Am 8 Oktober war der zweitälteste Bruder Abdusallam mit seinem Geständnis dran.
Johanna Boos berichtet.
Der 24jährige bestätigt im Wesentlichen die Angaben des ältesten Bruders. Der Familienrat habe die Reise nach Somalia beschlossen.
Er selbst habe vor einigen Jahren angefangen, sich mit seiner Religion zu beschäftigen und habe in einem muslimischen Land leben wollen. Außerdem habe er mit seiner Familie zusammen bleiben wollen. Sein Ziel sei Kismayo gewesen, wo ein Teil der Familie lebt. Genauere Vorstellungen von der Zukunft hatte er nicht, außer dass in Somalia niedrigere Lebenskosten sind. Damals sei er 21 Jahre alt gewesen und habe sich „keinen Kopf“ gemacht.
Er wollte höchstens Grundwehrdienst bei der Shabab leisten
Von der Al-Shabaab habe er damals gewusst, doch nichts Schlechtes gehört. Das, was die Regierung in dem Land anrichte, sei viel schlimmer, die Regierung sei sehr korrupt. Glaubensbrüder hätten ihm erzählt, dass die Al-Shabaab für Gerechtigkeit sorge und er habe in Videos gesehen, wie sie Krankenhäuser errichtete und Essen austeilte. Zwar habe er auch von Anschlägen der Al-Shabaab gehört, dies aber für Lügen des Westens gehalten, die eine islamische Befreiungsbewegung schlecht machen sollten. Er habe gewusst, dass die Bewegung als Terrororganisation angesehen wird, auch hier in Deutschland. Ihm sei auch klar gewesen, dass er sich werde beteiligen müssen, dabei sei er allerdings von einer Art Grundwehrdienst ausgegangen. Die Beteiligung an Eroberungskämpfen habe er für eine freiwillige Entscheidung gehalten und dabei habe er auch nicht mitmachen wollen. Er habe sich lediglich ausbilden lassen wollen und habe Interesse am Schießen gehabt.
Der junge Mann findet es nicht richtig, dass im Gericht davon ausgegangen werde, dass seine Brüder und er Näheres zu der Al-Shabaab hätten wissen sollen. Dr. Steinberg [Islamwissenschaftler, Terrorismusreferent, war bei einem Verhandlungstermin] sei gebildet und lese Zeitungen. Er selbst wisse erst jetzt, dass die Al Shabaab anders sei als er ursprünglich angenommen habe. Wenn das so bekannt sei, wieso habe man dann einen Experten einladen müssen?
[Hier lachen und schmunzeln viele der Beteiligten; später erklärt der Richter ihm, dass es sich dabei um eine Pflicht handele, eine Expertenmeinung einzuholen, selbst wenn die Sachverhalte bekannt sind].
Der junge Mann fährt fort: Abdullah, Mariam sowie deren Kinder gingen zuerst auf die Reise: Zuerst nach Kenia, von dort sollte es nach Somalia weitergehen. Nach dem sie von Kenia weiter gefahren seien, sei der Kontakt zu ihnen schwieriger geworden. Nachts zwischen zwei und drei Uhr sei er mit seiner Mutter zu einer Telefonzelle in der Nähe ihrer Wohnung gegangen und hätten kurze Gespräche mit Abdullah geführt. Dieser sei noch nicht in Kismayo angekommen, aber näheres habe er damals wohl nicht sagen können, so vermutet der Mann im Nachhinein. Er selbst sei mit dem jüngsten Bruder von Brüssel nach Mombasa und von dort weiter nach Nairobi geflogen, wo er für einige Nächte in dem somalischen Viertel Eastleigh bei einem Onkel untergekommen sei. Dort sei er in Kontakt mit einem Schleuser der auch Abdullah hieß, gekommen. Diesen Kontakt hatte sein älterer Bruder bereits vorbereitet. Von Nairobi aus ging es nach Mandera an der Grenze zu Somalia, wo sie eine Woche blieben. Der Schleuser habe ihn dort abgeholt und mit einem kleinen Wagen über die Grenze gebracht. Auf dieser Strecke habe er die ersten Posten der Al-Shabaab gesehen. Die Fahrt dauerte eineinhalb Tage, sie mußten Benzin aus Kanistern nachtanken. Der Bruder sei in Baraawe gewesen, doch es sei nicht einfach gewesen, dort hinzukommen und sie seien erst etwa fünf Wochen in Bardera (Somali: Baardheere) geblieben. In Barave schließlich seien sie von einem Emir (vermutlich der Al Shabab) in Empfang genommen worden und bei einer Tante untergekommen. Ein Mitarbeiter der Al Shabaab namens Mohamed sei gekommen und habe gesagt, dass er die beiden Brüder zu ihrem älteren Bruder bringen wolle. Doch er habe sich auf der Reise an der Schulter verletzt, wollte deshalb nicht mitgehen, und sein jüngerer Bruder sei bei ihm geblieben. Nach einer Woche aber sei Mohamed wieder gekommen und habe gesagt, dass sie nun mitkommen müssten.
Handyverbot und Internierung
Alle elektronischen Geräte wurden ihnen abgenommen. Dann liefen sie zu Fuß etwa fünf bis zehn Minuten zu einem Haus, das als eine Art Clearing Haus für Neuankömmlinge diente. Am nächsten Tag stellten sie fest, dass ihr Bruder gar nicht da war.
Nach kurzer Zeit lernten sie einen Mann namens Jafah kennen, der sagte: „Das hier ist ein Hotel und ich bin die Rezeption“. Doch er habe schnell gemerkt, dass es kein Hotel gewesen sei. Sie hätten gehorchen müssen und hätten entschieden, erst einmal abzuwarten und mitzumachen, um Abdullah nicht zu gefährden. Abdulsalam sagt, er habe erkannt, dass die Al Shabaab eine Lüge sei, die nur etwas für sich selbst tue. Er habe mitgemacht und das sei falsch gewesen und er habe zu lange gewartet, bis er dann nach Deutschland geflohen sei.
Al Shabab ist eine Lüge
Ihn verbinde nichts mehr mit Somalia, Deutschland sei seine Heimat. Er glaube, dass sein Glaube richtig sei, doch er akzeptiere Nicht-Gläubige, denn Allah bestimmt, wer glaubt. Er wolle nun gerne in Deutschland eine Ausbildung machen.
Der Richter erklärt nach dem Geständnis, warum Dr. Steinberg eingeladen wurde. Anschließend fragt er nach Abdusalams Lebenslauf. Als Kind war der Angeklagte nach der Grundschule erst ein paar Jahre in einer Sonderschule. Als Begründung gibt er an: „Schule hat mich nicht interessiert“, seine Sprachkenntnisse seien ok gewesen, daran habe es nicht gelegen. Die Kinder seien weitgehend ohne Vater aufgewachsen. Die Familie habe von Sozialhilfe gelebt, die Mutter sei sehr beschäftigt und nach der Scheidung vom Vater mit den Kindern allein gewesen. Danach habe er erst den Hauptschulabschluss und mit 19 Jahren den Realschulabschluss gemacht.
Arabischkurs in Ägypten: wer war noch dabei?
Im Juli 2010 sei er für ein halbes Jahr nach Ägypten gereist, weil er Arabisch habe lernen wollen und damals schon religiös interessiert gewesen sei.
Erst habe er eine Woche in Kairo gelebt, danach in Alexandria. Doch dann habe es Unruhen gegeben, weshalb er nicht länger geblieben sei. Er könne Arabisch lesen und verstehe das meiste. In Alexandria habe er in „einer normalen Wohnung“ gelebt, das Geld dafür kam von der Familie, die es vom Arbeitsamt dafür gespart hätten. Um Arabisch zu lernen habe er eine Sprachschule besucht. Ab und zu habe er sich mit dem Koran beschäftigt, dann bricht er den Satz ab und schweigt. „Das war privat“ sagt er dann. Auf die Frage, welche Moschee er besucht habe, sagt er, er sei immer woanders gewesen und es habe auch nicht einen bestimmten Imam gegeben, an den er sich erinnere. Er wisse auch nicht mehr, in welchem Stadtviertel er dort gelebt habe, die Leute hätten es „Miami“ genannt, sagt er. Seine Religion habe er danach nicht strenger als zuvor weiter gelebt.
Dann wird er gefragt, ob er mit anderen Leuten zusammen in Ägypten gewesen war. Flüsternd bespricht er sich mit seinen Anwälten, die schließlich sagen, dass ihr Mandant keine weitere Auskunft zu anderen Leuten geben wolle. Zurück in Deutschland habe er dann an einer Berufsförderungsmaßnahme beim Arbeitsamt teilgenommen, es sei eine allgemeine Bewerbungshilfe gewesen. Er habe keine Freundin und keine Kinder.
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Abdullah: WOW wichtiger Schule
Abdullah, der älteste Bruder, ergänzt sein Geständnis vom Vortag. Er war drei Jahre alt, als er mit seiner Familie nach Deutschland kam. Er wuchs in Bonn auf, besuchte zuletzt die Abendrealschule, aber ohne Abschluss, weil er kein Interesse an Schule hatte, wie er selbst sagte. Ein leidenschaftlicher Computerspieler sei er gewesen, World of Warcraft, sei ihm wichtiger gewesen als Lernen.
Von 2007 bis zum August 2008 hat er Zivildienst an der Uniklinik geleistet. [Er bespricht sich mit dem Anwalt.] Den Wehrdienst habe er abgelehnt, weil er viele Infos aus seinem Umfeld dazu erhalten habe und Angst gehabt habe, er könne dann doch verpflichtet werden, wenn er dort seinen Wehrdienst absolvieren würde. Danach hatte er erst nur kleine Jobs als Paketbote, bis er bei einem Online-Händler anfing.
Heiratsvermittlung durch die Schwester
Er habe dann seine Frau über seine Schwester, die mit ihrem Mann in Berlin wohne, kennengelernt. Die Schwester habe die Frau, eine Muslima, vorgeschlagen und die Ehe vermittelt. Die Schwester habe ihm gesagt, dass es in ihrer Moschee in Berlin (Al-Nur Moschee) eine Frau gebe, die heiraten wolle, sie hätten dann Fotos geschickt und am Wochenende sei er dann zusammen mit seiner Mutter und einem Freund nach Berlin gefahren. Am ersten Tag habe er die Frau und ihre Familie nur begrüßt, am nächsten Tag seien sie zusammen in den Park gegangen und hätten sich etwas abseits vom Rest der Familie näher kennengelernt. Am selben Abend hätten sie geheiratet.
Der Richter ist sehr erstaunt und erklärt, aus seiner Sicht sei das sehr schwer vorstellbar, wie das gehen könne. Abdullah erklärt ihm, dass es in ihrer Religion anders zuginge und man erst heirate und sich dann kennenlerne. Sie hätten bei der Mutter in Bonn gewohnt, bis sie eine eigene Wohnung gefunden hätten. Im Juni 2010 kam seine Tochter zur Welt, im Oktober 2011 sein Sohn.
Nach einem Streit mit den Chef und anschließendem Rausschmiß aus seiner Firma seien dann die Überlegungen aufgekommen, in einem muslimischen Land leben zu wollen. Erst habe er überlegt, zu seinem Bruder nach Ägypten zu gehen, doch wegen der Unruhen sei dieser zurückgekommen und somit sei Ägypten kein Thema mehr gewesen. 2012, als der Sohn vier Monate alt war, seien sie dann ausgereist. Der Richter ist sehr verwundert darüber, dass er mit seinen kleinen Kindern entschieden habe, in ein afrikanisches Land zu reisen, in dem der Lebensstandard sehr viel niedriger ist. Abdullah W. sagt, in Kismayo sei ein normales Leben möglich, das sei keine Bombenregion. Er sei Somali und habe bis dahin keine Erfahrungen mit Krankheiten gemacht, deswegen habe er sich keine Sorgen gemacht. Nur wegen Malaria habe er Angst gehabt. [An dieser Stelle äußert der Richter erneutes Erstaunen; er zeigt m.E. ein deutlich eingeschränktes und verallgemeinertes Bild von Fluchtgeschichten und von der Vorstellung afrikanischer Lebenswelten]. Abduallah sagt, er sei nicht unvorbereitet gewesen, er habe gewusst, dass er besser über Geheimwege einreise, da es über Mogadischu kritisch sei für deutsche Staatsbürger. Er sei zwar auch deutscher Staatsbürger, er vermute aber, dass das aufgrund seiner Hautfarbe egal sei und weil er Familie dort habe, die ihn dort abholen könnte. Doch mit seiner deutschen Frau sei das zu kritisch gewesen.
In erschwerter Einzelhaft
Seine Erfahrungen der letzten Monate im Gericht und Gefängnis seien ganz neue Erfahrungen für ihn gewesen. In Köln sei er in eine Kontrollzelle gekommen, das sei eine extremere Zelle als bei den anderen gewesen, er habe in vollkommener Isolation gelebt und noch nicht einmal eine Uhr gehabt. Das habe er bis heute nicht verarbeitet. Nach einigen Wochen sei er dann in eine normale Zelle gekommen. Er habe dann Realschulkurse besucht und Sport gemacht. Kontakt zu anderen § 129a/b-Häftlingen sei ihm verboten gewesen, aus diesem Grund habe er auch an einem Kurs nicht teilnehmen dürfen. Dann sei er nach Frankfurt in die Einzel-U-Haft gekommen, dort könne er nur Sport machen, Realschulkurse gebe es für ihn nicht. Er arbeite jetzt (Richtschalter und Kabel verpacken), er wolle die Möglichkeit bekommen, eine Ausbildung zu machen. Dazu sagt der Richter in leicht zynischem Ton, er hätte einen Tipp, wie er ganz schnell eine gute Ausbildung bekommen könne und lacht [spielt auf Gefängnis-Ausbildung an], räumt dann aber ein: „Nun gut, schauen wir jetzt erst einmal…“. Abdullah sagt, er wolle gerne Spannungsmechaniker oder Mediengestalter werden.
Abu Obeida (Abu Ubayda) und die Bonner Szene
Über seine Mutter sei er mit 14 Jahren an den Koran herangeführt worden. Der Islam habe immer eine Rolle gespielt, doch am Anfang habe er das nur für seine Mutter gemacht. Für sie sei er zu einem Islam-Unterricht in Bonn gegangen und es habe ihm gefallen. Der Richter fragt ihn nach Abu Obeida aus Tunesien und ob er sein Interesse am Märtyrertum geweckt habe. Abdullah bestätigt, er sei dort in Kontakt mit Obeida (auch Abu Ubayda geschrieben, Anm. AH) gekommen, der auch vom Märtyrertum gesprochen habe. Märtyrertum habe mehrere Bedeutungen. Ein Märtyrer könne der sein, der im Krieg fällt, aber auch jemand, der an einer Bauchkrankheit stirbt, es bedeute auch geistige oder körperliche Anstrengung. [Omar lacht leise.] Abdullah sagt, er habe sich nicht so für Politik interessiert, doch Obeida „habe Salz reingestreut“. Damit meine er, es sei nebenbei ein Thema geworden. Er sagt, es habe ihn natürlich interessiert, doch damals habe er nicht an Somalia gedacht.
„Wenn ich wüsste, dass Somalia sicher wäre, dann wäre es meine Heimat“, sagt er. Zu Deutschland sagt er: „Ich bin hier aufgewachsen und habe mich hier zu Hause gefühlt“. Er wird vom Richter gefragt, wie er sich „als nicht ganz normaler Deutscher“ in Deutschland gefühlt habe
Abdullah sagt, er habe sich in Deutschland nicht anders gefühlt. Er erzählt, seine Familie habe ein Grundstück in Mogadischu. Er erzählt außerdem, dass der Vater nach der Scheidung von der Mutter 1993/94 die Familie verlassen habe, er habe ihn sehr wenig gesehen und der Vater habe keinen Unterhalt bezahlt. Was er beruflich macht bzw. gemacht habe, wisse er nicht. Nach der Geburt seiner Tochter habe er den Vater wiedergesehen. Der Vater lebe wohl meistens in England, manchmal in Somalia. Der Vater sei nun schon alt (ca. 70 Jahre) und wolle gern in Somalia sterben.