vonLeisz Shernhart 16.07.2022

Poetik des Postfaktischen

Zu viel Form für zu wenig Inhalt: Zur Rolle des Kulturschaffenden in der postfaktischen Gesellschaft. Betrachtungen ohne abschließende Bewertung.

Mehr über diesen Blog

im Folgenden ein recht amüsantes Interview, das die Anastalia mit mir für ihre Online-Ausgabe geführt hat. Leider kann ich mich nicht so recht des Eindrucks erwehren, dass man mich etwas in die Pfanne hauen wollte bei dem Termin, aber lesen Sie selbst:

 

Anlässlich des anstehenden Jahrestages des Anarchostalinistischen Schriftsteller*innen Verbandes gelang es der Redaktion der Anastalia eines der Gründungsmitglieder der Bewegung für ein kurzes Interview zu gewinnen. Herr Dr. Leisz Shernhart hat sich inzwischen nach etlichen mehr oder weniger öffentlich ausgetragenen künstlerischen und persönlichen Querelen mit seinem einstigen programmatischen Ziehvater und Mentor, dem inzwischen an Covid 19 verstorbenen  Dr. phil. Benfried Gott, vom Anarchostalinismus weitgehend distanziert. Shernhart hat sich mit der Anastalia getroffen, um in diesem Interview erstmals über seinen steilen Aufstieg in der Szene der postfaktischen Literatur zu sprechen.

 

Anastalia: Herr Shernhart, wie geht es Ihnen? Wie ich gehört habe, kommen Sie frisch aus der Quarantäne?

 

Shernhart: Danke. Es geht schon wieder. Die alte Seuchenlunge sollte nur mal wieder ordentlich durchgelüftet werden. Ich habe den Spaziergang vom Parkplatz hierher sehr genossen. Es tut gut, wieder am Leben teilzunehmen.

 

Anastalia: Konnten Sie denn die Zeit wenigstens produktiv nutzen?

 

Shernhart: Es geht. Ich glaube eigentlich, dass ich besser denke, wenn ich in Bewegung bin. Im Endeffekt habe ich die Zeit wohl eher mit recht prosaischen Brot- und Buttertätigkeiten verplempert. Ich habe einige Skizzen überarbeitet und etwas meine Social-Media-Kanäle gepflegt. Dinge eben, für die man sonst nie Zeit findet. Ansonsten habe ich viel gelesen und es genossen, meine Ruhe zu haben. Mit dem Alleine-Sein hatte ich noch nie Probleme. Ich gehöre glücklicherweise nicht zu den Menschen, die nichts mit sich selber anzufangen wissen.

 

Anastalia: Herr Shernhart, bitte verzeihen Sie, wenn ich mit einer sehr persönlichen Frage beginne. Wie man hört, ist zu Beginn der dritten Welle ihr langjähriger Wegbegleiter und, wenn man das so sagen darf, ehemaliger Mentor und Mitbegründer der postfaktischen Bewegung, Benfried Gott, an COVID-19 verstorben. Wie hat sich dieser Verlust auf ihr derzeitiges Schaffen ausgewirkt? Bis zuletzt schienen sie mit Gott recht unversöhnlich zerstritten. Konnten Sie sich noch mit ihm aussöhnen?

 

Shernhart: Darüber möchte ich nicht sprechen.

 

Anastalia: Das kann ich gut verstehen. Stimmt es eigentlich, dass Sie mit der Erbengemeinschaft Gott in einem, naja, sagen wir, Beinahe-Rechtsstreit liegen? Es soll dabei um einige Urheberrechte in Zusammenhang mit hochpreisig versteigerten NFT-Kunstwerken gehen, bei denen nicht abschließend geklärt wurde, wer der Verfasser der Textfragmente ist. Verzeihen Sie, wenn ich so indiskret frage, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Aber die Szene interessieren nun einmal genau diese Themen am meisten.

 

Shernhart: Ich verstehe schon. Sie müssen ja schließlich auch nur Content generieren, genau wie wir alle. Das Problem ist, dass Benfried während der äußerst fruchtbaren Phase unserer Zusammenarbeit einige meiner Texte vertont hat. Die Aufteilung von Text – und Tonrechten ist nun in manchen Fällen strittig. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

 

Anastalia: Ein weiterer schwerer persönlicher Verlust in diesem Jahr war der gewaltsame Tod Iljushan Berenskievs, dessen Leben leider durch die Hand des russischen Aggressors in der Ukraine ein viel zu frühes Ende fand. Als engem Freund seiner Familie spreche ich Ihnen hiermit im Namen der Anastalia mein aufrichtiges Beileid aus. Nach Gott nun auch noch Jushi. Inwiefern haben diese schweren persönlichen Verluste Ihr Schaffen in jüngerer Vergangenheit beeinflusst?

 

Schernhart: Auch darüber spreche ich nicht gerne. Ich muss schon sagen, Sie gefallen sich offensichtlich darin, Ihre Finger in offene Wunden zu legen. Ich hoffe nur, Sie haben sich vorher auch brav die Hände desinfiziert. Was soll ich sagen? Der Schmerz sitzt tief. Um Jushis literarisches Vermächtnis angemessen zu würdigen, hatte ich ja beschlossen, die Texte, die ich auf seinem mir durch seine Frau überlassenen Laptop gefunden habe, zu sichten, zu übersetzen und sie, in welcher Form auch immer, zu veröffentlichen. Ich fürchte nur, ich habe mir zu viel zugemutet. Die Arbeit ist schwer und tut mir auch derzeit nur bedingt gut. Zum Teil ist die Sichtung seiner Textfragmente Trauerarbeit und hilft mir, den schmerzhaften Verlust zu verarbeiten. An anderen Tagen kann ich Iljushans Laptop nicht anrühren. Ein schwieriges Thema. Auch der Umgang mit seiner Frau, die sich glücklicherweise mit Jushis Tochter nach Deutschland retten konnte und vorübergehend bei mir untergekommen war, ist derzeit eher schwierig. Es werden aber in Zukunft definitiv noch mehr von Jushis Texten erscheinen. Bitte lassen Sie uns nun das Thema wechseln.

 

Anastalia: Danke, Herr Shernhart, für die ehrliche Antwort (Shernhart wirkt sichtlich berührt!). Es tut mir leid, wenn wir Ihnen zu nahegetreten sind! Gibt es Neuigkeiten von Kolja Ras?

 

Shernhart: Ich habe seit Wochen nichts von ihm gehört. Es gibt Gerüchte, wonach seine Kampfgruppe sich bis fast zuletzt in einem der Bunker des Asow-Stahlwerks in Mariupol gehalten habe. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Wenn ja, ist er nun in Gefangenschaft oder tot.

 

Anastalia: Herr Shernhart, kommen wir zu einem erbaulicheren Thema: Sie haben ja einen steilen Aufstieg in der Szene der postfaktischen Literatur hingelegt, wenn man das so sagen darf. Nun stehen Sie kurz vor dem Durchbruch zu einem breiteren Publikum. Man munkelt, dass Ihnen bereits einige kleinere Verlagsangebote zugegangen sind. Wird man Sie bald im Deutschlandfunk besprechen?

 

Shernhart: (lacht) Bislang hat bei mir noch keine arabische Großfamilie angeklopft und ihren Anteil verlangt, falls Sie das meinen.

 

 

Anastalia: Ich sehe schon, Sie weichen aus. Innerhalb der Szene sind Sie ja nicht unumstritten. Von den progressiven Elementen werden Sie beinahe vergöttert, während die Gralshüterbewegung Sie eher mit Missachtung straft bzw. Ihnen öffentlich die kalte Schulter zeigt. Wie gehen Sie damit um?

 

Shernhart: Wissen Sie, das ist doch ganz offensichtlich Teil der Poetik des Postfaktischen. Es war immer das Spannungsfeld zwischen literarischer Tradition und Innovation, welches mir der fruchtbarste Acker war. Wenn eine Programmatik des Postfaktischen von der Peripherie ins Zentrum vorrücken will, so muss dies ohne eine Spaltung in mindestens zwei diskursive Lager zwangsläufig misslingen. Die Spaltung ist Teil der Ästhetik. Die Texte und Fragmente dürfen einem Teil der Rezipienten gerne lästig erscheinen. Shernharts Fragmente sind wie eine flackernde Neonröhre. Störend, anstrengend, ungefällig, anziehend und gleichzeitig abstoßend. Der Hausmeister sollte mal nach ihnen sehen.

 

Anastalia: Ich finde aber auch, dass sie hin und wieder eine atemberaubende Schönheit „durchflackern“ lassen. Ich denke, mit der Zeit wird davon mehr zu sehen sein.

 

Shernhart: Danke. Das ist wahr. Vielleicht sollte ich mehr Schönheit zulassen.

 

Anastalia: Vielleicht wird die kaputte Neonröhre ja doch noch zum schicken Kronleuchter?

 

Shernhart: Aber Kronleuchter sind doch meistens auch recht angestaubt, finden Sie nicht? Ich funzle lieber noch ein bisschen herum…

 

Anastalia: Der konservative Flügel der anarchostalinistischen Schriftsteller*innenbewegung wirft Ihnen gerne vor, dass Sie durch, verzeihen Sie mir die Ausdrucksweise, eine Art „billige Effekthascherei“ in Form von „pseudointellektuellem Blindtext“ (Ich zitiere an dieser Stelle Alvgjerd Brösks entsprechende Kolumne in der FAS) der postfaktischen Szene eine lange Nase zeigen würden. Die Anfeindungen in der Szene nehmen zu. Was macht das mit Ihnen? Schließlich handelt es sich um größtenteils sehr enge alte Weggefährten.

 

Shernhart: Um es mit den Worten von Jay-Z zu sagen: „First they love you, then they hate you, then they love you again”. Ich habe nichts als Liebe für die Szene. Alvgjerd Brösk, ich küsse deine Augen!

 

Anastalia: Werden Sie jetzt zynisch? Habe ich da etwa einen Nerv getroffen?

 

Shernhart: Hören Sie, worüber reden wir hier eigentlich? Ist der Haifisch etwa böse, nur weil er die Robbe frisst? Oder tut er nicht vielmehr einfach nur, was die Natur seines Wesens ist? Dies auf den zeitgenössischen Diskurs über Postfaktizität zu übertragen, ist ein Kategorienfehler. Haben Sie das verstanden?

 

Anastalia: Sind sie jetzt beleidigt?

 

Shernhart: Nichts läge mir ferner.

 

Anastalia: Herr Shernhart, wenn sie der Haifisch sind, wer ist denn dann bitte die Robbe?

 

Shernhart: Die deutsche Sprache! Bitte entschuldigen Sie mich kurz…

 

Shernhart verschwindet, vermeintlich auf die Toilette. Er wird nicht wieder erscheinen. Sein Management lässt es sich jedoch nicht nehmen, uns per E-Mail-Anhang das Interview umgehend in Rechnung zu stellen. Die entsprechende Mail haben wir nicht einmal zehn Minuten, nachdem Shernhart das Interview verlassen hat, in unserem Posteingang. Etwas schäbig, wie wir finden. Dennoch bedanken wir uns für das ehrliche Gespräch und wünschen Ihnen für Ihren weiteren Lebens- und Schaffensweg alles Gute, Herr Shernhart!

 

 

 

 

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/postfaktisch/leisz-shernhart-im-interview-mit-der-anastalia-redaktion/

aktuell auf taz.de

kommentare