Gewiss braucht sich keine*r einzubilden, Putin vertrete, indem er „im Osten“ sitze, das Weltproletariat oder sei rechtmäßiger Erbe der Sowjetunion oder gar Repräsentant der Internationale der Entrechteten. Erinnern wir uns auch hier: Putin ist ganz einfach ein (wie alle seiner Art) an Großmachtphantasien erkrankter autoritärer Herrscher einer kapitalistischen Nation, womit auch all seine Verve gegen die westliche Moderne zur bloßen Farce wird. Putins Haltung nämlich ist ironischerweise klassisch postmodern und seinen Feinden somit ähnlicher als diese oder er selbst es wünschen, denn er ist kulturalistisch, kulturkämpferisch und damit nicht zuletzt: identitätspolitischer Freund der Monokultur. Dabei tut er so, wie alle Kulturalist*innen, als gebe es keine ökonomische Basis – die ihn übrigens trotzdem weiter mit dem Rest der Welt verbindet. Um es also kurz zu machen: Putins Imperialismus ist schlicht genauso zu verurteilen wie beispielsweise der Imperialismus der USA – die übrigens die höchsten Rüstungsausgaben haben und die meisten Militärstützpunkte rund um den Globus unterhalten. Warum aber folgen so viele Linke dem Rest der politischen Lager, indem sie immer bloß eine Partei des Imperialismus anprangern? Wohl, weil auch sie heute in populistischen Freund-Feind-Schemata gefangen sind, die keine polit-ökonomische Analyse mehr gestatten.
Statt dass aber diese Eindimensionalität kritisiert wird, ist man nun geschlossen überzeugt davon, herausgefunden zu haben, dass sich jene, die den Overkill fürchten und gegen ihn auf die Straße gehen wollen, „umstritten“ seien, da sie sich nicht genug gegen Rechte abgrenzten. Als sei die politische Rechte je an Frieden oder Gewaltlosigkeit oder Humanität interessiert gewesen! Wer sich statt Waffenlieferungen Diplomatie wünscht, gilt mittlerweile trotzdem als prorussische*r Propagandist*in oder als Querfrontler*in mit offener Flanke zur AfD. Die Partei dagegen, die entstanden ist aus dem außerparlamentarischen Kampf gegen Atomkraft und Atomkrieg und Pershing-II-Raketen in der BRD, ruft heute laut „Atomkraft, ja bitte!“, und „Atomkrieg, was war das?“, und nimmt dem Bündnispartner USA erfreut das ökologisch lupenreine Fracking-Gas ab, um sich gegen die Achse des Bösen zu wappnen. So, wie Banksys Soldat*innen Street-Art-Flowerpower schießen, schießt, was einst Flowerpower war, also nun scharf. Denn wer den mörderischen Zirkus um Haubitze, Panzer und Kampfjets abstoßend findet, kämpfe heimlich für Putins narzisstische Störung auf Weltniveau. Habermas hat die Sache derweil besser getroffen: er spricht gegen den „bellizistischen Tenor der veröffentlichten Meinung“ – und das völlig zurecht.
Inzwischen jedoch gilt Habermas, einst der unumstrittene Hegel der Bundesrepublik, als Vertreter jenes speziell retardierenden Erbes der Deutschen, das Kriege sinnlos fände und gegen Waffen sei. Dabei waren die Deutschen genau das im Jahr 1914 nicht – was die Weltgemeinschaft auch exakt in den Wahn der Weltkriege trieb. Damals wie heute sind die warnenden Rufer*innen indes wenige – während sich die Bevölkerung erstaunlicherweise schlecht demagogisieren lässt. Aus den Lounges der Redaktionen erschallt entsprechend der alte Ruf nach deutscher Härte gegen das „verkuschelte“ Volk. Warum nur erinnern sich so wenige Linke daran, dass die einzige Partei, die wirklich von Kriegen und ihrer Fortsetzung profitiert, eben die Partei des Profits ist: also das Kapital? Inzwischen dürfte allen doch hinreichend klar geworden sein, dass der Kapitalismus ein amoklaufender Irrationalismus ist, von seinen ideellen Gesamtkapitalisten-Managern (euphemistisch „Staatspräsidenten“ genannt) ganz zu schweigen? Und die sind durchaus gleichsam irre, wo und wie sie dessen Divide et Impera auch betreiben mögen. Wenn „der Westen“, Deutschland eingeschlossen, dagegen Frieden will, und zwar langfristig, dann wäre es seine Verantwortung, diesen unter Waffenruhe und in Richtung von für beide Parteien erträglichen Konditionen auszuhandeln. Das heißt: sowohl Wiederherstellung nationaler Integrität und politischer Souveränität der Ukraine als auch Ernstnehmen der Sicherheitsbedenken Russlands und damit Rückzug statt Vormarsch der NATO im Osten. Das müssten die Minimalkonditionen für Verhandlungen sein. Darauf müsste der Westen drängen. Hier läge seine Verantwortung. Und die Vierte Gewalt hätte eben diese Verantwortung einzufordern, statt weiter die Waffen zu segnen, wie es früher nur die Priester taten. Erst so könnten alle Fahnen auf Halbmast und die Vernunft aus der Trompete heraus und endlich wieder zur Sprache gebracht werden.
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