vonperspektive 20.05.2021

Perspektive

Von der Aktion und aus der Theorie

Mehr über diesen Blog

Ja, der Titel ist provokant. Und ja, er zeigt ein widersprüchliches Verhalten von mir. Jedoch gäbe es wohl keine bessere Formulierung, um meine Einstellung gegenüber dem Gendern auszudrücken. Anders als es der Titel vermuten lässt, werde ich hier aber keine irrationalen Argumente vorbringen, die sich darauf zurückführen lassen, dass es an meinem persönlichen Unmut über einen sich verändernden Sprachgebrauch liegt, oder ich schlicht konservativ bin und das Gendern als Symptom eines, meiner Meinung nach, entarteten Feminismus sehe, im Gegenteil. Ein Grund, weshalb ich zumindest beim Schreiben das Sternchen (*) benutzte, ist, dass ich meine Solidarität mit der feministischen und emanzipatorischen Bewegung ausdrücken möchte – weitere Gründe werden im Verlauf noch folgen. Auch würde ich wohl diesen Text nicht schreiben, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass Kritik und eine offene Debatte zum Vorteil aller und vor allen für die feministische Theorie sei. Daran lässt sich allerdings auch schon erkennen, dass ich mein Augenmerk auf zwei Dinge legen werde: Die Probleme und Hindernisse, die zwar nicht im Gendern selbst liegen, aber sich in ihm ausdrücken, und der künstlich verengte Diskurs.

 

(„Geschlecht“ wird hier immer als soziales Geschlecht verstanden, welches sich über Rollen-, Handlungs- und Normvorstellungen konstituiert)

 

Das erste, das mich stört, ist, dass es überhaupt einen Grund gibt, weshalb das Gendern als notwendig gesehen wird – die fehlende Gleichstellung der Geschlechter. Zugegebenermaßen: Es ist sehr naiv zu sagen, ich möge das Gendern nicht, weil ich die Ungleichheit zwischen Mann und Frau ablehne. Damit ließe sich auch nicht begründen, weshalb das Gendern abzulehnen sei. Das ist hiermit auch nicht gemeint. Es geht vielmehr darum, den Zwang aufzuzeigen, welchen wir dadurch ausgesetzt werden.  Genauso wenig mag ich es bspw. meine leeren Bierflaschen neben den Mülleimer zu stellen, weil es mir nicht gefällt, dass es Leute gibt, die diese sammeln müssen. Es wäre ja viel schöner, wenn ich meine Flaschen einfach in den Mülleimer schmeißen könnte, weil es niemanden gäbe, der die neun Cent gebrauchen könnte – dass dadurch der Sinn des Flaschenpfandes verloren gehen würde, sei mal dahingestellt. Übertragen auf das Genderthema wäre es wahrscheinlich nie zu einer Debatte über geschlechtergerechte Sprache gekommen, bestünde eine Gleichheit der Geschlechter. Das ist natürlich eine idealisierte Überlegung, während die echte Welt ungerecht und voller Leid ist, weshalb die Menschen alles dafür tun, dieses Leid zu minimieren.

Pragmatische Lösungsansätze werden gesucht und da man durchaus die These vertreten kann, dass unsere Sprache und wie wir sie benutzen einen Teil davon ausmacht, wie wir welche Realität wahrnehmen, ist eine Untersuchung eben jener im Bezug zu Geschlecht sinnvoll und aufschlussreich. Denn das Wort spiegelt in sich nicht nur eine Welt wider, sondern erschafft auch eine neue. Nicht nur wird die alte beschrieben und somit reproduziert, sondern gleichzeitig erhält die neue einen normativen Rahmen, der zeigt, wie sie sein soll. Wenn wir vergessen die Leserinnen eines Blogs anzusprechen, nicht weil das generische Maskulinum sie nicht auch enthält, sondern weil sie sich davon nicht angesprochen fühlen, sprechen wir sie auch nicht an und schließen sie aus dem Diskurs aus. Wir erschaffen somit eine Welt, in welcher sie keine Existenz haben. Der so dogmatische Verweis auf das generische Maskulinum als zeitlose Instanz der Repräsentation aller Geschlechter in der Sprache wird somit leer und auf Dauer auch nervig.

 

Das Problem, das aus dieser Erkenntnis allerdings sehr oft entsteht, ist die von der anderen Seite entwickelte Kategorisierung von gerechter und nicht-gerechter Sprache. Davon ausgehend wird dann auch automatisch abgeleitet, ob die Person, die diese benutzt oder nicht, für den Feminismus eintritt oder eben nicht. Leider funktioniert die Welt nicht so einfach. Sie lässt sich nicht in Gut und Böse unterteilen. Der größte Teil der Menschen ist im Graubereich dazwischen. Es ist nicht nur anmaßend, autoritär und durch einen moralischen Überlegenheitsanspruch verblendet, Personen vorzuwerfen, sie seien nicht feministisch oder sogar gegen die Gleichstellung, nur weil sie nicht gendern. Das schlimmste ist, dass anhand dieses einen Merkmals ganze journalistische Arbeiten verrissen werden, so, als hinge das Sternchen als Damoklesschwert über Text und Verfasser*in. Gerechtigkeit als großer Entwurf dient hier einer Ideologie, durch welche Sprache nicht mehr als Mittel der Informationsübertragung gesehen wird und das Gesprochene und Geschriebene das verliert, was es aussagt. Sie wird als Manifestation patriarchaler und männlich dominierter Strukturen gesehen, welche es zu bekämpfen gilt. Und das alles ausgehend einer Sache, dessen Beitrag zur Zerstörung eben jener Strukturen, freundlich ausgedrückt, überschaubar ist.

Ich habe es auch öfter erlebt, dass nach einem längeren mündlichen Vortrag über ein spezifisches Thema am Ende nicht Fragen zum Inhalt desselben gestellt wurden, sondern dazu, weshalb diejenige Person nicht genderte. Anfangs sind mögliche Erklärungen interessant – sie reichen von Unwissen über Routine bis hin zu der Heroisierung des Selbst, welches gegen die Vergewaltigung der schönen deutschen Sprache kämpft (das ist der größte Unsinn überhaupt). Irgendwann wurde mir allerdings bewusst, wie wenig es mich eigentlich interessiert, ob die Person vor mir gerade gendert oder nicht. Das, was mich dazu brachte ihr zuzuhören, war das, was sie sagte, und nicht, wie sie es sagte.

 

Was sich allerdings mit der Beschreibung dieses Problems nicht wegkritisieren lassen lässt, ist der Fakt, dass es oft sinnvoll ist, weibliche und männliche Endungen zu gebrauchen, um ein genaueres Bild zu vermitteln. Das Maskulinum zeigt ja eben nicht an, ob es sich nur um einen Mann bzw. mehrere Männer handelt oder ob es das generische ist. Für wissenschaftliche und journalistische Arbeiten somit jenes zu gebrauchen, führt zu vermeidbarer Ungenauigkeit. Vor allem heutzutage, wo die Repräsentanz des weiblichen Geschlechts durch das generische Maskulinum nicht nur normativ in Frage gestellt wird, sondern für viele (Männern und Frauen) schlicht nicht existiert. Wenn ich etwa „die Politiker“ lese, denke ich automatisch an eine Gruppe von Männern.
Daran anknüpfend lässt sich das Einwirken der Zeit, in welcher wir leben und geboren wurden, herannehmen. Für ältere Generationen kann dies nämlich anders sein: Wenn sie das generische Maskulinum verwenden, kann in ihren Köpfen durchaus eine gemischte Gruppe abgebildet sein. Hier zeigt sich also ein Unterschied bei der Benutzung von Begriffen, den man von unserer Seite nicht ignorieren sollte. Und ich warne abermals vor dem Erheben des moralischen Zeigefingers und der Verurteilung derer, die noch einen offenbar anderen Sprachgebrauch haben.
Wenn wir dann aber noch ein Stück weiter in die Vergangenheit gehen, wird es allerdings fraglich, ob es das generische Maskulinum überhaupt gibt, also wirklich beide Geschlechter gemeint waren, als bspw. von Politikern oder Wissenschaftlern die Rede war. Mein Zweifel rührt daher, weil Frauen bis vor 100 Jahren im öffentlichen Leben kaum eine Rolle spielten. Hieß es damals: „Ich gehe zum Arzt“, hatten die Menschen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht das Bild einer Ärztin im Kopf. Somit ist mein Schluss, dass das generische Maskulinum eine Erscheinung und ein Konstrukt einer relativ kleinen Zeitepoche ist, die an ihr Ende gelangt. Verzweifelt an ihr festzuhalten bringt nichts. Den Fortschritt zu forcieren finde ich gefährlich für den Fortschritt selbst, da die natürliche Entwicklung durch eine Spaltung der Gesellschaft in Menschen, die gendern und die es nicht tun, gehemmt werden könnte.  Und an alle die genau gegenteiliger Meinung sind, das Gendern als künstlich betiteln und den Rest, einschließlich des generischen Maskulinums, natürlich finden, sollte der Hinweis herangetragen werden, dass sie der Ideologie der Naturalisierung auf den Leim gehen. Sprache als etwas zu betrachten, das unabhängig vom Menschen in einer eigenen Natur erwächst, ist Schwachsinn. Sie war, ist und wird immer ein kulturelles Produkt der Gesellschaften sein, die sie verwenden, und ist somit in jeder Hinsicht künstlich. Mag sein, dass die Art und Weise, wie sich Sprache über lange Zeit entwickelte, verschieden von heute ist, da sie seit dem 20. Jahrhunderts stärker analysiert und dementsprechend zum Zentrum von Theorien wurde. Deshalb sind Veränderungen und Eingriffe in sie heute aber nicht mehr künstlich. Sie sind genauso künstlich wie davor, nur anders, und die Entwicklung, wenn sie relativ zu der geistigen Entwicklung der Menschen ist, ist genauso natürlich.

 

Gut, wir haben jetzt schon einige Pro-Argumente gehört, die aufzeigen, dass das Gendern selbst Vorteile hat, wie, dass das weibliche Geschlecht nicht mehr systematisch aus dem Diskurs und der Öffentlichkeit verdrängt wird, oder das Argument der Genauigkeit. Gleichzeitig wurde auf die Schwäche von – wie so üblich – rechter Seite hingewiesen, welche – wie so üblich – ideologisch durchnässt ist. Es gibt aber neben dem auch schon bereits erwähnten moralischen Überlegenheitsanspruch, der leider sehr oft links zu finden ist, auch die Überhöhung des Genderns hinzu dem alles entscheidenden Punkt, von dem das Überleben des weiblichen Geschlechts abhängt. Ich wundere und ärgere mich teilweise, dass dieser so präsente Feminismus gerechte Sprache zum Zentrum seiner Debatte macht. Ich behaupte, dass sich darin in purer Form der neoliberale Geist finden lässt, der es schafft, die Fragen über die Strukturen zu verdrängen und die Verantwortung auf das Individuum zu übertragen. Ich muss für diesen Text abermals die Metapher des Ablasshandels anführen: Man zahlt einen Betrag, der eigentlich einer Symptombekämpfung („der schon geschehenen Sünde“) dient, nur um sich selbst ein gutes Gefühl zu geben, damit man ja jeden Tag ´ne gute Tat vollbringt: Ich gender und Diskriminierung verschwindet, ich stelle meine Bierflasche neben den Mülleimer und ich muss nicht mehr an den Menschen denken, der die Flasche sammelt. Kurz: Ich habe meine Pflicht erfüllt, während eigentlich alles beim Alten bleibt.

Und das ist kein Argument gegen das Gendern, sondern gegen seine Priorisierung. Ähnlich ist es auch bei der Debatte um Rassismus. Hier bilden ebenfalls rassistische Begriffe den Mittelpunkt, während dadurch die eigentlichen Debatten um Strukturen, in welchen sich Rassismus ausdrückt, reproduziert und welche zwangsläufig auf das kapitalistische System zurückgeführt werden müssen, komplett verdrängt werden. Genau das lässt Diskriminierung von Frauen und ethnischen Minderheiten parallel verlaufen. Der sozioökonomische Status und die sich auch daraus ableitende Autonomie sind viel gewichtiger als das Fehlen eines Sternchens.
„Unser Sein bestimmt unser Bewusstsein“ schrieb Marx sinnhaft. Damit meint er, dass die materielle Welt bspw. das wirtschaftliche System und die mit ihm verbundene Güterverteilung, sich auf die Kultur und den kollektiven Geist auswirkt. Die strukurelle Benachteiligung von Weiblichkeit, egal ob Personen, die sie verkörpern, oder als weibliche geltende Verhaltensweisen, führt dazu, dass Frauen im Bewusstsein der Gesellschaft und somit auch ihrer Individuen eine Benachteiligung und Ungleichheit, ausgedrückt durch sexistische Denk- und Verhaltensweisen, erfahren. Ein Kapitalismus, der notwendigerweise alte Strukturen und Machverhältnisse reproduziert, sodass die Privilegierten leistungs- und kompetenzunabhängig ihre Privilegien sichern können, wird nie die Vorrausetzungen für eine Gleichheit aller erfüllen, weder materiell noch im sozialen. Und unabhängig seiner Prinzipien möchte ich noch darauf hinweisen, dass es wohl wenig gibt, das das Patriarchat so verkörpert wie der Kapitalismus. Nicht nur fehlt der formale Gleichheitsanspruch, der zumindest in den liberalen Demokratien zu finden ist, ganz allgemein kam er in einer Zeit zu seiner Genese, als Frauen nicht mal als ein Teil der Öffentlichkeit gesehen wurden. Er ist somit ein Produkt reiner Männlichkeit.
Ich schweife hier gerade ein wenig ab. Was ich aber zeigen wollte, ist, dass Feminismus nicht nur bis zum nächsten Satzende reicht, sondern die tiefsten Zusammenhänge unserer Gesellschaft betreffen sollte. Er muss gleichen Lohn und gleichen Zugang zu sozialen Positionen fordern und das tut er auch, aber nicht auf den Titelseiten, nicht in der alltäglichen Unterhaltung und nicht in der sowieso sich beim Platzen befindenden Twitterblase. Hier wird sich empört über toxische Männer und den letzten sexistischen Spruch eines blonden liberalen Parteivorsitzenden. Das nicht zu verdrängen ist wichtig, aber nur an der Oberfläche eines starren und widerstandsstarken Systems zu kratzen, sich in Strohmanndebatten mit Rechten zu begeben und dadurch selbst einen großen Beitrag zu leisten, dass die existentiellen Fragen, die das Wesen unserer Gesellschaft tangieren, an Bedeutung verlieren, ist meiner Meinung nach einer der schwerwiegendsten Entgleisungen der politischen Linken in den letzten Jahren. Sie ist mittlerweile selbst durchzogen vom Neoliberalismus und hat ihren sozialen Kern verloren.

Für mich steht die Debatte um das Gendern paradigmatisch dafür.

 

 

 

 

 

 

Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich das Gendern durchsetzen wird. Möglicherweise wird sogar eine komplett andere Lösung gefunden und eine neutrale Endung eingeführt, was dann auch vorteilhaft für die Implementierung nichtbinärer Geschlechtsordnungen ist, welche hier mal ausgeklammert wurden. Das wird sich zeigen. In der Zwischenzeit werde ich weiter beim Schreiben das Sternchen benutzen (möglicherweise lässt sich auch hier noch eine bessere Lösung finden) und beim Sprechen so oft ich mag, männliche und weibliche Formen mit einer Konjunktion verbinden. Leid werde ich es nur dann sein, wenn ich korrigiert werde.

Deshalb:

Grüße an alle, denen ich dann diese Erklärung geschickt haben werde 🙂

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/perspektive/gendern/

aktuell auf taz.de

kommentare