vonericbonse 02.01.2021

Lost in EUrope

Eric Bonse, EU-Korrespondent der taz in Brüssel, schreibt hier all das über Europa und seine Krise(n), was die EU gerne verdrängen würde | Bild: dpa

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Der deutsche EU-Vorsitz ist vorüber, am 31. Dezember war Schluß. Vorher wurden noch schnell ein paar unerledigte Dossiers die Resterampe runtergeschoben. Dazu gehört auch die Reform der – wie eine heiße Kartoffel wird sie weitergereicht.

Selten lebten so viele Flüchtlinge im Elend wie zur Jahreswende 2020/21, unter deutschem EU-Vorsitz. Selten haben sich die Leitartikler darüber so empört wie zu Weihnachten.

“Anstatt auf ein Weihnachtswunder zu hoffen und abgedroschene christliche Metaphern zu bemühen, darf im Dezember, im Jänner und an jedem Tag des Jahres nicht vergessen werden, dass sich Europa und die EU das Menschenrecht auf die Fahnen geschrieben haben”, schrieb der “Standard” in Wien. “Die Zustände auf den griechischen Inseln und an der bosnisch-kroatischen Grenze sollten als das, was sie sind, benannt werden: ein Skandal und eine Schande für die EU – vor und nach Weihnachten.

Noch harscher formulierte es H. Prantl in der “Süddeutschen”. Unter dem Titel “Lockdown der Menschlichkeit” prangerte er die “Entschlossenheit, nichts Gutes zu tun” an: “Es soll tunlichst nichts passieren, um die grauenvollen Zustände in Flüchtlingslagern in der Ägäis nachhaltig zu verbessern. Die Zustände dort sollen abschreckend und hoffnungslos bleiben.”

Und was sagt die Bundesregierung dazu, die in der EU das Sagen hat und die Zustände ändern könnte, wenn sie nur wollte? Wenig. Außenminister Maas schiebt die Schuld für das Versagen auf die “Blockade einzelner Länder”. Das Thema Migration bleibe “einer der großen Spaltpilze in der Europäischen Union.”

Kanzlerin Merkel zieht es vor, gar nichts zu sagen. Dabei ist sie mit dafür verantwortlich, dass die Migration zum Spaltpilz geworden ist. Mit ihrem Alleingang in der Flüchtlingskrise 2015 und dem Türkei-Deal 2016 hat sie die Voraussetzungen für die heutige politische und humanitäre Misere geschaffen.

Doch statt bei der Aufarbeitung der Fehler mitzuhelfen und die offene Wunde der deutschen Europapolitik zu schließen, schob Merkel die heiße Kartoffel an ihren Innenminister ab. Derweil kungelte sie erneut mit und – also jenen Politikern, die die EU in der Migrationspolitik seit Jahren vorführen.

Ergebnis: Erdogan erhält noch mehr Geld von der EU, damit er den Türsteher spielen kann. Und Orban erhält einen Gummiparagraphen beim Rechtsstaat, der es ihm ermöglicht, seine Politik bis zur nächsten Wahl fortzuführen. Derweil vergrößert sich das Elend der Flüchtlinge vor den Toren EUropas zusehends…

Siehe auch “Von der Resterampe: Türkei-Hilfe verlängert”

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https://blogs.taz.de/lostineurope/2021/01/02/fluechtlinge-im-elend/

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