vonannette hauschild 18.11.2015

Sauerländische Erzählungen.

Annette Hauschild berichtet Interessantes und Wissenswertes über Strafverfahren sowie Weiteres aus dem Feld der inneren und äußeren Sicherheit.

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Der ehemalige innenpolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen, Roland Appel, hat eine Analyse des Terrorgeschehens und der Folgen in der Debatte um Toleranz, Flüchtlinge, Kriegseinsätze verfasst. Ich drucke sie hier nach.

 

 

Menschenverachtender Terror ist kein Krieg

von Roland Appel

 

Roland Appel
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Roland Appel

Wir sind erschüttert von den Ereignissen des vergangenen Freitag, die
Paris, die Stadt der Liebe und der Lebensfreude in einen Ort blutiger
Massaker und hemmungsloser Barbarei verwandelt haben. Selten fühlten
viele Menschen sich so hilflos, in der Trauer den französischen Freunden
so nah und doch geschockt – etwa als Beobachter des Geschehens, wie sich
aus einem Fußballspiel im Handumdrehen und live eine Tragödie immer noch
kaum erkennbaren Ausmaßes entwickelte. Vorherrschend ist das Mitgefühl
für die Opfer und ihre Angehörigen, für alle, die dies aus der Nähe
erleben mussten und Dankbarkeit für die vielen Helfer, die ehrenamtlich
oder professionell vor Ort im Einsatz waren und noch sind. Wichtig ist
nun, die Täter und die Hintergründe der Tat zu ermitteln, die
Verantwortlichen zu verfolgen und zu analysieren, welche
Schlussfolgerungen aus diesen Anschlägen zu ziehen sind. Dabei sollten
Besonnenheit und Klugheit die leitenden Antriebskräfte sein.
Gewaltrhetorik und dümmlichen Populismus hat es leider in den ersten
Stunden bereits wieder in hinreichendem Maße gegeben.
Die Anschläge kommen nicht wirklich überraschend, auch wenn wir so
empfinden.

Anlässlich eines Kommentars zu den deutschen Waffenlieferungen in den
nahen Osten schrieb ich an dieser Stelle im August 2014: ” 2.500 junge
europäische Staatsbürger, darunter etwa 320 aus Deutschland – allein120
aus NRW – 120 Niederländer, 300 Belgier, kämpfen nach Erkenntnis der
Geheimdienste auf Seiten der ISIS in Syrien, Organisationen wie die
extremistische “Helfen in Not” e.V. sammeln in den Städten der
Bundesrepublik…, um damit moderne Waffen und Ausrüstung kaufen zu
können. Man mag den Zeitpunkt fürchten, zu dem sich der erste
Selbstmordattentäter auf der Kölner Domplatte, unter dem Eiffelturm oder
auf dem Alexanderplatz inmitten einer Touristenmenge in die Luft
sprengt: Es ist schon frappierend, wie es uns gelingt, diese
Entwicklungen nicht als unser ureigenstes Problem zu begreifen.”

Inzwischen sind es 3.300 Jugendliche, darunter 450 aus Deutschland, die
in Syrien kämpfen, von denen einige desillusioniert und geläutert die
Rückkehr angetreten haben, viele aber radikalisiert und der
Tötungshemmung beraubt hierher zurück kehren. Bisher haben wir Glück
gehabt, dass ähnliches nicht bei uns passiert ist, aber eine wirkliche
Sicherheit kann es nicht geben, wenn die Ursachen nicht bekämpft werden.

Islamistischer Terror und Flüchtlinge dürfen nicht verquickt werden

Mit seinem Versuch, Islamistischen Terror mit der Flüchtlingswelle zu
verkoppeln, hat sich Markus Söder in verachtenswerter Weise rhetorisch
und moralisch disqualifiziert. Die ganz überwiegende Mehrzahl der
Flüchtlinge aus Syrien flieht genau vor den Unmenschen der ISIS und IS
und anderer Terrorgruppen und hat mit diesen nichts gemein. Die
Tatsache, dass sich unter die Flüchtlinge möglicherweise auch Täter mit
terroristischen Absichten mischen könnten, ist ebenso wahrscheinlich,
wie sich diese als Touristen oder Geschäftsleute tarnen können. Bereits
im Sommer gab es Medienberichte, dass Islamisten durch nächtliches
Schreien von Parolen in einzelnen Flüchtlingslagern in Hessen
versuchten, Geflüchtete weiter zu terrorisieren. Das kann niemand im
Voraus wissen, aber konsequent polizeilich dagegen vorgehen. Wer das
aber als Rechtfertigung missbraucht, die gesamte Hilfe für Flüchtlinge
zu verweigern, überschreitet die Grenze des politischen Populismus und
Rechtsextremismus. Es ist zu begrüßen, dass auch der bayerische
Ministerpräsident sich davon klar distanziert hat.

Europa befindet sich nicht im Krieg – auch Frankreich nicht

Auch wenn der französischen Präsident Hollande aus verständlichen
innenpolitischen Gründen wiederholt von “Krieg” gegen die Terroristen
gesprochen hat, der Bundespräsident dies auf seine Weise in sehr
mitfühlender Form aufgenommen hat, dürfen wir diese martialische
Rhetorik nicht zur Maxime der Politik werden lassen. Begriffe wie “3.
Weltkrieg” oder “totaler Krieg” gehen gar nicht. Schon deshalb, weil wir
beim nächsten Anschlag mit noch mehr Opfern keine angemessenen Begriffe
mehr haben werden. Und deshalb, weil es sich für demokratische Staaten
verbietet, sich von regionalen Terrorbanden in einen unerklärten Krieg
ziehen zu lassen, aber auch vor dem Hintergrund der damit verbundenen
Folgen für die internationale Politik. Der selbsternannte “Islamische
Staat” ist eben keiner, sondern eine leidlich gut organisierte Horde von
faschistischen Mördern, Vergewaltigern, Zerstörern und Schändern
historischer Stätten der menschlichen Zivilisation, die nur allzu gerne
der Zivilisation den Krieg aufzwingen möchte. Wer im Zusammenhang mit
Anschlägen von “Krieg” spricht, lässt sich auf ihr Spiel ein, bei dem
sie darauf setzen, im nächsten Schritt ihren selbst erklärten Krieg nach
Europa zu tragen. Auch sollte vor der Verwendung bestimmter
Begrifflichkeiten bedacht werden, welche Folgen sich daran knüpfen
könnten. Der Kriegsfall könnte nicht nur auch einen NATO-Spannungsfall
oder gar Bündnisfall begründen, was Präsident Hollande ausdrücklich
ausgeschlossen hat. Es könnte auch bedeuten, den IS indirekt als
Kriegspartei anzuerkennen, wodurch seine Anhänger damit nicht mehr
einfach als Terroristen verfolgt, sondern sich vor Gericht darauf
berufen könnten, sich als Soldaten ihres perversen Gemeinwesens zu
bezeichnen. Auch wenn dies rechtlich erfolglos wäre, läge darin doch ein
Propagandaerfolg, der Salafisten und ihren Anhängern hier Auftrieb geben
würde.

Ist Krieg die richtige Reaktion?

Frankreich hat infolge der Anschläge die Luftangriffe gegen ISIS in
Al-Rakka verstärkt fortgesetzt. Bisher hat Frankreich nicht den
NATO-Bündnisfall für sich ausgerufen, nach dem ein Partner die Hilfe der
anderen NATO-Partner einfordern kann. Die Vereinigten Staaten haben
jedwede Hilfe für die französischen Bündnispartner angeboten, aber die
Entsendung von eigenen Bodentruppen ausgeschlossen. Die Tatsache, dass
Frankreich den UNO-Sicherheitsrat angerufen hat, ist insofern ein gutes
Zeichen, als hier genau der Ort ist, um notwendige außenpolitische
Annäherungen und Lösungen zu finden. Dabei geht es zunächst einmal
darum, dass die USA, Europa, die Türkei, Syrien und der Iran sowie die
arabischen Staaten an einen Tisch gebracht werden. Denn nur so erscheint
eine politische Lösung des Syrien-Konflikts möglich. Bisher beschränkte
sich die EU darauf, mit Waffenlieferungen und militärischer
Unterstützung die Kurden in Syrien und im Irak als Partner des
Befreiungskampfes gegen ISIS und den IS zu unterstützen. Die
internationale Syrien-Konferenz vom Wochenende macht Mut. Aber der
Dialog z.B. mit dem Iran reicht noch nicht aus. Sowohl die Türkei, als
auch die religiöse Rolle Saudi-Arabiens und Katars bei der heimlichen
Finanzierung und ideologischen Unterstützung der sunnitischen
Extremisten des IS gehören endlich auf die Tagesordnung.

Die wahabitischen Extremisten der Golfstaaten und die Finanzierung des
IS durch reiche Saudis und Kataris bieten verunsicherten jungen Menschen
Orientierung in sozialen oder psychischen Konflikten. In Zukunft kann
nur eine internationale Koalition der Vernunft den Konflikt beenden –
wenn es sein muss, durch Einsatz und die Stationierung von
friedenssichernden, robusten UN-Kräften. In Syrien muss eine
Übergangsphase gestaltet werden, die ohne das Regime Assad nicht
gelingen wird. Im Irak muss es darum gehen, nach einer militärischen
Vertreibung von ISIS und IS eine Zivilverwaltung unter Beteiligung der
Sunniten zu errichten, um die Irrtümer der USA zu korrigieren und das
Machtvakuum zu beseitigen, dass ISIS für sein Terrorregime ausnutzen
konnte. Wichtig ist zu wissen, dass dies kein Prozess sein wird, das
nicht von heute auf morgen zu erreichen ist. Und wichtig wird auch sein,
sich dabei an ein realpolitisches Wort des verstorbenen Altkanzlers
Helmut Schmidt zu erinnern: Dass viele Staaten des Südens, nahen und
fernen Ostens derzeit noch nicht Demokratien sind und sein können, wie
wir sie kennen und leben.
Innenpolitisch gibt es keinen Anlass für neue Gesetze

Nicht nur in Frankreich, das vor wichtigen Regionalwahlen und im
kommenden Jahr vor Präsidentschaftswahlen steht, werden sich in den
kommenden Wochen wieder Diskussionen mit Forderungen nach neuen Gesetzen
oder Gesetzesverschärfungen erheben. Dies wird nicht nur wie bei der CSU
Verschärfungen des Asyl- und Ausländerrechts umfassen, sondern auch
Forderungen nach verschärfter Überwachung der Islamisten. Allen, die
dies fordern, sei entgegen gehalten, dass Frankreich seit den Anschlägen
die schärften Antiterrorgesetze hat, die sogar den Einsatz des Militärs
im Inneren erlaubt. Auch diese haben die Anschläge nicht verhindern
können. Der Verfassungsschutz und die Polizeibehörden beobachten
intensiv die etwa 250 bereits aus Syrien und Afghanistan zurückgekehrte
Extremisten. Aber niemand wird ernsthaft glauben, dass staatliche
Überwachung alle Extremisten wird überwachen können, auch nicht, wenn
wir das PErsonal verdoppeln. Vorstellungen, wie sie heute in Frankreich
geäußert wurden, sind nicht angemessen. Wer soll glauben, dass es hilft,
bekannten islamischen Extremisten z.B. elektronische Fußfesseln
anzulegen, wenn dies nicht verhindern kann, dass etwa der jüngere Bruder
dann die Rolle des potenziellen Täters übernimmt? Mit der Entdeckung der
Sauerland-Attentäter und dem Fehlschlag der Bombenbauer vom Kölner
Bahnhof haben wir bisher in Deutschland Glück gehabt. Nicht mehr und
nicht weniger. Wir müssen immer mit einem Anschlag rechnen, aber es geht
darum, sich unsere Freiheiten nicht von Extremisten zerstören zu lassen.
Insofern hat Paris auch keine neue Qualität der Bedrohung gebracht: Es
ist einer winzigen Gruppe von Tätern erstmals gelungen, umzusetzen, was
Sicherheitsbehörden seit einigen Jahren erwartet haben. Der Islamismus
muss in den Köpfen, im Denken der Extremisten und in ihrem Umfeld
bekämpft werden.

Der islamistische Terrorismus muss politisch bekämpft werden

Der islamistische Terror ist politischer Terrorismus hat ein politisches
Programm und zielt darauf ab, die Gesellschaft hier zu bedrohen und zu
spalten. Er baut auf ein archaisches, chauvinistisches und
patriarchalisches Gesellschaftsverständnis und den Glauben an Gewalt und
Einschüchterung als Mittel zur Lösung von Konflikten. Toleranz,
Kompromisse, Koalitionen und der Schutz von Minderheiten sind ihnen
fremd. Ihr Weltbild ist totalitär und faschistisch und damit streben sie
das Gegenteil einer emanzipierten Gesellschaft an. Die Entwicklung in
nahen Osten sät vielerorts – auch bei uns inzwischen – die Wurzeln eines
unversöhnlichen, religiös motivierten Hasses. Es war vor etwa einem Jahr
erschreckend zu sehen, mit welcher Vehemenz und Unbekümmertheit
anlässlich der Demonstrationen junger Menschen gegen die Luftangriffe
der Israelis auch in Deutschland menschenverachtende und antisemitische
Parolen skandiert wurden – nicht von Kaftan tragenden, bärtigen Männern,
sondern von blonden, blauäugigen Teenagern mit Palästinensertuch. Die
Freiheit ist nicht durch Einschränkungen der Freiheitsrechte und nicht
durch Repression zu erhalten. Dies muss eine junge Generation lernen,
die die Friedensbewegung und Begriffe wie passiven Widerstand, zivilen
Ungehorsam oder Gewaltfreiheit nicht einmal mehr vom Hörensagen kennt.
Ein Aufeinandertreffen mit Menschen, die wie die aus Syrien geflohenen,
die den Terror des IS am eigenen Leib erlebt haben, kann da eine
erwünschte Erweiterung des Horizonts bringen. Auch insofern könnten
Geflohene auch als eine Bereicherung unserer Gesellschaft auch in der
Auseinandersetzung mit religiösem Extremismus gesehen werden, denn sie
haben die Exzesse von Fanatikern selbst erlebt. Eine demokratische
Gesellschaft wie unsere kann diesen Diskurs organisieren, wenn sie will
und wird daran wachsen und gewinnen. Die Integration von Flüchtlingen
ist deshalb im Eigeninteresse Deutschlands auch unter politischen
Gesichtspunkten der Auseinandersetzung mit dem religiösen Extremismus.

Verfassungspatriotismus für Grund- und Freiheitsrechte

Die Bundeskanzlerin hat mit ihrer flüchtlingspolitischen Linie ein
wichtiges Zeichen für eine humane Gesellschaft in Deutschland und Europa
gesetzt. Sie wird dafür ähnlich wie Helmut Schmidt für seine Position in
der NATO-Nachrüstung 1982 von der eigenen Parteibasis in Zweifel gezogen
und sie wird noch manche schwierige Situationen zu überwinden haben, bis
die innerparteilichen Gegner den Irrtum ihres Weges einsehen werden.
Aber sie hat mit ihrer Positionsbestimmung dem Land eine wichtige
Orientierung gegeben, dass die liberalen und demokratischen
Freiheitsrechte und Grundüberzeugungen auch angesichts der Krise nicht
zur Disposition stehen. Sie hat damit über alle Parteigrenzen hinweg ein
Beispiel gegeben, dass uns verpflichtet, für die demokratischen
Freiheiten und Grundrechte einzustehen, sie zu verteidigen und auszubauen.

Es geht darum, gemeinsam mit den Eingewanderten einen neuen
verfassungspolitischen Grundkonsens zu erarbeiten, es geht um
unterschiedliche Auffassungen über Kindererziehung, Gewalt, Moral,
Sexualität, Gleichberechtigung der Geschlechter, Gleichheit vor dem
Gesetz und auch um die Frage, welchen Stellenwert Religion in einer
modernen, aufgeklärten Gesellschaft noch haben kann. Dabei wird dem
säkularen, von Religiösen Einflüssen freien Staat eine immer wichtigere
Funktion zukommen. Diese – friedliche – Auseinandersetzung wird unsere
Gesellschaft und ihren Zusammenhalt stärken, sie findet bereits statt.
Selbst die alt-68er sind dabei gefragt, sich zu beteiligen, ihre
positiven Schritte zu einer liberalen Gesellschaft zu verteidigen. Denn
unsere Wertegemeinschaft der Meinungsfreiheit, Toleranz und Kompromisse
werden wesentlich massiver durch hier ansässige Neonazis und
PEGIDA-Faschisten beeinflusst, als durch Geflohene aus anderen
Kulturkreisen. Deshalb muss sich Erziehung zur Demokratie vor allem auch
an die ewig gestrigen Teile der deutschen Bevölkerung richten. Dagegen
gilt es, sich einzusetzen – die Freiheiten unserer Verfassung zu
verteidigen und gegen autoritäres und reaktionäres Denken die Aufklärung
zu setzen.

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