Vom folkloristischen Einzelgänger zur bizarr quäkenden Kult-Figur: Jonathan Richman
Vor intimem Freundeskreis im knapp zur Hälfte gefüllten Kant-Kino offenbarte sich zu später Stunde der Amerikaner Jonathan Richman als tragikomischer Alleinunterhalter. Der 28-Jährige, der mit seinen Nonsens-Songs „Road Runner“ und „Ice Cream Man“ und vor allem dem Instrumental-Hit „Egyptian Reggae“ im vergangenen Jahr Furore machte, kam ohne seine Band „The Modern Lovers“ an die Spree. Nur mit Gitarre bewaffnet erfreute Jonathan die Fan-Schar mit seinen seltsamen Gesängen.
Jonathan Richman ist weder ein begnadeter Gitarrist noch ein hörenswerter Sänger. Der exzentrische Underground-Poet und Andy-Warhol-Spezi hat eigentlich nur seine Person, die er gut — und sicher ungewollt — verkauft. Emotionsgeladen, mit nervösem Blitzen in den Augen, singt er naive Liebeslieder, erzählt Kindergeschichten („Wenn du mir sagst, was Erwachsene sind, sage ich dir, ob ich für Erwachsene singe“) oder spielt erschreckend primitive, instrumentale Rock-’n’-Roll-Klassiker. Der Sanfte fängt sein Publikum durch eine — unbeschreibliche, sympathisch-herrliche Aura. Mal singt er ohne Mikrofon, mal lässt er gar die Gitarre auf der weiten, leeren Bühne liegen und singt mitten im Auditorium a cappella atonale Liebesballaden.
Der subkulturelle Prediger mit der Viereindrittel-Noten umfassenden Stimme quäkt seine Rocksongs, als wäre er eine Platte auf einem unregelmäßig laufenden Plattenspieler, nutzt den Abend zur Selbstdarstellung, singt von Jugendfreundinnen, Freundesfreundinnen und unerwiderter Liebe, versichert, dass er nichts gegen die Befürworter der Atomenergie hat, aber keine radioaktiven Blumen will, lässt „Buzz buzz buzz“-Biene und „Tweedely tweedely tweed“-Vogel schwirren, breitet seine verquere Lebensphilosophie aus, sorgt für herzlich-befreite Lacher.
Als folkloristischer Einzelgänger im donnernden Rockbusiness zieht Jonathan mit stillen Tönen durch phon-gewohnte Hallen und zaubert ein Lächeln in Punk- und Freak-Gesichter. Ohne viele Fragen zu stellen, nimmt man ihm seine auf den ersten Blick weltfremd erscheinenden Erzählungen ab, leidet mit ihm, freut sich mit ihm, fliegt gar mit ihm mit, wenn er verkündet, dass er jetzt ein Flugzeug sei. Der Musiker Jonathan Richman gehört zu den bizarrsten Kult-Figuren der Rock-Szene seit Velvet Underground.
(Peter Müller, 1979)
Der Originalartikel findet sich in diesem schönen Wiki über Konzerte in Berlin.
Ich sag nur mal „PABLO PICASSO“.