vonChristian Ihle 09.02.2016

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Elf Jahre sind vergangen seit die Libertines, die wesentliche britische Gitarrenband der Nullerjahre, in einem Strudel von Drogen, Gefängnis und Streitereien implodierten. So wie die Beziehung der beiden Frontmänner Carl Barât und Peter Doherty immer ärger und inniger war als üblich, war auch das Auseinanderbrechen ihrer Band keine gewöhnliche Geschichte. Als Doherty, der Drogen immer als Teil des Künstlerdaseins begriff, zu unzuverlässig wurde, um noch mit der Band Auftritte zu bestreiten, warf ihn Barât – zunächst vorübergehend – aus der Gruppe, woraufhin Doherty in dessen Wohnung einbrach und ihn ausraubte. Auch wenn in einer weiteren unwahrscheinlichen Volte ihrer Geschichte der Beraubte den einbrechenden Bandkollegen Monate später am Gefängnis abholte und beide noch am gleichen Abend ein Spontankonzert veranstalteten, war der Bruch doch zu groß, als dass sie noch einmal in einem Aufnahmestudio zusammenfanden.

Auch wenn Doherty in der Folge – unter dem Banner seiner Babyshambles – seinen wohl bekanntesten Song „Fuck Forever“ veröffentlichte, war doch eine Leere durch das abwesende Korrektiv des Kollegen Barât geblieben. Dieser wiederum wurde mit seiner Band Dirty Pretty Things zum soliden, biederen Indierocker, dem aber der Wahnsinn Dohertys fehlte. Nach einigen gemeinsamen Auftritten im letzten Jahr kündigte Barât überraschend an, dass sich die Libertines über den Reunion-Zirkus hinaus mit einer neuen Platte wieder eine Legitimation für das Jetzt schaffen wollen. Nun sind die Libertines tatsächlich mit einem dritten Album zurückgekehrt. Sie haben sich damit als verlässlicher erwiesen als man es von ihnen je erwartet hätte, andererseits stehen Doherty und Co. nun auch vor der Weggabelung, eine ganz normale Band zu werden, die normale Banddinge tut. Schade um den Rock’n’Roll-Mythos, den diese Band befeuerte wie keine andere in den letzten 15 Jahren, aber sicherlich besser für Gesundheit und mentales Wohlbefinden aller Beteiligten.

Eine Abkehr vom täglichen Heroin-/Crack-Gebrauch und Aufnahmesessions direkt in Dohertys Drogenentzugs-Refugium in Thailand förderten überraschend schnell neu geschriebene Songs und ein fertiges Album zu Tage. Zwar ist der offizielle backcatalog der Libertines mit gerade einmal zwei Alben überschaubar, doch flirren im Internet Dutzende weitere, nie veröffentlichte Songs herum, mit denen allein schon ein drittes, „neues“ Album locker zu füllen gewesen wäre. Doch auf der neuen, „Anthems For Doomed Youth“ betitelten Platte, findet sich mit einem ihrer allerältesten, schon Jahre vor dem Debütalbum geschriebenen Song „You’re My Waterloo“ nur ein Stück aus dem Archiv, das in einer hervorragenden, neuen Aufnahme zum Doherty’schen „Don’t look back in anger“ wird  – aber eben cleverer, weiser, belesener!


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Die Libertines mögen Träumer sein, naiv sind sie bei aller Nostalgie nicht. Mit einer erstaunlichen Selbsterkenntnis sezieren sie mal um mal ihre eigene Geschichte, erzählen sie nach, verfremden und poetisieren sie – ohne dabei mit Kritik an sich selbst zu sparen. Einer ihrer größten Hits, „Can’t Stand Me Now“, bestand aus nichts anderem als der geradezu absurd offenen Verkündung ihrer Differenzen, ihrer Selbstdestruktion. Und daran knüpfen sie gleich mehrfach auf „Anthems“ an: es sind Songs über ihre Jugend, über ihr einst wild pochende Herz und – mehr als einmal – über die Momente, in denen sie den Selbstzerstörungsbutton in aller Öffentlichkeit mit solcher Wucht betätigten, wie man das vom marketinggesteuerten Musikbusiness einfach nicht mehr gewohnt ist.


[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=CfMwouvzKEM[/youtube]


Was aber das wahrscheinlich Schönste an all diesen Texten ist: jene per aspera ad astra – Grundhaltung, ihre gegen alle Widrigkeiten nach den Sternen greifen – Attitude. Ein tröstender Trotz spricht aus den Lyrics. Wo es früher noch „the boy kicked out at the world / the world kicked back a lot fucking harder now“ hieß, singen sie jetzt „I believe, somehow / The world’s fucked but it won’t get me down”. Ja, wir hatten alles, haben noch mehr weggeworfen, haben nicht nur einmal auf die Fresse bekommen – aber wir stehen wieder auf, wir sind wieder da.

Und so wird der Albumtitel auch treffend: es sind Geschichten über eine Jugend am Abgrund, aber es sind Hymnen darauf.


Libertines auf Tour:
* MÜNCHEN – FREIMANN
Zenith, die Kulturhalle Di, 09.02.16
* KÖLN
Palladium Köln Mi, 10.02.16
* ZÜRICH
X-TRA Do, 24.03.16
* WIEN
Wiener Stadthalle Halle D Fr, 25.03.16

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https://blogs.taz.de/popblog/2016/02/09/anthems-for-doomed-youth-the-libertines-mit-neuer-platte-auf-deutschlandtour/

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