von HANNAH EßLER
Es ist ein komisch konstruierter Konses, den Jan Zahradil, Präsident der konservativen AECR im EU Parlament, zu Beginn der Diskussion „Abgewählt“ auf dem taz lab 2019 entwirft. So fragwürdig wie die Alllianz von Zahradils AECR mit den Tories. Und so diffus wie der kleinste gemeinsame Nenner, den Publizist Sergey Lagodinsky, Mitgründer von „Pulse of Europe Berlin“ Silvan Wagenknecht, Ulrike Christl von eurotopics und taz-Redakteur Eric Bonse uf dem Podium mit Zahradil teilen: mehr Meinungsfreiheit, weniger Zensur. Weniger Fake News, mehr Wahrheit.
Und Europa? Das sei kein Kampf mehr zwischen Rechts und Links, sondern eine Frage der Integration. Nicht ob, sondern wie das „Projekt Europa“ in Zukunft weitergehen sollte – daran scheiden sich nicht nur auf dem Podium die Geister. Aber dies, so Zahradil, sei doch ein Zeichen von Meinungsfreiheit und Pluralität und die wiederum ist doch wünschenswert. Oder?
Lagodinsky bringt das Problem auf den Punkt: „Es geht hier um eine ideologische Konfrontation.“ Was verstehen die einzelnen Teilnehmenden unter Demokratie oder Progression? Geht es um Freiheit von (z. B. Handelsbarrieren) oder Freiheit zu (selbstbestimmtem Leben in einem sozialen Gefüge)? Und dieses Europa – ein unter Druck stehender Kochtopf? Ein United States of Europe nach Vorbild der USA? Ersatzidentität der Deutschen oder doch bunter Diversity-Haufen mit demokratischen Grundwerten?
Große Fragen und schiefe Bilder geistern durch den Raum, ohne so richtig adressiert zu werden. Nur Lagodinsky insistiert: „Aber Herr Zahradil, Ihre Kollegen aus der PiS Partei, die würden Sie als progressiv bezeichnen?“ Die Antwort: „Was ist denn die Definition von progressiv? Die fehlt.“ Bravo. Nur leider wird aus dieser berechtigten Feststellung keine Konsequenz gezogen.
Ein verdammt kompliziertes Thema
Dabei bieten die konkreten Beispiele, die aufgetischt werden, eigentlich eine gute Diskussionsvorlage. Wenn Christl konstatiert, sie beobachte bei eurotopics eine qualitative Verschlechterung der Berichterstattung in einigen osteuropäischen Ländern – „Die Zeitungen schreiben über das Wetter, über die Zeitumstellung, aber nicht über die wichtigen Debatten!“ – dann ließe sich doch genau hier ansetzten. Ist in einer Medienlandschaft, die zwar nicht zensiert wird, in der regierungskritischen Zeitungen jedoch der Finanzhahn zugedreht wird, die Meinungsfreiheit noch gegeben? Wer legt fest, was als Wahrheit gilt? Und welche konkreten, materiellen Konsequenzen ergeben sich daraus?
„Über Rechtsstaatlichkeit und Demokratie kann man sich nicht streiten“, behauptet Wagenknecht. Und ob man das kann! Mehr noch: man sollte! Und zumindest stellenweise war das Panel dafür ein zwar verzagter, aber immerhin, ein Anfang. Klar, 90 Minuten Veranstaltung sind zu kurz für ein so „verdammt kompliziertes Thema“ (Lagodinsky). Aber sie genügen für die Feststellung, dass die Teilnehmenden des Panels zwar alle mit demselben rhetorischen Wasser kochen, dabei aber in ganz verschiedenen Töpfen rühren.
Die Hoffnung in Europa haben sie jedoch noch nicht verloren. Vielleicht verderben viele Köch*innen ja nicht zwingend den Brei. Nur sollten sie sich über das Rezept einigen. Sonst reden sie am Ende doch nur um ihn herum.