vonperspektive 14.12.2021

Perspektive

Von der Aktion und aus der Theorie

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Kommt sie, die Veränderung nach der Wahl? Eigentlich ist die Vorstellung absurd: Ein Kreuz auf einem Papier, welches in einen Kasten mit Schlitz gesteckt wird, bringt Erlösung. Sie lässt sich auch nur bei uns in der jungen Generation finden, da mit dem Alter die Erkenntnis kommt, dass uns dieses Ritual gerade vor Veränderung schützen soll.

Erfahrung wird aber recht schnell die Illusion verdampfen lassen und Verzweiflung verbreiten. Denn: Als junger Mensch die Stimme „abzugeben“ in einer Gesellschaft bestehend aus alten Menschen und im Angesicht der Klimakatastrophe hat eher Parallelen mit Lottospielen: Egal wo du das Kreuz machst, du verlierst. Die Chance auf den Jackpot, die Befriedigung aller grundlegenden Bedürfnisse, ist so gering, dass du dich eigentlich nur aus Spaß beteiligst. Als Einzelperson kannst du auf die hohe Geldsumme verzichten, wir als junge Menschen brauchen aber den Hauptgewinn – im Gegensatz zur überwältigenden Mehrheit, die nur mitspielt, weil sie mit Bewusstsein über die Wahrscheinlichkeit auf ihren persönlichen Mikrogewinn hofft.

So gehen wir also doch wählen, weil wir keine andere Möglichkeit sehen, und versuchen unser Glück mit den elf Prozent der Wahlzettel, die uns zustehen, oder gehen freitags auf die Straße, wenn uns noch kein Recht zusteht. Oder wir tun überhaupt nichts, entweder weil wir nicht alt genug sind (bzw. nicht geboren sind), um zu verstehen, dass Mama und Papa uns eine zerstörte Welt hinterlassen werden, oder weil wir nichts tun können, da wir nicht in den Ländern leben, welche die Hauptverantwortung für den Klimawandel tragen, während sie uns Geschädigte gleichzeitig aus ihrem Diskurs ausschließen. Wir haben keinen Hebel und keine Lobby. Politische Macht agiert  deshalb nicht in unserem Interesse. Für uns, die wir unser ganzes Leben noch vor uns haben, bleiben nur pseudointellektuelle Kommentare von alten Menschen in Zeitschriften, die sich davor fürchten die letzten 20 Jahre ihres Lebens nicht mehr jeden Tag ein Schnitzel auf den Tisch bekommen zu können. Ihre Sinnkrise und der Wunsch diese mithilfe von Konsum zu überwinden, obwohl doch so unglaublich bekannt ist, dass hier kein Weg zum glücklichen Leben führt, erscheinen gewichtiger als die Existenz von Generationen von Menschheiten.

Der globale Klimastreik am 24.09 dieses Jahres mit mehr als 600.000 (!) Demonstrierenden brachte… Unsere Anstrengungen verlaufen im Nichts und sind offensichtlich ohne Bedeutung. Die Parteien, ihre Kader und Führungen richteten vor der Wahl die Programme danach aus, möglichst hohe Prozentpunkte zu erhalten, indem sie vorrangig den größten Teil unserer Gesellschaft, die Ü50-Fraktion, und deren Bedürfnisse ansprachen oder aus strategischen Gründen auf Inhalt ganz verzichteten. So funktioniert unser politisches System; Macht ist Selbstzweck, Wirklichkeit unbedeutend und ideologisch durchsetzt.

Die Antwort auf diese Realität ist ein explizit gemachter Generationenkonflikt. Rufen wir ihn aus und tragen so das Thema menschengemachter Klimawandel in den privaten Raum hinein: An die Essenstische, zu den Familienfeiern, in den Urlaub, in die Arbeit, in die (Hoch-)Schule. So erschaffen wir neue Diskursräume. Jede soziale Handlung und jede Beziehung zwischen Vertretern der unterschiedlichen Generationen muss die Dimension dieses Generationenkonfliktes enthalten. Er muss konstitutives Prinzip und Grundelement unseres gesamtgesellschaftlichen Kommunikationsraums sein. Diese Spaltung und Abgrenzung haben zum einen den Sinn, den Alten zu zeigen, dass unsere Interessen überhaupt ihren diametral widersprechen und wir auf zivilen Ungehorsam aufgrund ihres Unwillens zurückgreifen müssen.

Wir können dabei auf Vorbilder zurückgreifen: So wie die 68er ihre Eltern- und Großelterngeneration zur Aufklärung über den deutschen Faschismus und die Schoah drängten, genauso müssen wir jetzt eben diese fragen, weshalb die letzten 30 Jahre nichts bezüglich Klimaschutz passierte, obwohl es seit 1988 den Weltklimarat gibt, und sie darauf verweisen, dass die nächsten 30 Jahre entscheidend sind. Unser Wohl liegt in ihren Händen – noch. Wir müssen diesen Konflikt hart bestreiten und die liberalen Freiheiten, die uns als junge Menschen ermöglichen, die Stimme und Faust zu erheben, nutzen und wahren. Denn gerade unsere existenzielle Freiheit, also die Möglichkeit in einer Zukunft zu leben, welche wir demokratisch von unten herauf nach unseren Vorstellungen errichten, wird uns geraubt. Wir sind Sklaven der Vergangenheit und bleiben es, wenn wir keine neuen Strategien fahren.

Das Potential des Generationenkonflikts ist da und spürbar. Es braucht nur diesen einen Schritt nach vorne und die Formulierung der gemeinsamen Überzeugung, welche über soziale, politische und ideologische Milieus hinweg geäußert wird: „Wir begeben uns in den Konflikt mit euch – jetzt!“ Wir haben keine andere Wahl. Die Situation zeigt, dass die etablierten demokratischen Institutionen versagen; wir als Minderheit und die nachfolgende Menschheit als ganze sind dem Willen, der Ignoranz und dem Zynismus einer lebenden Mehrheit ausgeliefert. Konventionelle demokratische Entscheidungsbildung bei dieser demographischen Zusammensetzung vermag nicht den Aspekt der naheb Zukunft einzuschließen. Wir als junge Menschen müssen auf neuem Wege Veränderung einklagen und dies auf eine notwendig radikale Weise. Es geht hier um unser Leben und das unserer Kinder.

Unsere Generation sieht der dystopischen Zukunft unverblühmt entgegen – das in weiten Teilen auf sich allein gestellt, verlassen von denjenigen, die dieser an der Wiege versprach, alles in ihrer Macht Mögliche zu tun, damit sie es mal besser haben würde. Gezwungenermaßen übernehmen wir selbst Verantwortung und kämpfen für unsere gemeinsame Zukunft, obwohl wir einen unglaublichen Gegenwind und kaum Selbstwirksamkeit erfahren.
So gehen 15- und 16-Jährige, die sich der Größe des Bevorstehenden bewusst sind, auf die Straße und ernten Spott. Der einzige Grund, weshalb der Konflikt bis jetzt noch nicht ausbrach, sind wir. Wir halten uns seit Jahren zurück, während wir beobachten, wie unsere Anliegen und wir selbst belächelt werden. Die Coronazeit müsste das Fass endgültig überlaufen bringen: Es sind wir, die die stärksten Einschnitte hinnehmen, natürlich vergessen von der Politik, mit dem Wissen ein Teil der schönsten Zeit unseres Lebens zu verlieren, während uns Boomer auf Anticoronademos verhöhnen. Wir erkennen, dass wir durch unser Handeln die Alten schützen können – und so tun wir dies. Unsere Verpflichtungen erfahrungsgemäß erfüllend müssen wir nun verlangen: „Dieses einseitige Verhältnis des Nehmens muss aufhören!“ Die Forderungen, die wir aufrgrund der Klimakrise aufstellen, sind notwendig und die Fakten, auf denen sie basieren, nicht verhandelbar. Wir dürfen nicht mehr aus falschem Respekt dem Konflikt aus dem Weg gehen und, nachdem wir auf der Straße waren, unterwürfig am Essenstisch schweigen. Die Hegemonie des Alten ist eine Herrschaftsstruktur, welche im Angesicht der Wirklichkeit jegliche Legitimation verliert. Gehen wir gegen sie vor!

Wir verhalten uns in vielen Fällen um Weiten erwachsener und unsere Taten widersprechen allen Vorwürfen des reaktionären Lagers naiv und unmündig zu sein.  Entschlossen können wir durch eine klare Sicht auf die Dinge trotz unserer schlechten Ausgangslage selbst die Strukturen aufbauen, über welche wir in einem demokratischen Sinne unser Existenzrecht stärker verdeutlichen als durch eine Bundestagswahl, die alle vier Jahre stattfindet. Wir haben die Energie und Motivation dafür, den nächsten Schritt zu gehen. Und wir sind organisiert: Auf eine von uns mit ihren Fähigkeiten im digitalen Raum kommen zehn der Alten. Unser natürliches Verständnis von Online-Netzwerken verschafft uns einen nötigen Vorteil gegenüber der anderen Partei. Der Austausch über Fehler und Erfolge geschieht flüssig, da wir zeitgemäße Formen der Informationsübertragung nutzen und die breite Öffentlichkeit und vor allem uns erreichen. Auch zeigt sich eine unglaubliche Mobilisierung über Ländergrenzen und Kontinente hinweg. Unsere zahlenmäßige Schwäche in Deutschland lässt sich durch einen Zusammenschluss der Generation um den Globus herum ausgleichen. Wir stehen nicht allein da, sondern zusammen mit anderen auf der gesamten Erde, mit Menschen, die wir hier in Deutschland vertreten müssen. Wir schaffen es global zu denken, zu verstehen und ein gemeinsames Problem anzugehen, während wir lokal handeln. Jetzt braucht es nur noch die richtigen politischen Aktionen. Der explizite Generationenkonflikt ist ein radikales, notwendiges, aber nicht das einzige Instrument. Weitere werden sich ergeben, sofern wir den Austausch aufrechterhalten und die Demokratie erneuern.

Wir blicken in die Zukunft und sehnen uns nicht nur danach neue Ideale zu verwirklichen, unsere Werte zu entwickeln, sondern überhaupt einen Raum zum Leben zu haben. Das unterscheidet uns von den vergangenen Generationen. Lasst das nicht das einzige sein, worin wir uns unterscheiden.

 

„Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern“ – Ernst Bloch

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