vonericbonse 01.04.2019

Lost in EUrope

Eric Bonse, EU-Korrespondent der taz in Brüssel, schreibt hier all das über Europa und seine Krise(n), was die EU gerne verdrängen würde | Bild: dpa

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Es gibt keine Alternative zum EU-Austrittsvertrag, heißt es in Brüssel. Die chaotischen Abstimmungen im britischen Unterhaus – wo gleich acht Alternativen durchfielen – scheinen diese Einschätzung zu bestätigen. Doch so einfach ist es nicht. Der Brexit-Deal hätte ganz anders ausfallen können.

Denn während der fast zweijährigen Verhandlungen über den ungeliebten Brexit-Deal hat Brüssel viele mögliche Optionen verbaut. Hier eine kleine Übersicht (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Nicht einer, sondern zwei Deals: London wollte ursprünglich gleichzeitig über die Scheidung und über die künftigen Beziehungen – also den noch ausstehenden Freihandels- und Partnerschaftsvertrag – verhandeln. Doch Brüssel sagte Nein – deshalb ist bis heute unklar, wohin UK nach dem Brexit eigentlich steuert (Zollunion, Modell Norwegen, Schweiz etc.)
  • Grenzfragen separat verhandeln: Die Briten haben das Problem an der Grenze zu Irland lange ignoriert, die Europäer haben daraus einen Knackpunkt gemacht – Stichwort Backstop. Genau daran könnte der Brexit nun scheitern. Dabei hätte man die Grenzfragen bilateral verhandeln können, mit Backing aus Brüssel. Dann wären wir heute wahrscheinlich weiter.
  • Die Rechte der EU-Bürger zuerst sichern. Das hatte das Europaparlament gefordert, es wurde jedoch nicht erhört. Nun sind die Bürgerrechte Teil des Austrittsvertrags – und könnten mit ihm untergehen. Besser wäre es gewesen, sie gleich am Anfang zu sichern. Dann müßten sich Millionen Europäer in UK – und Expats in Europa – jetzt keine Sorgen machen!

Es gab also durchaus Alternativen. Die EU hat sie jedoch nicht genutzt. Deshalb sollten wir uns heute auch nicht über die Briten lustig machen. Sie wurden in die Enge getrieben, Schadenfreude ist fehl am Platze.

Dies gilt umso mehr, als EU-Verhandlungsführer Michel Barnier und seine deutsche Stellvertreterin Sabine Weyand einige wichtige Dinge vergessen haben, die nun – im Fall eines No Deals – kritisch werden könnten:

  • Es fehlt ein Plan B für die irisch-nordirische Grenze. Wenn es zum harten Brexit kommt, wird sie zur EU-Außengrenze – doch weder Irland noch die EU haben Vorkehrungen getroffen, sie zu schützen.
  • Es fehlt ein Plan B für das EU-Budget. Wenn UK am 12. April ohne Vertrag austritt, fehlen Millionen im laufenden Haushalt. Budgetkommissar Günther Oettinger muß dann wohl Notkürzungen vornehmen.
  • Es gibt auch keinen “managed no deal”. Den hätte man durchaus noch aushandeln können, seit der Einigung im November war genug Zeit. Doch die EU wollte es nicht – denn sonst wäre der Druck auf die Briten gesunken.

Fazit: Der EU-Austrittsvertrag ist keineswegs so alternativlos und perfekt, wie unsere EU-Politiker behaupten. Er enthält sogar große und gefährliche Lücken und Konstruktionsfehler. Man hätte sie beheben können – nun ist es wohl zu spät…

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https://blogs.taz.de/lostineurope/2019/04/01/doch-es-gab-alternativen/

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kommentare

  • Mitleid mit der englischen Bevölkerung mag, soweit es sich um Remainer handelt angebracht sein. Wer wegen nationalistischer Träume, schlichter Uninformiertheit oder Ausländerfeindlichkeit für den Brexit gestimmt hat muß halt jetzt die Suppe auslöffeln. Die Eu hat geschickt im Interesse ihrer Mitglieder verhandelt. Es wäre Sache der britischen Regierung gewesen, das gleiche für ihre Bevölkerung zu tun, dann wäre das Ergebnis ein Brino oder der Rückzug der Kündigung gewesen.
    Ich teile die Argumentation des Artikels nicht GB sei in die Ecke gedrängt worden; hier meine Sicht zu den einzelnen Punkten:
    -Nicht einer, sondern zwei Deals
    selbstverständlich gibt es zwei Deals 1. die Scheidungsvereinbarung die auch den Backstop beinhaltet in dem sich die Solidarität der EU mit ihrem Mitglied Irland materialisiert.
    2. Die Verhandlungen über das Verhältnis des Drittlandes GB mit der EU. Diese können logischerweise erst beginnen wenn Briten nicht mehr in den EU Institutionen sitzen. Außerdem wissen die Britten selbst nicht was sie wollen, wie die Abstimmungen im Parlament deutlich gezeigt haben, wie soll man da mit ihnen verhandeln? Theresa May hat in ihren diversen Reden sehr deutlich verkündet was sie nicht will. Der Inhalt der mit der Eu verhandelten politischen Erklärung ist die logische Konsequenz ihrer “roten Linien”

    -Grenzfragen separat verhandeln:
    Die Aussengrenzen sind entscheiden für die Integrität des Binnenmarktes, hier kann die EU aus wohlverstandenem Eigeninteresse nicht einem Mitglied die Verhandlungen übertragen.

    -Es fehlt ein Plan B für die irisch-nordirische Grenze

    Natürlich gibt es einen Plan B, im Falle eines No Deal Brexits gibt es leider eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland. Der Schutz dieser Grenze obliegt nicht dem Verhandlungsteam sondern dem Eu Mitgliedsstaat Irland, der aber Unterstützung von der EU abfordern kann. z. B für die Abfederung des Schocks den diese harte Grenze für die irische Landwirtschaft bedeutet.
    Die EU wird vieles tun um die harte Grenze zu verhindern, aber wenn die Konservativen und die DUP weiter ihre nationalistischen Träume träumen wird es dazu kommen.

    – Die Rechte der EU-Bürger zuerst sichern
    T May hat ist besessen von der Idee Zuwanderung zu kontrollieren, Die Interessen der “Citizens of nowhere” britischen Ursprungs sind ihr und ihrer Regierung wohl ziemlich egal und das britische Innenministerium scheint seine Berufung darin zu sehen Fremde zu schikanieren und mit überhöhten Gebühren auszubeuten.

    Zusammenfassung: Das Team der EU hat gut verhandelt und fair verhandelt und verdient Respekt.
    Sobald sich der Status Englands von ” kleines Land, das nocht nicht weiß, das es ein kleines Land ist ” zu “kleines Land” geändert hat und die Engländer sich entschieden haben welche Beziehung zur EU sie den nun wollen, wird es zu gedeilichen Verhandlungen kommen.

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