vonannette hauschild 17.07.2010

Sauerländische Erzählungen.

Annette Hauschild berichtet Interessantes und Wissenswertes über Strafverfahren sowie Weiteres aus dem Feld der inneren und äußeren Sicherheit.

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Helmut Lorscheid berichtet aus Düsseldorf:

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Angeklagte zum Reden zu bringen, sie zu motivieren, vielleicht  ein Geständnis abzulegen.  Man kann sie beispielsweise  bei ihrer Menschlichkeit  packen.  Eine dieser Möglichkeiten ist es, gesundheitlich angeschlagene Zeugen aus dem politischen oder persönlichen Umfeld der Angeklagten zu laden und diesen bei einer angeblich unbegründeten Aussageverweigerung mit Beugehaft zu drohen. Am Donnerstag dieser Woche (15.7.2010) war das im DHKP-C-Verfahren der Fall.  Als Zeuge war Ilhan  D.  geladen, der  bereits wegen Unterstützung der DHKP-C  in Stuttgart-Stammheim rechtskräftig verurteilt ist, weil er für seine Organisation Fahrzeuge beschafft hatte, die über geheime Verstecke für Waffen verfügten.
Ilhan D.  sollte bereits in der Woche zuvor aussagen. Doch er  verwies  auf das  ihm seiner  Auffassung  zustehenende Aussageverweigerungsrecht. Außerdem, so der Zeuge, sei er seit der Untersuchungshaft in Stuttgart-Stammheim schwer erkrankt, leide unter Depressionen und einer schweren Psychose. Fachärzte attestierten ihm diese Erkrankung und sein  ihn nach Düsseldorf begleitender Bruder Mehmet bestätigt die Krankheit seines Bruders. Ilhan höre Stimmen, Geräusche, Tierstimmen (das Tröten von Elefanten und Ähnliches). Mehmet D. zum Autor: “Ilhan wohnt bei mir, wir lassen ihn nicht alleine rausgehen, immer geht jemand mit ihm. Er fürchtet sich vor Verfolgung.”

Normalerweise gilt in Deutschland bei Gericht der Leitspruch: “Im Zweifel für den Angeklagten”. Muß dieser Grundsatz nicht auch für die Zeugen gelten? Doch das OLG in Düsseldorf-Hamm ist kein normales Gericht und ein Verfahren vor dem 6. Senat nicht irgendein Prozess. Hier geht es nicht nur um Rechtsprechung, sondern auch um Politik.
Wenn ein Zeuge auf eine Erkrankung verweist, zitternd auf seinem Zeugenstuhl sitzt, nach eigenen Angaben starke Medikamente nehmen muß  und schon mal unter  Übelkeit und Kopfschmerzen leidet, wenn solch ein Zeuge aussagen muß, dann ist selbstverständlich auch ein ärztlicher Sachverständiger vor Ort. In diesem Prozess hieß der Gutachter  Seifert.  Der Sachverständige weiß, worauf es ankommt, auf ein unumstößliches objektives Gutachten.
Und mag jemand noch so zittern, mag man die Folgen der starken Medikamente noch so deutlich sehen und vor allem hören, wenn er spricht:
der Mann ist vernehmungsfähig, sagt der Gutachter.

Also wird  D. befragt.  Ihm werden Akten mit zahlreichen Fotos gereicht und es wird ein Hochzeitsvideo vorgeführt, auf dem Nurhan E. zu sehen ist und eine Rede hält.
Doch  der Zeuge blieb  vage in seinen Antworten, wich einer klaren Antwort aus. Schwer zu sagen, ob er sich wirklich nicht erinnerte oder ob er seine Genossin einfach nicht belasten wollte. Richter Breidling bei der Übergabe einer Fotosammlung durch eine Justizangestellte: “Schauen Sie die Fotos einfach unbefangen durch.”  Der Richter versucht immer wieder aus Neue, vom Zeugen eine Aussage zu den Angeklagten zu bekommen. Einer dieser Versuche bezieht sich auf ein Gespräch, welches der Zeuge im Verlauf seines eigenen Verfahrens in Stuttgart mit einem damaligen Prozessbesucher, einem der heute in Düsseldorf Angeklagten geführt habe und das – weil solche Gespräche verboten sind – von Justizbeamten unterbrochen wurde. Ob er sich  an eine solche Situation erinnere, der Prozess liege ja noch nicht so weit zurück. Ja, so der Zeuge, er könne sich  an eine solche Situation erinnern, er habe mit seinem Bruder sprechen wollen, das sei ihm immer verwehrt worden. Ob er auch mit einem der jetzt in Düsseldorf angeklagten Personen gesprochen hat, weiß er nicht. Er sei sehr krank gewesen damals, könne sich nicht genau erinnern, mit wem er gesprochen habe. Erinnern könne er sich, dass er mit seinem Bruder sprechen wollte.D.s’ Zeugenbeistand, Rechtsanwalt Dündar Kelloglu, verweist darauf, dass dem Zeugen während dessen Prozess und Haftzeit jeglicher Kontakt zu seinen Familienangehörigen verwehrt wurde, u.a. mit dem Hinweis auf mögliche Verwicklung seiner Brüder und des Vaters in die Kfz-Beschaffung für die DHKP-C. Daraus leitet der Anwalt nun eine Begründung für das Aussageverweigerungsrecht des Zeugen ab. Doch der Senat lehnt dies ab. Die Bundesanwaltschaft bestätigt, es gebe keine Ermittlungen gegen die Familie, nicht einmal Vorermittlungen.

Ob der Zeuge sich an eine Frau namens “Zera'” erinnern könne. Aus den Vorhaltungen wird klar, das Gericht möchte hören, dass der Zeuge die  Angeklagte als jene Frau identifiziert, die sich “Zera” nannte… Doch Ilhan D. verbindet diesen Namen mit einer völlig anderen Person, mit einer blonden, eher dicklichen Person mit glattem Haar. “Blonder” als das krause Haar der hier Angeklagten Nurhan E.  Damit ist das Gericht sichtlich unzufrieden. Ihm werden Vorhaltungen aus Emails gemacht und abgehörte Telefonate vorgespielt. Emails, in denen es um Autos geht, deren Beschaffung für die DHKP-C ihm in Stuttgart-Stammheim vorgeworfen wurde und weswegen er zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Sollte der Zeuge in Düsseldorf in Beugehaft genommen werden oder das Gericht ihn wegen Falschaussage verurteilen, müßte er seine Haft aussitzen. Folglich lastest ein großer Druck auf ihm. Trotz dieses Drucks bleibt der Zeuge in seinen Antworten vage,  er weicht aus, sagt, ihm sei übel und er klagt über Kopfschmerzen. Dagegen gibt es eine Tablette – und weiter gehts mit der Befragung. Ilhans Füsse zittern. Egal – schließlich hat der mit der Abfassung irgendwelcher Texte auf seinen Laptop befasste Gutachter bestätigt, dass der Zeuge verhandlungsfähig ist.

Zwei  Landtagsabgeordnete der Linken, Hamide Akbayir und   Ali Atalan waren als Prozessbeobachter anwesend. Am Nachmittag besucht die Bundestagsabgeordnete Inge Höger (Die Linke) den Prozess. Fast wäre sie von den Justizbeamten abgewiesen worden. Sie hat nach ihrer Festnahme  durch die Israelische  Armee  auf einem  Schiff vor der Küste von Gaza noch keinen neuen Personalausweis beantragt und will sich deshalb mit dem MdB-Ausweis  ausweisen. Doch den erkennen die Wächter in Düsseldorf-Hamm nicht als ausreichend an. Statt dessen akzeptieren sie den Führerschein, denn das sei ein amtliches Dokument.   Gegen 17.00 h wird die Verhandlung beendet. Namens des Senats gibt Richter Breidling dem Zeugen noch eine deutliche Mahnung mit auf den Weg. Der Senat habe beraten, so der Vorsitzende und sei zu dem Schluß gekommen, das der Zeuge sich zwischen “Falschaussage und Aussageverweigerung bewege”.  Ilhan  Demirtaş werde künftig, so Breidling, zu jedem weiteren Zeugen geladen, der aus dem Bereich der DHKP-C komme. Es werde gefragt, ob er diese Zeugen kennt oder sie ihn kennen. “Ihre Befragung ist also nicht beendet, sie geht weiter. Wir werden Sie befragen, auch wenn das für Sie eine Qual ist”.  “So einfach geht das nicht”. Die Frage stelle sich, “ob Sie uns hier auf den Arm nehmen?” Der Zeuge wider Willen werde im August, September und vielleicht auch noch im Oktober weiter geladen.”   Ilhan  D. zittert.

 

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https://blogs.taz.de/terrorismusblog/2010/07/17/im_zweifel_wird_der_zeuge_zum_angeklagten/

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kommentare

  • Herr Breidling bezahlt seine Gutachter schließlich nicht dafür, dass sie seinen Zeugen Verhandlungsunfähigkeit attestieren…
    Wer weder Terroristen-Unterstützer, Sympathisanten noch wirkliche Terroristen als Menschen ansieht, der fühlt sich natürlich auch nicht dazu verpflichtet, diese als solche zu behandeln. Setzt man psychisch Kranke derart unter Druck, bedeutet das, deren möglichen Suizid vorsätzlich mit einzukalkulieren.
    Nurhan Erdem macht auf mich einen sowohl sympatischen als auch offenen Eindruck, sicherlich keine fanatische Terroristin. Auch wenn sie problematische politische Ideologien unterstützt., rechtfertigt dieses bereits eine eineinhalbjährige Untersuchungshaft sowie ein Verbot für den Vater, seine eigene geliebte Tochter in dieser Zeit zu besuchen? Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird in diesem Verfahren genauso wenig gewahrt wie im Sauerland- und im Kofferbomber-Prozess.
    65 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur bewegen wir uns erneut auf einen Abgrund zu, um den nur ein Weg herumführt:
    wer Gerechtigkeit will, der muss auch für Gerechtigkeit kämpfen!

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