vonericbonse 10.10.2020

Lost in EUrope

Eric Bonse, EU-Korrespondent der taz in Brüssel, schreibt hier all das über Europa und seine Krise(n), was die EU gerne verdrängen würde | Bild: dpa

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Es herrscht wieder Krieg in Europa: Der von der Türkei angeheizte Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um Berg-Karabach weitet sich bedrohlich aus. Was macht der Friedensnobelpreisträger EU, wo ist der deutsche EU-Vorsitz?

Als es 2008 in Georgien zum Krieg kam, zögerte der damalige EU-Ratspräsident Sarkozy nicht lange: Er flog nach Moskau und Tiflis und drängte auf ein Ende der Kampfhandlungen. Der französische Staatschef hatte Erfolg, der Krieg war nach fünf Tagen beendet.

Zwölf Jahre später kommt es erneut zu einem Konflikt im Kaukasus, den die EU aus schwer nachvollziehbaren Gründen zu Europa zählt. Und was macht die amtierende Ratspräsidentin Merkel? Sie telefoniert mit den beiden Kriegsparteien und fordert sie zum Dialog auf.

Im Falle Griechenlands und der Türkei mag das noch ausgereicht haben. Dort konnte Merkel im Sommer einen Krieg verhindern, nachdem Sultan Erdogan den EU- und Nato-Partner mit Gasbohrungen und Militämanövern provovoziert hatte. Doch in Bergkarabach reicht gut Zureden nicht aus.

Merkel sollte dies eigentlich wissen. Schließlich hat Frankreichs Präsident Macron beim EU-Gipfel am Donnerstag geheimdienstliche Erkenntnisse vorgelegt, die belegen sollen, dass die Türkei syrische Söldner nach Aserbaidschan schickt. Der Konflikt wird offenbar von außen angeheizt.

Armenien behauptet sogar, dass türkische Militärs die Angriffe auf die armenische Minderheit in Bergkarabach koordinieren. Nachprüfen lässt sich das kaum. Das Mindeste wäre aber, dass der deutsche EU-Vorsitz den Vorwürfen nachgeht und vor Ort auf ein Ende der Kampfhandlungen drängt.

Das passt natürlich nicht in Merkels Appeasement-Politik gegenüber Erdogan. Die Kanzlerin möchte nicht nur den umstrittenen Flüchtingsdeal aus dem Jahr 2016 verlängern, sondern auch die Wirtschaftsbeziehungen mit der Türkei ausweiten.

Doch wenn die EU die Zügel weiter schleifen lässt, drohen ethnische Säuberungen wie einst im Kosovo. Den Ehrentitel “Friedensnobelpreisträger” müsste EUropa dann wohl endgültig an den Nagel hängen…

Siehe auch “Draußen das Feuer, drinnen der Zerfall” und “Deutscher EU-Vorsitz: Freibrief für Erdogan”

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https://blogs.taz.de/lostineurope/2020/10/10/der-friedensnobel-schaut-weg/

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