vonJakob Hein 12.05.2013

Reptilienfonds

Heiko Werning und Jakob Hein über das tägliche Fressen und Gefressenwerden in den Wüsten, Sümpfen und Dschungeln dieser Welt.

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Als bei der Lotterie des Oberlandesgerichts München die „Brigitte“ einen der Journalistenplätze zugelost bekam, hatte ich eine Idee: Mein Plan war, mich satirisch in die Position des Berichterstatters des Frauenmagazins zu begeben und den Prozess ausschließlich aus Sicht eines – ich gebe es zu – sexistischen Frauenbildes darzustellen. Ich wollte über das Aussehen der Angeklagten schreiben, was sie isst, was sie anzieht, wo sie zum Friseur geht. Die Idee dahinter war es, einerseits das Grauen der rechtsextremen Morde zu unterlaufen und andererseits das gängige Frauenbild der gängigen Frauenzeitschriften zu karikieren – zwischen Kleiderschrank und Herd immer hin und her laufend. Vielleicht wäre es möglich, auch Banalisierungstendenzen in der Berichterstattung zu entlarven sowie die Verharmlosung einer mutmaßlichen Serienmörderin aufgrund der schlichten Tatsache, dass sie eine Frau ist. Schließlich würde ja bei einem Mann niemand über die flotten Wildlederschuhe oder den schicken Anzug sprechen.

Leider muss ich mir schon nach dem ersten Prozesstag eingestehen, dass mein Vorhaben absolut gescheitert ist. Die tatsächliche Berichterstattungder überregionalen Presse über den NSU-Prozess, die sich weitgehend auf die Person Tschäpe beschränkt und  im Übrigen kaum etwas Ihnhaltliches über den Prozess zutage fördert, kann nicht von mir karikiert werden. Die einzige Möglichkeit, das Bestehende noch zu übertreiben, wäre es, wenn Heidi Klum direkt mit Zschäpe in eine Zelle gesperrt würde, wenn Zschäpe vom Gericht zur Teilnahme am Dschungelcamp verurteilt würde, wenn irgendeine Kleiderserie bei irgendeinem in Bangladesh nähen lassenden Kleiderkonzern von ihr designt werden würde. Ich jedenfalls kann mit meinen Mitteln diese Realität nicht überzeichnen. Lediglich der belächelte Sender „Radio Lotte Weimar“ und die Seite nsu-watch förderten mehr zutage als Modekritik und das Stöhnen über schlechte Luft im Gerichtssaal.

Wie sie da steht, mit nachtblauem Sakko, weißer Bluse und schwarzer Jeans, vermuten ausländische Journalisten auf der Empore, sie sei gar nicht Zschäpe, sondern ein Mitglied ihres Verteidigerteams. Doch es ist Zschäpe, mit bleichem Gesicht und schmalen Lippen, die üppigen, dunklen Haare trägt sie offen. Sie wirkt genervt, verschränkt die Arme, wirft den Kopf kurz nach hinten, doch dann lächelt sie ihre Verteidiger an.

„Tagesspiegel“ 06. Mai 2013

Die mutmaßliche Terroristin ist gerade in den Gerichtssaal gekommen. Ohne Hand- oder Fußfesseln. Aus einem Phantom, das man fast nur von Fahndungsplakaten kannte, wird in diesem Moment eine schlanke Frau, die in weißer Bluse und schwarzem Blazer nicht auffällt zwischen ihren Anwälten. Beate Zschäpe sieht nicht mehr aus wie eine Terroristin. Den Fotografen zeigt sie am Montagmorgen zwar nur ihren Rücken. Doch abseits vom Blitzlichtgewitter verschränkt sie leicht kokett ihre Arme und setzt sich mit dem Po auf ihren Tisch.

„Die Welt“ 06. Mai 2013

Um 9.56 Uhr betritt Beate Zschäpe mit schnellen Schritten den Verhandlungssaal A 101 des Strafjustizzentrums in München. Hier wird sie in den kommenden Monaten viel Zeit verbringen. Äußerlich sieht die Angeklagte eher aus wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Sie dreht sich kurz, was ein wenig kokett wirkt, dann wendet sie den Fotografen den Rücken zu, lehnt sich an eine Stuhllehne und verschränkt die Arme vor der Brust.

Man kann diese Haltung als stolz deuten, als abweisend oder selbstbewusst – oder als Versuch, Unsicherheit zu überspielen. Da das Gericht sich Zeit lässt, steht Zschäpe ziemlich lange so da, in schwarzem Hosenanzug und weißer Bluse, die langen dunklen Haare mit lockerem Stufenschnitt, große silberne Kreolen im Ohr. Zwischendurch stützt sie die Hände in die Hüften oder klammert sich an der Stuhllehne fest.

Die meiste Zeit stehen ihre drei Verteidiger um sie herum, schirmen die zierliche Frau ein wenig ab, unterhalten sich ein bisschen mit ihr, während sich die Kameras an ihrem Rücken abarbeiten. Sie ist die Hauptangeklagte in diesem Verfahren, die einzige Überlebende des «Nationalsozialistischen Untergrunds». Ihr droht lebenslange Haft – die Anklage wirft ihr Mittäterschaft an zehn Morden vor, und noch einiges mehr. Erst als die Fotografen und Fernsehteams den Saal verlassen haben, dreht Zschäpe sich um.

Die 38-Jährige sieht bleich aus und müde. Bis auf Frisur und Outfit sieht sie den bekannten Fahndungsbildern ziemlich ähnlich. Als der Vorsitzende Richter die Liste der Nebenkläger und ihrer Anwälte verliest, schaut sie aufmerksam in den hinteren Bereich des Saals; einmal verzieht sie in schwer zu deutender Weise das Gesicht. In der Verhandlung scheint sie eher unruhig: Mal verschränkt sie die Arme, mal stützt sie den Kopf auf, dann fährt sie sich mit den Händen über das Gesicht und streicht die Haare nach hinten. Immer wieder sucht sie das Gespräch mit ihren Verteidigern Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl.

„Augsburger Allgemeine“ 06. Mai 2013

Um 9.56 Uhr betritt sie den Saal: Weiße Bluse, dunkler Hosenanzug, verschränkte Arme. Beate Zschäpe, mutmaßliche NSU-Terroristin, die mitverantwortlich für zehn Morde, zwei Bombenanschläge und zahlreichen Banküberfälle sein soll.

Doch als die 38-Jährige ihren ersten Auftritt im Prozess hat, wirkt sie wie eine Business-Frau auf dem Weg zu einem unerwünschten Termin. Die langen Haare sind offenbar frisch geföhnt, Zschäpe ist geschminkt, an ihren Ohren hängen große silberne Ringe. Dazu schwarze Schuhe mit Absatz – diese Frau wirkt nicht, als käme sie direkt aus der JVA.

Nach einigen Schritten durch den Saal lehnt sie sich an einen Stuhl, dreht den Fotografen den Rücken zu. Doch man sieht, wie sie locker mit den Verteidigern plaudert, sie scheint zu scherzen, lächelt zwischendurch. Dabei droht ihr lebenslange Haft.

„Hamburger Morgenpost“ 06. Mai 2013

Schließlich Beate Zschäpe. Sie trägt die Arme vor dem Körper verschränkt, wendet sich andeutungsweise etwas nach links, kurz nach rechts. Sie ist schmaler als nach den bekannten Fotos zu schließen war, und auf ungewöhnliche Weise locker. Schwarzer Hosenanzug, weiße Bluse, frisch geföntes langes dunkles Haar. „Gestylt“, mokieren sich Zuschauer. Sie macht einige Schritte, fast posend, mit einem Anflug an Koketterie. Dann dreht sie sich, wendet demonstrativ den Fotografen den Rücken zu. Eine Weile steht sie, lehnt sich lässig mit dem Rücken gegen die Lehne ihres Stuhls.

Ihre Verteidiger Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl eilen herbei, Anja Sturm folgt mit einem Becher Wasser. Sogleich umschließen sie ihre Mandantin wie ein Kokon. Zschäpe wirft das Haar nach hinten, scheint zu scherzen. Graziös blickt sie bisweilen zur Decke. Zwischen ihr und den anderen Angeklagten findet keine Kommunikation statt.

„Der Spiegel“ 06. Mai 2013

Doch der Ausflug machte sie happy. „Wie Urlaub“, freute sie sich nicht nur, weil sie endlich ihre kranke Oma wiedersehen würde. Die mit Fußketten gesicherte Ostdeutsche war auch zufrieden, dass sie an diesem 25. Juni 2012, einem Montag, in Köln-Ossendorf den Suppentag verpassen würde. Suppe mag Zschäpe nicht. Sie hoffte, dass die JVA-Kantine von Gera Thüringer Bratwürste servieren würde. Die kann Zschäpe auf den ersten Biss erkennen. Es gab dann Königsberger Klopse.

„Die Welt“ 04. Mai 2013

PS Heute wieder „Reformbühne Heim & Welt“ mit den kritischen Gästen Gregor Mothes und Ivo Lotion. Wer einem vom Reptilienfonds das Stichwort „Exokosmos“ ins Ohr flüstert, bekommt ein Freigetränk.

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kommentare

  • Mein Liebling: Sie verschränkt „leicht kokett ihre Arme setzt sich mit dem Po auf ihren Tisch“. Mit dem Po! Wie ungewöhnlich!

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