vonannette hauschild 14.11.2015

Sauerländische Erzählungen.

Annette Hauschild berichtet Interessantes und Wissenswertes über Strafverfahren sowie Weiteres aus dem Feld der inneren und äußeren Sicherheit.

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Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main läuft zur Zeit ein Staatsschutzverfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der al-Shabaab. Die sechs Angeklagten Abdullah, Abdusalam und Abdiwahid W., drei Brüder sowie deren Schwager Steven N. und Mounir T. hielten sich von Mai 2012 bis August 2014 in Südsomalia auf, wo al-Shabaab tätig ist. Dem Mitangeklagten Omar Ahmed D. wird lediglich der Versuch der Beteiligung dieser Terrororganisation vorgeworfen.

 

von Nicole Opitz

 

„Ich habe mich damals halb totgekifft. Ich weiß noch, wie ich deshalb im Krankenhaus lag und dachte: ‚Ich komme wohl nicht ins Paradies.’“ Das stammt nicht aus einer Dokumentation über Drogensucht. Es ist Teil des Geständnisses vom mutmaßlichen Terroristen Abdiwahid W., (23), der am OLG Frankfurt angeklagt ist. Sein Anwalt liest das Geständnis vor, der ältere Bruder Abdullah (28) sitzt eine Reihe vor Abdiwahid. Als er hört, welche Erfahrungen sein jüngster Bruder mit dem populären Rauschmittel machte, sitzt er kerzengerade auf seinem Stuhl, der Kopf ist starr geradeaus gerichtet, das Kinn ein wenig nach vorne gereckt. In seinen Augen liegt Wut.

Wütend wird man auch, wenn man dem Geständnis von Abdiwahid W. zuhört. Dort macht sich eine nervenaufreibende Ungenauigkeit fest. Wann ließen sich seine Eltern scheiden? Wie viele Jahre später heiratete seine Mutter erneut? Mit wie vielen Jahren machte er seinen Schulabschluss? Das alles weiß der heute 23-jährige deutsche Staatsangehörige nur vage. Dass man in einem Trainingslager einer terroristischen Organisation keinen Kalender führt, ist nichts Außergewöhnliches. Dass man jedoch nicht weiß, wann man die Schule abgeschlossen hat, ist in Zeiten der ständigen Selbstreflexion eigentlich völlig unvorstellbar.

 

 

Schlechter Film, flache Handlung

 

Umso eindrucksvoller ist, wie detailliert der ältere Bruder, Abdullah W., sein Verhältnis zum Islam schildert: „Ich wurde als Muslim geboren. Als ich 4 oder 5 Jahre alt war, kam ein Privatlehrer zu uns. Er hieß Awais und kam gegen unseren Willen. Als ich 6 oder 7 Jahre alt war, hat er aufgehört.“

Dann liest der Anwalt des Jüngeren, Abdiwahid, einen Schlüsselmoment im Werdegang seines Mandanten vor, den sich jeder Autor für einen gelungenen Roman wünscht: „Als ich 14 Jahre alt war, nahm uns unsere Mutter mit zu einem Vortrag in der Bonner Innenstadt.“ Zwar hätte er diesen Vortrag wegen der Sprachbarriere nicht verstanden, er sei danach jedoch regelmäßig zu Vorträgen gegangen, hätte angefangen die Moschee jeden Freitag zu besuchen und am Tag fünf Mal zu beten. In der Moschee hätte der Emir Abu Ubayda  indirekt über den Dschihad gesprochen. Abdiwahid’s Anwalt liest: „Nie direkt, aber man hat verstanden, was er meint. Er hat dann auch über Märtyrer gesprochen. Mit 15 dachte ich: ‚Wow, ich muss ein Märtyrer werden‘, zog es für mich aber nicht ernsthaft in Erwägung.“ In den folgenden Jahren habe er viel Gras geraucht, später habe er wieder zum Islam gefunden.

Man möchte am liebsten gegen die Zuhörerscheibe klopfen und rufen: „Ganz schlechter Film! Geschichte zu flach! Das Drehbuch ist doch direkt nach der Lektüre einer Terroristentheorie entstanden!“

 

Doch auch beim Geständnis von Abdullah W, das am 1. Oktober verlesen wurde, ist eine ähnliche Beziehung zur Religion festzustellen: Von Geburt an Muslim, lange nicht gläubig und laut Geständnis erst vor sechs Jahren „gewissenhaft mit der Religion geworden“. Bei ihm sei das Schlüsselereignis eine Umra (Anm.: die sogenannte „kleine Pilgerfahrt“ nach Mekka, die jederzeit durchgeführt werden kann) im Jahr 2009 gewesen. Die Haddsch (Anm.: große Pilgerfahrt nach Mekka, die lediglich zwischen dem 8. und 12. Dhu l-Hiddscha, dem letzten Monat nach islamischen Kalender, angetreten werden kann, sie ist die fünfte Säule des Islam, jeder Muslim soll in seinem Leben einen Haddsch unternehmen) hätte er daraufhin im Dezember 2009 mit seiner Mutter und einem Freund bestritten.

 

Tablet auf Koreanisch gestellt

 

Apropos streiten. Das lässt sich auch über die Notwendigkeit von IT-Kenntnissen im Bundeskriminalamt (BKA). Dieses hatte nämlich einen grünen Tablet-PC sichergestellt, das im Besitz von Omar Ahmed D. gefunden wurde. Omar D. ist der einzige Angeklagte, dem lediglich der Versuch an der Beteiligung bei al-Shabab vorgeworfen wird und der damit nicht in U-Haft sitzt. Bevor das BKA bei ihm auf der Hausmatte stand, stellte er dieses Tablet auf Koreanisch ein und verschlüsselte es. Das BKA war nicht imstande diesen Vorgang aufzuheben, wurde das verschlüsselte Gerät deshalb ans Kriminaltechnische Institut (KT) weitergegeben. Einzelne Dateien konnte man bereits entschlüsseln. Ob und wann man zu jeder Datei Zugriff findet, ist noch unklar.

 

Positives Bild, fragwürdiges Fazit

 

Wenngleich die Geständnisse von Abdullah und Abdiwahid größtenteils übereinstimmen, gibt es doch ab und an Paradoxien, die ins Auge fallen.

Während Abdiwahid in seinem Geständnis mehrmals betont, dass er zu nichts gezwungen worden sei – weder zu seinem ersten Aufenthalt unter dem Dach der al-Shabaab in Barawe Ende 2012, noch zu seinem Abschiedsvideo, das im Jahr 2013 im Trainingslager gegenüber der somalischen Stadt Garbahaarrey entstanden sei, hört sich das beim Geständnis seines ältesten Bruders ganz anders an. Abdullah betont, dass er von Anfang an al-Shabaab darum gebeten hätte mit seiner Familie zum geplanten Aufenthaltsort Kismayo weiterzureisen. Auch zu seinem Abschiedsvideo sei er von der al-Shabaab genötigt worden. Kurzum: Abdiwahids Geständnis klingt vorsätzlicher als das von Abdullah.

 

Zudem stellen die zwei ihre Ausreisebeschlüsse anders dar: Abdullah schrieb von einem Familienrat, der die Ausreise nach Somalia beschloss. Bei Abdiwahid soll es ein loses Gespräch auf den Treppenstufen vor ihrer Bonner Wohnung gewesen sein.

 

Was die beiden Brüder jedoch eint, ist die Haltung, die sie vor ihrem Aufenthalt in Nordsomalia zu al-Shabaab hatten: Beide wussten, dass al-Shabaab in Deutschland als Terrororganisation eingestuft wird. In Abdullahs Geständnis heißt es an einer Stelle: „Mir war damals bewusst, wie Leute behandelt werden, die nicht-muslimischen Glaubens waren.“ Er hätte jedoch Youtubevideos gesehen, die zeigen, wie Anhänger von al-Shabaab Waisenhäuser bauen. Er habe daraus geschlussfolgert, dass al-Shabaab eher zu trauen sei als „irgendwem anders – beispielsweise der korrupten Regierung“. Sein Bild von al-Shabaab sei ein positives gewesen. In seinem Fazit verliest der Anwalt wenig später: „Von al-Shabaab hatte ich vielleicht ein falsches Bild gehabt.“

 

Doch: Warum glaubt man Youtubevideos, die ein positives Bild malen, eher als die Einschätzung der eigenen Regierung, die die Terrororganisation mit etwa 5.000 Anhängern und unzähligen Anschlägen dahinter sieht? Dafür könnte man beispielsweise Jürgen Todenhöfers Theorie abstrahieren. Todenhöfer meint, dass sich junge Europäer der Organisation „Islamischer Staat“ anschließen, weil sie nach einer gescheiterten Jugend in Deutschland nach Erfolg, Wohlstand und Anerkennung hungern. Dies alles wird vom „Islamischen Staat“ versprochen, also reist man – nichts zu verlieren außer das Leben – nach Syrien.

Und auch hier ist es wohl so oder so ähnlich gewesen: Abdiwahid Kindheit und Jugend ist nicht das, was man unter „rosig“ verstehen könnte. Mit dem Stiefvater hat er so seine Schwierigkeiten, den Hauptschulabschluss bekommt er mit Ach und Krach hin, seiner späteren Arbeit als Lagerist geht er nur ungern nach. Dazu ist möglicherweise noch die Diskriminierung eines Nachbarn gekommen, der den Glauben nicht versteht oder missachtet. Ein Video der al-Shabaab wird also unter Umständen nur die Kirsche auf der Sahnetorte gewesen sein. Die Ausreisepläne der eigenen Familie kommen dabei gerade recht.

 

 

Geheimpolizei der al-Shabaab

 

Obwohl es in dieser Form das deutschlandweit erste Verfahren gegen mutmaßliche Terroristen der al-Shabaab ist, wird im Gerichtssaal nicht der Eindruck vermittelt, als sei etwas Besonderes zugange. Am Tag seines Geständnisses läuft Abdiwahid in den Gerichtssaal als wäre dieser ein Club. Die Stimmung ist zu jedem Termin sehr locker, mancher Anwalt klopft seinem Mandaten gelegentlich nach einem Termin freundschaftlich auf den Rücken. Während am 2. Oktober im Gericht ein Dokument verlesen wird, das Luftangriffe im Mai 2014 erwähnt, gucken die Angeklagten mehr gelangweilt denn beteiligt. Auch die Erwähnung einer internen Säuberungsaktion der al-Shabaab im Herbst 2013 erweckt bei den Angeklagten keine sichtlichen Emotionen.

Nicht anders ist es, als in Abdiwahids Geständnis ein Abdirahman erwähnt wird, der „in der Internetabteilung der al-Shabaab war“. Dieser plauderte mit Abdiwahid und seinem Bruder Abdullah vertrauensvoll über eine sogenannte „Geheimpolizei“ der al-Shabaab: „Er hat uns ein Video eines „Spions“ gezeigt. Dieser hatte einen Chip an einer Stelle niedergelegt, an der wenig später eine Drohne einschlug. Die Geheimpolizei hatte ihn daraufhin wegen Spionage getötet“. Des Weiteren heißt es in dem Geständnis, dass diese „Geheimpolizei“ die Getöteten im Inneren der al-Shaab darstelle als seien sie wegen Heldentaten gestorben.

Von der ausgereisten Familie ist übrigens weder jemand gestorben, noch brachte er (nach jetzigen Aussagen) einen anderen Menschen ums Leben. Während ihres zweijährigen Aufenthaltes in Somalia besuchten die drei Brüder Abdullah, Abdusalam (24) und Abdiwahid nach eigenen Aussagen lediglich Trainingslager. Abdiwahid erwähnt, wie er nach seinem Aufenthalt im Trainingslager zu einem Einsatz geschickt wurde, es jedoch nicht zur Kampfsituation kam.

Steven N. und Mounir T., die ebenfalls in Südsomalia waren, werden noch aussagen.

 

Die Anklageschrift vom 20.3. 2015 wirft Mounir vor, dass er gemeinsam mit Abdiwahid von Somalia über Kenia nach Syrien ausreisen wollte, um sich dem „Islamischen Staat Irak und Großsyrien“ anzuschließen. Abdiwahid bestreitet das in seiner Aussage.

Weitere Prozesstermine sind bis Januar angekündigt. Bis dahin ist vielleicht auch das KT schlauer.

 

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https://blogs.taz.de/terrorismusblog/2015/11/14/vom-kiffer-zum-dschihadisten/

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