vonploetzeblog 23.06.2018

Plötze und Unerwartet

Eine Plattform für aktuelle Themen der Politik mit kurzen Unterbrechungen für skurriles und alltägliches aus Berlin.

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„Guten Tag, ich möchte Sie nicht bei Ihrer Fahrt stören. Ich heiße Lukas und bin momentan obdachlos. Über eine kleine Spende für etwas zu essen, zu Trinken oder auch einen sicheren Schlafplatz, freue ich mich.“

13 Uhr, Sonntagmittag, Berliner S-Bahn. Es ist heiß, die Sonne scheint trotz des Schmutzes unbarmherzig grell durch die Fenster. Die Luft scheint zu stehen: es riecht nach Schweiß, einem Gemisch aus verschüttetem Alkohol, Erbrochenen und vollen Kinderwindeln. Ein Baby fängt an zu schreien. Ein Tag wie jeder andere.

Müßig schlendert der Mann mit geöffneter Hand durch den Gang der S-Bahn, von Vierer zu Vierer, wobei er versucht, jedem der Fahrgäste in die Augen zu schauen.

Handy, Kopfhörer, Buch, Fenster, Zeitung. Ein Blick, der nicht erwidert wird. Ich selbst mit einem Buch in der Hand, schaue nur kurz hoch, um ihn mit einem – wie ich meine – höflichen Nicken abzuweisen.

„Vielen Dank und einen schönen Tag wünsche ich Ihnen allen noch.“

Der Mann steigt aus und mit ihm schwindet der Geruch von altem Urin.

Ein Tag wie jeder andere.

„Nächste Haltestelle: Wedding. Ausstieg in Fahrtrichtung, rechts“ ertönt die monotone Stimme aus den Lautsprechern. Ich stehe auf und winde mich durch die schwitzenden Körper in Richtung Tür.

An der Treppe sitzt ein Obdachloser mit seinem Hund, in seine Gedanken vertieft, spricht er zu sich selbst: „Ihr seid alle Gefangene. Was ist mit der Nächstenliebe passiert? Ich wollte heute Morgen nur `n Sucukbrötchen und `nen Kaffee. Nichma das habense mir gegeben…“

Es geht nur langsam voran, der Bahnsteig ist überfüllt. Ich beschließe, den restlichen Weg zu laufen. „Ein bisschen Sonne schadet nie“, denke ich und überquere die Straße.

Den warmen Sonnenschein auf meinem Gesicht spürend, laufe ich, die Musik auf voller Lautstärke, nach Hause. Eine junge Frau mit einem Kinderwagen kommt mir entgegen. Wir lächeln uns an, nicken uns zu und gehen weiter.

Hupen. Neugierig nehme ich meine In-Ears aus den Ohren und drehe mich, wie viele weitere Passanten, um:  Eine Autokarawane fährt laut hupend an mir vorbei, ganz vorne eine Limousine, schwarz glänzend mit einem riesigen weißen Blumenkranz auf der Motorhaube geschmückt und weißen Tüchern, die, festgebunden an den Seitenspiegeln, im Fahrtwind wehen. Die Braut hält ihren Brautstrauß mit ausgestrecktem Arm aus dem geöffneten Fenster. Ein elegant gekleideter Mann steht aufrecht in der Mitte des Fahrzeugs – er hatte das Dachfenster geöffnet – und schwenkt laut lachend die türkische Fahne.

Ich lächle und konzentriere mich wieder auf meine Musik. Ein Geruch nach faulen Eiern liegt in der Luft: der Geruch kommt aus einem Gulli. Ich rümpfe die Nase und laufe, durch den Mund atmend, schnellen und bestimmten Schrittes geradeaus weiter.

Wie aus dem Nichts ertönt eine Sirene. Das schrille, ohrenbetäubende Geräusch lässt mich zusammenzucken. Reflexartig halte ich mir die Ohren zu, was sich, zugegebenermaßen, als höchst kontraproduktiv herausstellt, da ich meine Musik nun nur noch lauter höre.

„Hier steht doch noch nicht mal `n Auto im Weg und ´ne Kreuzung ist das auch nicht. Muss das jetzt wirklich sein?“ grummle ich genervt.

Vorbei an Divans Frühstückshaus, der Kaffeerösterei, der Bibliothek, dem Späti, dm und der Hofbäckerei, laufe ich nach Hause.

Ein Opa sitzt kiffend in seinem elektrischen Rollstuhl neben Penny und unterhält sich lachend mit einer Frau. „Dildoking. Sex macht das Leben schöner“ prangert es von der sich drehenden Werbetafel. Ich muss schmunzeln und schlendere grinsend weiter.

Die Verkäuferin der Bäckerei lächelt mich an und winkt mir zu, als sie mich vorbeigehen sieht. Stammkundin eben. Selbst der Mann des Saray – Dönerladens und Restaurant scheint heute bester Laune zu sein und lächelt mir ebenfalls zu.

Zufrieden suche ich nach meinen Schlüsseln.

Ein Tag wie jeder andere. Willkommen in Berlin.

 

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kommentare

  • Moin!

    Mitte Juni war ich mal wieder in Berlin. Oh shit, ich hatte bis dahin schon wieder vergessen, wie stickig die Luft in den U+S-Bahnen – und auch in den U-Bahnschächten – nach heißen Sommertagen werden kann…. Kannte ich noch nicht: Das Strassenmagazin “streem” (hat mir aber überrhaupt nicht zugesagt); obligatorisch natürlich mind. 3 Motzverkäufer*innen täglich, die ihre “Ware” anpreisen….. Ja, ich vermisse Berlin manchmal. 🙂

    Grüße aus Hamburg!

    • Hey!
      Ich habe deinen Kommentar gesehen und genau jetzt sind es gefühlt 40 Grad in den U-Bahnen! Aber ohne den Berliner Moloch geht es doch nicht, man vermisst ihn trotzdem jedes Mal!
      Liebe Grüße!

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