vonLalon Sander 21.08.2013

Aus dem Onlinebunker

Die tägliche Arbeit im taz.de-Ressort spült Bemerkenswertes, Skurriles und Anregendes in die Inboxen. Das meiste davon geht verloren – einiges wird hier gesammelt.

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Am Morgen des 2. September 1983 meldeten die Westmedien (Feindsender, da wo ich aufgewachsen bin) ein gradezu unglaubliches Verbrechen. Am Vorabend soll die sowjetische Luftwaffe ein Verkehrsflugzeug aus Südkorea abgeschossen haben, über 250 Insassen, alles Zivilisten, seien dabei zu Tode gekommen.

 

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Totalüberwachung und maximaler Druck auf Dissidenten sind seit Beginn der NSA-Enthüllungen deutlich sichtbar geworden. Die Apologeten maßloser staatlicher Kontrolle müssen sich recht stark verbiegen, um argumentativ noch einen Fuß auf den Boden zu bekommen – und bemühen so noch die bizarrsten historischen Analogien, um die Gegenseite zu diskreditieren.

 

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Mit Entsetzen nahm die Familie die Nachricht von dem abgeschossenen Flugzeug am Frühstückstisch auf, und wie die Pausendiskussionen in der Schule zeigten, hatte die Meldung ihre Runde gemacht. Jedoch konnte ich nach der Schule zu Hause alle beruhigen. Meine Klassenlehrerin, Frau B., hatte uns jungen Menschen eine Lektion in der kritischen Beurteilung ideologisch gefärbter Westpropaganda gegeben. Sie beendete das Getuschel mit einem so knappen wie überzeugenden Statement: „Die Sowjetunion macht sowas nicht!“

 

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Im Meinungsblog des New Yorker veröffentlichte der Jurist und CNN-Rechtsexperte Jeffrey Toobin einen Kommentar, dessen erster Absatz alleine aufzeigt, in was für einem die Synapsen zersetzenden Wirbelsturm sich die Anhänger des Überwachungsstaats befinden müssen:

 

The assassinations of Martin Luther King, Jr., and Robert F. Kennedy led directly to the passage of a historic law, the Gun Control Act of 1968. Does that change your view of the assassinations? Should we be grateful for the deaths of these two men?

 

(Die Attentate auf Martin Luther King Jr., und Robert F. Kennedy führten direkt zum Erlass eines historischen Gesetzes, dem Waffenkontroll-Gesetz von 1968. Ändert das unseren Blick auf diese Attentate? Sollen wir für den Tod der beiden Männer dankbar sein?)

 

Es folgt eine Erläuterung, dass Snowden ein Krimineller sei (wie die Mörder MLKs und RFKs).

 

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Der Guardian berichtet, dass unter dem Druck der britischen Sicherheitsbehörden – unter gestrenger Aufsicht zweier Agenten – im eigenen Keller Datenträger mit Dokumenten aus den Händen Edward Snowdens vernichtet wurden. Die Begründung? Die Server des Medienunternehmens seien nicht sicher und man hätte Sorge, ausländische Geheimdienste könnten Zugriff auf die Daten bekommen. Allen Beteiligten war bekannt, dass weitere Kopien des Materials an anderer Stelle existierten.

 

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Wenn man länger drüber nachdenkt, eröffnet das Argument Toobins tatsächlich einen völlig neuen Blick auf die Geschichte. Ist James Earl Ray, der Mörder Martin Luther Kings, gar nicht Teil einer rassistischen Verschwörung gewesen, sondern ein besonders perfider Aktivist der Anti-Waffen-Lobby? Was sonst soll die Prämisse, immerhin Einleitung einer Dekonstruktion des Wirkens Edward Snowdens, sonst aussagen? Die weitere, recht dünne Argumentation wird im übrigen, wiederum im New Yorker, von John Cassidy zerpflückt. Erkennbar ermüdet von den lächerlichen Versuchen des Derailings, nimmt er sich doch die Zeit, auf diesen Unsinn einzugehen.

 

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Derailing, das Ablenken vom eigentlichen Kern der Debatte, scheint alles zu sein, was die erdrückende Macht der Fakten noch erlaubt. Ablenken geht immer. Andrew Sullivan schrieb direkt nachdem Glenn Greenwalds Partner David Miranda 9 Stunden in London Heathrow festgehalten wurde, einen wütenden Post, in dem er im wesentlichen zu dem Punkt kommt, dass dieser Akt ein substantieller Beleg für die Behauptungen Snowdens und Greenwalds sei. The Dish, sein Sprachrohr, hebt dann in der eigenen Tradition vorbildlichen Community-Managements einige kritische Kommentare von Lesern hervor.

 

Die merken an, dass die 9-stündige Internierung eventuell doch keine Fall von Sippenhaft war. Das ist insoweit korrekt, als dass Miranda, sollte er tatsächlich als Kurier für seinen Lebensgefährten gearbeitet haben, ein logisches Ziel von Überwachung und Kontrolle wurde. Nur ändert das nichts daran, dass ein Terrorverdacht gegen den Brasilianer wohl kaum begründet werden kann – die legale Brücke des Terrorstatuts also entweder gegen einen gänzlich Unbeteiligten oder einen Journalisten angewandt wurde.

 

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Es gibt natürlich auch Stimmen, die Greenwald ganz generell absprechen wollen, ein Journalist zu sein. Er sei parteiisch und seit Miranda nehme er die Sache erklärtermaßen auch noch persönlich. Na Igitt, ein parteiischer „Journalist“. Was wir uns fragen dürfen ist, wem Snowden seine Dokumente und damit auch seine Sicherheit denn sonst hätte anvertrauen sollen. Außer natürlich, es wäre uns lieber, wenn die nie an die Öffentlichkeit gelangt wären. Das wäre ja fast so schön, als hätte das Attentat auf martin Luther King Jr. nie stattgefunden, nicht wahr.

 

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Mich würde interessieren, ob Miranda auch angeboten wurde – als Alternative zur Beschlagnahme – seine mitgeführten elektrischen Geräte selber mit einem Hammer im Flughafenkeller zu zertrümmern.

 

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Als Ronald Pofalla erklärte, dass es keinen Rechtsbruch amerikanischer Dienste auf deutschem Bode gebe und dass er das schriftlich habe, fragte meine Mutter, ob mich das nicht auch an etwas erinnern würde.

 

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Die Sowjetunion macht sowas nicht.

 

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Im Bild: Martin Luther King Jr., dessen Tod sich wohl kaum für irgendeine Argumentation im Zuge des NSA-Skandals eignet. (dpa)

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