vonHelmut Höge 20.11.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Ich habe mit der etwas zu “robust” organisierten Blog-Suchfunktion den Text über Theodor Lessing und seine zwei Bücher über Tiere, Blumen und Steine nicht gefunden, obwohl ich dachte, ich hätte ihn schon längst in den blog gestellt. Dort wollte ich dann einen weiteren Text anhängen über Steine aus der Wüste Gobi. Dazu hatte ich mir ein geologisches Lehrbuch gekauft und ein Gespräch mit einem der Geologen des Naturkundemuseums vereinbart, aber das Interview mit ihm kam nicht über einen Grundlagenkurs in Geowissenschaft hinaus und ein zweites Gespräch kam noch nicht wieder zustande. Meine Gobi-Steine liegen seitdem noch immer bei ihm im Büro unterm Dienstschrank.

Hier deswegen erst einmal nur der Text über Theodor Lessings wieder neuaufgelegte Bücher:

“Ich vermöchte kaum zu sagen, wie viele Freuden ich den weißen Mäusen verdanke,” so beginnt ein Kapitel des Buches “Meine Tiere” von Theodor Lessing. Der 1933 von den Nationalsozialisten in seinem tschechischen Exil ermordete Philosoph widmete es 1926 seiner Tochter Ruth. Im Jahr darauf veröffentlichte er ein weiteres Buch – über “Blumen”. Der neuerdings in Berlin domizilierte Verlag “Matthes & Seitz”  hat nun beide im Rahmen einer Gesamtausgabe seiner Werke neu aufgelegt, und sie dazu um einige im “Prager Tagblatt” erschienene Aufsätze ergänzt.

Berühmt wurde der Hannoveraner Professor, der 1925 wegen einer charakterologischen Hindenburg-Studie seinen Lehrstuhl verlor, mit einem Buch über den Antisemitismus “Der jüdische Selbsthaß” sowie mit seiner  Philosophiekritik “Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen”.

In den zwei Büchern über Blumen und Tiere, die vornehmlich auf seinen Erfahrungen mit Vertretern verschiedener Arten basieren, verficht Lessing die These, dass die Domestikation und Züchtung sie ihrem wilden Leben in Freiheit entfremdet habe – zum Schlechteren hin.

So beschreibt er z.B. den Truthahn, “Heiliger Vogel der untergegangenen Welt, stolze Seele der Urwälder von Louisiana”, der heute “auf allen Hühnerhöfen heimisch und betriebstätig” ist, als einen “Zerbrochenen: Wenn ich dich kollern und toben sehe, dann lache ich nicht mehr, wie ich als Kind über dich lachte. Ich nehme den Hut ab und sage: ‘Das ist mein großer Lehrer Arthur Schopenhauer…Das ist Eugen Dühring…Das sind alle Besten meines Vaterlandes. Verbittert… jawohl  verbittert!'”

Auch das so lange gezähmte und gezüchtete Pferd, in dem immer “irgendein Stück Irrsinn lauert” ist ihm ein Symbol jenes Weltprozesses, den er “Untergang der Erde am Geist” nennt. “Der Eindruck eines lastenden Wahnsinns verschwindet” dagegen, wenn man dessen nahe Verwandte (Zebra, Tapire), die noch im “ursprünglichen Naturzustand” leben, betrachtet. In ihrer domestizierten (vergeistigten) Form dagegen anverwandtschaften sie sich fatal dem Menschen – als eines aus der Natur herausgetretenen Geistesschaffenden.

Beim Spiel mit dem Lämmchen seiner Ziege im Garten stößt ihm die “Gleichheit unserer Naturen” dagegen in umgekehrter Weise auf, was noch durch den Umstand gefördert wird, “daß wir Milchbrüder sind”, denn Lessing und das Lämmchen Nanekobo leben gleichermaßen von der Milch der Mutterziege. Wenn sie auf dem Rasen spielen, stoßen sie mit tief gesenktem Kopf gegeneinander und reiben  sich die Stirne: “Man berennt sich gegenseitig mit dem Kopf und versucht übereinander hinwegzuspringen. Es ist eine Sportübung, die ich vom akademischen Leben her gewohnt bin…Wir sind beide hervorragende Kopfarbeiter.”

Eine ähnlich geistige Nähe spürt Lessing aber auch bei quakenden Fröschen, was er jedoch eher abfällig registriert: “Wenn ich nämlich sagen sollte, welche Erscheinung in der Menschenwelt schon vorgebildet liegt im Dasein der Frösche, so kann ich nur sagen: ‘Kulturbetrieb’…Sie sitzen im Sumpf und ‘produzieren’.” Das haben sie mit vielen Dichtern und Künstlern gemeinsam, die sich ebenfalls durch eine “anatomisch bedingte Hypertrophie der Sprechzentren im Schläfenlappen und der Ausdruckszentren im dritten Ventrikel des Großhirns auszeichnen”.

Wir haben es aufs Ganze seiner Tiergeschichten mit einer doppelten geistigen Bewegung zu tun: Er setzt den Menschen (und sich selbst) herab (“Die verfluchte Kultur”, so ein weiterer Buchtitel von Lessing), um dem Tier nahe zu kommen, gleichzeitig erhöht er das Tier, vor allem das wilde, aus dem nämlichen Grund: Der Anarchist Lessing hat Kropotkins Studien über die “Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt” noch an Empathie zu überbieten versucht, um (wieder) mit allen auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln – bis hin zu den Pflanzen, denn “Natur spricht durch die Blumen von uns selbst”. Deswegen lassen sich auch “durch Beobachtung eines Blumenstraußes eine Fülle Seelenkunde gewinnen”, mehr noch: “Die Blume ist der Stern und Kern der Natur, indem sie aus Verwesung und aus all dem durch Tier und Mensch geschaffenen Abfall des Kreislaufes wieder Frieden und Schönheit gewinnt”. Erst einmal gilt aber in bezug auf den Gegensatz zwischen wilden und gezüchteten Formen das selbe für die Flora wie für die Fauna, denn neue Blumensorten haben laut Lessing bloß eine begrenzte Lebensdauer: “Nur der natürliche Same hat die dunkle Kraft, eine Art am Leben zu erhalten. Die künstlich gezüchteten Blumen dagegen sind wie die Genies der Dichtung und des Geistes: Höhepunkte einer Entwicklungsreihe. Nach ihrem Erscheinen schlägt die Gattung wieder in die Wildheit zurück.”

Sie sind aber auch noch etwas anderes: Manche Blume könnte man “als ein festgebanntes Insekt” bezeichnen – oder andersherum: “viele Insekten, zumal die Bienen und Schmetterlinge als frei bewegliche Blumen”. Diese mit den höher entwickelten Arten zunehmende “Freiheit” – “das Heraustreten bewegter und bewegender Willensmächte in Pflanze, Tier und Mensch aus der ruhenden Schwere des Vororganischen” –  könnte aber auch als ein “Vorgang des Lebensverminderns und das Absterbens” verstanden werden. Lessing fügt damit seiner radikalen Biologie die letzte Konsequenz hinzu: Wenn beispielsweise “der Hund ein durch jahrtausendelange Zucht geknebelter und sozusagen in sich hineingeprügelter Wolf” ist, und  “die Biene das Leben dem Werk opfert, die Wespe dagegen alles Werk dem Leben opfert” –  dann entfernen wir uns mit jeder Verfeinerung und Hochzüchtung vom “Wesen” – das der stets verbrecherischen “großen Einzelpersönlichkeit” entgegensteht. Das letzte Kapitel in Lessings Blumenbuch heißt dann auch “Steine”: Von ihnen ist “zu erfahren, was ich auf Euren Märkten verlernte: Leben.”

Für Charles Darwin war sein aus den Erfahrungen der Tier- und Pflanzenzüchter gewonnener Begriff der “natürlichen Selektion” zwar kein teleologischer Prozeß mehr, aber ein teleonomischer, das heißt ein Prozeß mit Zweckmäßigkeit ohne Zweck, wie Wolfgang Lefevre das nach Kant nannte: “Es ist diese teleonomische Eigentümlichkeit der Beziehungen unter den Lebensformen, die in ihren Entwicklungsprozeß Tendenz hineinbringt, eine Tendenz, die man als Tendenz zur Entwicklung und Optimierung der ‘natürlichen Technologie’ (Marx) bezeichnen kann. Der Entwicklungsprozeß der Lebensformen hat so eine Entwicklungs-‘Logik’; er unterliegt den Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung der ‘natürlichen Technologie'”. Indem Theodor Lessing demgegenüber die fortschreitende  Denaturierung der Lebensformen verwünscht  – und ihre Entwicklungslogik beklagt hat, gehört er in die Reihe der entschiedenen Anti-Darwinisten. Vielleicht erklärt sich daraus bereits zum Teil der Haß, mit dem die Nazis ihm nach dem Leben trachteten? Er stand ähnlich wie der Hobbygärtner Karel Capek auf ihrer “schwarzen Liste”.

Theodor Lessing: “Meine Tiere”, Matthes & Seitz Verlag,  Berlin 2005, 17 Euro 80; “Blumen”, Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2005, 19 Euro 80

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