vonChristian Ihle 15.01.2014

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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1. Der Film in einem Satz:


Citizen Kane auf Koks an der Wall Street: GREED IS FUCKING GREAT.


2. Darum geht‘s:


Der junge Aktienhändler Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) arbeitet sich an der Wall Street hoch und wird zu einem der reichsten Broker seiner Zeit. Seine Methoden sind unkonventionell, sein Selbstbewusstsein und seine Partywut selbst für die dortigen, dekadenten Verhältnisse legendär. Seinem rasanten Aufstieg folgt natürlich auch ein Fall – aber für die längste Zeit des Dreistundenfilms beschäftigt sich Scorsese mit der Hausse, dem Hoch, dem High. Und wie.


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=iszwuX1AK6A[/youtube]


Ganz ehrlich: ich hätte nicht gegelaubt, dass Martin Scorsese so einen Film noch in sich hätte. Nicht nur, dass es der beste Scorsese seit langer, langer Zeit ist, sondern auch was für ein Film “Wolf Of Wall Street” geworden ist. Eine einzige Feier des Absurden, Wilden, Unbändigen, die ein irres Tempo anschlägt, keine Rücksicht auf nichts, niemanden, political correctness, Moralempfinden oder Sensibilität nimmt, sondern mit einer Vehemenz alle vorgeblichen Grenzen bricht, dass einem der Atem stockt.

Wie erbärmlich doch Oliver Stones “Wall Street”-Fortsetzung im Rückblick dazu wirkt! Ja, wie zu kurz springend selbst der legendäre Orginal-“Wall Street” mit seinem “Greed is good”-Mantra scheint – das Motto des Wolfs ist eher GREED IS FUCKING GREAT. In Großbuchstaben. Ja.





Selbst die Schauspieler wirken wie auf Drogen, überdreht an den Anschlag, zur Eigenkarikatur verkommen – aber im Kontext dieses Wirbelwinds von einem Film ist selbst das keine Kritik, sondern nur schlüssig. Ein Leonardo DiCaprio, der hier den Prototyp eines Verkäufers spielt, an dem sich jede Figur dieser Art ab jetzt messen lassen muss. Ein wunderbarer Matthew McConaughey, der in seinen fünf Minuten Spielzeit so sensationell ist, dass man ihm allein dafür einen Nebendarsteller-Oscar in die Hand drücken möchte und bei dem die ganzen letzten (überraschend beeindruckenden) Jahre seiner Karriere (“Killer Joe“, “The Counselor”) in dieser Rolle kulminieren.

Wenn Martin Scorsese nun noch den Niedergang des Jordan Belfort mit ein wenig mehr Interesse verfolgt hätte und nicht als pflichtschuldige Übung in zwanzig Minuten abhandelte, dann wäre “Wolf Of Wall Street” nicht nur einer der besten Filme des Jahres, sondern einer fürs Jahrzehnt geworden. So ist der Aufstieg ähnlich mitreissend wie in Orson Welles “Citizen Kane” damals, der Abstieg erreicht aber bei weitem nicht die tragische Dimension des Welles’schen Megalomanen-Portraits.

Davon abgesehen: eine wildere Fahrt wird man 2014 im Kino kaum erleben als mit dem “Wolf Of Wall Street”.


3. Der beste Moment:


Unzählige over-the-top-Momente, die dennoch funktionieren. Als Beispiel sei die Einführung in Wall Street – Gepflogenheiten durch McConaughey genannt oder die absurde Komik, die aus einer Quaaludes-Überdosis erzeugt wird, während der sich Jonah Hill und DiCaprio ein Slapstick-Duell liefern, das man so wirklich nicht in einem Scorsese-Film erwartet hätte.


4. Diese Menschen mögen diesen Film:


Die Frage lautet eher: wer könnte den Film nicht mögen?
Man darf sicher keine Verurteilung der Aktienhai-Mentalität erwarten, sollte prinzipiell den Hedonismus lieber zum engeren Freundeskreis zählen und weder mit der Darstellung von unnötiger Nacktheit noch überreichem Drogenkonsum ein Problem haben.


* Regie: Martin Scorsese
* imdb

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https://blogs.taz.de/popblog/2014/01/15/the-wolf-of-wall-street-regie-martin-scorsese/

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kommentare

  • Einspruch:
    Der Film besteht aus 3 Stunden herumschreien, fluchen, Drogen schlucken. Die Charaktere sind platt, die Story vorhersehbar. Fazit: Zeitverschwendung.

    Korrekt:
    Matthew McConaughey wird immer besser. Recht vielversprechend gestartet ist gerade die TV-Serie “True Detective” mit Woody Harrelson.

  • Vor einigen Tagen sah ich nachts noch mal “Hexenkessel” im TV. War interessant, dies kurz vor “Wolf Of Wall Street” zu sehen. Der Hexenkessel sozusagen vierzig Jahre und einige Kulturepochen später.

  • Ja, da bringst du wohl gut auf den Punkt, was mich gestört hat, bzw. was den Film wahrlich groß gemacht hätte. Die Balance fehlt. Für mich eine ganz entscheidende Szene, an der dieses Problem für mich exemplarisches erkennbar wird, war z.B. die fürchterliche fast-Vergewaltigung am Ende, bei der ich als Zuschauer dankbar war, dass sie nicht noch schlimmer wird, bei der es sich aber Scorsese zu einfach macht, eben weil er die Szene “abfängt” und den Zuschauer schont.

    P.S. Danke für den schönen Blog, bin ein regelmäßiger Besucher und habe schon manche Inspiration mitgenommen – Danke! =)

  • Ich denke, dass erstmal die gesamte Darstellung bewusst so gewählt ist – ob das der Drogenkonsum ist, die Hemmungslosigkeit mit der anderen das Geld aus der Tasche gezogen wird oder eben auch Frauen zu objektifiziert werden. Also die Oberflächlichkeit und Leere der Figuren wird ja auch durch ihre Handlungen und dadurch dass sie eben keine zweite Ebene, keinen moralischen Resonanzboden haben, verdeutlicht. Das ist ja durchaus in der Darstellung selbst schon eine Kritik.

    Ich finde es auch im Prinzip in Ordnung, den hedonischen Rausch erstmal so ohne Zeigefinger darzustellen – allerdings ist die letzte halbe Stunde auch das, was mir zu einem großartigen, nicht nur sehr guten, sehr unterhaltsamen Film fehlt: mir kommt es ein wenig so vor, als würde Scorsese am Ende eher pflichtschuldig eben auch noch die dunkle Seite abhandeln, den Wahn des Zu-weit-gegangenen zeigen, als dass er wirklich den Fall von Belfort noch anständig inszenieren würde. Und dadurch fehlt dem Film schon ein wenig die Balance, wird sozusagen den sexistischen ersten zwei Dritteln nichts entgegengestellt.

  • Ich war auch sehr beeindruckt..was die filmische und erzählerische Machart anbelangt, auch die Schauspieler, allen voran – DiCaprio: großartig! Aber: etwas mit dem ich bis jetzt noch keinen Frieden schließen konnte ist, WIE sexistisch der Film ist. Klar, es ist eine Macho-Domäne, aber es gibt hier eigentlich keine einzige Frau, die nicht in erster Linie, bzw. nur Sex-Objekt ist und dementsprechend bevorzugt nackt durchs Bild springt..
    Für mich gab es viele Momente in denen mir das Lachen im Halse stecken blieb, das Kino aber lauthals gelacht und wohl auch Lachen sollte. Vielleicht bin ich humorlos =) ..aber das macht mir in dem Fall doch Schwierigkeiten den Film einfach zu mögen, was ich gerne würde…

    Klar, ein Film muss nicht p.c. sein und darf Dinge so stehen lassen und die Verantwortung dem Zuschauer überlassen, sich daran zu stoßen. Wir sehen ja auch nie die Opfer der Betrugsmaschen, der Film macht aber dennoch keinen Hehl daraus: wir schauen abstoßenden Typen zu! Aber am Ende sympathisieren wir doch sehr mit DiCaprio und Co. Oder ging es nur mir so, dass man als Zuschauer natürlich gesehen hat, wie furchtbar das alles ist, aber halt doch Spaß mit den Akteuren hatte und letztendlich für sie gehofft hat!?

  • Und ja: Counselor selbst war als ganzes wirklich kein guter Film, hatte eher immer wieder seine Momente. Aber für die Masse an Talent vor und hinter der Kamera schon eine Enttäuschung.

  • Stimmt. Danke für den Hinweis, hab ich ausgebssert. Weiß ich jetzt auch überhaupt nicht wie ich die beiden durcheinander bringen konnte.

    Jedenfalls: ich bin wirklich ziemlich überrascht von McConaughey – ich hatte den jahrelang immer nur als Schönling für Romcoms oder Grisham-Verfilmung abgespeichert, aber gerade diese dreckigen Rollen wie hier oder in Killer Joe ihm überhaupt nicht zugetraut. Und bald kommt ja auch noch Dallas Buyers Club, den man da sicher auch mit dazu zählen darf.

    In Wolf… hat er mich übrigens auch an Christian Bale in American Hustle erinnert.

  • Matthew McConaughey hat in “The Counsellor” – übrigens ein eher unbeeindruckender Film – nicht mitgespielt, das war Michael Fassbender. Schmälert aber nicht McConaugheys Karrierehoch.

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