Latin@rama dokumentiert in deutschsprachiger Übersetzung den Debattenbeitrag von Pedro Martins und Daisy Ribeiro, zwei AnwältInnen der brasilianischen Menschenrechtsorganisation „Terra de Direitos“ zur fortschreitenden Militarisierung Amazoniens unter der Regierung Bolsonaro.
Welche Drohungen stehen hinter der Militarisierung des Kampfs gegen die Abholzung in Brasilien?
Von Pedro Martins und Daisy Ribeiro*
Während die Bevölkerung des Amazonasgebiets unter dem Kollaps des Gesundheitssystems aufgrund der Corona-Pandemie leidet, lassen sich die Abholzer nicht unter Quarantäne stellen. Weltbekannt sind die Bilder der steigenden und überwältigen Abholzung des Amazonas- und des Cerrado-Gebiets.
In Europa wird Widerstand gegen das Handelsabkommen zwischen Europäischer Union und dem Mercosur geleistet, weil in Brasilien die Möglichkeit besteht, dass trotz der Pandemie Gesetze verabschiedet werden, die den Landraub begünstigen und die Rodung der Wälder für die Produktion von z.B. Rindfleisch, Soja und Mais fördern (wie z. B. der Gesetzentwurf Nr. 2.633/20).
Die Rede des brasilianischen Umweltministers Ricardo Salles, der klargemacht hat, dass er die Corona-Pandemie ausnutzen will, um das brasilianische Umweltrecht zu „deregulieren“, löste auch Alarm aus.
Soziale Bewegungen, Basisorganisationen und progressive Parteien machen sich große Sorgen um die brasilianische Umweltpolitik und um die Entscheidungen, die Bolsonaro während der Pandemie getroffen hat, innerhalb von drei Monaten wurden dadurch über 50.000 Menschen getötet. Das Szenario der Umweltzerstörung versetzt europäische AktivistInnen und auch VerbraucherInnen in Unruhe – aus Solidarität mit jenen Völkern, deren Territorien von der Zerstörung bedroht sind.
Abbau und Übernahme
Die neue brasilianische Umweltpolitik hat in der Regierung Bolsonaro das Umweltministerium gleichzeitig als Subjekt und Gegenstand. Bei der 25. Klimakonferenz (COP25), die 2019 in Madrid stattfand, vertrat Umweltminister Ricardo Salles die Ansicht, dass Brasilien bereits zu viel für das Klima getan habe und dass das Land Zugang zu Ressourcen im Zusammenhang mit Umweltschulden anderer Länder haben sollte, womit er sich auf die Grünen Klimafonds bezog. Seine Rede wird seither als “ökologische Erpressung” bezeichnet.
Sein Ministerium ist im Jahr 2020 kleiner geworden und hat z.B. die Verwaltung der öffentlichen Wälder an das Landwirtschaftsministerium verloren. Nicht nur die Umverteilung von Aufgaben unter den Ministerien schadet dem Umweltministerium, das bereits vor 2019 unter einem reduzierten Budget für die Durchführung von Umweltinspektionen gelitten hat.
Es ist wichtig zu betonen, dass es sich um das Ministerium handelt, das am meisten Ressourcen von der offiziellen internationalen Kooperation empfängt und jahrelang Förderungen erhielt, die z.B. den Nationalen Plan zur Bekämpfung der Abholzung im Amazonasgebiet und neulich die Implementierung des Nationalen Ländlichen Umweltkatasters – ein System zur Registrierung von Landbesitz durch Selbsterklärung – subventionierte.
Das Umweltministerium macht nicht nur Platz dafür, dass das Landwirtschaftsministerium – das von einer Ministerin geleitet wird, die das Interesse der großen Agrarproduzenten verteidigt – das Umweltmanagement übernimmt, sondern auch dafür, dass die Vor-Ort-Einsätze für die Bekämpfung der Umweltkriminalität seit Mai 2020 unter dem Befehl der Streitkräfte durchgeführt werden.
Das war für Bolsonaro so wichtig, dass die Entscheidung für den Start der „Operação Verde Brasil 2“ mitten in der Pandemie getroffen wurde, als die größten Städte im Amazonasgebiet unter dem Kollaps des Gesundheitssystems litten.
Militarisierung
Die wachsende Rolle der Militärs aus den drei Teilstreitkräften in der Bundesregierung sorgt für Unruhe seit dem Beginn der Amtszeit von Jair Bolsonaro. Bei der Besetzung der Regierungsämter ist das Verhältnis Militärs/Zivilisten in hochrangigen Positionen seit 2019 höher als in der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur (1964-85). Die Militarisierung der Vor-Ort-Einsätze im Amazonasgebiet verursacht große Sorgen. In diesem Text werden drei Aspekte der wichtigsten Änderungen hervorgehoben, die durch diesen Prozess eingeleitet wurden:
1) Die Militärs sind nun für die Vor-Ort-Einsätze zuständig. Das Heer und die Polizei haben früher zwar auch an Einsätzen im Wald teilgenommen, jedoch unter der Führung von Beamten der Umweltbehörden – wie z.B. das brasilianische Umweltinstitut (IBAMA) und das Chico-Mendes-Institut für Biodiversität (ICMBio). Diese Organe sorgten für Transparenz in der Bereitstellung von Informationen über die Durchführung und die Ergebnisse der Umweltinspektionen, wobei es unter der Führung der Militärs keine Transparenz und keine Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft gibt.
2) Die Entscheidung für die Militarisierung der Umweltüberwachung verstärkt den Prozess der Militarisierung der Umweltpolitik und der Governance-Struktur, weil Militärs schon andere Ämter innehaben. Der Vize-Präsident General Hamilton Mourão soll zum Beispiel voraussichtlich den Vorsitz des Amazonas-Fonds übernehmen.
3) Die Militarisierung der Prozesse, die früher unter der Führung von Organen standen, die Informationen über die Durchführung und die Ergebnisse von Vor-Ort-Einsätzen mit Transparenz bereitstellten, führt dazu, dass keine Transparenz für die Öffentlichkeit und keine Kontrolle durch die zivile Staatsanwaltschaft besteht, weil die Streitkräfte einem besonderen Justizsystem – der Militärjustiz – unterworfen sind. Das kann zu der Verschleierung der Abholzung von Waldgebieten beitragen, wo Waren für die globalen Wertschöpfungsketten und den Handel zwischen Brasilien und Europa produziert werden, was ohne Transparenz und soziale Kontrolle der Vor-Ort-Einsätze nicht überprüft werden kann.
Es ist wichtig zu unterstreichen, dass der Prozess der Militarisierung der Umweltüberwachung durch die Einleitung der sogenannten „Operationen zur Garantie von Gesetz und Ordnung (GLO)“ zustande kommt. In demokratischen Ländern sollten solche Operationen nur in Ausnahmefällen stattfinden, weil sie den Streitkräften Polizeibefugnisse für einen begrenzten Zeitraum bis zur Wiederherstellung der Normalität einräumen. Dieser Notbehelf wurde in den letzten Jahren auch in anderen Situationen, wie bei polizeilichen Operationen in Favelas und selbst während der WM 2014, eingesetzt, aber erst seit 2019 im Zusammenhang mit der Umweltüberwachung.
Die zunächst bis Juli 2020 geltende Umwelt-GLO erlaubt die Verwendung von Ressourcen der Umweltpolitik für Militäraktionen. Das bedeutet, dass die Streitkräfte in kürzester Zeit zwölf Millionen Reais ausgeben dürfen. Solche Ausgaben zeigen aber geringe Ergebnisse: Die erste Mission der „Operação Verde Brasil“ mobilisierte 97 Amtsträger, zwei Hubschrauber und Dutzende von Fahrzeugen. Die Operation endete ohne die Verhängung von Umweltstrafen, Verhaftungen oder Beschlagnahmen. Die Mission beachtete zudem die Anweisung der Umweltbehörde Ibama nicht, die ein anderes Gebiet für die Durchführung der Mission vorschlug, wo Umweltdelikte nachgewiesen werden konnten.
„Integration statt Kapitulation“
Die Steigerung der Militarisierung kommt als Antwort auf die steigende inländische und vor allem internationale Kritik an die Zunahme der Abholzung im Amazonasgebiet. Die Militarisierung ist für die BrasilianerInnen und insbesondere für die Bevölkerung des Amazonasgebiets Gegenstand der Besorgnis, weil sie die Rolle der Streitkräfte in der Militärdiktatur hervorruft, wo die Integration des Amazonasgebiets durch einen transparenzlosen, autoritären und brutalen Prozess vorangetrieben wurde.
Die Militärs sind überzeugt, dass das Amazonasgebiet das gegenüber externen Angriffen fragilste Territorium ist und dass es als geopolitische Priorität eine sehr wichtige Rolle in der Verteidigung der nationalen Souveränität spielt. Die Erklärungen von hochrangigen Militärs – die nicht alle Regierungsmitglieder sind, aber in den sozialen Netzwerken den Präsidenten aktiv unterstützen – haben negative Auswirkungen auf die Harmonie der drei Gewalten und führten zu Drohungen gegen das Oberste Bundesgericht, die von Verteidigern der Regierung Bolsonaro stammten.
Es ist daher wichtig, dass alle, die sich um die sozio-ökologische Politik Brasiliens und insbesondere des Amazonasgebiets kümmern, die neusten Bewegungen der inneren Konjunktur Brasiliens in Kenntnis nehmen, da die Priorisierung des Kampfs gegen die Abholzung nur scheinwirkend ist: Sie wird nicht von legislativen und exekutiven Maßnahmen begleitet, die die Abholzung bremsen könnten und die bestehenden öffentlichen Politiken und Governance-Strukturen tatsächlich verstärken würden. Sie reflektieren außerdem einen Kontext der Militarisierung des brasilianischen Staats, der mit Vorsicht zu beobachten ist.
*Pedro Martins und Daisy Ribeiro sind als Anwälte bei der brasilianischen Menschenrechtsorganisation „Terra de Direitos“ tätig.