vonericbonse 20.11.2020

Lost in EUrope

Eric Bonse, EU-Korrespondent der taz in Brüssel, schreibt hier all das über Europa und seine Krise(n), was die EU gerne verdrängen würde | Bild: dpa

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Im Streit um den und das haben sich die Fronten verhärtet. In Brüssel ist schon von einer “Systemkrise” die Rede, es werden “Nuklearoptionen” erwogen. Tatsächlich ist die Lage ernst – aber nicht nur wegen Ungarn und Polen.

Die beiden rechtsnational regierten EU-Länder haben einen Bundesgenossen gefunden: Slowenien. Dessen Premier Jansa hatte vor einer Woche US-Präsident Trump zu seiner vermeintlichen Wiederwahl gratuliert; nun springt er dem ungarischen Regierungschef bei.

Orban wiederum weitet den Streit massiv aus. Er behauptet, in Wahrheit gehe es gar nicht um den Rechtsstaat, sondern um die Migration. Man wolle jenen EU-Ländern das Geld kürzen, die sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aussprechen. Dahinter soll der Investor G. Soros stecken – wie immer, wenn Orban sich verrannt hat.

Wir haben es hier mit einer üblen Mischung aus wahrheitswidrigen, antisemitischen und rechtspopulistischen Behauptungen zu tun. In Orbans Worten kommt alles wieder hoch, was schon Ex-Kommissionschef Juncker vor der Europawahl 2019 ertragen mußte.

Allerdings wäre es zu einfach, nur Orban die Schuld an dieser “Systemkrise” zu geben und gleich die “Nuklearoption” – also den Entzug des Stimmrechts für Ungarn – zu ziehen. Mitschuld tragen auch Brüssel und Berlin, die den Streit jahrelang verdrängt und vor sich hingeschoben haben.

Und neben den drei “Rechtsstaats-Verweigerern” Ungarn, Polen und Slowenien gibt es noch vier weitere Länder, die die EU in diesem Jahr beinahe zum Scheitern gebracht hätten. Die Rede ist von den “Frugal four”, die sich gegen den neuen Corona-Aufbaufonds gesträubt haben.

Mit ihrem Widerstand hätten die Vier, also Dänemark, Österreich und Schweden, angeführt von den Niederlanden, fast den EU-Gipfel im Juli platzen lassen. Frankreichs Staatschef Macron mußte erst der Kragen platzen, bis die “Frugal” sich endlich auf ernsthafte Verhandlungen einließen.

Und nun sind es wiederum die Niederlande, die jede Konzession im Streit um den Rechtsstaat ablehnen. Damit macht der rechtsliberale Premier der amtierenden EU-Ratsvorsitzenden, Kanzlerin Merkel, erneut das Leben schwer.

Denn Merkel würde, wenn sie könnte, nur allzu gern zum ursprünglichen Vorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft zurückkehren. Der hatte den Rechtsstaats-Mechanismus so weich gespült, dass nicht einmal Orban dagegen aufmuckte…

Siehe auch “Der Gipfel des Frusts”

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https://blogs.taz.de/lostineurope/2020/11/20/nicht-nur-orban-stoert-den-frieden/

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kommentare

  • Verzeihung, aber wieso stört denn Ungarn den Frieden? Die Veto-Option ist gutes Recht. Stören – um beim Begriff zu bleiben, tun diejenigen, welche ständig gegen einen Staat in der Mitte Europas schiessen müssen. Eine Agenda darf man da durchaus vermuten. Die moralische Überlegenheit des Westen soll wohl mit Macht demonstrieren werden.

    • Ungarn gehört demnach nicht zum Westen? Wie definieren Sie dann dessen Grenzen?

      Ich hätte ja angenommen, derartige Grenzziehungen sind seit etwa 1990 passe, aber ich lasse mich ja gerne belehren.

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