden.    Zwar ist der
Terrorismusparagraf 129 a Strafgesetzbuch seit seiner Schaffung im Jahr 1976
oft genug unterhalb der Schwelle von Mord und Bombenanschlägen zum Einsatz
gekommen. Doch vor vier Jahren hat die rot-grüne Koalition erstmals eine
Definition von «Terrorismus» ins Gesetz geschrieben. Ein Begriff, der schon
deshalb international hoch umstritten ist, weil ein und dieselbe Person
entweder Terrorist oder Freiheitskämpfer sein kann - je nach
Perspektive.    Nach der Definition gehören zwar nach wie vor mittlere
Delikte wie Brandstiftung und die «Störung öffentlicher Betriebe» zum
Katalog der Terrortaten. Voraussetzung ist aber nun, dass sie bestimmt sind,
beispielsweise «die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern» oder
«Grundstrukturen eines Staates ... zu beseitigen oder erheblich zu
beeinträchtigen».    Damit setzte Rot-Grün einen EU-Rahmenbeschluss um -
durchaus in dem Bewusstsein, dass der Paragraf damit auf den «Kernbereich
terroristischer Gefährdungen» begrenzt werde. Kritiker fordern, dass dies
nun auch in die Tat umgesetzt werden muss. Terroristisch sei eine Tat nur
dann, wenn sie staatliche Tätigkeiten so stark beeinträchtige, «dass der
Staat als Ganzes leidet», schreibt der Kölner Strafrechts-Professor Thomas
Weigend in einem Aufsatz. Die Taten der «mg» dürften an der Grenze
liegen.    Klarere Konturen für den Terrorismusparagrafen werden auch
deshalb gefordert, weil er häufig nur als Vehikel zur Einleitung von
Ermittlungen genutzt wird, wenn noch kein Verdacht auf konkrete Straftaten
vorliegt. Gegen mehr als 1300 Personen wurde in den 90er Jahren wegen
Terrorverdachts ermittelt - im selben Zeitraum gab es nicht einmal 40
Urteile aufgrund der Vorschrift.    Im Mai hatte sich der BGH schon einmal
mit einer Korrektur befasst. Die rot-grüne Regierung hatte die bloße Werbung
für eine terroristische Vereinigung, die zu RAF-Zeiten die «Sympathisanten»
ins Visier der Ermittler brachte, aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. In
einer Grundsatzentscheidung stellte der BGH klar, dass fortan nur noch das
konkrete Werben um Unterstützer für eine bestimmte Gruppierung
strafrechtlich geahndet werden kann - weshalb der allgemeine Aufruf zum
Dschihad («Heiliger Krieg») nicht mehr als Werbung für eine Terrorgruppe
gilt. Der Beschluss stammt vom 3. Strafsenat - der nun auch für die
«mg»-Haftbeschwerden zuständig ist. dpa wj yyswb a3 ol241643 Okt
07

brb0112 3 pl 520  lbn 4517
Terrorismus/Linksextremismus/
(Zusammenfassung 1645 - neu: Künast und Kundgebung) BGH hebt Haftbefehl
gegen Berliner Soziologen auf =  Karlsruhe/Berlin (dpa/bb) - Der
Bundesgerichtshof (BGH) hat den Haftbefehl gegen den Berliner Soziologen
Andrej H. aufgehoben, dem eine Mitgliedschaft in der linksextremen
«militanten gruppe» (mg) vorgeworfen wird. Nach einem am Mittwoch
veröffentlichten Beschluss besteht zwar Anlass zu Ermittlungen gegen den
Wissenschaftler. Ein «dringender Tatverdacht», der für einen Haftbefehl
erforderlich ist, liege aber nicht vor. Der 36-Jährige ist schon seit Ende
August auf freiem Fuß. Sein Haftbefehl war gegen Auflagen außer Vollzug
gesetzt worden. Der BGH steht zudem möglicherweise vor einer
Grundsatzentscheidung zur Einstufung extremistischer Aktivitäten als
Terrorismus.  Der Soziologe war mit drei anderen Verdächtigen aus Berlin
verhaftet worden. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen Mitgliedschaft in der
linksextremistischen «militanten gruppe» vor, die für zahlreiche
Brandanschläge verantwortlich gemacht wird.    Der Wissenschaftler sei nach
bisherigen Erkenntnissen in die linksextremistische Berliner Szene
eingebunden, unter anderem bei der Veröffentlichung der Szenezeitschrift
«radikal», hieß es am Mittwoch beim BGH. Auch soll er konspirative
Kontakte zu mindestens einem Mitbeschuldigten unterhalten haben.    Einer
der Anwälte des Soziologen, Volker Ratzmann, sagte, durch die Entscheidung
habe sich bestätigt, dass die Vorwürfe gegen den Soziologen «haltlos und
konstruiert» seien. Die Anwälte wollten nun die Einstellung des Verfahrens
beantragen, erklärte Ratzmann, der auch Fraktionsvorsitzender der Grünen im
Berliner Abgeordnetenhaus ist. Durch die BGH-Entscheidung sei klar, dass
auch die Haftbefehle gegen die anderen Verdächtigen aufgehoben werden
müssten.    Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im
Bundestag, Renate Künast, sprach von einer «Ohrfeige für die
Generalbundesanwaltschaft». «Es kann in einem Rechtsstaat nicht angehen,
dass eine Person aus blindem Verfolgungseifer der Behörden für Wochen und
Monate auf einer so kümmerlichen Beweislage in Haft genommen werden kann.»
Die Linke und ein Sprecher des «Bündnisses für die Einstellung des
129a-Verfahrens» begrüßten die Entscheidung des Bundesgerichtshofes. Das
Bündnis hatte für Mittwochnachmittag zu einer Kundgebung vor dem Standort
des Bundeskriminalamtes in Treptow aufgerufen. Nach Angaben der Polizei
nahmen etwa 35 Menschen an der Aktion teil.    Die drei weiteren
mutmaßlichen mg-Mitglieder waren Ende Juli beim Versuch festgenommen worden,
auf dem Gelände der Firma MAN in Brandenburg/Havel drei Bundeswehrlastwagen
anzuzünden. Damals erwirkte die Bundesanwaltschaft erstmals Haftbefehle
gegen die bisher im Verborgenen agierenden Gruppierung.
Seit 2001 hat sich die mg zu mehr als zwei Dutzend militanter Aktionen vor
allem im Raum Berlin bekannt. Dabei handelt es sich vorwiegend um
Brandanschläge auf Behörden und Fahrzeuge, Menschen sind bisher nicht
verletzt worden. Nach Erkenntnissen der Ermittler soll der 36-jährige
Soziologe die Bekennerschreiben verfasst haben.    In seiner Entscheidung
ließ der 3. Strafsenat ausdrücklich die Frage offen, «ob es sich bei der
"militanten Gruppe" nach den Maßstäben der einschlägigen Strafvorschrift
tatsächlich um eine terroristische Vereinigung handelt» (Az: StB 34/07 -
Beschluss vom 18. Oktober 2007). Mit diesem unter Juristen umstrittenen
Thema könnte sich der BGH in etwa drei Wochen befassen. Dann will das
Gericht laut einem Sprecher über die Beschwerden dreier weiterer
mutmaßlichen mg-Mitglieder gegen ihre Inhaftierung entscheiden.    Unter
Juristen ist umstritten, ob Brandstiftungen und Sachbeschädigungen mit
«politischer» Zielrichtung schon für den Vorwurf einer terroristischen
Vereinigungen ausreichen. Nach einer Änderung des Terrorismusparagrafen 129
a Strafgesetzbuch müssten solche Straftaten dazu bestimmt sein, die
Grundstrukturen eines Staates «zu beseitigen oder erheblich zu
beeinträchtigen». (Internet: www.bundesgerichtshof.de) dpa wj/lt yybb z2 bn
241641 Okt 07
xbn039 3 pl 462 vvvva DDP0600
bln/pl/Terrorismus/Soziologe/Haftbefehl/BGH/ZF2/
(Zweite Zusammenfassung - Neu: Bundesanwaltschaft) Terrorverdächtiger
Soziologe bleibt auf freiem Fuß - BGH hebt Haftbefehl auf - Verteidigung
kritisiert Bundesanwaltschaft --Von Norbert Demuth und Mirko Hertrich--=

Karlsruhe/Berlin (ddp-bln). Der unter Terrorismusverdacht stehende Berliner
Soziologe Andrej H. bleibt auf freiem Fuß. Der Staatsschutzsenat des
Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe hob den Haftbefehl gegen den
Wissenschaftler komplett auf. Ein «dringender Tatverdacht» bestehe derzeit
nicht, hieß es in dem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss zur Begründung.
Es sei nicht sehr wahrscheinlich, dass Andrej H. sich in einer
«terroristischen Vereinigung» als Mitglied beteiligt habe. Damit stellte
sich der BGH gegen die Auffassung der Bundesanwaltschaft.

Der Terrorismus-Vorwurf gegen den Forscher hatte bei Wissenschaftlern
weltweit für Proteste gesorgt. Die Bundesanwaltschaft legt dem an der
Humboldt-Universität beschäftigten Soziologen zur Last, sich in der
Organisation «militante gruppe» (mg) mitgliedschaftlich beteiligt zu haben.
Die «mg» wird von der Bundesanwaltschaft als linksterroristische Gruppierung
eingestuft.
Ihr wird eine Serie von Brandanschlägen der vergangenen Jahre überwiegend in
Berlin und Brandenburg zugerechnet.

Der Beschuldigte war bereits vor zwei Monaten aus der Untersuchungshaft
entlassen worden, nachdem der Ermittlungsrichter des BGH den Haftbefehl
gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt hatte.
Die dagegen eingelegte Beschwerde der Bundesanwaltschaft wies nun der 3.
Strafsenat des BGH zurück. Zugleich kippten die Bundesrichter den Haftbefehl
gänzlich.

Laut BGH belegen die bisherigen Ermittlungen «zwar die Einbindung des
Beschuldigten in die linksextremistische Berliner Szene». Die für einen
Haftbefehl notwendige «große Wahrscheinlichkeit», dass er sich an einer
terroristischen Vereinigung mitgliedschaftlich beteiligt hat, könne aber
«zurzeit nicht bejaht werden».

Die Ermittlungen belegen dem BGH zufolge zwar die «konspirativ angelegten
Kontakte» des Soziologen zu zumindest einem Mitbeschuldigten. Dieser soll
als «mg»-Mitglied am 31. Juli an einem versuchten Brandanschlag auf drei Lkw
der Bundeswehr beteiligt gewesen sein. All dies begründe zwar «den
Anfangsverdacht», dass Andrej H. selbst dieser Gruppierung angehöre. Ein
Haftbefehl dürfe aber nur dann erlassen werden, wenn ein Beschuldigter einer
Straftat dringend verdächtig sei. Dies sei derzeit nicht der Fall.

Der 3. Strafsenat ließ zudem offen, ob es sich bei der «militanten gruppe»
tatsächlich um eine terroristische Vereinigung handelt. Damit habe man sich
bei dieser Entscheidung nicht befassen müssen, hieß es.

Der Verteidiger von Andrej H., der Berliner Grünen-Fraktionschef Volker
Ratzmann, forderte, das Verfahren gegen seinen Mandanten sowie die weiteren
Verdächtigen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
einzustellen. Auch müssten die Haftbefehle gegen die anderen Beschuldigten
aufgehoben werden, «da sie auf demselben Konstrukt beruhen wie der von
Andrej H.».

Die Bundesanwaltschaft wird ihr Ermittlungsverfahren gegen den
Wissenschaftler allerdings auch nach dem BGH-Beschluss weiterführen.
Es gebe derzeit «keine Veranlassung», davon abzurücken, sagte eine
Sprecherin der Behörde.

Andrej H. war am 1. August mit drei weiteren Personen festgenommen worden,
die den Brandanschlag auf Bundeswehrfahrzeuge geplant haben sollen. Der
gegen den promovierten Soziologen erlassene Haftbefehl wurde am 22. August
gegen eine Kautionszahlung und verschiedene Auflagen außer Vollzug gesetzt.
Die drei anderen Beschuldigten befinden sich weiter in Berlin in
Untersuchungshaft.

(AZ: StB 34/07 - Beschluss vom 18. Oktober 2007)

(BGH in Mitteilung, Ratzmann und Bundesanwaltschaft auf Anfrage)

ddp/mio/pon

241635 Okt 07
inf 3 pl 95 Nachrichtenmeldung Inforadio  16.40 BGH hebt Haftbefehl gegen
Soziologen auf/ emu  Der Bundesgerichtshof hat den Haftbefehl gegen einen
Berliner Soziologen aufgehoben, dem die Mitgliedschaft in der linksextremen
"militanten gruppe" vorgeworfen wird.  Es bestehe zwar Anlass zu
Ermittlungen, aber kein dringender Tatverdacht, hieß es zur Begründung.
Nach der Aufhebung des Haftbefehls übte der Anwalt des Angeklagten, der
Berliner Grünen-Fraktionschef Ratzmann, scharfe Kritik an der
Bundesanwaltschaft. Das Urteil des BGH zeige, dass das harte Vorgehen der
Bundesanwaltschaft allenfalls auf einem Anfangsverdacht beruht habe.  Der
Terrorismus-Vorwurf gegen den Soziologen der Humboldt-Uni hatte auch bei
Wissenschaftlern  für Proteste gesorgt.  241622 Oct 07
 

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/10/25/neues-zum-129a-mg-verfahren/

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