vonannette hauschild 14.11.2015

Sauerländische Erzählungen.

Annette Hauschild berichtet Interessantes und Wissenswertes über Strafverfahren sowie Weiteres aus dem Feld der inneren und äußeren Sicherheit.

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Der Reihe nach legen die Brüder ihr Geständnis ab. Der älteste, Abdulla fängt am 1. Oktober an.

 

Nicole Opitz war vor Ort und berichtet.

Es sind vier dunkelhäutige und zwei hellhäutige Angeklagte, alles Männer. Abdulla der älteste Bruder, der heute sei Geständnis ablegen will, scherzt mit seinen Verteidigern. Sein Anwalt trägt das Geständnis vor.

Im Alter von drei Jahren kam der Junge  1989 mit seinen Eltern nach Deutschland. Er hat noch fünf Geschwister.

“Vor etwa sechs Jahren wurde ich “gewissenhafter mit der Religion”. Im Jahr 2009 machte ich die Umra, die “kleine Hadsch” (eine verkürzte Pilgerfahrt nach Mekka, die zu jeder beliebigen Zeit vollzogen werden kann, Anm. AH) und im Dezember 2009  die große Hadsch mit meiner Mutter und einem Freund,” beginnt das Geständnis.

2012 wuchs in ihm der Wunsch, in einem moslemischen Land zu leben, zur Wahl standen Ägypten oder Somalia. Ägypten schied aus, der jüngste Bruder war damals dort und berichtete von dem  Chaos. Die Mutter wollte lieber nach Somalia, dort hat sie Verwandte.

Im  Familienrat wurde dann entschieden, dass sie nach Somalia gehen.

Die Familie reiste getrennt. “Von Krieg und Kämpfen haben wir nie gesprochen, das war nicht unser Ziel.

Kismayo war unser Ziel,” schreibt Abdulla.

Er wußte von Al Shabab, sah sie aber nicht als Terrororganisation an. Auf Youtubevideos sah er, wie die Shabab Waisenhäuser baute und hatte ein positives Bild von ihr. Er wußte, dass al-Shabab in Kismayo sei, dass sie die moslemische Bevölkerung schütze, und besser sei als die korrupte Regierung.  “Mir schwebte ein normales Leben mit Familie vor”, erläutert er weiter.

 

Beschwerliche und lange Reise

Mit  Frau S. N.  flog er April 2012 nach Mombasa, einen Monat später folgten  Schwager und Schwester. Mit dem Schwager ging er öfter ans Meer Schwimmen. Sie haben auch überlegt, ein Restaurant zu eröffnen.

 

Im July 2012 ging es weiter  nach Kismayo. Ein Schleuser, der sich Abdullah nannte, den Kontakt hatten sie aus Deutschland., brachte die Reisegruppe für 1.000 Euro zur Grenze nach Mandera.  Weil Schwager Steven weiße Haut hat, mußte er  komplett verschleiert reisen (wie eine Frau, Anm AH).

“Den muslimischen Brüdern vertraute ich mehr als irgendjemand anderem, (auch der korrupten Regierung),” sagt der 28jährige.

Da im Bus nicht genug Platz für alle war, mußte seine Familie 40 Kilometer zu Fuß laufen, während die Familie des Schwagers im Bus blieb. Ein Shabab-Kämpfer führte sie.

 

“Mir war auch bewußt, wie die Shabab Leute behandelt, die nicht muslimischen Glaubens sind und ich wußte auch, dass die Shabab in Deutschland als Terrororganisation angesehen wird, ” sagt er.

In einem Militärstützpunkt angelangt, wurden sie zu zwei Emiren gebracht, und warteten dann vier Tage lang auf ein Auto Richtung Bardera (Baardheere, Anm AH). Schließlich wurden sie mitgenommen, die Fahrt dauerte zwei Tage. Als sie in Bardera (Baardheere) abends ankamen, gingen sie zum Bürgermeister, der ihnen sagte:  dass sie  sich nicht außerhalb des Hauses bewegen dürften. Nach zwei Tagen kam ein Auto, das sie zur nächsten Station, Merka, mitnahm. Nach 24 Stunden in Kaan wurden sie in einer alten Schule untergebracht. “Man sagte uns: “Nicht verlassen”, wegen der Drohne. Ich hatte Angst und wollte nicht in Angst leben,” berichtet der Angeklagte.

 

Internierung, Krankheiten und Kommunikationsverbot

AM 24, Juni kamen zwei Jeeps, angeblich auf dem Weg nach Kismayo, die die Reisenden mitnahmen. Auf dem Weg gab es einen Al-Shabab-Checkpoint, Sie hielten hielten auf dem Weg, dort gab es ein Haus für die Frauen und eines für die Männer. Ein Mann namens Shafar, der sich Abdullah  als “Bashir” vorstellte, und der in der “Wir-Form” von der Al-Shaba sprach, sagte, hier sei  Endstation der Reise. .

“Ich redete auf ihn ein, dass wir weiter nach Kismayo wollten, aber er ignorierte das und sagte, wir sollten uns ab jetzt andere Namen ausdenken (sog. Kampfnmen, Anm AH).” schilderte Abdullah den Fortgang der Geschichte.

Abdulla wurde dann zu  Abas und sein  Schwager zu Masut.

“Es gab aufwändige Sicherheitsmaßnahmen, deren Sinn ich heute noch nicht verstehe. Bashir meinte, vielleicht seien wir Spione. Dem Westen wäre schließlich alles zuzutrauen”, fährt Abdulla fort.

(Kichern auf der Richterbank)

“Wir wollten und mußten uns mit den Regeln arrangieren.”  Sie baten, ins Frauenhaus gehen zu dürfen, es wurde ihnen für eine Stunde  erlaubt. Die Frauen hausten zu dritt mit vier Kindern in einem Haus mit geschlossenen Fenstern. Abdullahs Frau flehte um Flucht, aber ihr Gatte war machtlos und wollte den richtigen Moment abpassen. “Mich trieb der Gedanke an Flucht in dieser Nacht um.”

“In einem Raum waren 2 AK 47, dass erinnerte mich an den Tod,” sagt Abdulla. (Während der Verteidiger vorliest, guckt Abdulla die ganze Zeit über emotionslos, andere Angeklagte haben den Kopf aufgestützt, gelangweilt).

 

Die Verpflegung bestand aus einer Mahlzeit pro Tag, inclusive Maden, und einem Becher Wasser.

Nach 10 Tgen sei die Schwester, die damals ein Kind erwartete, krank geworden, die Tochter auch.

“Ich hatte Angst um Aisha, konnte nichts tun, schrieb aber Briefe, obwohl es verboten war,” erzählt der Mann. Nach zwei Wochen sei dann Bashirs Chef gekommen und habe die Internierung gerechtfertigt. “Wir werden euch so lange prüfen, bis wir wissen, ob ihr Spione seid, ” habe er gesagt. Der Chef sei gnadenlos gewesen, und Abdullah habe eingesehen, dass er sich fügen mußte.

Das ging so bis Mitte des 10. Monats, da konnte er drei Tage lang zu seinen Verwandten. Die Cousins halfen ihm und gaben ihm Handys mit, damit konnte er Fotos von den Kindern machen.

Außerdem machte er Sportübungen, die von einem Mann  namens Faruk überwacht wurden.

 

Es habe dort viele Krankheiten gegeben, berichtet Abdulla, Typhus, Malaria, Ausschlag, bakterienverseuchtes Duschwasser, sein Schwager habe Gelbfieber bekommen, er selbst Ausschlag. Das nächste Krankenhaus sei  weit weg gewesen, ein Arzt sei zu ihnen gekommen. Dieser Arzt sei nach seinem Besuch von einer  “westlichen Einheit” getötet worden, habe Bashir ihm später berichtet.

Nach dieser  Zeit durfte er öfter Besuch von der Familie erhalten. Einmal mußten sie mitten in der Nacht das Haus verlassen und umziehen. Die Familie mußte sich aufteilen und verschiedenen Gruppen folgen. Er habe an Weglaufen gedacht, da er aber nicht gewußt habe, wo er sei, habe er diesen Gedanken wieder verworfen, Nach einer Woche ging es wieder in das alte Haus zurück.

Nach Bashirs Rückkehr gab es Sprechverbot, sie wurden wieder umverteilt und die Brüder wurden getrennt. Einmal habe er eine Stunde lang mit seiner Mutter sprechen dürfen, aber nur im Beisein  einer “Mitarbeiterin” Bashirs, einer Aufpasserin.

Im Januar 2013 wurde die Gruppe erneut getrennt. Die weißen Ausländer wurden heimlich nachts weggebracht, die Somalier blieben, und seine Brüder kamen endlich wieder. Den Treuschwur (Baya) auf die Shabab hätte er aber nur geheuchelt, sagt Abdulla. “Heute verbindet mich nichts mehr mit Al-Shabab.”, erklärt er.

 

Abzocke im Namen der Shabab

Vor dem Treueid habe man ihm Blut abnehmen wollen. Das habe er aber lieber selbst getan, denn der “Möchtegernarzt” habe das nicht gekonnt. Eiskaltes Lügen sei bei al-Shabab erlaubt, sogar erwünscht gewesen. So habe Bashir ihm gesagt, ein Großteil von Abdullahs Familie sei an AIDS erkrankt, und Abdulla solle 2.000 US-Dollar besorgen für Medikamente. Für ihn und seine Familie sei ein Gesundheitsprogramm geplant.

Abdulla glaubte ihm kein Wort, die Familie auch nicht. Sie wollten einen unabhängigen Arzt zu Rate ziehen. Die Mutter weinte.

Im Februar 2013 wurde dann sein Bruder weggebracht, dafür kam der Schwager zurück.

Nach vielen Mühen mit Hilfe der Verwandten kam ein weiterer Arzt, der sie untersuchte, und die AIDS-Tests fielen negativ aus. Aisha hatte unterdessen ihr Kind verloren.

“Mir wurde klar, dass Bashir von uns nur Geld abgreifen wollte,” sagte der Angeklagte. Zwei Monate später sei Bashir bei der al-Shabab in Ungnade gefallen, weil dessen Brüder in einer Moschee das Wort gegen die Shabab gerichtet hätten.

 

Abdulla verliess heimlich nachts gegen 23 Uhr das Haus über die Toilettenmauer. Er suchte Zivilisten, die ihm helfen könnten. Schon neun Monate hatte er dort verbracht, ohne den Komplex zu verlassen., kehrte aber wieder zurück, um die Kinder nicht zu gefährden, wie er erklärt. Sein jüngerer Bruder Abuslam schlich sich um 3 Uhr nachts noch einmal raus.

Das taten sie nun jede Nacht, sie gingen zum Haus der Frauen, um mit denen zu beraten. Der jüngste Bruder war noch immer weg. Cousins und ein Nachbar, der selbst als Aufständischer galt, versuchten zu helfen.

Dann habe Bashir angerufen und gesagt, man solle sich mit dem Emir der Ausländer treffen. Abdulla habe für alle gesprochen, dass sie nicht mehr in das haus zurück wollten. Die Somalis seien noch mal zu ihnen gekommen, aber passiert sei gar nichts.

“Ich bin mir meiner Schuld bewußt”, schließt er sein Geständnis. “Ich habe auch für meine Familie Verantwortung. Der Schutz meiner Familie ist mir nicht gelungen.” (Das ist, wenn man das muslimische Familienverständnis zugrunde legt, wirklich eine tiefgreifende Schuld, Anm. AH). Abdiwahid und Mounir habe er in Somalia fast nie gesehen.

Er habe vielleicht ein falsches Bild der al-Shabab gehabt, gesteht er ein. Er habe sich selbst nie als Terrorist gesehen. Seine heimat sei Deutschland, mit Somalia verbinde ihn nichts mehr. Nach meiner Rückkehr wolle er seine Kinder öfter sehen als in den zwanzig Monaten in Somalia. Wenn er die zeit zurückdrehen könnte, wäre er 2012 in Deutschland geblieben. Er glaube nicht, dass er resozialisiert werden müsse und wolle sich weiterbilden.

Nach dem Vortrag beantragen die Verteidiger der anderen Angeklagten, Kopien des Geständnisses zu bekommen. Der Richter  veranlasst dies. Zwei Zuschauer gestikulieren in der Zwischenzeit so wild mit dem mittleren Bruder auf der Anklagebank, dass die Polizei alle auffordert, den Saal zu verlassen.

 

Eine Karte von Somalia finden Sie hier:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9f/Somalia_map_states_regions_districts.png

 

 

 

 

 

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