vonChristian Ihle 25.06.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Als vor zwei Jahren auf einem Sampler des Transgressive Recordlabels die Demoversion eines Songs von Johnny Flynn enthalten war, dachte man an einem wohlmeinenden Wiedergänger von Nick Drake. Zart, verhuscht, fragil klang „Tickle Me Pink“.

A Larum

Umso größer war nun die Überraschung als man Flynns Debütalbum in der Hand hielt. Vielleicht hätte man schon misstrauisch werden sollen, dass er nun nicht mehr unter dem einfachen Namen „Johnny Flynn“ firmierte, sondern ein „& The Sussex Wit“ als Zusatz verwendet. Im Gegensatz zu dem früheren ein-Mann-und-seine-Gitarre-Demo bedient sich Flynn nun eines vielfach verbreiterten Soundspektrums: Streicher, Drums, Background-Vocals – alles am Start.

Wie gut seine Songs aber sind, zeigt sich gerade dadurch. War „Tickle Me Pink“ in der Nick-Drake-Gedenkversion schon ein brillantes Lied, so vermindert der volle Bandeinsatz bei der Albumversion nicht etwa dessen Güte, sondern erhebt den Song sogar noch über die ursprüngliche Version, weil allein der mehrstimmig gesungene Refrain „Pray for the people inside your head for they won’t be there when you’re dead“ auf die Brillanz seiner Texte mit Vehemenz verweist. “Leftovers is what I want / Don’t need no fine cuisine” mag Flynn singen, doch das Gegenteil ist der Fall. Alles fein, hier.
An anderer Stelle ist Nick Drake gänzlich vergessen und es werden ruhige Pogues-Folk-Songs oder Tom Waits zitiert, denn Flynns „Hong Kong Cemetary“ könnte auch von Waits sein, wäre er ein vom frühen 20. Jahrhundert besessener Brite. Als Bonus schenkt er uns noch Lieder, die nach Wayne Rooney benannt sind und von Barkeepern handeln, die wie George Best aussehen. Alles Champions League, sozusagen.

Flynn folgt der erstaunlichen Singer-Songwriter-Welle, die in diesem Jahr abseits allzu großer medialer Aufmerksamkeit in Großbritannien für Aufsehen sorgt. Ob Lightspeed Champion Americana nach England bringt oder Laura Marling zur heimlichen Königin der britischen Indieszene wird – in England dreht sich nach den hektischen New-Wave-Post-Punk-Jahren wieder alles um die Akustikgitarre. Im September veröffentlicht dann die große Emmy The Great ebenfalls ihren ersten Longplayer, so dass es verwundern dürfte, wenn im Dezember nicht die Hälfte der Alben des Jahres von Briten mit Akustikgitarren geschrieben wurden. Johnny Flynn ist dabei schon einmal das bisher beste britische Debütalbum 2008 gelungen. (Christian Ihle)

P.S.: Das Album ist übrigens nur als Import erhältlich, da eine Deutschland-Veröffentlichung noch aussteht. Weiß der Teufel, warum.

Anhören!
* Tickle Me Pink hier
* Hong Kong Cemetery
* Eyeless In The Holloway

Im Netz:
* MySpace

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