Halten wir doch zu Beginn fürs Protokoll erst einmal fest: Es wird weltweit zu viel Fleisch gegessen, vor allem in den entwickelten Ländern. Viel zu viel. Schon aus ernährungsphysiologischer Sicht, aber das soll hier nicht weiter interessieren. Aber eben auch aus Tierschutz- und Umwelt-Sicht, darum soll es hier gehen. Große Flächen wurden und werden, besonders drastisch in Südamerika, für die Weidewirtschaft, zunehmend aber auch für den Anbau von vor allem Soja gerodet. Das ist ein großes Naturschutzproblem. Das so gewonnene Soja wird zu sehr hohen Prozentsätzen wiederum für die Fleischproduktion eingesetzt, und zwar nicht in den tropischen Ländern, sondern bei uns. Das führt zu großen Umweltproblemen und ist ein gefährlicher Irrweg. Deswegen trägt jeder, der weniger oder kein Fleisch isst oder gar auch auf Milchprodukte verzichtet, im derzeitigen Welternährungssystem zu einer Verbesserung bei. Seid also geknuddelt, liebe Vegetarierinnen und Vegetarier. Und sogar Ihr, liebe Veganerinnen und Veganer.
Nun habe ich einen Text darüber geschrieben, dass die US-Firma Modern Meadow verkündet hat, ihr sei ein wichtiger Fortschritt bei der Herstellung synthetisch erzeugten Fleisches gelungen. Er erschien am Dienstag auf dem „Talk“-Platz in der taz zwei, der für eher feuilletonistisch geschriebene oder erklärende Meinungsstücke vorgesehen ist. Die Aufgabenstellung lautete, die neue Technologie, so sie denn überhaupt jemals funktionieren sollte, zu diskutieren und zu überlegen, wozu überhaupt Synthetikfleisch gut sein soll und ob so ein Kunstzeug sinnvoll wäre.
Entsprechend stellt der Text zunächst den beklagenswerten Ist-Zustand der Ernährungslage dar. Er bemängelt die Massentierhaltung („Doch auch die zum freundlich lächelnden Gesicht gegossene Wurstscheibe hat zu lebenden Tieren gehört, die sich nicht freiwillig das Bolzenschussgerät an die Schläfe gesetzt haben, selbst wenn sie angesichts der Zustände in der Intensivtierhaltung durchaus Anlass dazu hätten“) sowie allgemein die negativen Auswirkungen des heutigen Fleischkonsums („Viele Menschen mögen deshalb kein Fleisch mehr essen. Was naheliegend ist, zumal wir zu viel davon verzehren, mit deprimierenden Folgen für Tier, Mensch und Umwelt“). Fazit also: Von der bisherigen Praxis der globalen Fleischproduktion muss man weg. Dann geht der Text davon aus, dass aber auch in Zukunft Fleisch auf dem Speisezettel des Menschen stehen wird (aus mehreren Gründen, die gleich zu diskutieren sein werden). Weshalb, so der Schluss, das Synthetikfleisch eine interessante Perspektive böte. Ob das je funktioniert – wer weiß. Ob es dann tatsächlich ein Beitrag zu einer ressourcenschonenderen Ernährung sein wird, wie die Betreiber von Modern Meadow versprechen, oder nicht am Ende noch alles schlimmer macht – es steht noch in den Sternen. Und wann es tatsächlich einen Beitrag zur Ernährung leisten könnte – völlig ungewiss. Woraus folgt, und so endet der Artikel: „Fürs Erste allerdings wäre schon allen geholfen, würden einfach mehr Menschen weniger und dafür hochwertigeres, aus tiergerechter Haltung stammendes Fleisch essen.“
Es handelt sich also sehr eindeutig um einen Text gegen Massentierhaltung und für global reduzierten Fleischkonsum.
Trotzdem hat er mir einen kleinen Kuh-Shitstorm eingetragen, weil er zur Begründung, warum es überhaupt nützlich sein könnte, Synthetikfleisch zu erbrüten, postuliert, dass auch in einer besseren Welt Fleisch gegessen werden würde, aus verschiedenen Gründen: „Wäre die Welt also eine bessere, wenn die Menschheit auf eine vegetarische oder gar vegane Ernährung umstiege? Eher nicht. Der Flächenverbrauch wäre immens, denn der Mensch kann pflanzliche Nahrung nicht annähernd so gut verwerten wie die Kuh – ein Aspekt, der in der Diskussion erstaunlich oft übergangen wird. Um in einer besseren Zukunft die Weltbevölkerung angemessen ernähren zu können, wird man um Fleisch nicht umhinkommen, will man nicht die letzten Regenwaldflächen auch noch in Soja-Monokulturen umwandeln und der Artenvielfalt damit endgültig den Garaus machen. Abgesehen davon ist ein größerer Teil der Menschen auch gar nicht willens, auf Steak oder Döner zu verzichten.“ Also kurz: Auch wenn alle Menschen plötzlich vegan leben würden, hätte man auf Dauer ein Flächen- und damit ein Naturschutzproblem. Außerdem ist diese Utopie ohnehin unrealistisch mangels Akzeptanz der Menschen.
Sagen wir es mal so: Dieser Abschnitt hat dem veganen Wheaty-Blog nicht gefallen. Und vielen seiner Leser (und sicher auch manchem taz-Leser) auch nicht, die daraufhin in Leserkommentaren und -briefen ihrem Unmut Luft machten. Besonders aufmerksam gehen die Weizenfreunde mit meinem Text dabei nicht um: Sie zitieren ausschließlich den obigen Abschnitt (ohne den letzten Satz zur Akzeptanz-Problematik) und erwähnen ansonsten erst gar nicht, aus welchem Artikel, welchem Zusammenhang das Zitat stammt und welche Intention der Text eigentlich hat. Stattdessen wird der Beitrag als der Fleischlobby das Wort redend dargestellt und behauptet, dass er „ein überholtes System der Ernährung, welches all die inzwischen hinlänglich bekannten negativen ökologischen und sozialen Folgen hervorbringt, versucht zu rehabilitieren“, was ziemlich absurd ist angesichts der im Text vertretenen, exakt gegenteiligen Haltung. Aber sei’s drum.
Konzentrieren wir uns auf den inkriminierten Absatz und die Aspekte, die ich darin – natürlich extrem verkürzt – andeuten wollte. Würde also eine vollständige Umstellung der Weltbevölkerung auf eine rein pflanzliche Ernährung alle mit der Ernährung verbundenen Umweltprobleme lösen? Was ja ohnehin eine Utopie ist, denn derzeit zumindest erscheint es doch eher wahrscheinlich, dass der heimische Deskjet-Drucker eines Tages Steaks ausspuckt, als dass die Menschheit kollektiv beschließt, von Fleisch, Fisch und womöglich gar Milchprodukten die Finger zu lassen.
Zur theoretischen Möglichkeit der Ernährung der gesamten Weltbevölkerung ausschließlich mit Pflanzen gibt es zweifellos unterschiedliche Meinungen. WHO und FAO empfehlen durchgängig eine deutliche Reduktion des Konsums tierischer Produkte, nicht aber den völligen Verzicht. Die FAO betont einerseits die negativen Folgen der Tierproduktion, hebt aber andererseits auch ihre Vorteile hervor. Sehr aufschlussreich dazu ist der frei im Internet verfügbare und gut lesbare, umfangreiche Report: „Livestock’s Long Shadow. Environmental Issues and Options“. Aber wäre die vollständige Vegetarisierung der Welt dauerhaft überhaupt möglich? Und was würde das beispielsweise für die dazu nötigen Flächen bedeuten?
Tierisches Eiweiß ist für den Menschen sehr gut nutzbar, auch für andere Nährstoffe sind Fleisch und Fisch eine besonders gute Quelle. Alles, was der Mensch braucht, kann er natürlich Pflanzen entnehmen. Es ist, vor allem bei veganer Ernährung, aber schwieriger. Und man braucht so oder so eine ganze Menge hochwertigen pflanzlichen Eiweißes, will man es als einzige Proteinquelle nutzen, die alles ersetzt, was bisher tierischen Ursprungs war. Zwar entfiele dann natürlich die Zweckentfremdung von Soja und anderen Pflanzen als Tierfutter, ein nicht unerheblicher Teil der derzeitigen Ackerflächen (laut FAO etwa ein Drittel) stünde dann also zusätzlich der menschlichen Ernährung direkt zur Verfügung, ohne den Umweg über die Kuh. Dennoch wären auch in diesem System erhebliche Flächen erforderlich, denn schließlich zieht die Menschheit derzeit etwa ein Drittel ihres Proteinbedarfs aus tierischen Produkten. Zwar verbraucht ein Tier mehr Energie in Form pflanzlicher Nahrung, als es in Form von Fleisch zurückgibt. Aber ganz so einfach, wie oft argumentiert wird, auch in den Leserkommentaren, ist es nun auch wieder nicht: Denn die, sagen wir, 5 kg Pflanzenfutter, die das Tier benötigt hat, um 1 kg Fleisch zu produzieren (diese Raten sind extrem stark abhängig von der Art des Tieres und des Futters), hätte der Mensch nun keineswegs in gleicher Weise nutzen können, da Vieh Futtermittel besser nutzen kann als der Mensch bzw. Futtermittel frisst, die der Mensch gar nicht nutzen würde. Das gilt für Abfallstoffe allgemein (z. B. Schweine), aber ganz besonders für Gras und Blätter (z. B. Kühe, Büffel, Schafe, Ziegen), die vom Menschen gar nicht bis wenig genutzt werden können, da Menschen nicht in der Lage sind, Zellulose aufzuspalten, um so die in Gras enthaltenen Nährstoffe verfügbar zu machen. Wiederkäuer haben dafür ihren spezialisierten Verdauungsapparat einschließlich symbiontischer Mikroorganismen. Wird die Kuh also nicht, wie in moderner Intensivtierhaltung leider üblich, mit hochwertigen Futtermitteln wie etwa Soja, sondern mit Gras und Heu gefüttert, wächst sie zwar langsamer, nutzt aber Futter, das ansonsten nicht als Nahrung nutzbar wäre. Und es ist keineswegs so, dass man auf allen Weideflächen einfach für den Menschen nutzbare Pflanzen anbauen könnte, erst recht keine, die hochwertige pflanzliche Proteine liefern. Hinzu kommt, dass Ackerflächen den Boden schneller auslaugen und Regenerationsphasen sowie Fruchtwechsel nötig machen (oder intensive Bedüngung und Bodenbearbeitung).
Das alles auf globalen Maßstab hochgerechnet lässt schon sehr daran zweifeln, ob die Ernährung der gesamten Weltbevölkerung ohne Fleisch und Fisch oder gar auch noch ohne Milchprodukte möglich wäre, ohne die derzeitigen Anbauflächen für hochwertige Nahrungspflanzen noch weiter auszubauen. Denn man müsste ja alle Nährstoffe, die derzeit über tierische Produkte aufgenommen werden, von der Krabbe bis zur Kuh, über Pflanzen bereitstellen, bei gleichzeitigem Verzicht auf große Flächen, die sinnvoll nur als Weide zu nutzen sind und bei ebenfalls gleichzeitigem Verzicht auf die keineswegs marginalen Bestandteile derzeitiger Tierfutterrationen, die vom Menschen für die Ernährung nicht nutzbar sind. Von Verteilungs- und Managementsproblemen mal ganz abgesehen.
Es geht also nicht darum, dass der Ausbau der Soja-Anbauflächen vor allem in Südamerika die Schuld der Vegetarier sei (sie ist es natürlich nicht). Es geht darum, dass auch bei der (ohnehin illusorischen) vollständig vegetarischen Ernährung der gesamten Weltbevölkerung langfristig ein weiterer Ausbau der Anbauflächen für Soja & Co. zu erwarten wäre, auf Kosten eben beispielsweise von Regenwaldflächen, wenn die bisher zur Verfügung stehenden Flächen nicht effektiv und sinnvoll bewirtschaftet werden. Alternativ könnte man die Erträge der Flächen womöglich deutlich steigern, was dann aber wohl bedeuten würde, dass in noch stärkerem Maße als bislang Kunstdünger, Pestizide und nicht zuletzt genetisch manipulierte Pflanzen eingesetzt würden, was ja nun ebenfalls unerwünscht ist. Dass bei Beibehaltung der derzeitigen Tierproduktion natürlich in viel stärkerem Maße als bei einer vegetarischen Welternährung neue Flächen gerodet würden, steht doch ganz außer Frage – und wurde in meinem Text auch nicht in Zweifel gezogen.
Wozu dann überhaupt diese hypothetische Überlegung? Warum ausgerechnet der Kurzschluss zu den Soja-Flächen? Zum einen war das natürlich eine Provokation gegen jenen Teil der Pflanzenfreunde, die in ihrer Lebensweise den alleinigen Weg zum Weltenheil und die Lösung aller Probleme sehen und das entsprechend eifrig vertreten. Die hat ja ganz gut funktioniert.
Vor allem aber ging es in der Logik des Textes darum, siehe oben, zu begründen, warum die Idee mit diesem Kunstfleisch durchaus faszinierend ist. Weil es, würde es so funktionieren, wie Modern Meadow es derzeit anpreist, die negativen Umweltfolgen der Welternährung reduzieren helfen könnte. Und die angeführten Tierschutzprobleme sowieso. Weil es, gemeinsam mit vielen anderen Schritten durchaus dazu beitragen kann, die drängenden globalen Umwelt- und Ernährungsprobleme zu lösen.
Dass da allerdings wirklich das Fleisch aus dem Drucker in nennenswerter Weise helfen kann, zumindest in absehbarer Zeit, da bin ich jedoch ziemlich skeptisch. Deswegen wäre es sinnvoller, statt auf ein solches Wunder zu hoffen, einfach den Fleischkonsum deutlich zu reduzieren und von der Massentierhaltung abzurücken. Aber das habe ich ja schon geschrieben.
P.S. Eine recht aktuelle Zusammenschau zum Thema aus wissenschaftlicher Sicht findet sich in Science:
However, the argument that all meat consumption is bad is overly simplistic. First, there is substantial variation in the production efficiency and environmental impact of the major classes of meat consumed by people (Table 2). Second, although a substantial fraction of livestock is fed on grain and other plant protein that could feed humans, there remains a very substantial proportion that is grass-fed. Much of the grassland that is used to feed these animals could not be converted to arable land or could only be converted with majorly adverse environmental outcomes. In addition, pigs and poultry are often fed on human food “waste.” Third, through better rearing or improved breeds, it may be possible to increase the efficiency with which meat is produced. Finally, in developing countries, meat represents the most concentrated source of some vitamins and minerals, which is important for individuals such as young children. Livestock also are used for ploughing and transport, provide a local supply of manure, can be a vital source of income, and are of huge cultural importance for many poorer communities.
“Alternativ könnte man die Erträge der Flächen womöglich deutlich steigern, was dann aber wohl bedeuten würde, dass in noch stärkerem Maße als bislang Kunstdünger, Pestizide und nicht zuletzt genetisch manipulierte Pflanzen eingesetzt würden, ”
Im Gartenbau werden pro Flächeneinheit recht gute Erträge erzielt, erst recht im Kleingarten. Da werden auch schon mal Schädlinge und Unkraut manuell bekämpft und Abfälle kompostiert.