Von Felix Hackenbruch
Die wichtigste Nachricht vorab: Christian Lindner hat seinen ersten Besuch auf dem taz lab nicht vorzeitig abgebrochen. Fünf Monate ist es nun her, dass der FDP-Vorsitzende mit seinen Parteifreunden überstürzt die Jamaika-Verhandlungen verließ. Zurück blieben eine konsternierte Kanzlerin und der geplatzte Traum vieler Grünen, nach zwölf Jahren Opposition wieder regieren zu dürfen. Man werde am Ende dieses „Experiments“ nicht in Jamaika landen, machte Lindner bereits zu Beginn der Veranstaltung „Wie tickt Lindner?“ etwaige Hoffnungen auf eine neue Grün-Gelbe-Romanze im vollbesetzten Auditiorium zunichte.
„Der Fehler war nicht, dass die Koalition nicht zustande kam, sondern, dass wir für diese Erkenntnis vier Wochen gebraucht haben“, sagte Lindner im Gespräch mit taz-Chefreporter Peter Unfried. Die Entscheidung scheint der 39-Jährige nicht zu bereuen, es sei „eine Investition in die Glaubwürdigkeit“ der FDP gewesen. „Es ist eben mitnichten so, dass Politiker immer nur auf Machtoptionen schielen“, sagte Lindner, der bereits als Finanz- oder Außenminister gehandelt wurde.
„Die Grünen haben eine utopische Weltsicht.“
Nun also die Rolle des Oppositionspolitikers. Gewohnt eloquent und mit offenem Hemd teilte er im Rundumschlag aus. Frankreichs Präsident Macron schiebe wichtige Reformen voran, sei aber zu autoritär, Angela Merkel schütte Probleme mit Posten und Geld zu und der Isolationismus von US-Präsident Trump gefährde die westlichen Werte. Auch die Grünen kritisierte er und erklärte, er halte deren Denken und Liberalität für nicht vereinbar. „Die Grünen haben eine utopische Weltsicht.“
Die aktuelle Grundsatzdiskussion der Grünen verfolge er aber mit Interesse. Er hoffe auf mehr Offenheit beim Thema Freihandel, Technologie und der Selbstbestimmtheit des Individuums. „Ich wäre der glücklichste Mann“, sagte Lindner – denn sein „Lieblingsfeind“ seien nicht die Grünen, sondern AfD und Linke. „Beide wollen unsere politische Kultur und unsere gesellschaftliche Ordnung fundamental verändern“, sagte er und kritisierte den Umgang mit den Rechtspopulisten.
„Ich hätte es lieber gesehen, wenn Deutschland statt eines Heimatmuseums ein Digitalministerium bekommt“, sagt Lindner, für den Heimat ein Gefühl ist, das sich Menschen selbst machen können. Von Heimat im Sinne eines christlichen Abendlands halte er nichts, sagte Lindner und bekam dafür erstmals inhaltlichen Applaus.
„Das letzte was ich will, ist eine konservative Revolution“
Weniger Übereinstimmung dagegen beim Thema bedingungsloses Grundeinkommen: „Ich bin nicht rigoros dagegen, aber ich bin dagegen.“ Er befürchte, dass bei einer „Art Rente von Geburt“ gerade für jüngere Menschen der Anreiz verloren gehe, arbeiten zu gehen. Das aber sei wichtig, denn der gesellschaftliche Beitrag durch Arbeit, so Lindner, sei ein integrativer Motor.
Nach knapp 90 Minuten endete das „Experiment“ Lindner auf dem taz lab dann mit wohlwollendem Applaus. Zuvor hatte der FDP-Politiker seine Freunde von der Union, Jens Spahn und Alexander Dobrindt, noch für ihre Forderung einer konservativen Revolution und deutschsprachigen Kellnern kritisiert. „Das letzte was ich will, ist eine konservative Revolution“, sagte Lindner und musste dann doch wieder überstürzt los. Dieses Mal aber nicht wegen inhaltlicher Differenzen, sondern weil sein Zug nach Hause wartete.
Ausgerechnet der taz-Chefreporter lindnerte fröhlich vor sich hin frei nach dem Motto: Lieber NICHT als Journalist agieren und moderieren als FALSCH als Journalist zu agieren und moderieren. Erstaunlich!