vonHeiko Werning 01.05.2009

Reptilienfonds

Heiko Werning und Jakob Hein über das tägliche Fressen und Gefressenwerden in den Wüsten, Sümpfen und Dschungeln dieser Welt.

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Jürgen Witte von der Reformbühne Heim & Welt wird am morgigen 2. Mai, dem V. Internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeitslosen, zum Abschluss der Demonstration (Beginn: 13 Uhr, Senefelder Platz) folgende Kampfrede halten, die hier zur Information der Weltöffentlichkeit dokumentiert wird:

Liebe Freunde des Feierabends!

Heute ist unser Feiertag. Wir feiern das sinnvolle Nichtstun. Gestern war der 1. Mai, der sogenannte Tag der Arbeit. (An dieser Stelle erwarte ich Unmutsäusserungen von euch. Also bitte!) Ihr habt recht, liebe Freunde, warum sollte man die Arbeit feiern, wo sie doch allerorten nichts anderes als schnöde Lohnarbeit ist. Frohnarbeit ist sie! Nur Linke und Gewerkschaftler können auf so eine strunzdumme Idee kommen. „Arbeiter! Kommt heraus zum 1. Mai!“, sagen sie. „Feiert die Ketten, in die man euch geschlagen hat! Lobt die Gefängniszelle, in die man euch das ganze Jahr über sperrt!“

Heute, am 2. Mai, ist unser Tag. Der Tag der Freizeit. Unser Kampf gilt dem Zwang zur Lohnarbeit. Weg damit. Die Lohnarbeit schafft schlechte Laune. Allein der Feierabend ist schön!
Die Sklaverei wurde offiziell abgeschafft, aber nur, um die Menschen dann unter das Joch der Lohnarbeit zu zwingen. Unsere sogenannte Freiheit besteht einzig darin, uns jetzt selber eine Arbeit suchen zu müssen. Betteln sollen wir, dass man uns Lohn und Brot gibt. Statt zu Sklaven hat man uns zu Bettlern gemacht. Und darauf sollen wir stolz sein?

Wer nicht arbeitet, soll nicht essen, sagen sie uns. Wir aber sagen: Alle sollen essen. Es ist genug da. Solange die Menschen überall auf der Welt zur Arbeit gezwungen werden, kämpfen wir für das Recht auf Faulheit. Alles Gerede von Freiheit ist sonst einfältig und dumm. Wir fordern Freizeit für alle, nicht nur für die wenigen, die sich schamlos bereichert haben. Nicht nur für den einen, der zufällig den Lotto-Jackpot gewinnt. Wir sind nicht neidisch. Wir wollen keinen Kaviar. Wir wollen nur den eitlen Kaviarfressern nicht auch noch demütig die Stiefel putzen müssen.

Viele Menschen da draußen verstehen uns nicht. Arbeit abschaffen? Wie soll denn das gehen? fragen sie ungläubig. Sie sind böse auf uns, weil sie arbeiten müssen. Weil sie neidisch sind auf alle, die schon jetzt nicht mehr arbeiten. Deshalb werden wir beschimpft. Der Zwang zur Lohnarbeit ist zur neuen, allumfassenden Religion geworden. Die Grundlage der Ehtik in der industrialisierten Welt.

Aber es ist nicht dieser Zwang zur Arbeit für alle, der unsere Welt mit immer größerer Geschwindigkeit vernichtet? Denkt auch da mal drüber nach. Die arme Erde, der zunehmend graue Planet. Zerstört von Gier und Gewinnstreben.

„Aber die Menschen wollen doch Arbeit?“, heißt es. Nein, die Menschen wollen leben! Und ohne eine Arbeit wird ihnen nur allzuoft auch kein Recht auf Leben zugestanden. Manche verhungern. Wir regeln das Problem in diesem Lande etwas humaner – bei uns gilt der Grundsatz: „Mach deine Arbeit oder lebe in Schande!“

Aber, was ist das denn für eine Schande? Auch der Arbeitslose ist nütz¬lich. Stellt nicht jeder Arbeitslose ganz selbstlos seinen Arbeitsplatz zur Verfügung? Einen Platz, den er für sich nicht mehr beansprucht? Den er frei lässt für einen anderen? Hat er dafür nicht auch unsere Anerken¬nung verdient? Doch wer hätte je einen Arbeitslosen gelobt für das volkswirtschaftliche Opfer, das er bringt?

Es gibt tausende sinnlose Produkte, es gibt leerstehende Büropaläste, dreiste Abzockerdienstleistungen. Immer mehr völlig nutzlose Arbeit muss geschaffen werden, damit das System nicht zusammenbricht. Und wenn diese Wirtschaft und die Banken – wie jetzt mal wieder – am Ende sind, dann werden Unsummen ausgegeben, um sie künstlich weiter am Leben zu erhalten. Wozu? Lasst sie doch sterben! Wir brauchen sie nicht. Bankangestellte verrichten völlig sinnlose Tätig¬keiten. Sie schieben gewaltige Mengen überflüssigen Geldes kopf- und planlos hin und her. Und unsere Politiker finden ausgerechnet diese völlig absurde Tätigkeit „systemrelevant“.

Ja, das mag sie sein, aber nur für euch und euer marodes Wirtschafts¬system. Das brauchen wir nicht mehr. Ich sage: Druckt nur weiter euer lächerliches Spielgeld, aber gebt es den Menschen; nicht den Banken.
Wir haben keine Lust mehr, unsere Lebenszeit an euch zu verkaufen.

„Hat uns die Merkel-Regierung dieses Jahr erhört? Ist die Abwrackprämie nicht schon ein Anfang?“, höre ich da fragen. Nein, beileibe nicht! Fürchtet die Politiker, gerade auch wenn sie Geschenke verteilen. Dieses Geld ist schnödes Blutgeld für die Erhaltung überflüssiger Lohnarbeit. Jeder von uns könnte wesentlich nützlichere Dinge mit diesen 2500 Euro anstellen, als ausgerechnet ein blödes neues Auto zu kaufen. Wir brauchen kein neues Auto! Es gibt sowieso schon längst viel zu viele davon. Wir brauchen nur die Möglichkeit, ohne Probleme von A nach B zu gelangen. Falls wir denn mal von A nach B wollen. Wir haben Zeit. Wenn wir alle eines Tages wieder Zeit haben, dann werden viele wieder mal zu Fuß von Berlin an die Ostsee wandern. Weil es Spaß macht. Weil sie die Zeit dazu haben. Und sie werden jene verlachen mit ihren eiligen Autos auf den breiten Straßen.

Erst wenn der Zwang zur Lohnarbeit abgeschafft ist, werden wir bemer¬ken, wie wenig Arbeit im Grunde von Nöten ist, um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Es wird einen neuen Reichtum geben, einen Reichtum, der sich nicht in Geldvermögen messen wird. Wir alle werden dann auch arbeiten – wir wollen ja schließlich nicht verblöden –, aber es kann uns dann egal sein, was wir dafür bekommen. Wir werden nur noch sinnvolle Dinge tun, weil uns niemand mehr dazu zwingt, schwachsinnige Handgriffe zu tun, um dabei schwachsinniges Zeug herzustellen. Wir werden das tun, was wir lieben, und wir werden lieben, was wir tun. Keiner zwingt uns.

Der billige Ramsch, der uns heute aus allen Läden entgegenquillt, wird verschwunden sein. Unsere Währung wird nicht mehr das Geld sein, es wird die Achtung sein, die wir dem anderen entgegenbringen, für das, was er tut. Euer Reichtum ist nix mehr wert, wenn die von euch geschaffene Armut verschwunden sein wird.

Liebe Freunde des Feierabends! Noch müssen wir lange schlafen und möglichst spät aus dem Bett, damit uns die leidige Zeit bis hin zum ersehnten Feierabend nicht zu lang wird. Viele von uns arbeiten schon heute, ohne dass sie Geld dafür erhalten. Aber noch nutzt das System sie schamlos aus. Wir kämpfen dafür, dass sich eines Tages für uns alle ein frühes Aufstehen hin und wieder lohnen könnte. Wer schon den Tag über feiern kann, wer Freude hat an dem, was er tut, der muss nicht mehr mühselig auf den Feierabend warten.

Wir kämpfen für eine andere Welt. Eine Welt, wo der Mensch mehr ist als bloße, schnöde Arbeitskraft. Wir kämpfen dafür, weil die Menschen sich das längst verdient haben!

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