vonHelmut Höge 11.04.2011

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Nach wie vor werden keine Panik-Attacken von Japanern gegen ihr Regime gemeldet. Der Deutschlandfunk meldete jedoch – kurz und knapp:

“In Tokio haben 5.000 Menschen gegen Atomenergie demonstriert. Sie forderten auf Schildern “Nie wieder Fukushima” und “Nein zum Atom”. Korrespondenten zufolge sind Demonstrationen in Japan eher selten.”

In der taz hatte Tokio-Korrespondent Georg Blume kurz zuvor und wiederholt die mangelnde japanische Bereitschaft zu panischen Attacken eruiert. Die Japaner haben zwar massenhaft Panikattacken, aber nach innen – in ihren Körper (in Form von Depressionen, Streß, Hitzewallungen und wie diese ganzen Symptome auch immer heißen). Nun gilt es jedoch, mit der eigenen Panik das Außen zu attackieren – gemeint sind  die Verursacher. Georg Blume schreibt in der taz von gestern:

“Im Shiba-Park in Tokio treffen sich jetzt jeden Sonntag die Atomkraftgegner. Sie blicken neidisch auf die Anti-AKW-Bewegung in Deutschland.

Im Café de Crie am Bahnhof Hamamatsucho in Tokio sitzen am Sonntagmittag vier piekfein in Schwarz gekleidete Jungstudenten, trinken Kaffee und rauchen. Sie kommen gerade von der Aufnahmezeremonie ihrer Fachuniversität und machen auf sorglos. Stört sie der fortdauernde Atomunfall gar nicht?

“Wir essen Gemüse aus dem Süden”, witzeln sie und lachen los. Fukushima liegt nördlich von Tokio. “Mal im Ernst”, sagt der 18-jährige Seiya Ishihara schließlich. “Es gibt schon Leute, die Angst vor der Radioaktivität haben, aber dass jemand deshalb gegen Atomkraftwerke demonstrieren geht, das gibt’s nicht”, so Ishihara.

Das gibt es aber doch. Im Shiba-Park, nur ein paar Schritte vom Bahnhof Hamamatsucho entfernt, treffen sich an diesem Sonntag die Atomkraftgegner der japanischen Hauptstadt zu ihrer zweiten Demonstration seit Beginn der Katastrophe in Fukushima. Ishihara und seine drei weiblichen Begleiterinnen zucken indes mit den Schultern. “Wenn wir die Atomkraftwerke abstellen, geht das Licht aus. Ich gehe jetzt bestimmt nicht demonstrieren”, sagt die 19-jährige Tatsuko Tanaga.

Wie sie, so denken offenbar die meisten japanischen Jugendlichen. Denn auf der Kundgebung im Shiba-Park fehlen gerade sie: die schicken jungen Japanerinnen mit ihren auffällig bunt gefärbten Haaren – wie Tanaga. Oder die coolen, schlaksigen Tokioter Jungs mit ihren glänzenden Elvis-Dauerwellen – wie Ishihara.

Dafür sind andere gekommen. Viele Senioren, ohne Plakate, einfach nur in ihrer normalen Ausgehkleidung für den Sonntagsspaziergang. In ihrer Generation sind die Erinnerungen an die Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki wach geblieben. “Ich habe schon vor 30 Jahren gegen Atomkraft demonstriert”, sagt ein alter Mann mit Schirmmütze. Stolz zeigt er eine Anstecknadel, auf der “Atomfreier Pazifik” steht. Die sei auch schon 30 Jahre alt, erklärt er.

Neben ihm hat sich im Shiba-Park eine Studentengruppe der elitären Tokioter Waseda-Universität aufgebaut. Die Studenten tragen neue, aufwendig bedruckte Banderolen, auf denen geschrieben steht: “Nieder mit der Regierung, die den Atomunfall vertuscht und die Menschen der Radioaktivität aussetzt”. Der Sprecher der Gruppe heißt Shiseki Okuno, ist 28 Jahre alt, trägt Anorak und Rucksack und studiert Soziologie. Mit ihm kann man sich differenziert über alle Aspekte der Atomenergiekrise unterhalten.

Er klagt vor allem über die mangelhafte Informationspolitik von Regierung und öffentlichen Behörden. “Sie sagen alle nicht, wie viel Radioaktivität wirklich frei wird. Die Messungen sind einfach nicht vollständig genug”, sagt Okuno. Er redet, wie man es auch von einem deutschen Atomkraftgegner erwarten würde. Man vergisst dabei leicht, dass er unter seinesgleichen in Japan eine große Ausnahme ist. Dabei ist Okuno selbst optimistisch: “Wir sind mit hundert Leuten hier. Vor Fukushima wären wir nur ein Dutzend gewesen. Die Stimme der Atomkraftgegner in Japan wird jetzt lauter”, sagt er.

Doch diese Stimme ist, was das ganze große Japan mit seinen über 120 Millionen Einwohnern betrifft, immer noch kaum zu hören. Vielleicht 2.000 Japaner sind an diesem sonnigen Frühlingstag inmitten der herrlichen Tokioter Kirschblüte in den Shiba-Park gekommen. “Doppelt so viele wie vor zwei Wochen bei der ersten Demo nach Fukushima”, tröstet sich eine Teilnehmerin. Doch im Grunde wissen die Demonstranten selbst ganz genau, dass sie in der japanischen Öffentlichkeit auf verlorenem Posten stehen.

Die Schuld dafür geben sie nicht zuletzt den Medien. Tatsächlich fällt auf, dass die Kameras des US-Nachrichtensenders CNN und des deutschen ARD-Fernsehens mit viel Aufwand den Demonstrationszug vom Shiba-Park zum Tokioter Regierungsviertel filmen. Japanische Fernsehkameras sind weit und breit nicht zu sehen. Ebenso fehlen die Reporter der großen japanischen Tageszeitungen. Dafür wird der deutsche Reporter von vielen Demonstranten angesprochen, die sich bei ihm höflich für die Fukushima-Berichterstattung in den internationalen Medien bedanken.

“Bitte, berichtet der Welt die Wahrheit”, sagt der 59-jährige Lungenarzt Nobuhiko Muramatsu aus dem Tokioter Vorort Narita. Er ist mit einer mit Asche gefüllten Gesichtsmaske zu der Demonstrationen gekommen, die ihn, wie er sagt, einigermaßen effektiv vor dem Einatmen radioaktiver Teilchen schützt. Muramatsu lobt Deutschland: “Ihr wart über 200.000 Demonstranten, hundertmal so viel wir”.

Deshalb sorgt sich der Arzt, dass nach Hiroshima und Nagasaki auch Fukushima bedeutungslos bleibe. Er sei so traurig, weil er als Lungenarzt die Folgen kenne. Die Regierung sage, es gebe heute keinerlei gesundheitlichen Probleme, meint Muramatsu. Da stimme er ihr zu, “aber das Problem ist die Zukunft. Ich möchte nicht wissen, wie viele Kinder bald an Lungenkrebs erkranken”, sagt Muramatsu.

Je länger man mit den Demonstranten redet, desto deutlicher wird: Es sind alles kluge, undogmatische Leute. Normalerweise trifft man auf japanischen Demonstrationen die restlos Überzeugten: Sekten, Kommunisten, Rechtsradikale. Die fehlen an diesem Sonntag. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen. Vielleicht ist dies wirklich erst der Anfang einer neuen japanischen Anti-AKW-Bewegung nach Fukushima. “Das hier ist doch nicht schlecht. Das ist sogar ziemlich groß”, findet der 43-jährige Angestellte eines Musikstudios, Taro Kesen. Er trägt einen Mundschutz mit einer Aufschrift aus einem alten Sun-Ra-Song: “Talkin about nuclear war, it’s a motherfucker, don’t you know”.

Kesen ist das erste Mal in seinem Leben auf einer Anti-AKW-Demonstration und mag sich nicht beklagen. Er glaubt, dass heute kein normaler Mensch in Japan mehr der Regierung und dem AKW-Konzern Tokyo Electric (Tepco) traue. Und er empfiehlt, statt der Zeitungen die Diskussionsforen im Internet zu lesen. “Da sind die Leute ziemlich wütend”, sagt Kesen. Doch die umweltkritische Tokioter Bloggerin Sukiko Kannaduki widerspricht ihm. “Auch die Leute im Internet sind glücklicher, wenn sie von nichts etwas wissen”, sagt Kannaduki.

Warum ich von der Panik als einer Form der Befreiung lange nichts wissen wollte, wurde mir erst heute klar, als ich mich um die Herkunft des Wortes Panik bemühte: Es geht auf den griechischen Hirtengott Pan zurück – aus dem sich unser allerchristlichster Teufel herausmendelte. Die Panik ist mithin ein (faustischer) Pakt mit dem Teufel. Dazu heißt es bei Wikipedia:

Pan ist der Gott des Waldes und der Natur. Die Hirten verehrten Pan, fürchteten sich aber vor seinem Anblick. Doch als den Gott der Wälder und Wiesen baten sie ihn um Schutz für ihre Herden und brachten ihm dafür auch Opfer dar. Sein liebster Aufenthalt war der Berg Lykäon in Arkadien

Der gekrümmte Hirtenstab symbolisiert die Natur der Dinge an sich und ihren Kreislauf (z. B. die Wiederkehr der Jahreszeiten).

Sein Mantel – so ist anzunehmen – ist eine Bockshaut, und in den Händen trägt er einen gekrümmten Schäferstab oder eine siebenröhrige Flöte, die Panflöte. Andere Waldgötter mit Ziegenfüßen wurden Ägipanen genannt.

Pan hat Freude an Musik, Tanz und Fröhlichkeit. Die Mittagsstunde ist ihm jedoch heilig, und er kann sehr ungehalten werden, wenn man ihn zu dieser Zeit stört. Er jagt dann z. B. ruhende Herdentiere in „panischem Schrecken“ zu jäher Massenflucht auf, woher sich das Wort Panik ableitet.

In manchen Erzählungen wird Pan auch dem Gefolge des Dionysos, dem Gott der Fruchtbarkeit und der Ekstase zugeordnet, wo er mit seiner Flöte musiziert und so die feiernde Gefolgschaft bereichert. Für seine Wollust bekannt, ist er von Nymphen und Satyrn umgeben.

Im Verlauf des christlichen Mittelalters erfuhr der altgriechische Hirtengott Pan eine negative Umdeutung, indem er äußerliches Vorbild für die christliche Mythen-Gestalt des „Teufels“ wurde (Kopfhörner, Bocksfüße). Der Habitus des aufgrund seines Verhaltens als „wolllüstig“ geltenden Ziegenbocks fügte sich schlüssig in das bereits in seinen Anfängen anti-hellenistische, tendenziell körper- und sexualfeindliche Konzept des Christentums.

Die wahren Paniker, das sind demnach die jungen Mittelschichtler – der Amüsierpöbel, die Easyjetter, die europäische “Facebook-Generation”, die hier in tausenden von Clubs raved, chillt, sich mit Drogen vollstopft und eigentlich bloß noch ficken will. Obwohl sie voll auf Radioaktivitäten stehen, sind sie natürlich auch gegen Atomkraftwerke – irgendwie. Deswegen haben die Grünen am Wochenende ihr Wahlprogramm für Berlin nun auch auf sie zugeschnitten: Sie wollen 10.000 weitere Arbeitsplätze im Tourismus in Berlin schaffen. Also einige weitere Millionen Jung-Paniker, Panflötisten und geile Böcke aus allen Easyjet-Destinationen in die deutsche Hauptstadt locken.  Das kann heiter werden! Diese ganzen Jung-Paniker/Hysteriker sind nämlich – wie von Wikipedia angedeutet – Dionysiker und damit Anti-Apolliniker:

“Apollinisch-dionysisch ist eine ursprünglich von Schelling aufgestellte und später durch Nietzsche popularisierte Gegensätzlichkeit. Das bipolare Begriffspaar apollinisch-dionysisch beschreibt zwei gegensätzliche Charakterzüge des Menschen und bedient sich dazu der den griechischen Göttern Apollon und Dionysos zugeschriebenen Eigenschaften. Hierbei steht apollinisch für Form und Ordnung und dionysisch für Rauschhaftigkeit und einen alle Formen sprengenden Schöpfungsdrang.

Nietzsche verwendete das Begriffspaar in seinem 1872 veröffentlichtem Werk “Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik” und trug damit wesentlich zur Popularisierung des Begriffes bei.” (Wikipedia)

In der Studentenbewegung reduzierte sich der nietzscheanische Gegensatz Apollinisch-Dionysisch auf langweilige, leise  Elternkultur einerseits und aufregenden Sex & Drugs & lauten Rock’n Roll” andererseits. Bei “Information Wissenschaft” heißt es dazu:

Für Nietzsche war Dionysos aber weitaus mehr als eine personifizierte Bejahung des Rausches: nämlich eine “Lebensgottheit. Als solche repräsentiert sie Leben in seiner höchsten Form, weil sie Tod und Vernichtung nicht als Gegensatz, sondern als Teil des Lebens in sich trägt und bejaht. Dazu bekennt sich Nietzsche bis zuletzt (die “Dionysos-Dithyramben” sind das letzte Manuskript, das er druckfertig machte).”

Cornelia Isler-Kerenyi schreibt in der Neuen Zürcher Zeitung:

Apollon steht heute noch für Mass, Ordnung, Klarheit, Dionysos für das Gegenteil: das Irrationale, Chaotische, Ungeformte. Die vielen Bilder des Wein- und Theatergottes inmitten von ausgelassen tanzenden Silenen passen nicht schlecht zur gängigen modernen Vorstellung von Dionysos als Gott des Rausches und der Ekstase.

Die Kunst vermittelt von Dionysos von Anfang an, also schon um 600 v. Chr., auch ein anderes Bild als das subversive. Im Ringen der olympischen Götter gegen die revoltierenden Giganten etwa, einem Schlüsselereignis in der Entstehung der geordneten Welt, kämpft Dionysos effizient auf der Seite der Götter. Auch bei anderen mythischen Ereignissen tritt er als Garant der guten Beziehungen unter den Göttern und der Menschen zu den Göttern auf: Es wird ihm also eine ausgleichende, die kosmische Ordnung stabilisierende Rolle zugeschrieben. Zu diesem anderen Gesicht des Dionysos passt, dass seine Feste und die dazugehörenden dramatischen Aufführungen wichtige offizielle Anlässe im rituellen Kalender des Stadtstaates Athen waren. So stellt sich die Frage: Wie passen beide Gesichter des Dionysos, das ordnungskonforme und das subversive, zusammen? Und warum ist von ihm bis vor kurzem nur das zweite wahrgenommen worden?

1951 erschienen zwei ganz verschiedene Studien – des Engländers E. R. Dodds und des Franzosen H. Jeanmaire -, die das Irrationale in der griechischen Religion und besonders im Dionysoskult ins Zentrum stellten. Damit wurde eine für den Gott charakteristische, aber mit dem bis dahin geltenden Religionsbegriff wenig kompatible Seite zum Forschungsthema. Das war auch eine Reaktion auf die klassizistische, einseitig philhellenische Einstellung der Vorgänger: Nicht zufällig spielen in beiden Werken neben den antiken Quellen die Erkenntnisse der Ethnologie eine wichtige Rolle.

Dazu kam die archäologische Entdeckung mykenischer Schriftzeugnisse (der Linear-B-Täfelchen) aus den Herrschersitzen des 2. Jahrtausends v. Chr. in Griechenland. Ihre 1952 durch Michael Ventris erfolgte Entzifferung hatte revolutionäre Folgen. Sie bewies nämlich, dass in Griechenland schon vor der angeblichen Dorischen Einwanderung griechisch gesprochen wurde: Die historischen Umwälzungen der Zeit um 1000 v. Chr. und die sich daraus entwickelnde klassische Kultur waren also nicht auf ein von Norden eingedrungenes neues Volk zurückzuführen. Ausserdem entdeckte man unter den Göttern, die in den mykenischen Palästen verehrt wurden, auch den Namen des Dionysos: Von einer späteren Übernahme seines Kultes von Thrakien oder von Phrygien her konnte also keine Rede sein, auch nicht von seiner angeblichen Zugehörigkeit zur bäuerlichen Unterklasse.

In den siebziger Jahren – wohl nicht zufällig nach 1968 – begannen sich diese Neuigkeiten voll auszuwirken. In der Folge der Entdeckung des Dionysos in der bronzezeitlichen Kultur Griechenlands, aber auch unter dem Eindruck der bedrohlichen atomaren Waffen entstand der Dionysos von Karl Kerényi (1897-1973) als bereits im minoischen Kreta wirkendes «Urbild des unzerstörbaren Lebens». Tiefgreifende Veränderungen brachten der Altertumswissenschaft sodann zwei neue Schwerpunkte des Interesses: die Forschungsgeschichte als kritische Überprüfung fachspezifischer Denkkategorien und die Kulturanthropologie. Der Altertumsforscher, ob Philologe, Archäologe oder Religionshistoriker, sieht sich nicht mehr als Erben und Vermittler einer vorbildhaften Kultur, sondern gleichsam als Entdecker und Deuter von Zivilisationen vergangener Zeiten.

Dadurch ist als Besonderheit der klassischen griechischen Kultur ein neues Thema aktuell geworden: das Symposion. Diese Form von Geselligkeit unter Männern mit all ihren körperlichen und geistigen Freuden war schon lange bekannt. Die Freuden des «Zusammen-Trinkens» (das heisst Symposion wörtlich) unter Gleichberechtigten genoss man allerdings nicht regellos, sondern unter Befolgung ritualisierter Abläufe. Wie die damaligen Akteure müssen deshalb heutige Interpreten auf die konkreten Umstände achten, unter denen im Symposion Kunst entstand und Kunstwerke gebraucht wurden. So liest man heute die altbekannten Gedichte mit anderen Augen, nämlich als mündliche und musikalische Performances. Die Bilder auf den Trink- und Mischgefässen wollen nicht als beliebige Illustrationen von Mythos und Leben gesehen werden, sondern als Ausdruck der Werte, nach denen sich das Leben der Symposiasten, und damit auch der ganzen Gesellschaft, richtete.

Im symposialen Beisammensein spiegelt sich also, was das Gemeinwesen begründete und dauerhaft machte. Kein nebensächlicher Faktor gesellschaftlicher Stabilität wird ausserdem gewesen sein, dass im Symposion jene menschliche Regungen befristet und im gegebenen Rahmen ausgelebt werden durften, die zwar ein gefährliches Gewaltpotenzial enthalten, aber auch Kreativität und Lebensfreude fördern, allen voran die Sexualität. Patron des Symposions ist Dionysos also nicht nur als Gott des Weines, sondern auch als Anführer der mit ihrer Sexualität übermütig spielenden Silene. In diesem Rahmen wird sein Doppelgesicht verständlich: Gerade als Garant der Ordnung und der Stabilität des Gemeinwesens lässt er euphorische Gefühle, kreative Phantasie, musikalische und erotische Ekstase zu. Nach der Ekstase ist damit das zweite Element im Dionysischen «rehabilitiert», das im 19. Jahrhundert zur Ausgrenzung des Gottes geführt hatte.

An diesem und am nächsten 1. Mai wird man sehen, ob die eingeflogenen Juvenil-Horden, zumeist aus Spanien, ihre Panik auch sinnvoll nutzen können. Das Motto der diesjährigen 1.Mai.-Randale lautet: “…auf das der Stein ins Rollen kommt”.

Die letzten Meldung über die japanischen Panikattacken kommt aus Berlin:

“Sternekoch Tim Raue (37) ärgert sich über den Umgang der Deutschen mit der Atomkatastrophe in Japan. “Ich bin auch sehr betroffen”, sagte Raue, der in seinem Restaurant in Kreuzberg vis à vis der taz hauptsächlich asiatische Küche anbietet. Am meisten mache ihn aber die “Panik” betroffen, die wegen des Unglücks hierzulande seit Wochen herrsche. In seinem Restaurant hätten sich Gäste erkundigt, ob es überhaupt noch japanische Speisen gebe. Ein Journalist habe gar angerufen und nach möglicherweise radioaktiv verseuchten Lebensmitteln gefragt, berichtete Raue bei der Vorstellung seiner Autobiografie “Ich weiß was Hunger ist”. Er habe in Tokio mehrere Lieferanten, zu denen er sehr “gute Kontake” pflege.”

Da haben wir den ganzen Scheiß – Schischi, Fukushima, Sushi, Amüsierpöbeleien, Attacken gegen Panik – wie in einer Nußschale.

In Japan gilt derweil: Nach dem Beben ist vor dem Beben. Man spricht deswegen von Nachbeben und Vorbeben. Heute fand wieder ein Beben statt. Alle japanischen AKW-Betreiber meldeten sofort: Den Reaktoren ist nichts passiert!

Reuters tickerte soeben:

Auch in dem zwischen Tokai und Onagawa gelegenen und vor vier Wochen zerstörten AKW Fukushima gebe es durch das Nachbeben keine zusätzlichen Störungen, teilte der Betreiber Tepco mit.

Und eine andere Nachrichtenagentur meldet:

Die Bundesregierung kritisierte die Gaddafi und seine Truppen mit scharfen Worten.

Gaddafis antiimperialistischer Bundesgenosse in Venezuela Chavez forciert derzeit übrigens nach dem Vorbild von Gaddafi den Aufbau einer Spezialtruppe, Miliz genannt, die er als ihm treu ergebene Garde zur Not gegen das Militär seines Landes einsetzen kann. Was für eine sozialistische Drecksau! Derzeit geht jedoch alles schwer durcheinander und hinter den Kulissen bereitet sich alles auf einen großen Krieg vor, wobei die noch verbliebenen arabischen Herrscher versuchen, sich an die Spitze der Verschlagenheiten zu setzen. Das wird ihnen jedoch kaum was nützen.

Aus Syrien meldet AP:

Auch dort reagierte die deutsche Bundesregierung mit scharfen Worten auf die tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Nach blutigen Zusammenstößen haben die syrischen Streitkräfte am Montag laut Augenzeugenberichten die Hafenstadt Banias abgeriegelt. Die Truppen seien am Morgen mit Lastwagen und Jeeps in die Stadt eingerückt und hätten vor größeren Gebäuden und an Kreuzungen Stellung bezogen, sagte ein Gewährsmann aus Banias in einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur AP.

AFP meldet aus dem Jemen:

In der jemenitischen Hauptstadt Sanaa sind am Montag erneut tausende jugendliche Demonstranten auf die Straße gegangen. Damit wollten sie ihren Protest gegen den von den Golfmonarchien empfohlenen Dialog zwischen Regierung und Opposition zum Ausdruck bringen, wie ein AFP-Journalist berichtete. “Kein Dialog, der Rücktritt ist die Lösung”, riefen die Demonstranten mit Blick auf den seit 32 Jahren regierenden Präsidenten Ali Abdallah Saleh.

Der Golfkooperationsrat hatte Saleh am Sonntagabend aufgefordert, die Macht an seinen Vizepräsidenten Abdrabuh Mansur Hadi zu übergeben, um einen Ausweg aus der Krise zu ermöglichen. Der Plan sieht außerdem die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit unter Führung der Opposition vor, die eine Verfassung erarbeiten und Wahlen organisieren soll.

Ein Vertreter der jugendlichen Protestbewegung, Abdel el Rabii, sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass die Demonstranten jeglichen Dialog mit der Regierung ablehnten. Die zentrale Forderung laute, dass die Regierung mit all ihren Symbolen gestürzt werden müsse. Die Opposition im Parlament begrüßte den Vorschlag der Golfstaaten dagegen.

Es wird wahrscheinlich noch lange dauern, bis alle Möchtegernmächtigen im Nahen Osten begreifen, dass die “Facebook-Generation” dort im Gegensatz zu Lateinamerika, Afrika  und Eurasien überhaupt keinen Arschficker als Herrscher ihres Landes akzeptiert.

Aus Ägypten berichtet AFP soeben:

Ein ägyptischer Blogger ist wegen seiner Kritik an der Armee des Landes zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Ein Militärgericht habe das Urteil gegen Maikel Nabil am Montag verhängt, sagte sein Anwalt Gamal Eid der Nachrichtenagentur AFP. Weder er noch die anderen Anwälte Nabils hätten bei der Urteilsverkündung anwesend sein können, diese sei “beinahe im Geheimen” über die Bühne gegangen. Das Urteil dürfte für großen Unmut in der großen Blogger-Szene in Ägypten sorgen, die sich nach dem Sturz von Staatschef Husni Mubarak am 11. Februar eine größere Meinungsfreiheit erhofft hatte.

P.S.: Unter dem Stichwort Tunesien berichten die Nachrichtenagenturen nur noch über die mit Booten nach Italien geflüchteten Tunesier. “EU-Staaten streiten über Umgang mit Flüchtlingen aus Nordafrika” (AFP) Das Beste was ihnen passieren kann ist der Trotz Berlusconis, mit dem er ihnen nun gegen die Proteste Deutschlands alle Schengen-Visa ausstellen will. Damit wären sie erst einmal aus der Bredouille und aus den schrecklichen Flüchtlingslagern raus.

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