vonJakob Hein 26.02.2010

Reptilienfonds

Heiko Werning und Jakob Hein über das tägliche Fressen und Gefressenwerden in den Wüsten, Sümpfen und Dschungeln dieser Welt.

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Walter Mixa hat wieder zugeschlagen. Der Aufhetzer von Augsburg wurde befragt zu der derzeitigen Aufklärungswelle einer offenbar guten jahrzehntelangen Tradition des Missbrauchs von Kindern durch ihr Lehrpersonal an katholischen Schulen. Natürlich ist das gemein, ihn dazu zu befragen, dass ist so, als würde man einen Kölner fragen, warum denn die Düsseldorfer so eine schlechte Meinung haben, als würde man einen Nazi fragen, was denn die Juden an seiner politischen Einstellung zu bemängeln haben. Von Bruder Walter wird da nie eine Antwort zu hören sein, die verschiedene Aspekte der Diskussion besonnen abwägt und schließlich auch einen Teil der Schuld seiner eigenen Organisation zuschreibt.

Aber im Fall der jahrzehntelangen Serienmissbräuche von katholischen Geistlichen an Minderjährigen hat er eine besonders originelle Erklärung gefunden: „Die so genannte sexuelle Revolution, in deren Verlauf von besonders progressiven Moralkritikern auch die Legalisierung von sexuellem Kontakt zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gefordert wurde, ist daran sicher nicht unschuldig.“

Wow! Das ist doch mal ein Satzmonster, das man unmöglich im ersten Durchlauf verstehen kann. Also wir verstehen: Die sexuelle Revolution ist schuld an dem Missbrauch der Kinder. Weil offensichtlich im Verlauf der sexuellen Revolution eben ein solcher Missbrauch gefordert wurde. Nun war ich ja nicht dabei, als die sexuellen Revolutionäre auf die Barrikaden gingen, sexuelle Konterrevolutionäre an die Laternen hängten und den Palast des Sexualpräsidenten einnahmen. Aber dass die sexuelle Revolution im Kern Sex mit Minderjährigen gefordert hätte, war mir bisher weitgehend entgangen. Ich hatte sie als einen Prozess wahrgenommen, der die sexuelle Selbstbestimmtheit des Individuums in den Vordergrund stellte und viele alte Sexualnormen abschaffen wollte, wie das Verbot des außerehelichen, des homosexuellen und des polyvalenten Sex. Aber dass „besonders progressive Moralkritiker“ Sex zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gefordert hätten – für mich neu. Es gibt nur zwei Schlussfolgerungen: Entweder ich habe einen wesentliche Strömung der sexuellen Revolution nicht verstanden, oder der Bischof hat eine so genannte selektive Wahrnehmung, hat also Botschaften, in denen diese Forderung enthalten war, mit besonderem Interesse verfolgt. In diesem Zusammenhang sehr interessant, dass W. Mixa die Verfechter von Sex mit Minderjährigen als „besonders progressiv“ bezeichnet. Nun ist Progress ja nicht unbedingt ein positives Wort in der katholischen Kirche, aber echte Verwünschungen sehen anders aus, insbesondere der gute Hirte hat ja schon mehrfach nachgewiesen, dass er mehr bieten kann.

Aber selbst, wenn man annimmt, dass der Bischof Recht hat, ist in jedem Fall das Ergebnis der sexuellen Revolution nicht die Legalisierung oder massenhafte Verbreitung von Sex mit Minderjährigen gewesen. Die weitere Schwächung der Ehe, die Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft – ja. Aber Pädophilie – nein. Die Institution jedenfalls, wo die sexuelle Revolution erkennbar am wenigsten Wirkung gezeigt hat, nichts Wesentliches an der geistigen Verfasstheit verändern konnte, ist aber, nun ja, man will ja nun nicht immer gleich, aber trotzdem: die katholische fucking Kirche!

Und nun ist Mixas Erklärung also, dass eine gesellschaftliche Veränderung, der sich die Kirche widersetzt hat wie der Teufel sich geweihtem Wasser widersetzen würde, Schuld ist an Taten dieser Kirche, die aber nicht einmal Ergebnis dieser gesellschaftlichen Veränderung waren. Ich sag mal so: Vor Gericht würde man damit nicht durchkommen. „Ich habe meine Frau umgebracht, weil die immer so viele Krimis gesehen hat“, wird auch in Zukunft keine sehr erfolgreiche Verteidigungsstrategie sein.

Und gänzlich mit Grausen lässt einen erschaudern, welche zukünftigen Schweinereien die katholische Kirche in Vorbereitung hat, wenn gesellschaftliche Veränderungen solche Auswirkungen haben. „An der massenhaften genitalen Verstümmelung der Teilnehmer unserer Priesterseminare ist sicherlich die Frauenbewegung, deren fortschrittlichste Vertreterinnen ja die Kastration von Männern eingefordert haben, nicht ganz unschuldig.“

„An dem Tod Tausender Gläubiger durch vergiftetes Weihwasser sind sicherlich Bevölkerungsforscher, deren wagemutigste Vertreter ja ein Massenableben von Alten gefordert haben, nicht ganz unschuldig.“ Mensch Mixa! Wie viele Jahre hast Du schon auf Gottes schöner Erde verbracht? Wäre das Letzte nicht auch was für Dich?

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https://blogs.taz.de/reptilienfonds/2010/02/26/wieder_ein_text_ueber_den_augsburger_bischof_der_einen_weiten_bogen_um_den_nahe_liegenden_schulhofreim_macht_mit_dem_der_bub_bestimmt_frueher_immer_gefoppt_worden_und_mutmasslich_deshalb_heute_so_spez/

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kommentare

  • Auch wenn ich den Rest des Kommentars nachvollziehen kann – die Passage zur sexuellen Emanzipationsbewegung der (westdeutschen?) Linken und dem Zusammenhang mit Pädophilie strotzt nicht gerade von Beschäftigung mit dem Thema. Wenn ich einfach mal aus wikipedia zitieren dürfte:

    „Pädophilenbewegung:
    Seit den 1950er Jahren existieren weltweit Gruppierungen, die sich für die Rechte von Menschen mit einer pädophilen Sexualpräferenz einsetzen und zum Teil eine Aufhebung der Schutzaltersgrenzen und Legalisierung pädosexueller Kontakte anstreben. Genossen diese Gruppen in ihrer Entstehung noch Unterstützung aus dem links-alternativen politischen Spektrum und gab es Verbindungen zur homosexuellen Emanzipationsbewegung, wurden diese Gruppierungen in den 1980er und 1990er Jahren weitgehend isoliert und lösten sich zum größten Teil auf.“
    http://de.wikipedia.org/wiki/P%C3%A4dophilenbewegung

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