Perspektive Bio

Ich bin nur ein kleines Rädchen, ein unbedeutendes Stück Biomasse mit Bewusstsein in der Gesellschaft, in die ich ohne gefragt zu werden hineingeboren wurde, in der ich von verschiedenen Institutionen sozialisiert werde, damit ich reibungslos funktioniere, und in der ich immer wieder erfahre, dass ein unüberwindbares Etwas zwischen mir und allen anderen bestehen bleibt. Die Welt interessiert sich nicht für mich, Zeit läuft weiter, egal mit welcher Vehemenz und Gewalt ich sie zu zügeln versuche: Manchmal nur ein bisschen mehr Zeit haben. Dann könnte ich viel besser diesen einen Weg beschreiten, der vor meinen Füßen von Kräften außer mir betoniert wird, egal in welche Richtung ich mich begebe; dann könnte ich überlegter der absoluten Notwendigkeit entsprechend Entscheidungen treffen, und das Universum vor dem Kollaps bewahren. Was für eine Illusion. In ein paar Jahrzehnten wird alles, dem ich unermessliche Bedeutung zuwies, von dem ich glaubte, dass mein Leben daran hinge, im Meer der Geschehnisse untertauchen. Die Gegenwart jetzt, wird sicher bald ferne Vergangenheit sein.

Diese Erkenntnis wurde mir während politischer Aktionen auf erschlagende Weise deutlich. Und sie befreite mich. Von Ignoranz und Arroganz. Sie befreite mich davon zu denken, ich würde die Welt allein auf meinen Schultern tragen, als sei ich der einzige Mensch auf der Welt. Mitten auf dem Feld vor Lützerath hälst du kurz inne und schaust dich um: tausende von Menschen, die den gleichen Trieb verspüren wie du, – alle sind so wie du. Hier war die Gleichheit spüren, von der in Utopien so feierlich, so suchtvoll, fast gierig die Rede ist. Du verschwindest vor dir selbst; du wirst dir selbst unbedeutend; du bist nicht mehr das Zentrale, was deinen Kopf belagert. Und im Moment wird dir die Geschichtsträchtigkeit dessen, worin du dich wieder findest, bewusst – in Zukunft wird es diesen Tag, dieses Ereignis an diesem Ort gegeben haben werden.

Wenn mein Leben zuallerst bedeutunglos ist, wenn ich eigentliche keine Last trage, die ich seit Gedenken spüre, dann sind die Sorgen, die ich mir darum mache, wie und ob ich der Welt gerecht werde, eingebildet. Endlich kann ich mich meiner bescheidenen geschichtlichen Verantwortung stellen – ohne wegzuschauen. Handeln bedeutet nun, wie ich ihr begegne. Schaffe ich es, mit meinen Taten die Welt zu kreieren, in der ich leben möchte? Selbst wenn nur sehr selten, so leiste ich dennoch den kleinen Beitrag, der den Sinn enthält, den ich selbst produzierte und der schon mehr ist als das Nichts, das ich ursprünglich finden konnte.