
Es gibt Abende, wo man vom Bedürfnis gesteuert ist, mal wieder einen guten, alten Krimi zu sehen. Mit dem Wiener Tatort „Falsch verpackt“ ist man dann ganz schlecht beraten. Früher lief der meist männliche Kommissar mit messerscharfem Verstand durch die Fälle, entlarvte die wahren Verbrecher und stellte für uns als Zuschauer die Ordnung wieder her. Nicht selten bekam er zum Schluss sogar noch die blonde Frau zum Heiraten.
An einer blonden Frau ist Kommissar Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) zunächst vollkommen desinteressiert, obwohl ihm seine rothaarige und sehr viel jüngere Kollegin Wiesner ungeheuer mit ihrer Schönheit zusetzt. Aber ihm geht es darum, ein paar Kilo abzunehmen, ein bisschen sportlicher zu werden, sich jünger zu fühlen. Er versucht ungesunde Speisen zu vermeiden, was bekanntermaßen gerade in Wien ein astronomisch schwieriges Unterfangen ist. Ein Freund behauptete kürzlich, es sei in Wien gesetzlich untersagt, sich Speisen ohne Semmelbrösel und Butter zu bereiten. Und richtig: Als Eisner sich einen kleinen Salat ohne Tomaten und Öl bestellt, wird ihm ein Teller mit zwei panierten Kalbsschnitzeln, Kartoffelpüree und Soße auf den Tisch geknallt. Weil er aufgrund seiner Diät ohnehin dauernd schlechte Laune hat, ist auch eine Verschlechterung dieser Laune durch den Fund dreier toter Chinesen nicht festzustellen.
An seiner Seite ermittelt Bibi Fellner (Adele Neuhauser, groß!), die ihm aber auch nicht helfen kann. Sie ist mehr oder weniger liiert mit dem Kleinkriminellen „Inkasso-Heinzi“, mit dessen Fingerabdrücken einer der späteren Tatorte übersät sein wird, hat ein Alkoholproblem und befindet sich in einer tiefen Identitätskrise. Nicht einmal den schleimigen Besitzer eines Geflügelschlachthofs kann sie im Verhör stellen, was ihr doch früher immer so gut gelungen ist.
Eisner macht sich schließlich sein dauerhaftes Deprimiertsein zunutze, indem er sogar gegen den einflussreichen Sektionschef Dr. Welt vorgeht, der ihm unverhohlen droht, dass er damit seine berufliche Laufbahn massiv gefährden würde. Doch schon ein paar Filmminuten später wird auch er tot sein, Leichen gibt es in diesem Tatort genügend. Doch obwohl der Fall am Ende mehr oder weniger gelöst ist, verbleiben wir mit dem Gefühl der Ausweglosigkeit, denn wer die wahren Hintermänner sind, kann niemand mehr sagen, da die Täter alle ermordet sind oder ihrer Ermordung durch Suizid entgehen. Die Ermittler sitzen auf einer Parkbank und essen Kaviar. Wozu eine Diät, wenn das Leben so sinnlos ist?
Nein, dieser Tatort ist alles andere als ein guter, alter Krimi und doch ist es ein sehr guter Kriminalfilm. Erstaunlich, wie es Drehbuchautor Martin Ambrosch und Regisseurin Sabine Derflinger gelungen ist, die ganze komplizierte Handlung einschließlich Hühnergrippe, chinesischen Geflügelfüßen, falschem Kaviar und Hühnerbrüsten ordentlich zusammenzuhalten und dabei doch hauptsächlich das anrührende Psychogramm zweier depressiver Mitteleuropäer im Wien des beginnenden 21. Jahrhunderts zu zeichnen. In großartigen Bildern zeigt Christine Maier ein Wien, in dem man nicht einmal tot im Container gefunden werden möchte. Bedauerlich ist es sicherlich, dass auch dem Wiener Tatort sein Lokalkolorit weitgehend abhanden gekommen ist. In den guten, alten Zeiten, als noch gute, alte Krimis liefen, führte jeder zweite Fall die Ermittler auf den bunten Prater, wo sie Käskrainer aßen und später beim Heurigen wurde der Täter gefasst. Es waren die einzigen unsynchronisierten Filme aus dem Ausland, die überhaupt im deutschen Fernsehen gezeigt wurde und als Zuschauer musste man versuchen, aus den Gesten und Minen der Darsteller die Handlung abzulesen, denn aus den Dialogen wurde man einfach nicht schlau. „Heast Gnahter geabs da Buffn aussi!“
Diese Zeiten sind vorbei. Wir sehen sogar den Prater in einer atemlosen Anfangssequenz als Kulisse vor dem Amoklauf eines Chinesen, der bald tot sein wird. In unserer Welt der weltweit enthemmten Wirtschaft gibt es kein Lokalkolorit mehr.
Toll! Dieser Kommentar wird dem Film wahrlich gerecht!