vonDetlef Berentzen 11.11.2011

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

Mehr über diesen Blog

 

Volkach? Gar nicht so weit entfernt von Nordheim oder Eisenheim, in Unterfranken! Immer noch keine Ahnung? Von Altstadt, Fachwerk, Echtehof und Schelfenhaus? Aber jetzt: Die knapp 10.000 Einwohner zählende Stadt verfügt über eine veritabele “Akademie”. Eine für “Kinder- und Jugendliteratur”. Und hat bislang jedes Jahr einen Großen Preis vergeben. An Michael Ende, Otfried Preußler, Klaus Kordon, Nikolaus Heidelbach oder Gudrun Pausewang, zum Beispiel. Übrigens ist der Preis deshalb so Groß, weil er für ein ganzes Lebenswerk vergeben wird. Und heute abend bekommt ihn Peter Härtling.

“Der Hirbel ist der schlimmste von allen, sagten die Kinder im Heim.Das ist nicht wahr. Doch die Kinder verstanden den Hirbel nicht.” Ich erinnere mich genau. 1973 war das, da kam dieses Buch über einen behinderten Jungen (“Das war der Hirbel”) heraus, das wir bald darauf im Kinderladen begeistert mit Kaffee und Limo bekleckerten und mit dem Peter Härtling all den “Stummelschwänzchen in der Hasenschule” eine neue Kinderliteratur auf den Lehrplan schrieb: “Es gibt eine Kinderliteratur, deren Verlogenheit kränkend ist: Die Welt wird verschönt, verkleinert, bekommt Wohnstubengöße. In ihr geschieht nichts Unzuträgliches und wenn, dann springt ein Held aus der Ecke, um das Kind zu schützen. Man kann Kinder nicht schützen. So nicht.” Diese und andere Sätze trug der mehrfache Vater Härtling 1969 in Bayreuth vor und gab ihnen den Titel “Die Wirklichkeit der Kinder”.

In all seinen Kinder- und Jugendbüchern, die er bis heute neben seinen Romanen und Erzählungen, neben Hölderlin und Schubert, für Erwachsene schrieb, blieb ihm diese Wirklichkeit Grundsatz und Thema – ob nun bei “Ben liebt Anna”, “Lena auf dem Dach”, der weltbekannten “Oma” oder “Paul”, dem Hauskind. Da nimmt einer die jeweils aktuelle Kindheit höchst sensibel wahr und spiegelt sie in den Geschichten seiner Figuren – immer warmherzig, einfühlsam, beteiligt genug. Es sind mittlerweile mehrere Generationen von Kindern (in aller Welt), die Peter Härtling zu LeserInnen gemacht hat. Eine Menge Schulen haben sich ebenso nach nach ihm benannt wie der Weinheimer Jugendliteraturpreis und ich habe ihn vor Heerscharen von quicklebendigen und schwer interessierten Jungen und Mädchen lesen sehen – gerade eben noch, bei den Berliner Festspielen. Und jetzt Volkach. Ein zusätzliches Geschenk.

Übermorgen wird Peter Härtling 78 Jahre alt. Um in diesem Alter anzukommen, hat er gerade in den letzten zehn Jahren einige Täler durchschreiten müssen, hat unterwegs den Atem verloren, doch ihn immer wieder neu gefunden, genau wie jene Worte, die heute seine “Liebste Fenchel” (Fanny Hensel) von Auflage zu Auflage tragen. Weiter! Und so! Es wird ein Lachen sein.

podcast

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/spurensuche/2011/11/11/literanewz-der-hirbel-und-die-anderen/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert