vonHeiko Werning 10.09.2017

Reptilienfonds

Heiko Werning und Jakob Hein über das tägliche Fressen und Gefressenwerden in den Wüsten, Sümpfen und Dschungeln dieser Welt.

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Zu Deinem 44. Geburtstag alles Gute auch aus dem Wedding. Das meine ich durchaus ernst, auch wenn ich es sonst mit Geburtstagsglückwünschen eigentlich gar nicht so habe. Aber Du ahnst natürlich den eigentlichen Grund, warum ich Dir schreibe. Genau: Um Dich zu erinnern, dass Du mir immer noch was schuldest. Genau genommen sogar gleich dreimal noch was schuldest.

So geht das nämlich nicht! Als ich Dich eingeladen habe, als Gastleser bei unseren Lesebühnen Reformbühne Heim & Welt und Brauseboys einige Deiner großartigen satirischen Texte vorzutragen, hast Du fest zugesagt. Wir wollten Dich unbedingt dabei haben, schon vor drei Jahren, als Du noch nicht mit zweifelhaften PR-Methoden den Bekanntheitsgrad wie heute erreicht hattest. Weil Du nämlich immer schon viel mehr warst als einfach nur ein Journalist. Nämlich ein begnadeter Satiriker, Polemiker, ein literarischer Essayist, kurz: ein Schriftsteller. Und weil wir fanden, dass Deine Texte viel zu schade waren, um nur in der Zeitung weggedruckt zu werden. Wir wollten sie auf der Bühne schillern sehen. Aber versprochen ist versprochen, Du hast gesagt, dass Du kommst! Und, was ist? Wir kriegen einfach keinen Termin hin. Während Deine Ausreden immer abstruser werden. Erst musstest Du dauernd nach Dresden, weil Du diese Pegida-Trottel sehen und mit ihnen sprechen wolltest, bevor Du über sie schreibst. Immer diese grauenhaft deutsche Gewissenhaftigkeit, Du Supertürke! Guck Dir mich an: Ich schreibe über die, ohne je auch nur einen Fuß in deren Nähe gesetzt zu haben. Geht doch auch. Und man riskiert dabei nicht mal was außer ein paar wüsten Leserkommentaren auf Facebook. Während Du auch noch dauernd Gefahr gelaufen bist, dafür aufs Maul zu kriegen. Aber nein, Du willst ja immer alles selbst sehen, mit allen reden, alle verstehen und zur Not halt selbst spüren, wie weit sie wirklich gehen. Also wirklich, Effizienz ist was anderes. Und das bei den Honoraren bei der Taz! Okay, gut, dann bist Du ja auch zur „Welt“ gegangen, da war die Bezahlung natürlich besser, da konntest Du Dir solche Extravaganzen schon eher leisten. Zugegeben, ein bisschen irritiert war ich ja, als Du rüber gegangen bist auf die dunkle Seite, von der Rudi-Dutschke-Straße ins Springer-Hochhaus. Aber natürlich hat Dir gerade auch das gefallen, dieses Grenzen Überschreitende, dieses Konventionen Verletzende, egal auf welcher Seite, dieses Die-Leute-verwirren und Gewissheiten-in-Frage-stellen. „Es ist mein Traumjob, und ich habe drauf bestanden, dass ich weiter machen kann, was ich für richtig halte“, hast Du mir auf meine vorsichtige Frage diesbezüglich bei Deiner Abschiedsparty im Taz-Dachgarten gesagt, und ich glaube, ich habe es verstanden. Und ja, natürlich würdest Du noch kommen zu unseren Bühnen, hattest Du gesagt, aber jetzt erst mal müsstest Du nun mal in die Türkei, wegen dem neuen Job. Auch da wieder wolltest Du alles selbst erleben, worüber Du berichtest. Große Güte, wenn alle Journalisten so arbeiten würden, bekämen wir doch nie die Zeitungen voll! Hat Dir denn nie jemand erklärt, wie Google und diese Wikipedia funktionieren?

Aber schön, wir haben ja für vieles Verständnis. Dann fährst Du halt erst mal in die Türkei, ehe Du bei uns auftrittst. Aber wenigstens einen Beitrag für das Satire-Buch von Volker Surmann und mir wolltest Du dann schicken. Und was haben wir bekommen? Gar nüscht. Und warum das alles? Weil der feine Herr Yücel es vorzieht, ins Gefängnis zu gehen. Klar, auch bei den Ausreden immer ein bisschen extravaganter, immer ein bisschen drüber. Was haben wir von Leuten, die Ihre Termine vermasseln, nicht schon alles gehört: „vergessen“, „falsch eingetragen“, „Computer abgestürzt“, „Hund musste zum Tierarzt“, oder: „Tut mir leid, ich habe verschlafen.“ Verschlafen! Und das bei einem Auftritt abends um acht! Klar, so sind sie eben, diese Künstlertypen. Oder: „Tut mir leid, aber in unserem Haus ist kurzfristig noch eine Wohnungseigentümerversammlung einberufen worden, da muss ich unbedingt hin.“ Wohnungseigentümerversammlung! Ja, so sind sie eben, diese linken Künstlertypen. Aber Du musstest den Vogel ja wieder mal abschießen: „Tut mir leid, aber ich sitze gerade in der Türkei im Gefängnis, weil ich mit den Leuten gesprochen habe, über die ich berichte, und weil ich über einen Witz berichtet habe, den man sich in der Türkei erzählt“ – das ist ja nun wirklich die bescheuertste Ausrede aller Zeiten!

Aber da dachte ich ja, jetzt hätte ich Dich, diesmal hast Du Dich verzockt. Denn wenn Du schon im Gefängnis herumsitzt, hättest Du ja jetzt Zeit genug, wenigstens den Beitrag für das Buch zu schicken, dessen Abgabetermin Du schon dreimal verschoben hattest. Und da setzt Du noch mal einen drauf: In Isolationshaft seist Du leider, ohne Stift, ohne Zettel, ohne Erlaubnis, was zu schreiben. Dass, was von Dir noch nach draußen dringt, diktierst Du Deinem Anwalt in den kurzen Minuten der Besuchszeit. – Isolationshaft, na klar. Und warum noch mal? Wegen Rauchen in der Rauchverbotszone? Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses aufgrund indiskutabler Frisurgestaltung? Wegen chronischer Überziehung von sicher zugesagten Deadlines? Wegen irgendwas also, was man zumindest näherungsweise noch nachvollziehen könnte? Nein, nochmal: weil Du als Journalist darüber berichtet hast, was gerade passiert in der Türkei, und weil Du Leute interviewt hast, die beim großen Chef dort wohl gerade nicht sehr wohlgelitten sind.

Das aber, lieber Deniz, ist eine ziemlich schlechte Ausrede. Denn der große Chef selbst hat doch mehrmals eindringlich betont, dass, wie Du es auszudrücken pflegtest, die Türkei das Land ist mit der freisten Presse wo gibt! Wie sollte denn da jemand in Isolationshaft eingekerkert werden, nur weil er ein bisschen freie Presse gemacht hat? Und außerdem sagt der Chef auch, dass die Türkei ein Rechtsstaat sei, mit völlig unabhängiger Justiz und so. Da ist es doch eher wenig überzeugend, wenn derselbe Chef dann anschließend verkündet, dass Du garantiert nicht aus dem Knast kommst, solange er Präsident sei. Merkste was? Das glaubt Euch doch kein Mensch! Wie auch dieses ganze andere irre Zeug, das der Mann da den lieben langen Tag erzählt, als wäre er ein Satiriker, der noch holzhammermäßiger unterwegs wäre als Böhmi oder Du in Deinen besten Zeiten. Alle möglichen Deutschen bis zur Kanzlerin immer gleich als Nazis beschimpfen – Mensch, das war doch unser Running Gag, das kann der doch nicht einfach klauen, als wäre er Eckhardt von Hirschhausen und Mario Barth in Personalunion! Als Reaktion auf die Diskussion über eine deutsche Reisewarnung für die Türkei schon vorab eine türkische Reisewarnung für Deutschland auszusprechen! Und dann diese Ausweisung von holländischen Kühen, weil die Holländer ihn und seine Komikertruppe nicht auftreten lassen wollten – also echt jetzt mal! Das klingt doch alles wie aus einer Deiner wildesten Glossen, von denen wir so gerne einige auf unserer Bühne vorgetragen hören würden. Und zwar live von Dir, nicht übers Fernsehen über irgendwelche minderbegabten Mittelsmänner wie diesen Erdogan. So billig kommst Du uns nicht davon! Das wollen wir alles von Dir selbst hören!

Auf eine meiner frühen Einladungen zur Reformbühne hin hattest Du damals nicht nur einen der schon erwähnten abstrusen Vorwände vorgeschoben, um den Termin abzusagen, sondern mir auch geschrieben, dass Du aber auf jeden Fall später mal kämest, ich solle bitte dran bleiben und Dich erinnern, weil Du es sonst garantiert vertüddeln würdest. Vertüddeln, ja! So kann man es natürlich auch nennen.

Aber weißt Du was? Ich mache es, wie Du gesagt hast: Ich bleib dran. Ich gebe nicht eher Ruhe, bis Du endlich in der Jägerklause auf der Bühne stehst. Da darf man sogar rauchen! Zwar erst nach der Show, aber immerhin! Und Bier gibt’s, so viel Du trinken kannst! Also, Deniz: Jetzt komm gefälligst rüber. Und wenn dieser Erdogan Dich tatsächlich nicht gehen lassen will, solange er Präsident ist, gibt es doch eine sehr einfache und vielversprechende Lösung: dann soll er doch einfach zurücktreten.

Aber egal wie: Hier steht immer ein Mikro und ein Bier für Dich bereit. Heute, an Deinem Geburtstag, am 209. Tag Deiner Geiselnahme, müssen wir ohne Dich anstoßen, aber dafür dann eben auf Dich. Beim nächsten Mal dann aber wirklich mit Dir. Auf die Türkei, auf Deutschland und Europa, und vor allem gegen all diese Nationalisten, Kleingeister und Arschlöcher von Erdogan bis zur AfD, die uns erzählen wollen, dass wir nicht in Frieden und Freundschaft zusammen und wild durchmischt arbeiten, feiern, leben und lieben können, wie es uns gefällt.

Also: Auf Dein Wohl!

Dein Heiko

 

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