vonHeiko Werning 23.08.2012

Reptilienfonds

Heiko Werning und Jakob Hein über das tägliche Fressen und Gefressenwerden in den Wüsten, Sümpfen und Dschungeln dieser Welt.

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Halten wir doch zu Beginn fürs Protokoll erst einmal fest: Es wird weltweit zu viel Fleisch gegessen, vor allem in den entwickelten Ländern. Viel zu viel. Schon aus ernährungsphysiologischer Sicht, aber das soll hier nicht weiter interessieren. Aber eben auch aus Tierschutz- und Umwelt-Sicht, darum soll es hier gehen. Große Flächen wurden und werden, besonders drastisch in Südamerika, für die Weidewirtschaft, zunehmend aber auch für den Anbau von vor allem Soja gerodet. Das ist ein großes Naturschutzproblem. Das so gewonnene Soja wird zu sehr hohen Prozentsätzen wiederum für die Fleischproduktion eingesetzt, und zwar nicht in den tropischen Ländern, sondern bei uns. Das führt zu großen Umweltproblemen und ist ein gefährlicher Irrweg. Deswegen trägt jeder, der weniger oder kein Fleisch isst oder gar auch auf Milchprodukte verzichtet, im derzeitigen Welternährungssystem zu einer Verbesserung bei. Seid also geknuddelt, liebe Vegetarierinnen und Vegetarier. Und sogar Ihr, liebe Veganerinnen und Veganer.

 

Nun habe ich einen Text darüber geschrieben, dass die US-Firma Modern Meadow verkündet hat, ihr sei ein wichtiger Fortschritt bei der Herstellung synthetisch erzeugten Fleisches gelungen. Er erschien am Dienstag auf dem „Talk“-Platz in der taz zwei, der für eher feuilletonistisch geschriebene oder erklärende Meinungsstücke vorgesehen ist. Die Aufgabenstellung lautete, die neue Technologie, so sie denn überhaupt jemals funktionieren sollte, zu diskutieren und zu überlegen, wozu überhaupt Synthetikfleisch gut sein soll und ob so ein Kunstzeug sinnvoll wäre.

 

Entsprechend stellt der Text zunächst den beklagenswerten Ist-Zustand der Ernährungslage dar. Er bemängelt die Massentierhaltung („Doch auch die zum freundlich lächelnden Gesicht gegossene Wurstscheibe hat zu lebenden Tieren gehört, die sich nicht freiwillig das Bolzenschussgerät an die Schläfe gesetzt haben, selbst wenn sie angesichts der Zustände in der Intensivtierhaltung durchaus Anlass dazu hätten“) sowie allgemein die negativen Auswirkungen des heutigen Fleischkonsums („Viele Menschen mögen deshalb kein Fleisch mehr essen. Was naheliegend ist, zumal wir zu viel davon verzehren, mit deprimierenden Folgen für Tier, Mensch und Umwelt“). Fazit also: Von der bisherigen Praxis der globalen Fleischproduktion muss man weg. Dann geht der Text davon aus, dass aber auch in Zukunft Fleisch auf dem Speisezettel des Menschen stehen wird (aus mehreren Gründen, die gleich zu diskutieren sein werden). Weshalb, so der Schluss, das Synthetikfleisch eine interessante Perspektive böte. Ob das je funktioniert – wer weiß. Ob es dann tatsächlich ein Beitrag zu einer ressourcenschonenderen Ernährung sein wird, wie die Betreiber von Modern Meadow versprechen, oder nicht am Ende noch alles schlimmer macht – es steht noch in den Sternen. Und wann es tatsächlich einen Beitrag zur Ernährung leisten könnte – völlig ungewiss. Woraus folgt, und so endet der Artikel: „Fürs Erste allerdings wäre schon allen geholfen, würden einfach mehr Menschen weniger und dafür hochwertigeres, aus tiergerechter Haltung stammendes Fleisch essen.“

 

Es handelt sich also sehr eindeutig um einen Text gegen Massentierhaltung und für global reduzierten Fleischkonsum.

Trotzdem hat er mir einen kleinen Kuh-Shitstorm eingetragen, weil er zur Begründung, warum es überhaupt nützlich sein könnte, Synthetikfleisch zu erbrüten, postuliert, dass auch in einer besseren Welt Fleisch gegessen werden würde, aus verschiedenen Gründen: „Wäre die Welt also eine bessere, wenn die Menschheit auf eine vegetarische oder gar vegane Ernährung umstiege? Eher nicht. Der Flächenverbrauch wäre immens, denn der Mensch kann pflanzliche Nahrung nicht annähernd so gut verwerten wie die Kuh – ein Aspekt, der in der Diskussion erstaunlich oft übergangen wird. Um in einer besseren Zukunft die Weltbevölkerung angemessen ernähren zu können, wird man um Fleisch nicht umhinkommen, will man nicht die letzten Regenwaldflächen auch noch in Soja-Monokulturen umwandeln und der Artenvielfalt damit endgültig den Garaus machen. Abgesehen davon ist ein größerer Teil der Menschen auch gar nicht willens, auf Steak oder Döner zu verzichten.“ Also kurz: Auch wenn alle Menschen plötzlich vegan leben würden, hätte man auf Dauer ein Flächen- und damit ein Naturschutzproblem. Außerdem ist diese Utopie ohnehin unrealistisch mangels Akzeptanz der Menschen.

Sagen wir es mal so: Dieser Abschnitt hat dem veganen Wheaty-Blog nicht gefallen. Und vielen seiner Leser (und sicher auch manchem taz-Leser) auch nicht, die daraufhin in Leserkommentaren und -briefen ihrem Unmut Luft machten. Besonders aufmerksam gehen die Weizenfreunde mit meinem Text dabei nicht um: Sie zitieren ausschließlich den obigen Abschnitt (ohne den letzten Satz zur Akzeptanz-Problematik) und erwähnen ansonsten erst gar nicht, aus welchem Artikel, welchem Zusammenhang das Zitat stammt und welche Intention der Text eigentlich hat. Stattdessen wird der Beitrag als der Fleischlobby das Wort redend dargestellt und behauptet, dass er „ein überholtes System der Ernährung, welches all die inzwischen hinlänglich bekannten negativen ökologischen und sozialen Folgen hervorbringt, versucht zu rehabilitieren“, was ziemlich absurd ist angesichts der im Text vertretenen, exakt gegenteiligen Haltung. Aber sei’s drum.

 

Konzentrieren wir uns auf den inkriminierten Absatz und die Aspekte, die ich darin – natürlich extrem verkürzt – andeuten wollte. Würde also eine vollständige Umstellung der Weltbevölkerung auf eine rein pflanzliche Ernährung alle mit der Ernährung verbundenen Umweltprobleme lösen? Was ja ohnehin eine Utopie ist, denn derzeit zumindest erscheint es doch eher wahrscheinlich, dass der heimische Deskjet-Drucker eines Tages Steaks ausspuckt, als dass die Menschheit kollektiv beschließt, von Fleisch, Fisch und womöglich gar Milchprodukten die Finger zu lassen.

Zur theoretischen Möglichkeit der Ernährung der gesamten Weltbevölkerung ausschließlich mit Pflanzen gibt es zweifellos unterschiedliche Meinungen. WHO und FAO empfehlen durchgängig eine deutliche Reduktion des Konsums tierischer Produkte, nicht aber den völligen Verzicht. Die FAO betont einerseits die negativen Folgen der Tierproduktion, hebt aber andererseits auch ihre Vorteile hervor. Sehr aufschlussreich dazu ist der frei im Internet verfügbare und gut lesbare, umfangreiche Report: „Livestock’s Long Shadow. Environmental Issues and Options“. Aber wäre die vollständige Vegetarisierung der Welt dauerhaft überhaupt möglich? Und was würde das beispielsweise für die dazu nötigen Flächen bedeuten?

Tierisches Eiweiß ist für den Menschen sehr gut nutzbar, auch für andere Nährstoffe sind Fleisch und Fisch eine besonders gute Quelle. Alles, was der Mensch braucht, kann er natürlich Pflanzen entnehmen. Es ist, vor allem bei veganer Ernährung, aber schwieriger. Und man braucht so oder so eine ganze Menge hochwertigen pflanzlichen Eiweißes, will man es als einzige Proteinquelle nutzen, die alles ersetzt, was bisher tierischen Ursprungs war. Zwar entfiele dann natürlich die Zweckentfremdung von Soja und anderen Pflanzen als Tierfutter, ein nicht unerheblicher Teil der derzeitigen Ackerflächen (laut FAO etwa ein Drittel) stünde dann also zusätzlich der menschlichen Ernährung direkt zur Verfügung, ohne den Umweg über die Kuh. Dennoch wären auch in diesem System erhebliche Flächen erforderlich, denn schließlich zieht die Menschheit derzeit etwa ein Drittel ihres Proteinbedarfs aus tierischen Produkten. Zwar verbraucht ein Tier mehr Energie in Form pflanzlicher Nahrung, als es in Form von Fleisch zurückgibt. Aber ganz so einfach, wie oft argumentiert wird, auch in den Leserkommentaren, ist es nun auch wieder nicht: Denn die, sagen wir, 5 kg Pflanzenfutter, die das Tier benötigt hat, um 1 kg Fleisch zu produzieren (diese Raten sind extrem stark abhängig von der Art des Tieres und des Futters), hätte der Mensch nun keineswegs in gleicher Weise nutzen können, da Vieh Futtermittel besser nutzen kann als der Mensch bzw. Futtermittel frisst, die der Mensch gar nicht nutzen würde. Das gilt für Abfallstoffe allgemein (z. B. Schweine), aber ganz besonders für Gras und Blätter (z. B. Kühe, Büffel, Schafe, Ziegen), die vom Menschen gar nicht bis wenig genutzt werden können, da Menschen nicht in der Lage sind, Zellulose aufzuspalten, um so die in Gras enthaltenen Nährstoffe verfügbar zu machen. Wiederkäuer haben dafür ihren spezialisierten Verdauungsapparat einschließlich symbiontischer Mikroorganismen. Wird die Kuh also nicht, wie in moderner Intensivtierhaltung leider üblich, mit hochwertigen Futtermitteln wie etwa Soja, sondern mit Gras und Heu gefüttert, wächst sie zwar langsamer, nutzt aber Futter, das ansonsten nicht als Nahrung nutzbar wäre. Und es ist keineswegs so, dass man auf allen Weideflächen einfach für den Menschen nutzbare Pflanzen anbauen könnte, erst recht keine, die hochwertige pflanzliche Proteine liefern. Hinzu kommt, dass Ackerflächen den Boden schneller auslaugen und Regenerationsphasen sowie Fruchtwechsel nötig machen (oder intensive Bedüngung und Bodenbearbeitung).

Das alles auf globalen Maßstab hochgerechnet lässt schon sehr daran zweifeln, ob die Ernährung der gesamten Weltbevölkerung ohne Fleisch und Fisch oder gar auch noch ohne Milchprodukte möglich wäre, ohne die derzeitigen Anbauflächen für hochwertige Nahrungspflanzen noch weiter auszubauen. Denn man müsste ja alle Nährstoffe, die derzeit über tierische Produkte aufgenommen werden, von der Krabbe bis zur Kuh, über Pflanzen bereitstellen, bei gleichzeitigem Verzicht auf große Flächen, die sinnvoll nur als Weide zu nutzen sind und bei ebenfalls gleichzeitigem Verzicht auf die keineswegs marginalen Bestandteile derzeitiger Tierfutterrationen, die vom Menschen für die Ernährung nicht nutzbar sind. Von Verteilungs- und Managementsproblemen mal ganz abgesehen.

Es geht also nicht darum, dass der Ausbau der Soja-Anbauflächen vor allem in Südamerika die Schuld der Vegetarier sei (sie ist es natürlich nicht). Es geht darum, dass auch bei der (ohnehin illusorischen) vollständig vegetarischen Ernährung der gesamten Weltbevölkerung langfristig ein weiterer Ausbau der Anbauflächen für Soja & Co. zu erwarten wäre, auf Kosten eben beispielsweise von Regenwaldflächen, wenn die bisher zur Verfügung stehenden Flächen nicht effektiv und sinnvoll bewirtschaftet werden. Alternativ könnte man die Erträge der Flächen womöglich deutlich steigern, was dann aber wohl bedeuten würde, dass in noch stärkerem Maße als bislang Kunstdünger, Pestizide und nicht zuletzt genetisch manipulierte Pflanzen eingesetzt würden, was ja nun ebenfalls unerwünscht ist. Dass bei Beibehaltung der derzeitigen Tierproduktion natürlich in viel stärkerem Maße als bei einer vegetarischen Welternährung neue Flächen gerodet würden, steht doch ganz außer Frage – und wurde in meinem Text auch nicht in Zweifel gezogen.

 

Wozu dann überhaupt diese hypothetische Überlegung? Warum ausgerechnet der Kurzschluss zu den Soja-Flächen? Zum einen war das natürlich eine Provokation gegen jenen Teil der Pflanzenfreunde, die in ihrer Lebensweise den alleinigen Weg zum Weltenheil und die Lösung aller Probleme sehen und das entsprechend eifrig vertreten. Die hat ja ganz gut funktioniert.

Vor allem aber ging es in der Logik des Textes darum, siehe oben, zu begründen, warum die Idee mit diesem Kunstfleisch durchaus faszinierend ist. Weil es, würde es so funktionieren, wie Modern Meadow es derzeit anpreist, die negativen Umweltfolgen der Welternährung reduzieren helfen könnte. Und die angeführten Tierschutzprobleme sowieso. Weil es, gemeinsam mit vielen anderen Schritten durchaus dazu beitragen kann, die drängenden globalen Umwelt- und Ernährungsprobleme zu lösen.

Dass da allerdings wirklich das Fleisch aus dem Drucker in nennenswerter Weise helfen kann, zumindest in absehbarer Zeit, da bin ich jedoch ziemlich skeptisch. Deswegen wäre es sinnvoller, statt auf ein solches Wunder zu hoffen, einfach den Fleischkonsum deutlich zu reduzieren und von der Massentierhaltung abzurücken. Aber das habe ich ja schon geschrieben.

 

P.S. Eine recht aktuelle Zusammenschau zum Thema aus wissenschaftlicher Sicht findet sich in Science:

However, the argument that all meat consumption is bad is overly simplistic. First, there is substantial variation in the production efficiency and environmental impact of the major classes of meat consumed by people (Table 2). Second, although a substantial fraction of livestock is fed on grain and other plant protein that could feed humans, there remains a very substantial proportion that is grass-fed. Much of the grassland that is used to feed these animals could not be converted to arable land or could only be converted with majorly adverse environmental outcomes. In addition, pigs and poultry are often fed on human food “waste.” Third, through better rearing or improved breeds, it may be possible to increase the efficiency with which meat is produced. Finally, in developing countries, meat represents the most concentrated source of some vitamins and minerals, which is important for individuals such as young children. Livestock also are used for ploughing and transport, provide a local supply of manure, can be a vital source of income, and are of huge cultural importance for many poorer communities.

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https://blogs.taz.de/reptilienfonds/2012/08/23/druckerschnitzel-und-soja-felder-dieser-text-hat-mehr-als-3-600-zeichen/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • “Alternativ könnte man die Erträge der Flächen womöglich deutlich steigern, was dann aber wohl bedeuten würde, dass in noch stärkerem Maße als bislang Kunstdünger, Pestizide und nicht zuletzt genetisch manipulierte Pflanzen eingesetzt würden, ”

    Im Gartenbau werden pro Flächeneinheit recht gute Erträge erzielt, erst recht im Kleingarten. Da werden auch schon mal Schädlinge und Unkraut manuell bekämpft und Abfälle kompostiert.

  • @Risikofaktor: Ja, Sie haben Recht, ich hatte zunächst geantwortet, dachte aber dann, dass die ganze Sache von meiner Seite aus allmählich redundant wird und hab’s wieder rausgenommen. Sorry.
    Vor allem war ich auf das 16:1-Verhältnis eingegangen, das so halt nicht stimmt bzw. einen falschen Eindruck vermittelt, denn es geht ja nicht nur um “Input Nahrung”, sondern z. B. auch um Verstoffwechslung. Außerdem ist der Wert für viele Tiere ja drastisch besser, bei Geflügel liegt es ja sehr deutlich darunter.
    Aber natürlich bleibt das Verhältnis positiv fürs Gewächs, das ist klar, deshalb wollte ich jetzt auch nicht weiter darauf herumreiten.
    Im Grunde kann ich Ihre Aussage so vollständig teilen. Mir ging es darum, darauf hinzuweisen, dass es ein bisschen einfach gedacht ist zu sagen: kein Fleisch mehr, und alles wird gut. Ich verweise hier nochmals auf den oben zitierten Science-Artikel. Auch Pflanzenproduktion ist oft alles andere als ökologisch sauber, hinzu kommen eben Faktoren wie Nutzbarkeit von Weideflächen, Folgen von Monokulturen etc.
    Dass massive Reduktion des Fleischkonsums sowohl aus tierschützerischer wie auch ökologischer und Welternährungs-Sicht wichtig und letztlich auf Dauer wohl auch unumgänglich sein wird, sehe ich natürlich auch so.

  • Ich dachte, ich hätte hier gestern abend noch eine Antwort von Herrn Werning gelesen.
    Wie dem auch sei – ich glaube, ich weiss, worauf Sie hinauswollen. Daher nochmal von der anderen Seite:
    Ich gehöre zu den Veggies, die durchaus wissen, dass es Gegenden auf der Erde gibt, in denen man seine Ernährung nicht vollständig pfanzlich decken kann, zumindest nicht vernünftig. Ich sehe es nicht prinzipiell als moralisch verwerflich an, ein Tier zwecks Nahrungsaufnahme zu töten.

    Ihre Vorstellung, die Sie beschreiben, dass wirklich jeder Mensch auf der Erde auf Fleisch verzichten würde, ist eine Utopie und wohl auch nicht sinnvoll. Wenn die Menschen, die zur Ergänzung ihres Speiseplans Fleisch brauchen, weil Pflanzen nicht genügend angebaut werden können, nun stattdessen pflanzliche Nahrung importieren müssten, die anderswo angebaut wurde, dann würde dadurch der Flächenverbrauch etwas ansteigen, das sehe ich auch ein.
    Ich denke jedoch, dass der Flächenverbrauch *insgesamt* trotzdem sinken würde, weil der Fleischkonsum in Europa, USA etc. so gross ist, dass der Verzicht dort den Flächenverbrauch von oben mehr als ausgleichen würde.

    Aber wie gesagt, dass wirklich jeder darauf verzichten muss, denke ich gar nicht. Und das sieht wohl auch der grösste Teil der Vegetarier und Veganer so.

    Und auch wenn Sie die 16:1 anzweifeln, ist doch sicher auch Ihnen klar, dass der Faktor weit höher ist als der Unterschied unserer Proteinaufnahme pflanzlich vs. tierisch.

  • Die Aussage:
    “Der Flächenverbrauch wäre immens, denn der Mensch kann pflanzliche Nahrung nicht annähernd so gut verwerten wie die Kuh – ein Aspekt, der in der Diskussion erstaunlich oft übergangen wird. Um in einer besseren Zukunft die Weltbevölkerung angemessen ernähren zu können, wird man um Fleisch nicht umhinkommen, will man nicht die letzten Regenwaldflächen auch noch in Soja-Monokulturen umwandeln […]”

    Jetzt soll es also eine Provokation gewesen sein? Was kann man an dieser Aussage falsch verstehen. Sätze aus dem Zusammenhang reissen mag ich auch nicht, aber die zitierten Sätze behaupten eindeutig, dass der Flächenverbrauch *ansteigen* würde, würde man ganz auf Fleisch verzichten.
    Ich finde es gut, dass der Autor auf die Kritik eingeht, jedoch sollten falsche Aussagen auch zugegeben werden, oder alternativ bitte mit Quellen belegt.

    Ein Rind muss zur “Herstellung” von 1kg Protein in Fleischform 16kg Protein in Pflanzenform zu sich nehmen. Ist auch völlog logisch. Ansonsten wäre es ein Perpetuum Mobile, wenn es daraus 16kg Fleisch machen könnte.
    Folgt man nun ihrer Aussage, dass pflanzliche Proteine schlechter von uns verwertet werden und daher der Flächenverbrauch anstiege, würde das bedeuten, dass unsere Verwertung von pflanzlichen Proteinen mindestens 16 mal schlechter sein müsste. Statt 100g Fleisch müssten wir 1.6kg pflanzliche Nahrung zu uns nehmen, um dieselben Proteine zu bekommen.

    Dass wir pflanzliche Proteine schlechter verwerten, habe ich auch schon gelesen, aber wenn es so viel schlechter wäre, wäre ich schon längst verhungert.

    Der restliche Artikel rettet den zitierten Satz einfach nicht. Es ist de facto umgekehrt, der Regenwald, der in Soja-Monokulturen umgewandelt wird, hat seine Abholzung dem Fleischkonsum zu verdanken. Und ihre Aussage hat das glatte Gegenteil behauptet und ist somit ein Vorwurf an Vegetarier, der aber nicht belegt wird.

    Und über Wiesenflächen, die für Nahrungsanbau nicht genutzt werden können, kann man sich immer noch unterhalten, wenn der Fleischkonsum mal so weit gesunken ist, dass die Tiere auch tatsächlich halbwegs artgerecht leben, auf der Weide stehen und kein Soja aus Südamerika importiert werden muss.

    Wie gesagt, die 16:1 stehen im Raum, und wenn der zitierte Satz verteidigt werden soll, dann bitte ich um Belege, ansonsten wäre es eine gute Geste, auch mal zuzugeben, dass man sich schlicht und einfach falsch ausgedrückt hat.

  • Danke auch von mir für die ausführliche und sachliche Auseinandersetzung mit der sicherlich nicht unberechtigten Kritik, die es seitens der Leser gegeben hat. Auch ich habe mich ganz schön aufgeregt. Ihre Erklärungen, Herr Wernig, haben mich wieder besänftigt- mir war auch schon klar, wohin diese anstößige Textpassage führen sollte- nämlich zum Synthetikfleisch. Dafür habe ich nach wie vor nichts übrig. Sehr interessant und die wahrscheinlich viel größere Schraube zum Drehen am Weltrettungsapparat ist die Sache mit dem Heuschreckenessen.
    Sehr schön auch die Kommentare der anderen Leser und deren (repräsentative) Auswahl.

  • Lieber Herr David,
    aber wieso reagiere ich denn beleidigt? Sie schreiben es doch am Ende selbst: Es war eine “anregende Diskussion”, das ist doch nicht das Schlechteste, was man mit einem kleinen Artikel erreichen kann.

    Ich stimme Klaus Söndgen und dem ausgeglichenen Weichei ja sogar weitgehend zu – aber halt nicht in allem. Das aber jetzt einzeln auszuführen, würde allmählich etwas redundant.

    Die Sache mit den Insekten dagegen begrüße ich generell sehr. Die schmecken auch ganz gut, zumindest Heuschrecken. Am 9. September brutzeln wir wieder welche: http://www.adamriese.net/show.htm
    Wenn Sie zufällig in Münster sind, schauen Sie doch vorbei – ich brate Ihnen eine extra.

    Mehlwürmer sind auch ganz OK, wie ich in der taz schon vor einiger Zeit berichtete:
    http://www.taz.de/!44327/

    Ich wünsche allseit guten Appetit.

  • Lieber Heiko Werning,
    “Klaus Söndgen” und “ausgeglichenes weichei” haben es argumentativ eigentlich schon auf den Punkt gebracht: Die eigenen vegan-affinen LeserInnen provozieren zu wollen total in Ordnung und auch ein wählbares Stilmittel (Kulturschaffende kennen da die Publikumsbeleidigung). Dann gehört es aber auch dazu mit den Konsequenzen zu leben, oder? Und beleidigt auf einen Shitstorm zu verweisen ist wirklich schlechter Stil für taz-Redaktuere, oder? Das ist wie das leider in der Foren-(un-) kultur übliche “… und jetzt schlagt auf mich ein”: ProvokateurInnen neigen leider dazu sich zu MärtyrerInnen zu stilisieren.
    Inhaltlich haben “Klaus Söndgen” und “ausgeglichenes weichei” trotzdem einiges zur von Ihnen geforderten Ernsthaftigkeit abseits des Vegan-Reflexes geliefert, ich möchte nur noch einen Aspekt hinzufügen: Insekten liefern übrigens auch tierische Proteine und zwar heute schon und obendrein auch noch günstig – da kann kein gedrucktes Synthesefleisch mithalten! Die FAO und WHO empfehlen den Verzehr übrigens auch und u.a. in Ostafrika gelten z.B. gebratene Heuschrecken als Delikatesse. Vielleicht eine Anregung für die nächste feuilletonistische Provokation – den taz-Yuppis doch mal die Heuschrecke auf dem Teller zu empfehlen, der agrarbiologischen Wissenschaft Flächenverbrauch und Klimabilanz (z.B. Methanausstoß) der Insektenkultivierung ans Herz zu legen?

    Schöne Grüße und Danke für die anregende Diskussion

    David

  • Lieber Heiko Werning, sorry, aber für den Shitstorm sind Sie selbst verantwortlich. Hätten Sie nicht den absurden Gegensatz Kuh vs. Regenwald/Soja aufgemacht, sondern einfach klar formuliert, dass die Welt eben auch so manchen km² Weidefläche bereithält, auf der weder Soja noch Gemüse, sondern einfach Gras und noch einfachere Pflanzen wachsen, wäre verständlich gewesen, worauf Sie hinauswollen. Von der Notwendigkeit der Jagd in unwirtlichen Regionen wollen wir mal ganz schweigen. In der Sache haben Sie völlig Recht. Weder die Massai noch die Inuit dürften allzu viel Verständnis für die Sorgen unserer Westveganer haben. Würden hierzulande Schweine noch in den Wald getrieben, um Eicheln etc. zu fressen, wäre Schweinefleisch auch hier ein ethisch einwandfreies Vergnügen. (Das beste gibt’s auf Korsika. Da fressen die Viecher Kastanien.) Oder eben Kuhfleisch von der Weide. Die Essgewohnheiten des Durchschnittsdeutschen wird damit aber kaum befriedigen können. Bei der Wahl zwischen Kunstfleisch, pflanzlichem Fleischersatz, Bodenverbauch für Extraweideflächen oder immersoweiterwiebisher heißt aber auch für mich als undogmatischen 90%-Veganer die Alternative: dann doch lieber Reis mit Gemüse.

  • Ich denke, der Kern der Ausereinandersetzung ist hierin begründet:
    “Wäre die Welt also eine bessere, wenn die Menschheit auf eine vegetarische oder gar vegane Ernährung umstiege? Eher nicht.” [ich hoffe ich habe korrekt zitiert Herr Werning :-)]
    Die Antwort müsste wohl lauten: Eher ja. Aber perfekt wäre sie dann auch noch nicht.
    Es gäbe meiner Meinung nach weniger Hunger auf der Welt, weil mehr Flächen effizienter genutzt werden könnten. Außerdem gäbe es weniger Leid, sowohl bei den getöteten Tieren, als auch bei vielen tötenden Menschen, für die das meistens auch nicht vergnügungssteuerpflichtig ist. Ich kann es zwar nicht mit einwandfreien Daten (denn die gibt es nicht) begründen, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass soviel für Menschen dauerhaft nur unverdauliches Gras bereitstellende Flächen existieren, das damit die enorme Ineffizienz der Fleischproduktion zu rechtfertigen wäre. Außerdem wäre es ja auch ein Beitrag zum Natur- und Artenschutz diese Flächen wirtschaftlich ungenutzt zu lassen. Und wenn man argumentiert, dass man Kuhfleisch essen sollte, weil das die effizientere Nutzung dieses Graslandes bedeutet geht das nicht nur realen Situation vorbei, dass die meisten Kühe der Fleischindustrie kaum Gras zu fressen oder auch nur zu sehen bekommen, sondern auch daran, dass es noch wesentlich effizientere Futterverwerter als Kühe gibt. In diesem Sinne wünsche ich guten Appetit bei der Umstellung des Fleischkonsums von Kuh auf Heuschrecke…
    PS: Wieso bezeichnen sie, Herr Werning, Veganer als Pflanzenfreunde? Fleischesser sind doch auch nicht gerade als Tierfreunde zu bezeichnen?
    PPS: Provokationen mit Halbwahrheiten gehören eher in die Zeitung mit den 4 großen, statt die mit den 3 kleinen Buchstaben 🙂

  • Es tut gut im Netz mal ausgewogene, sachliche Texte zur Landwirtschaft zu lesen.

    Besonders der Punkt der Verwertung von Wiesen und Weiden wird leider überhaupt nicht in der Diskussion berücksichtigt. Die Erhaltung von Weideflächen (z.B. zur Erosionsvermeidung) und auch bezüglich der CO2-Bilanz fällt leider oft weg.

    Zu einem Punkt hätte ich eine Anmerkung
    Zitat: “Hinzu kommt, dass Ackerflächen den Boden schneller auslaugen und Regenerationsphasen sowie Fruchtwechsel nötig machen (oder intensive Bedüngung und Bodenbearbeitung).”
    Mit dem Auslaugen habe ich ein Problem. Sobald Biomasse (egal ob Körner oder Heu/Silage) vom Feld oder der Wiese geerntet wird, wird der Boden “ausgelaugt”, sprich es werden Nährstoffe entzogen. Diese müssen dem Boden (Acker oder Wiese) wieder zurückgegeben werden, Z.B. in Form von tierischen Ausscheidungen oder mineralischem Dünger. Die Nutzungsintensität spilet hierbei eine entscheidende Rolle, so dass per se eine Ackerfläche (extensiv genutzt) nicht schlechter dastehen muss als eine Wiese oder Weide (intensiv genutzt).

  • @John: Na ja, wenn Sie Texte so “übersetzen”, dann ist es allerdings auch kein Wunder, wenn Sie überall “Unsinn” entdecken und sich ans Bein gepisst fühlen.
    Und woher genau wissen Sie eigentlich, ob ich Fleisch esse? Auch übersetzt?

  • “Dass bei Beibehaltung der derzeitigen Tierproduktion natürlich in viel stärkerem Maße als bei einer vegetarischen Welternährung neue Flächen gerodet würden, steht doch ganz außer Frage – und wurde in meinem Text auch nicht in Zweifel gezogen.

    Wozu dann überhaupt diese hypothetische Überlegung? Warum ausgerechnet der Kurzschluss zu den Soja-Flächen? Zum einen war das natürlich eine Provokation gegen jenen Teil der Pflanzenfreunde, die in ihrer Lebensweise den alleinigen Weg zum Weltenheil und die Lösung aller Probleme sehen und das entsprechend eifrig vertreten. Die hat ja ganz gut funktioniert.”

    Ich übersetze das zu: “Mir war klar, dass das Unsinn war, aber ich wollt halt mal diesen Gutmenschen ans Bein pissen.”
    Ich weiß schon, als Fleischesser braucht man sowas manchmal, um sich besser zu fühlen.

  • Leider sind ausgewogene Meinungen immer weniger gefragt. Daher ist es umso wichtiger, diese auch kundzutun. Weiter so!

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