„tip Berlin“ und „zitty Berlin“ heißen die beiden Berliner Stadtmagazine, die in Konkurrenz zueinander stehen sollten. Beide leben in erster Linie davon, dass sie ein umfassendes Programm für Berlin veröffentlichen, von Kino über Konzerte bis Lesungen und Theater. Und egal, wie sehr man sich auch immer mal wieder ärgert, was da so empfohlen wird und vor allem was nicht, ist der Programmteil der beiden Magazine tonangebend in der Stadt. Eine Veranstaltung, die hier nicht auftaucht, hat es schwer.
Das haben sich wohl auch die Verantwortlichen von Zitty und Tip gedacht, von denen man ja guten Gewissens behaupten kann, dass sie zusammen ein Monopol innehaben.
Denn ein Heft zu machen, das viele Leute kaufen, um darin Veranstaltungshinweise zu finden, ist schön. Noch schöner aber ist es, wenn man ein Heft macht, sich aber nicht selbst mit den lästigen Veranstaltungshinweisen herumschlagen muss, weil das doch eine externe Firma, die das gleich für alle macht, viel billiger kann. Dann braucht man selbst keine Redakteure mehr beschäftigen, die Hunderte von Terminen in den Computer hacken, und kann trotzdem ein Heft auf den Markt bringen, das wegen seiner Termine gekauft wird. Und am allerschönsten ist es, wenn man ein Heft macht, das die Leser wegen der Termine kaufen, man selbst die Termine aber gar nicht mehr zusammenstellen muss, und dann aber noch die Veranstalter der Termine dafür zur Kasse bittet, dass man ihre Termine in das Heft aufnimmt, wegen denen das Heft überhaupt gekauft wird. Genial.
Dieses bemerkenswerte Geschäftsmodell haben die Geschäftsführer von Tip und Zitty nun per Massenbrief allen Berliner Veranstaltungsorten vorgestellt, mit Marketinggesabbel-Formulierungen, bei denen es einen schüttelt:
„Liebe Veranstalter/Bühnenpartner, seit mehr als 30 Jahren veröffentlichen Tip und Zitty in Berlin Veranstaltungstermine und haben damit wesentlich das Kulturleben dieser pulsierenden Großstadt mitgeprägt.“ Nun ja, sicher. Dass allerdings das „Kulturleben dieser pulsierenden Großstadt“ die einzige Existenzberechtigung von Tip und Zitty ist, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls nicht in diesem Brief. Dort steht vielmehr: „Wir freuen uns, Ihnen auch in den nächsten Jahren weiterhin den Service anzubieten, kostenlos Veranstaltungshinweise zu veröffentlichen. Und nicht nur für unsere Magazine, sondern auch für den Berliner Verlag mit der Berliner Zeitung und dem Berliner Kurier sowie für den Tagesspiegel mit Beilagen und für [030]. Auch für die Webauftritte berlin.de, berlinonline.de, berlinticket.de, meinberlin.de, tagesspiegel.de, tip-berlin.de, zitty.de und berlin030.de werden Ihre Terminankündigungen erfasst. Das machen wir weiterhin gern.“ Juchu! Aber? „Aber wir werden die Digitalisierung der Daten zukünftig nicht mehr in unserem eigenen Unternehmen vornehmen können, sondern diese Dienstleistung ab dem 1. Januar 2008 von der Cine Marketing GmbH erbringen lassen.“ Und im Gegensatz zu Tip und Zitty früher immer, die ja bekanntlich komplett altruistisch wirkten, machen die das natürlich nicht nur für die gute Sache, nicht ganz jedenfalls: „Die Digitalisierung und Aufbereitung in deren Datenbank wird leider nicht mehr völlig kostenlos möglich sein. Aber keine Sorge, wir haben mit der Cine Marketing GmbH so niedrige Beträge ausgehandelt, dass niemand benachteiligt wird und die Veröffentlichung auch für kleine Orte und Verasntalter weiter möglich sein wird. Der Grundbetrag für die Einrichtung und die Erfassung von bis zu 20 Veranstaltungsterminen im Jahr wird nicht mehr als 30,- Euro pro Jahr betragen. Selbst bei mehr als 300 Veranstaltungsterminen kommen maximal weitere 30,- Euro im Monat hinzu.“ Was ja praktisch geschenkt ist für so eine tolle Dienstleistung wie die Digitalisierung der eigenen Veranstaltung. Denn was man darüberhinaus davon hat, ist ungewiss: „Hinzufügen möchten wir, dass wir natürlich die vollständigen digitalen Daten von der Cine Marketing GmbH annehmen werden, aber nach wie vor keine Veröffentlichungsgarantie für alle Medienhäuser abgeben können. Wir denken aber, die langjährige Partnerschaft zwischen Ihnen und uns zeigt, dass Tip und Zitty immer alles getan haben, um Sie bei der Präsentation Ihrer Projekte und Veranstaltungen zu unterstützen. Wir freuen uns auf die nächsten 30 Jahre Zusammenarbeit.“
Letzteres zumindest glaubt man gerne, denn wer würde sich nicht darüber freuen, dass die Leute, von deren Leistung man selbst lebt, einen auch noch zusätzlich dafür bezahlen, dass man von ihrer Leistung lebt.
Ein paar Tage später dann meldete sich die Cine Marketing GmbH mit nicht minder herzergreifenden Worten:
„Aufgrund der Vielzahl unserer Kunden ist es uns möglich, den Aufwand für die Digitalisierung der Veranstaltungsdaten auf viele Partner aufzuteilen. Den größten Teil unserer Kosten übernehmen die Medienhäuser und Online-Dineste. Jedoch kommen wir nicht umhin, auch Sie mit einem kleinen Betrag an unserem Aufwand zu beteiligen.“ Eine Aufwandsbeteiligung also. Das ist so, wie wenn jemand einkaufen geht und Bier für alle mitbringt, da wirft man auch zusammen und teilt dann alles brüderlich. „Für eine Grundpauschale von nur 30,- EUR jährlich werden wir Ihre Ankündigungen vollständig erfassen und bis zu 20 Verantaltungstermine pro Jahr in unsere Datenbank aufnehmen. Zusätzlich zu dieser sehr kostengünstigen Grundpauschale fällt bei mehr als 20 Terminankündigungen im Jahr je nach Zahl der zusätzlich von Ihnen gemeldeten Termine ein Betrag von 30,- bis max. 90,- EUR pro Quartal an.“ Wie ist das nur möglich? So billig! Wie machen die das bloß? Ach so: „Bitte haben Sie Verständnis, dass die für Sie sehr kostengünstige Aufbereitung, Weiterleitung und kurzfristige Aktualisierung für unsere Print- und Online-Partner nur möglich ist, wenn bei uns der buchhalterische Aufwand gering bleibt. Daher kann eine reibungslose Zusammenarbeit nur durch Ihre Teilnahme am Lastschriftverfahren und eine Online-Rechnungsverschickung erreicht werden. Wir bitten Sie, das beigefügte Auftragsformular und die Einzugsermächtigung auszufüllen und uns bis spätestens 1. Dezember 2007 zurück zu senden.“
Fassen wir also mal kurz zusammen:
Zitty und Tip sind Programmzeitschriften, die eben wegen ihres Programmteils gekauft werden. Nun tut man sich mit einem Großteil der anderen Medien, die auch Berlin-Programme veröffentlichen, zusammen und bastelt nicht mehr ein Dutzend Programme, sondern eines, weshalb man viele sinnlose Leute freisetzen befreien kann. Von denen der ein oder andere vielleicht bei der Cine Marketing GmbH Unterschlupf findet, die dafür aber natürlich eine winzige kleine Aufwandsbeteiligung von höchstens vielleicht so 400 Euro netto (Eröffnungsangebot!) im Jahr geradezu verlangen muss.
Man könnte sich angesichts dieses Vorgangs einige Fragen stellen. Zum Beispiel diese hier:
– Wie sieht es denn eigentlich mit dem umfassenden Anspruch, womöglich gar in Sachen Subkultur, aus, wenn man nur Veranstaltungsorte in seine Datenbank digitalisiert bekommt, die Grundgebühren via Abbuchungsgenehmigung entrichten wollen?
– Was könnte denn eigentlich ab 2008 so in Tip und Zitty stehen, wenn sich jetzt doch mehr als nur der ein oder andere kleine Ort entscheidet, nicht mitzuspielen?
– Was genau könnten Begriffe wie „Kartell“ oder „Missbrauch einer Monopolstellung“ eigentlich im Rahmen der Presselandschaft Berlins so bedeuten?
– Und wenn man für die eigentlichen redaktionellen Nachrichten (= Termine) bezahlen muss, was ist denn dann noch Nachricht und was nur Werbung?
– Und welche Zeitung oder Zeitschrift sollte über dieses Geschehen vielleicht ein ganz kleines bisschen kritisch berichten? Die taz oder die Springer-Presse, die als Einzige nicht vom Datensegen der Cine Marketing GmbH profitieren, sondern gemeinsam eine andere outgesourcte Digitalisierungsagentur beauftragt haben?
– Und wann endlich lassen sich auch andere geschundene Unternehmen endlich wenigstens einen Teil ihres Aufwandes erstatten? Wann z. B. nehmen dpa, Spiegel & Co. gegen eine kleine Grundgebühr bis zu 20 Meldungen jährlich einer Partei oder eines Politikers in ihre Datenbanken auf, aus denen dann später die Artikel erstellt werden? Oder wann bekommen die Paparazzi endlich eine angemessene Aufwandsentschädigung von den Personen, denen sie mit hohem technischen Aufwand unter oft widrigen Bedingungen mühsam nachstellen müssen?
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Sollte irgendwer sich mit dem Gedanken getragen haben, mal ein wirklich alternatives Kultur- und Programmheft oder Internetportal für Berlin zu machen – dies wäre ein guter Zeitpunkt, scheint mir.
Was passiert eigentlich mit Kultur in Locations, die nur kurzfristig existieren oder normalerweise nicht als Kulturort? Z.B. die temporäre Kunstveranstaltung im vorübergehend genutzten leerstehenden Laden oder das Konzert im Heizhaus des Frauengefängnisses. Als Veranstalter kann man nämlich nach wie vor nicht seine VAs eintragen, sondern nur als Location- bzw. LogIn-Besitzer. Ergo: Erscheint nicht, weil gibt´s nicht.
Oder Kultur, die sich nicht an den zumindest in den beiden Tageszeitungen Berliner Zeitung und Tagesspiegel gängigen Kategorien Bühne, Kabarett/Varieté, Klassik, Kinder, Literatur/Vortrag, Konzert, Party, Ballroom (?) einordnen lässt, weil sie meinetwegen eine Mischung aus Film, Talk, Comedy und Lesung ist? Dafür gibt es die Rubrik Dies&Das. D&D druckt aber niemand ab. Hier lässt sich auch nicht reden mit den Gralshütern der Kategorien bei Cine-Marketing. Trägt man es bei Comedy ein wird man wieder und wieder auf D&D zurückgesteckt. Und erscheint nicht, auch nicht, obwohl man seit Jahren erfolgreiche Veranstaltungen fährt, die sich an Innovation und Reputation vor nix zu verstecken müssen und obendrauf subventionsfrei auskommen. Wie übrigens alle kleinen Konzerte auch, aber das ist ein anderes Thema.
Ich bin mittlerweile so am Kochen, weil Termine eigentlich grundsätzlich nicht erscheinen – trotz und wegen CineMarketing – , dass ich es notwendig fände, wenn man die Diskussion von Ende 2007 wieder aufnehmen und jetzt ein Résumé ziehen würde, oder haben sich alle anderen mit der unerträglichen Situation arrangiert und bin ich der Einzige, der sich nach wie vor aufregt und sich vorkommt wie K. in Kafkas Schloss.