Auch das kommende “Darwin-Jahr” gehört noch zur Genossenschafts-Diskussion. Denn es ist mit ein Grund dafür, dass kein Schwein – in den Jobcentern, bei der IHK, bei den Banken und sonstigen Beratungsstellen – einen über Genossenschaften informiert: Alle wollen eher, dass man sich alleine selbständig macht. Aber das muß näher erklärt werden:
Es häufen sich derzeit auf geradezu unanständige Weise die Darwin-Biographien. Und “das darwinistische Denken, insbesondere das Prinzip der ‘Variation und Selektion’ ist heute auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften allgemein verbreitet,” schreibt Jared Diamond in seinem Vorwort zu Ernst Mayrs “Das ist Evolution”, in dem der Autor selbst meint: “Ob wir es uns klarmachen oder nicht: Das gesamte Denken der heutigen Menschen wird vom Evolutionsgedanken zutiefst beeinflußt – man ist sogar versucht zu sagen: bestimmt.” Kürzlich fand in Berlin eine Tagung des Zentrums für Literaturforschung (ZfL) über die “Kultur der Evolution” statt (Näheres dazu später).
Die Mehrzahl der eingeladenen Wissenschaftler stammte aus England bzw. Nordamerika und referierte lichtbildgestützt über den “Darwinismus”. Diese “Power-Point-People” gehörten durchweg zur “Darwin-Industrie”, einer sprach von der “Darwin-Branche”. Bei den Evolutionsbiologen ist überhaupt die Erforschung des Lebens eng mit den Begriffen der Wirtschaftswissenschaften verknüpft. Ständig ist da von “Wettbewerb”, “Konkurrenz”, “Markt” usw. die Rede.Und wie bei den bürgerlichen Zeitungen üblich folgt auf die Wirtschaftsseite auch bei ihnen sofort die Sportseite, d.h. Begriffe wie “Fitness”, “Sprint”, “Training” usw..In einer der Diskussionen wurde ein Aufsatz von Gabriel Finkelstein: “Why Darwin was English” erwähnt.
Darüber hatten auch schon Marx und Engels gewitzelt: Mit seinem “Survival of the Fittest” als grundlegendes Prinzip der Evolution habe Darwin bloß das üble Verhalten der englischen Bourgeoisie auf die gesamte Natur projiziert, meinten sie – und mit ihnen dann auch vor allem russische Wissenschaftler, wie der Biologiehistoriker Torsten Rütting schreibt: “Viele der russischen Intellektuellen verwarfen in Übereinstimmung mit Marx und Engels, aber auch unabhängig von ihnen, die Idee von der Höherentwicklung durch Konkurrenzkampf, die Darwin von dem englischen Nationalökonom Thomas Malthus übernommen hatte”. Malthus glaubte, bewiesen zu haben, dass das rapide Bevölkerungswachstum verbunden mit einem ständig zunehmenden Mangel an Nahrung quasi automatisch eine natürliche Auslese der Besten (der Fittesten) bewirke. Während jedoch Marx und Engels davon ausgingen, dass Darwin Malthus überwunden habe, indem er dessen Gesetz auch in der Tier- und Pflanzenwelt für gültig erklärte, hielt man in Russland das ganze Prinzip der Konkurrenz eher für ein englisches Insel-Phänomen (von Darwin auf den Galapagos-Inseln fundiert), das in den unterbesiedelten russischen Weiten keine Gültigkeit habe. “In dieser Einschätzung war sich noch der revolutionäre Narodnik Michailowski mit dem ultrakonservativen Oberprokuror Pobjedonoszew einig: Beide taten diesen Aspekt des Darwinismus als eine ‘händlerische Faustregel’ ab, die ‘unsere [russische] Seele nicht annehmen’ könne.”
In Russland sah man stattdessen (wieder mit Marx und ebenso unabhängig von ihm) eher das Prinzip der Kooperation am Werk – auch bei Tieren und Pflanzen. 1900 veröffentlichte der Anarchist Fürst Kropotkin dazu sein auf sibirische Expeditionserfahrungen basierendes Werk “Die gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt”. Darin prophezeite er, dass man mit der Entwicklung der Mikroskop-Technik noch weit mehr Kooperationen in der Natur entdecken werde. Und in der Tat entstand, zur selben Zeit bereits, unter russischen Botanikern eine eigenständige Symbioseforschung” – ausgehend von Untersuchungen an Flechten, die nichts anderes sind als eine Alge und ein Pilz, die sich zusammengetan haben, um auch noch an den unwirtlichsten Orten siedeln zu können. Inzwischen wissen wir, dass sich auch unsere Körperzellen mit einem anderen Organismus zusammengetan haben: mit Mitochondrien, die den Sauerstoff in Energie umwandeln. Während die Pflanzenzellen sich mit Chloroplasten verbanden, die ihnen allererst die Photosynthese ermöglichten. Beider “Organellen” werden als “Energiekraftwerke” bezeichnet, die von den pflanzlichen und tierischen Zellen einverleibt wurden, es gibt sie jedoch auch als freilebende Individuen.
Die in diesem Zusammenhang formulierte “Endosymbiontentheorie” wurde derart ausgeweitet, dass viele Forscher heute davon ausgehen: Alle Vielzeller sind aus Bakterien entstanden, die kooperierten, um immer komplexere Organismen zu bilden. Umgekehrt kann man auch sagen – wenn man z.B. von unseren Bakterien namens E.coli in unserem Darm ausgeht bzw. von den Mikroorganismen im Pansen der Kuh, in den Verdauungsorganen der Termiten oder in den Wurzeln der Bäume, dass diese sich die Tiere und Pflanzen bloß geschaffen haben, um immer genügend Nahrung zur Verfügung zu haben. Die meisten Erforscher solcher Symbiosen (von denen nun ständig neue entdeckt werden), wollen damit jedoch nicht darauf hinaus, dass es gar keinen “Kampf ums Dasein” gibt. Sie bleiben brave “Darwinisten”. Mit dem sowjetischen Dichter Ossip Mandelstam sagen sie sich aber vielleicht: “Es ist unmöglich, der Darwinschen Gutmütigkeit zu widerstehen…Doch ist denn die Gutmütigkeit eine Methode schöpferischer Erkenntnis und ein würdiges Verfahren der Wahrnehmung des Lebens?”
Die Begriffe aus Wirtschaft und Sport werden also ständig in der darwinistischen Theoriebildung verwendet – umgekehrt greifen aber auch die Wirtschafts- und Sportwissenschaften zunehmend auf darwinistische Begriffe zurück.Das begann hierzulande spätestens mit der Wende, d.h. mit dem Wirken der unseligen Treuhandanstalt (THA/BfS/BVVG) und eskalierte 2004 in der Open-Air-Party des US-Beratungskonzerns bei Privatisierungen und Filettisierungen “McKinsey”, deretwegen die ganze Gegend zwischen Brandenburger Tor und Berliner Dom polizeilich abgesperrt wurde. Der Politologe Peter Grottian schimpfte: McKinsey sei “in vieler Hinsicht Inspirator und Oberberater der Hartz-Gesetze” gewesen. “Und nun okkupiert diese exklusive und geschlossene Gesellschaft in einer opulenten und völlig überzogenen Weise die Mitte von Berlin.” Der unselige Landesbischof Huber richtete im Dom ein Grußwort an die 1800 McKinsey-Beschäftigten, Peter Grottian drohte: “Wir werden Huber daran erinnern, dass die Kirche an die Seite der Schwachen gehört”.
In den 15 Jahren, die zwischen diesen “Events” lagen, wandelte sich der “Rheinische Kapitalismus” vollends zum “Schweinesystem”. Der Darwinismus gelangte jedoch nicht über das Schwein, sondern über den Wolf in das Wirtschafts- und Sport-Denken. Wenn das Totemtier des “New Age” der Delphin war, dann ist es in der “New Economy” der Wolf.
Bereits auf dem letzten “Bauerntag” der DDR 1990 in Suhl, auf dem der BRD-Bauernpräsident von Heeremann eine Rede hielt, in der er die Auflösung der LPGen empfahl bzw. befahl, wurde vielen LPG-Vorsitzenden sozusagen schlagartig klar – und sie sagten das auch: “Wir müssen jetzt wie die Wölfe werden!” Auf einer Betriebsrätekonferenz in der Kongresshalle am Alexanderplatz seufzte wenig später ein Treuhand-Privatisierungsmanager aus Westfalen treuherzig: “Ich muss unbedingt mal wieder Ostweiber beschlafen …” In der THA/BvS/BVVG arbeiteten im übrigen auffallend viele Manager, die “Wolf” oder “Fuchs” hießen (Wolf Schöde, Günter Wolf, Dr. Fuchs und so weiter), während auf der anderen Seite merkwürdig viele Betriebsräte Gottlieb und Lammfromm, einer sogar Feige hießen. Ein Fall von Namensmagie im ausklingenden 20. Jahrhundert?!
Einer der THA-Manager, Wolf Klinz, auch Dr. Wolf genannt, wurde später Geschäftsführer einer “Management KG”, die er als Leiter der Treuhand-Abteilung Elektrobetriebe 1994 mitgründen half, um darin unverkäufliche Ost-Betriebe zusammenzufassen und somit zu quasi-privatisieren. Das hat er dann also auch mit sich selbst gemacht. Außerdem war da noch der Vorständler “Wolf von BASF”: Er hat anscheinend dichtgehalten – beim Bischofferöder Kali-Deal. Das ging zuletzt aus den geheimen Tagebuch-Aufzeichnungen des Treuhand-Vorständlers Klaus Schucht hervor: “Wie gut, dass man sich auf solche Leute wie Wolf verlassen kann.”
In Westdeutschland brachen sechs Wölfe aus einem Tierpark in Simmern im Hunsrück aus. Vier wurden sofort zur Strecke gebracht. Eine Tierschützer-Gruppe stellte daraufhin Strafanzeige wegen “Wolfstötung”. “Werden die Jäger jetzt zu Gejagten?”, fragte die Lokalzeitung entsetzt. Weil die Bevölkerung den Standort der Wölfe sofort der Polizei melden sollte, sprachen die Tierschützer – unter www.tierrechte.de – von einem “Aufruf zum Denunziantentum”.
“Die Weisheit der Wölfe – Wolfsstrategien für Geschäftserfolg, Familie und persönliche Entwicklung,” so hieß dann ein internationaler Bestseller des Managementberaters Twyman L. Towery. “Heute ist auf der ganzen Welt ein wieder auflebendes Interesse an Wölfen zu beobachten,” heißt es darin. “Die Sozialordnung des Wolfs ist hoch entwickelt… Das Alphamännchen ist buchstäblich der Rudelführer … Wölfe sind wichtig für die Erhaltung einer gesunden, natürlichen Umwelt… Sie fressen die Schwachen, Kranken und Alten anderer Tierpopulationen … Am allermeisten freilich brauchen wir die Wölfe – für die Gesundheit unseres Geistes. Die Einstellung des Wolfs kann man in wenigen Worten zusammenfassen: Sie besteht in einer ständigen Vergegenwärtigung von Erfolg… Das Wolfsrudel ist zwar möglicherweise die effektivste Jagdmaschine der Natur, aber es hat dennoch eine Misserfolgsrate von annähernd neunzig Prozent … Es gibt deswegen im Leben des Wolfs keinen Ersatz für Beharrlichkeit… Das Naturgesetz vom Überleben des Tauglichsten ist in der Welt des Wolfs weiterhin wirksam.”
US-Psychologinnen empfahlen in ihren stets sogleich ins Deutsche übersetzten Büchern den Leserinnen, die “Wolfs-Frau” in sich zu entdecken. “Werdet wie die Wölfinnen!”, riet aber auch die Frauenforscherin Clarissa Pinkola Estes – auf der Webpage zu ihrem Buch “Wolfsfrauen”. Andere Autorinnen verfaßten Ähnliches – z.B. Donna Boyd mit “Das Haus der Wölfe” und “Die Schneewölfin” sowie Virginie Despentes mit “Wölfe fangen” und die “Prix du Suspense”-Preisträgerin Sophie Schallingher mit “Das Schweigen der Wölfin”, aber auch der Modemacher Wolf Joop, der seine Autobiographie “Im Wolfspelz” nannte und der Feenforscher Wolfgang Müller, der in der taz von der “Faszination Wolf: Ein Mythos kehrt zurück” sprach.
In Berlin eröffnete der Naturschutzbund (NABU) eine Ausstellung mit dem Titel “Willkommen Wolf”. Die Berliner Zeitung titelte: “Der Trend zum Wolf hält unvermindert an”. In ihrem Artikel ging es um “vulkanische Rockrhythmen”: “Nach Howlin’ Wolf, Superwolf, Guitar Wolf, We Are Wolves und den Wolf Eyes durften wir nun eine weitere Rock-‘n’-Roll-Band erleben, die ihr musikalisches Schaffen dem Lobpreis der wölfischen Wildheit gewidmet hat.” Gemeint war damit die kanadische Band “Wolf Parade” und ihr Konzert in der Arena, auf dem ihr “mehrstimmiges Wolfsgeheul” von einem Thermenvox herrührte. Dieses Instrument wurde 1920 von dem Russen Leo Thermin erfunden. Heute gibt es weltweit fünf Thermenvox-Spieler, es sind ebenso wie die fünf Wolfsforscher an Oder und Neiße ausschließlich Frauen.
Die französische Pianistin Hélène Grimaud veröffentlichte eine Autobiographie mit dem Titel “Wolfssonate”. Sie besitzt bei New York ein großes Freigehege mit einem Wolfsrudel und hat eine besonders intensive Beziehung zu dem Wolf Alawa, der jedoch Helene Grimauds Freund Jeff nicht mochte, weswegen die Pianistin sich schließlich von diesem trennte. “Mein Gott, was für eine Frau…zugleich Frau am Klavier und Frau mit den Wölfen”, stöhnte die Süddeutsche Zeitung. “Warum Frauen Wölfe lieben?”, fragte sich die Welt: Früher sorgten die “Märchen des Patriarchats” dafür, dass Frauen besonders große Angst vor Wölfen hatten und “Staat, Kirche und Familienoberhaupt” vorgaben, sie vor diesen Bestien zu beschützen. Heute sind die Frauen dagegen weitgehend auf sich allein gestellt – und prompt laufen sie den erstbesten Wölfen sozusagen in die Arme. Aber statt sich zu wehren, “verfallen sie ihnen”, wie der “Welt”-Meister Eckhard Fuhr, ein leidenschaftlicher Jäger, in seiner Rezension zweier von Frauen geschriebener Sachbücher über Wölfe sowie der Autobiographie von Hélène Grimaud schrieb. Zur “Schlüsselszene” hatte Fuhr die Beschreibung des ersten Wolfkontakts von Grimaud gewählt: Nachdem eine zahme Wölfin sich an ihre Handfläche geschmiegt hatte, spürte sie “augenblicklich einen stechenden Funken, eine Entladung im ganzen Körper, der meinen Arm und meine Brust bestrahlte.” Aus diesem Schauer der Französin schlussfolgert der Rezensent seltsamerweise: “Wölfe sind in Deutschland [!] Frauensache geworden” – spätestens seit dem Tod des legendären Wolfsforschers Erik Ziemen, für den die Verwandlung des wilden Wolfs in einen zahmen Hund durch Frauen geschah, indem sie sie quasi eigenbrüstig aufzogen. Hier erschien dann auch noch ein Manager-Handbuch der Paderborner Unternehmensberaterin Gertrud Höhler mit dem Titel “Wölfin unter Wölfen”, in dem die Autorin für mehr “Mixed Leadership” plädierte.
In Brandenburg wurde ein “Wolfwiederansiedlungs-Konzept” wirksam und dazu ein “Wolf-Management-Plan” verabschiedet: Dort sind die Wölfe seitdem ganzjährig geschützt, zu DDR-Zeiten durften sie dagegen ganzjährig gejagt werden. Die Leiterin des dafür neu eingerichteten “Kontaktbüros Lausitzer Wölfe” – Jana Schellenberg – erklärte: “Wir können die Akzeptanz der Wölfe nur fördern, wenn wir ehrlich und sachlich sind.” In der Zeitschrift “Emma” wurden Männer, die keine Kinder haben wollen als “einsame Wölfe” bezeichnet – doch das schade “ihrem Ansehen keinesfalls”. Der Spiegel sprach von einer “Rückkehr des grauen Wanderers”, die FAZ von “der langen Nacht des Wolfs”, und die Berliner Zeitung von der “Zeit des Wolfs”. “Im Osten gedeihen die Wölfe” titelte die Süddeutsche Zeitung. In der Muskauer Heide fand eine erste internationale “Wolfskonferenz” statt.
In Erlangen wurde das “NS-Stück ,Die Wölfe'” – ein “U-Boot-Drama” – uraufgeführt. Die Studentin Jana meldete aus der Elite-Uni “Viadrina” in Frankfurt/Oder: “In einem BWL-Seminar sagte der Dozent neulich: ,Wenn man anderen beruflich was Gutes tut, tut man sich selber nichts Gutes. Und das haben alle um mich herum eifrig in ihre Hefte geschrieben”. Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz referierte im Rahmen einer Ringvorlesung an der Humboldt-Universität über “Heldenkonzepte rechtsextremer Männer” – in denen das Selbstbild dieser Leute sich heute nicht mehr am Symbol des Löwen orientiere, sondern “an dem des Wolfes, der durch feindliches Gelände marodiere, einsam oder im Rudel, allzeit bereit zu Mord und Totschlag”. Die Bundesregierung ließ prüfen, ob das Internet-Suchwort “Wolf” nicht verboten gehöre – weil es allzu oft auf Webpages von Neonazis auftaucht. Obendrein wurde der Wolf auch noch zum “Tier des Jahres” gekürt. Die Bild-Zeitung meldete, dass man jetzt bei einer “Tier-DNA-Datenbank” prüfen lassen könne: “Wie viel Wolf steckt in meinem Fiffi?”
Europaweit lief dann der spanische Film “El Lobo” (Der Wolf) an: Um die Terroristen der ETA zur Strecke zu bringen, schleust sich ein Spitzel namens Eguia über das Bett der schönen Kämpferin Amaia in die Organisation ein – und läßt schließlich die ganze ETA-Führung hochgehen. “Jin Roh” nannte der japanische Zeichentrickfilmer Hiroyuki Okihura seinen auch in Berlin gezeigten Wolfs-Film, in dem sich – laut Berliner Zeitung – “Terror und Gegen-Terror die prekäre Waage halten”. Ein deutscher Regisseur ahnte den Geist der Zeit und verfilmte den Nachkriegsbestseller “So weit die Füße tragen” neu. Besonders jene Szene, in der die kleine Gruppe deutscher Kriegsgefangener, die 1944 aus einem sibirischen Lager ausbrach und nach Westen flüchtete, von einem Wolfsrudel im winterlichen Wald verfolgt wird, jagte damals Millionen Deutschen wahre Schauer über den Rücken. Das Buch wurde daraufhin als erste Serie für das deutsche Fernsehen verfilmt – und die Serie wiederum wurde zum ersten deutschen “Straßenfeger”. Die Neuverfilmung geschah nun in Original-Sibirien und mit Echt-Wölfen. Aus Frankreich kam der Film: “Pakt der Wölfe”. Ein Mix aus Action, Sex, Mystik, edle wilde Wölfe, geldgeile Huren und Ökologie. Dem taz-Rezensenten Detlef Kuhlbrodt gefiel der Film trotzdem: Er sei “pynchonesk” und “beruhe auf einer wahren Begebenheit – aus dem 18.Jahrhundert”.
Im Internet bewarb sich das saarländische Merzig, Standort eines Fallschirmjäger-Bataillons, als “Stadt der Wölfe”: Der “Einzelkämpfer”-Ausbilder Werner Freund legte dort mit 25 Wölfen ein “Miniaturreservat” an, das jährlich über 100.000 Menschen besuchen. Er bezeichnet sich als “Oberwolf”. Als experimenteller “Verhaltensforscher” behauptet er: “Wir sind auch Rudeltiere, nur eben entartete, überzüchtete Supermarktraubtiere.” Im “Naturbuch-Verlag” veröffentlichte er dazu ein Buch mit dem Titel “Wolf unter Wölfen”. Auch der große 1937 erschienene Nachkriegsroman von Hans Fallada hieß schon “Wolf unter Wölfen”. Dies war jedoch eher ein Warn- als ein Sachbuch: “Es handelt von sündigen, sinnlichen, schwachen, irrenden, haltlosen Menschen… in einer zerfallenden, irren, kranken Zeit… in der jeder für sich allein und gegen alle kämpft.” 1965 verfilmte das DDR-Fernsehen Hans Falladas Roman.
Das seit 1989 stetig anschwellende Wolfsgeheul in Film, Fernsehen, Feuilleton und Freier Wildbahn nahm derartige Formen an, dass es bei den Meinungsbildnern einer Gehirnwäsche gleich kam: Der Tagesspiegel-Autor Matthias Glaubrecht nahm an einer Geschäftsleute-Delegation teil, anschließend schrieb er: “Wir beobachten, wie unsere Chefs mit den uns Unbekannten der anderen Gruppe umgehen und lernen,die interne Rangordnung unserer Gegenüber kennen. Das erspart Zeit und Auseinandersetzungen mit den Ranghohen der Gegenseite”. In seinem Plädoyer für “Alpha-Tiere” argumentiert der Autor ausschließlich biologisch – vor allem mit der Wölfischen “Rangordnungsstruktur” (Struktur! wie Komplex das klingt.), die er ob ihrer Effektivität tautologisch als erfolgreiche “evolutionäre Anpassung an die räuberisch-umherschweifende Lebensweise der Wölfe” bezeichnet.
Zuletzt veröffentlichte der Wirtschaftsberater Johannes Voss zwei “Fachbücher” – mit den Titeln: “Die Führungsstrategien des Alphawolfs – Ideenpool für Manager” und “Von Wölfen lernen – effektiv und souverän im Projekt.” Bei der Vorstellung seines Buches, im Beisein des Landrates vom Main-Tauber-Kreis erklärte der Verleger: “Gerade der hohe Praxisbezug gepaart mit den interessanten und einprägsamen Beschreibungen des Wolfsverhaltens hat uns als Fachbuchverlag dazu bewogen das Buch in unser Programm aufzunehmen.”
Die Bertelsmann-Stiftung ist einer der einflußreichsten neoliberalen “Thinktanks” Deutschlands, in ihrem Verlag erschien unlängst der chinesische Bestseller “Wolf Totem” von Jing Rong, in dem es um die Philosophie und Moral des “Wölfisch-Werdens” geht. Die chinesischen Kulturfunktionäre – und beobachter sprachen von einem Marktwunder, weil sie sich nicht erklären konnten, wie ein solch langatmiger Roman in wenigen Monaten über 500.000 Mal verkauft werden konnte: Er handelt ausschließlich von einem Tier, beinhaltet keine Sex- oder Liebesszenen und wurde zudem noch von einem bisher völlig unbekannten Autor geschrieben. Mehrere prominente Chinesen verkündeten angesichts dieses Bucherfolgs unisono: “Für die heutigen Chinesen ist es notwendig, vom Geist des Wolfes zu lernen!” Der Computerspezialist Fu Jun erklärte: “wie der Autor die Wölfe beschreibt, aber auch die mongolischen Nomaden, das hat mich sehr berührt. Es sind harte Burschen, die bis zum letzten Blutstropfen kämpfen. Einige ihrer positiven Eigenschaften sind es wert, von uns übernommen zu werden, z.B. durch unsere Fußball-Mannschaften, damit sie ihre Gegner besiegen – statt besiegt zu werden.” Der Autor Jiang Rong meinte in einem Interview, dass es die kleinbäuerliche chinesische Landwirtschaft war, die aus den Chinesen das gemacht habe, was er ein Schafs-Temperament nennt: “Sie sind unterwürfig, demütig und passiv, dazu verdammt, geschlagen und eingeschüchtert zu werden.” Für den Literaturkritiker Zhang Qianyi aus Hongkong ist das eine “allzu simple Geschichtsauffassung”. In der chinesischen Geschäftswelt, “wo sich heutzutage die heftigste Jagdleidenschaft austobt,” wie die China Daily schreibt, stieß sie jedoch auf große Resonanz. “Aus dem Buch von Jiang Rong erfahren wir, dass die Wölfe ausgezeichnete militärische Führer sind,” sagte z.B. Zhang Ruimin, Geschäftsführer der Haier-Group, einer in Shandong ansässigen Elektrofirma, “sie gehen nie unvorbereitet in einen Kampf und sie wissen, wie man sich anschleicht, einen Hinterhalt legt, belagert und jemanden abfängt. Und stets wählen sie den richtigen Zeitpunkt zum Angriff. Sie warten geduldig und vergeuden keine Kraft. Erst wenn ihre Beute in die Enge getrieben ist, schlagen sie zu – überraschend und ohne große Verluste. Aber ihre am meisten zu lobende Eigenschaft ist, das sie immer und in jedem Fall als Team kämpfen.” Seit der Erstveröffentlichung von “Wolf Totem” im April 2004 sind in China bereits vier Ratgeberbücher erschienen, in denen es darum geht, wie man mit Hilfe von Wolfsstrategien beim Geschäftemachen erfolgreich ist.
Während in den “Chatrooms” noch junge Wolffans und alte Wolfexperten die persönlichen Eigenschaften jedes in Freiheit neugeborenen Wölfchens diskutierten, kam es jedoch spätestens ab 2005 – nach einer Reihe kleinerer Börsen- sowie Finanzkräche und Prämienüberspitzungen – zu einem gewissen Innehalten: Erst ließ die FAZ für ihr Feuilleton ein nachdenkliches Gedicht des Spaniers Pacheco “In der Republik der Wölfe” übersetzen, dann warnte sogar der Spiegel vor allzu großer Wolfsverehrung: “Bis vor kurzem wurde die Rückkehr der Wölfe nach Sachsen noch gefeiert. Nach Attacken der Raubtiere haben die Bewohner der Lausitz nun Angst”. Kürzlich rissen nämlich die “grauen Räuber” in einer Nacht 27 Schafe, dann drei Tage später “sanken sechs Schafe in Müllrose nach einer Blitzattacke tot zu Boden – und die Wölfe berauschten sich erneut am Blut”. In der Schweiz beschloß man, besonders mordlustige Wölfe zu erschießen. Die Jugendministerien der Bundesländer versuchten die Internet-Suchmaschinen-Betreiber dazu zu bewegen, “jugendgefährdende Worte wie etwa Wolfsrudel” in ihre Induizierungsliste aufzunehmen: “weil die Zeichenkette oft auf rechtsextremen Seiten auftaucht.” In München demonstrierten einige hundert Menschen gegen die “Grauen Wölfe” – in Deutschland und der Türkei. Die Polizei startete eine Informations- und Ausklärungskampagne unter der Bezeichnung “Wölfe im Schafspelz”.
Und während sich in China das Buch “Wolf Totem” noch weiter millionenfach verkaufte, interessierte sich für die Bertelsmann-Ausgabe plötzlich kein Schwein mehr. Ja, es erschienen in Deutschland sogar einige Bücher über Wölfe, die den Begriff in antidarwinistischer Absicht – kritisch – verwendeten. Erwähnt sei “Raubtier-Kapitalismus – Globalisierung, psychosoziale Destabilisierung und territoriale Konflikte” von Peter Jüngst, “Hirten & Wölfe – wie Geld- und Machteliten sich die Welt aneignen” von Hans Jürgen Krysmanski, “Raubtierkapitalismus: Wie Superspekulanten, Finanzjongleure und Firmenjäger eine Weltfinanzkrise provozieren” von Dieter Balkhausen und “Wohlstand und Gesundheit für alle: Das Ende des Raubtier-Kapitalismus” von K. Schulze und D. Marc.
Man kann aus diesen zeitlichen Unterschieden in der Theorie- bzw. Wahnbildung Chinas und Deutschlands nur den Cioranschen Schluß ziehen: “Die Stunde des Verbrechens schlägt nicht für alle Völker gleichzeitig – daraus erklärt sich die Kontinuität von Geschichte.”
In den USA schrieben 2007/8 immer öfter darwinistische Biologen und Harvard-Wirtschaftswissenschaftler ihre Aufsätze zusammen. Fitness und Erfolg sind für diese Halunken Synonyme.
Ein Nachhall zu diesem postfaschistischen Scheiß fand sich dann auch auf deutschen Büchertischen. Hier die letzten Blüten:
“Alpha-Tiere: Der schmale Grat zwischen Erfolg und Absturz im Management” von Kate Ludemann, Eddie Erlandson, und Petra Pyka
und:
“Das Ende der Schonzeit: Alphafrauen an die Macht” von Gertrud Höhler
Ferner:
“Alpha Males” von Henning von Berg
und:
“Alpha Kids” von Chris Archer