Da ist das Gejammere plötzlich groß: Weil die Berliner im Volksentscheid die Bebauung des Tempelhofer Feldes verweigerten. Und zwar total. Nicht mal am Rand wollen sie ein paar Hochhäuschen dulden. Und nicht einmal eine klitzekleine Zentralbibliothek, keine Media-Märkte, keine Fußballplätze und was die weisen Lenker ihrer Stadt sich sonst so ausgedacht hatten. Stattdessen also öde Steppe mit ausgedehnten Asphaltpisten dazwischen.
Das ist, selbstverständlich, vollkommen irre. Und doch muss man sie loben und ein wenig knuddeln für diese Entscheidung, die Berliner Hippies. Denn als solche werden sie plötzlich gebrandmarkt, als nur an ihrer persönlichen Selbstverwirklichung interessierte Skater-Freaks, Grill-Fetischisten, Drachenlenker und Auf-dem-Rasen-Rumknutscher, die sich von den Bayern ihr nichtsnutziges Herumhängen irgendwo in der Brache finanzieren lassen.
In der „Welt“ beispielsweise. Da bekommt Ulf Poschardt fast einen Herzkaspar: „Die Abstimmung zeigt die Spießigkeit des scheinhippen Berlins.“ Denn: „Berlin ist sediert von einem Anspruchsdenken, das in keinerlei Verhältnis zur Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Anspruchsformulierer steht. Es sind die ewigen Studenten, das Projektprekariat und die schmerbäuchigen Apologeten der Biotope für Wenignutze und rollerbladende Transferempfänger, die denen selbstbewusst Grenzen aufzeigen, die sich zackig ein schnelleres und anstrengenderes Berlin wünschen. Der Hedonismus der Entschleuniger harmoniert mit den jämmerlichen Wirtschaftsdaten.“ Schmerbäuchige Apologeten der Biotope für Wenignutze – das ist zweifellos das schönste Kompliment seit Langem, das jemand den Berlinern gemacht hat. Vielleicht war ich in der Vergangenheit doch zu streng mit dieser Stadt und ihren Bewohnern.
Aber weiter mit Poschardt: „Bürgerbeteiligung ist in Berlin ein Synonym für Verhinderung geworden. Oft genug angeführt von denen, denen selbst nicht viel gelingt.“ Das ist ein bisschen lustig, wenn man weiß, dass Poschardt eher nicht zu denen gehört, „denen selbst nicht viel gelingt.“ Sondern viel mehr zu denen, denen überhaupt nichts gelingt. Und damit sind ja nicht einmal seine Artikel gemeint. Bei der Süddeutschen Zeitung ist er im Jahr 2000 rausgeflogen, weil er sich gefälschten Geschichten und Interviews andrehen ließ und diese veröffentlicht hatte. Danach ging er wie alle Total-Versager nach Berlin, wo er dann 2005 Chefredakteur der deutschen Ausgabe des amerikanischen Magazins Vanity Fair wurde. Das sich, so Poschardt damals, an die „Shaker und Mover“ der Berliner Republik richtete und auch politisch brisant sein wollte. Aber, wie Poschardt heute schreibt: „Politik heißt für die Mehrheit der Berliner, wir fordern, andere bezahlen. Im Länderfinanzausgleich zum Beispiel, wo die Bayern seit jeher den sozialen und kulturellen Luxus der Hauptstadt ermöglichen.“ Seinen eigenen Magazin-Luxus ließ er sich allerdings nicht von den Bayern, sondern den Amerikanern bezahlen. Mit Vanity Fair versenkte er lässige 100 Millionen Euro, bevor das Magazin wieder eingestellt wurde. 100 Millionen Euro! Damit hätte man 200 Technikverantwortliche des BER schmieren können, womöglich stünde der Flughafen dann längst! Nach dieser Reihe an veritablen Flop musste Poschardt zur „Welt“, was natürlich an sich auch gerechte Strafe genug ist.
Aber nicht nur Poschardt, sondern auch Kommentatoren, die man versehentlich beinahe für näherungsweise vernünftig gehalten hätte, beschimpfen jetzt die Berliner wegen ihrer frechen Entscheidung. Und natürlich der Berliner Senat selbst, dessen Vasallen in selbst für die bodenlosen Berliner Verhältnisse schier sprachlos machender Dummdreistigkeit nun behaupten, dann sei den Stadtbewohnern an günstigem Wohnraum wohl nicht gelegen. Stadtentwicklungssenator Müller etwa bedauerte „die vergebene Chance, 4700 dringend benötigte städtische Wohnungen auch für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen bauen zu können.“ Innensenator Henkel sekundierte, es sei „eine Chance vertan worden, Berlin eine Perspektive für neuen und bezahlbaren Wohnraum in der Innenstadt zu geben.“ Für die CDU sei es wichtig, „dass die Berliner Mischung erhalten bleibt. Das heißt, dass sich auch Menschen mit geringerem Einkommen Wohnen in der Innenstadt leisten können sollten.“ Und Wolfgang Sinno von der Jungen Union twitterte nach Bekanntwerden des Ergebnisses der Volksabstimmung knapp: „Bitte keine Beschwerden mehr über steigende Mietpreise.“ Diejenigen also, die seit Jahren eine Politik zu verantworten haben, die öffentlichen Wohnraum vernichtet, weil sie im Besitz der Stadt stehende Wohnungen einfach privatisiert oder Bauland statt an Genossenschaften lieber an höher bietende Privatinvestoren verscherbelt hat, die dann, Überraschung!, gar nicht für Niedrigverdiener bauen, sondern lieber Luxus-Eigentumswohnungen und Town Houses. Genau diese Typen also jammern jetzt, weil die Berliner den Köder „Wohnungsbau“ am Tempelhofer Feld nicht geschluckt haben, mit dem sie zum Beifang für die Shaker-und-Mover-Bebauung gemacht werden sollten?
Allein schon für diese Reaktionen hat sich der Volksentscheid gelohnt. Das Klagen über die Berliner Nimm-Mentalität hat etwas Rührendes aus dem Mund von Leuten, die ihren Reichtum ja auch nur durch mindestens systemimmanente, in der Regel aber auch ganz persönliche Asozialität zusammengerafft haben. Und so großmäulig nervtötend der Berliner an sich ja auch gerne ist – dass er einem Senat keinen einzigen Quadratmeter zur Bebauung mehr überlassen will, der sein Komplettversagen wöchentlich an allen Baustellen der Region vom BER über die Staatsoper bis zum ohnehin absurden Stadtschloss unter Beweis stellt, zeugt dann doch von einer erfrischend nüchternen Betrachtung der Lage. Lieber Ödland, an dem sich wenigstens noch ein paar Rollschuhfahrer erfreuen können, als noch eine Fläche den Berliner Eliten zum Kaputtmachen geben, das ist doch sehr vernünftig. Und wer weiß, wie die Kosten sich beim Großbauprojekt Tempelhofer Feld samt Zentralbibliothek entwickelt hätten – nicht, dass am Ende nicht mal mehr die Bayern das bezahlen wollen!
Dafür hat Berlin nun eine echte Attraktion mehr: eine wider jede ökonomische Vernunft brachliegende innerstädtische Serengeti, ein Monument gegen die scheinbar rationale marktgerechte Verwertung von allem und jedem. Das ist nicht nur symbolisch hübsch, das ist wahrscheinlich sogar schlau. Die Leute finden ja auch Schloss Neuschwanstein, Schönbrunn oder den Kölner Dom nicht deswegen toll, weil die Dinger wirtschaftlich besonders sinnvoll gewesen wären. Es gefällt ihnen einfach. Gut, die Tempelhofer Pampa wird nicht denselben Leuten gefallen. Aber anderen. Auch das kann der Stadt nutzen.
Und schließlich: Nur weil die Berliner das Tempelhofer Feld nicht den ausgewiesenen Versagern der derzeitigen Führung anvertrauen wollen, heißt das ja noch lange nicht, dass sie sich das später nicht anders überlegen. Irgendwann kann man ja vielleicht noch schöne Sachen damit machen. Auch eine Bebauung muss keineswegs für alle Zeiten ausgeschlossen sein. Eine hübsches Wohngebiet, wo wir sie alle hinpacken, die Poschardts und Wowereits und Müllers und Henkels und Jungunionisten und wer sich da noch gerade alles entblödet, das wäre doch durchaus eine Alternative. Eine richtig schöne Gated Community. Den Schlüssel dafür, den behalten dann allerdings wir schmerbäuchigen Wenignutze. Wäre doch gelacht, wenn sich dafür beim nächsten Volksentscheid keine Mehrheit finden ließe.
@ hihihi: Ist die Erwähnung des Schlagwortes Länderfinanzausgleich ein Verweis auf die Diskussion, welche Bundesländer mehr Unterhalt in die öffentlichen Kassen zahlen?